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Daß alle eins sind...

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In einer Würdigung der ersten fünf Monate des Pontifikates von Papst Johannes XXIII. unterstrich Hans Bauer kürzlich in der „Furche” (Nr. 13) die Bedeutung der Einberufung des allgemeinen Konzils für die Ostkirche und hob dabei besonders die hervorragende Stellung der griechisch-orthodoxen Kirche in den kommenden Entwicklungen hervor. Durch seinen langjährigen Aufenthalt in Athen und Konstantinopel (wo der ökumenische Patriarch seinen Sitz hat; bekanntlich ist Johannes XXIII. mit dem heutigen Patriarchen Athinagoras durch persönliche Freundschaft verbunden) hat der neue Papst tiefgehende Kenntnisse über Vergangenheit und Gegenwart der griechischen Orthodoxie und über ihr Verhältnis zum Heiligen Stuhl gewinnen können. Daß diese persönlichen Erfahrungen eine große Rolle bei dem Entschluß des Papstes gespielt haben, ist wohl anzunehmen. Dabei ist er sich sicher der — menschlich gesehen fast unüberwindbaren — Schwierigkeiten voll und ganz bewußt.

Es gibt aber noch einen anderen Grund für die heutige wichtige Position der griechisch- orthodoxen Kirche. Griechenland ist momentan das einzige nichtkommunistische Land der Welt, wo die Orthodoxie Staatsreligion ist und die sehr große Mehrheit der Bevölkerung sich zu dieser Kirche bekennt. Ueberdies ist die griechische Kirche (trotz beachtlichem Widerstand in den eigenen Reihen) Mitglied des Genfer Weltkirchenrates und darin der wichtigste Sprecher der Ostkirchen. Zwar besteht zwischen Genf und dem Moskauer Patriarchat seit kurzem Fühlungnahme, aber Mitglied ist die russische Kirche nicht und wird sie vorläufig wahrscheinlich auch nicht werden; sie ist auch nicht frei.

Eine bedeutsame und zu rechter Zeit erschienene Aufklärungsarbeit über das Verhältnis zwischen Katholiken und Orthodoxen in Griechenland in der Vergangenheit wurde vor einigen Monaten von einem griechisch-katholischen Athener Priester, P. Paul Grigoriou-Garo, geleistet. Pater Garo ist ein vielseitiger Mensch. Er ist aktiv in• der Seelsorge tätig-und zu gleicher- Zeit Herausgeber der katholischem Wochenschrift „Katholiki” („Die katholische Zeitung”), die auch in orthodoxen Kreisen gelesen wird; daneben findet er Zeit für wissenschaftliche Studien. Im vergangenen Jahre veröffentlichte er ein eindrucksvolles Buch: „Beziehungen zwischen Katholiken und Orthodoxen1”, des’sen Lektüre nicht weniger als überraschend ist. Pater Garo weist nämlich auf Grund von ausgedehnten Untersuchungen im Archiv der Propaganda Fide und in griechischen Archiven darauf hin, daß nach dem Schisma von 1054 bis Anfang des 18. Jahrhunderts, vor allem aber im 17. Jahrhundert im ganzen griechischen Raum unter der türkischen bzw. venezianischen Herrschaft zwischen den Rom treugebliebenen Christen und den abgetrennten vielfach ein ausgezeichnetes Verständnis bestehen blieb. Das bezieht sich auf das Gebiet des heutigen Griechenlands wie auch auf Konstantinopel, Kleinasien, Zypern und den Mittleren Orient, überall, wo die griechische Sprache gesprochen wurde und die griechische Kultur Einfluß besaß.”

Diese friedliche Koexistenz der beiden Kirchen änderte sich im 18. Jahrhundert. Politische und religiöse Ursachen sind daran schuld: der wachsende Einfluß des Protestantismus im Orient, die nationalbewußtere Haltung der griechisch-orthodoxen Kirche, Mittelpunkt des Widerstandes gegen die Türken.

Bis heute ist es leider so geblieben. Die Orthodoxie ist Staatsreligion, der Katholizismus wird geduldet, weil die Verfassung Religionsfreiheit vorschreibt. Der dem byzantinischen Ritus folgende Teil der katholischen Kirche, die sogenannten Unierten, wird mit großem Mißtrauen betrachtet und als eine direkte Gefahr für die herrschende Kirche angesehen. Dafür einige Beispiele: Auch außerhalb Griechenlands weiß man um die Versuche orthodoxerseits, den Papst zu bewegen, nach dem Tode des Exarchen des byzantinischen Ritus, Msgr. G. Calavassi, im November 1957, keinen Nachfolger zu ernennen. Man möchte der Existenz der gesamten unierten Gruppe ein Ende bereiten. Auch weiß man im Ausland Bescheid über den Kampf von Msgr. G. Calavassi und nachher seines Nachfolgers, die Erlaubnis zu erwirken, eine Kirche für die unierte Gruppe in Athen zu bauen.

Nachdem nach jahrelangen Anstrengungen die Behörden endlich diesem Vorhaben zugestimmt hatten und mit dem Bau begonnen wurde, mußte im vergangenen Jahr, einige Wochen nach dem Anfang, die Arbeit eingestellt werden. Das war die Folge einer energischen Intervention des orthodoxen Erzbischofs Athens, Theoklitos, beim Ersten Minister.

Gerade gegen die Unierten richten sich die Angriffe der orthodoxen Führer, wozu man sich, wenn man sie verstehen will, den Standpunkt der orthodoxen Kirche vor Augen halten muß. Laut diesem Standpunkt fallen Zugehörigkeit zur Staatskirche und der Besitz der griechischen Nationalität praktisch zusammen. Es ist für viele schon eine verwunderliche Sache, wenn ein Grieche Protestant oder lateinischer Katholik ist. Unausdenkbar aber eine christliche Gruppe, die in ihrer Kirche genau denselben Ritus befolgt wie die Staatskirche, die griechische Sprache verwendet usw., aber den Papst anerkennt! Natürlich nur, um leichter Proseliten machen zu können ...

Ein katholischer Christ aus dem Westen, der Griechenland besucht, wird sich schon bald im klaren sein über die tiefe Tragödie der Trennung. Er erkennt, daß er in einem Land weilt, wo das Christentum einen ebenso selbstverständlichen Platz einnimmt wie in Italien oder Oesterreich. Ueberall sieht er Kirchen und Kapellen mit ihrer eigenartigen, mystischen Atmosphäre, die Ikonen an Straßenecken, in Amtsgebäuden, öffentlichen Lokalen und in vielen privaten Häusern, die religiösen Medaillons in Autobussen und viele andere Zeichen einer christlichen Tradition. An den Landstraßen bemerkt er die einfachen Marterln, wo fromme Frauen frische Blumen hinlegen und abends Kerzen anzünden. Es entgeht ihm nicht, daß manche Gläubige sich bekreuzigen, wenn sie an einer Kirche Vorbeigehen. Er besucht die — immer gesungenen — Gottesübungen mit ihrer orientalischen Pracht und den eindrucksvollen Priestererscheinungen. Er stellt bald fest, wie Religion und Nationalgefühl sich umschlungen, miten.

Tatsächlich, sein geschichtliches Bewußtsein und sein Patriotismus (und welcher Grieche ist kein vehementer Patriot?) haben dem Hellenen die Ueberzeugung gegeben, daß er seine eigene Kirche braucht, die eine eigene Liturgie besitzt und die Landessprache verwendet. Andere Völker mögen ihre Kirchen haben, er besitzt seine eigene. Es braucht nicht betont zu werden, wie schwierig es ist, die Faktoren zu beseitigen, die einmal die Trennung verursacht und seitdem die Spaltung unendlich vertieft haben. Neben den rein theologischen Streitpunkten, die zur Genüge bekannt sind, sind es nichttheologische Gründe, historische, politische und psychologische, welche die Ueberbrückung der Kluft so erschweren.

Die kleine katholische Kirche mit ihren etwa 40.000 Mitgliedern (wovon einige tausend dem byzantinischen oder armenischen Ritus folgen) wird mehr oder weniger als ein Fremdkörper betrachtet. Sie wird geduldet, aber, wie oben schon angedeutet, dem unierten Zweig wird das Leben schwierig gemacht. Unter diesen Umständen ist die einzig mögliche Linie die Verfolgung einer „politique de la presence”. Eindrucksvolle soziale, karitative und erzieherische Tätigkeiten, welche die bescheidene Zahl der Katholiken, die nur ein halbes Prozent der Bevölkerung ausmachen, weit übersteigen, bringen Viele Orthodoxe in Berührung mit der lebenden Wirklichkeit der Kirche Roms. Die Gebildeten versucht man auch zu erreichen durch die Herausgabe katholischer Literatur. Dadurch können manche Vorurteile weggenommen und einige Schritte auf dem Weg zu einer Verständigung der getrennten Kirchen gemacht werden. Das übrige ist die Arbeit des Heiligen Geistes, des Hagion Pneuma.

Die Weihnachtsbotschaft 1958 und die kurz darauf erfolgte Mitteilung des Papstes über den Plan eines allgemeinen Konzils, wozu auch die Hierarchie der Ostkirchen eingeladen werden soll, hat auch in Griechenland starke Beachtung gefunden. Der Patriarch Athinagoras, der geistige Führer der griechischen Orthodoxie, hat bekanntlich freundlich reagiert auf die persönliche Botschaft, die der Papst ihm zu Anfang des neuen Jahres hat zukommen lassen. Er wartet jetzt, so hat er gesagt, auf Taten, um den Wunsch nach Union zu verwirklichen. Eine offizielle Stellungnahme der orthodoxen Kirche Griechenlands zur Bekanntgabe des Konzils liegt nicht vor; offensichtlich wartet man auf weitere und spezifischere Mitteilungen. Um so mehi . abeE’ hat die griechische kirchliche und politische Presse dieser wichtigen Angelegenheit Aufmerksamkeit gewidmet.

Am aufschlußreichsten und interessantesten ist ein ausführlicher Aufsatz2 des Athener Theologen Prof. Arnikas A. Alivizatos, einer auch in Kreisen des Weltkirchenrates sehr bekannten Persönlichkeit. Zuerst erklärte er, daß ein Konzil, das nicht die Merkmale der ersten sieben Konzilien besitzt, von der orthodoxen Kirche nicht einberufen werden kann; überdies ist ein panorthodoxes Konzil kein ökumenisches, da die übrigen Christen fehlen würden. Wenn die römische Kirche ein Konzil abhält, ist sein Charakter ganz verschieden. Ein solches Konzil ist seinem Wesen nach konsultativ, da der unfehlbare Papst das letzte Wort hat; weder die orthodoxe noch die protestantischen Kirchen könnten sich an einem Konzil beteiligen, das die Anerkennung des päpstlichen Primates voraussetzt. Wie kann also ein römisches Konzil je die Union diskutieren, wenn die grundlegende Uebereinstimmung über die Stellung des Papstes nicht gegeben ist und dazu die Partner nicht gleichberechtigt sind?

Hier ist also eine Sackgasse. Dennoch ist Prof. Alivizatos der Ansicht, daß, wenn der Papst eine Einladung zur Teilnahme schicken sollte, wodurch die Orthodoxen als Besucher oder Beobachter anwesend sein könnten, man diese annehmen soll, sogar „mit großer Bereitwilligkeit”. Nicht nur der Höflichkeit wegen, sondern auch aus sehr wichtigen Gründen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß sich, auch wenn die orthodoxe Kirche nur in Beobachterrolle vertrete:! sein wird, doch die Gelegenheit zu nützlichem Gedankenaustausch bieten wird. Vielleicht kann man sogar in einer solchen Diskussion in gewissen Punkten eine Einigung erzielen.

Was werden die kommenden Jahre bringen? Wird der neue Papst mehr Erfolg, haben als seine Vorgänger, die seit 1054 unermüdlich, obwohl vielleicht nicht immer mit dem notwendigen Einfühlungsvermögen für die Mentalität des Ostens versucht haben, die Einheit der getrennten Kirchen wiederherzustellen?

Man wird auf beiden Seiten den Mut haben müssen, in neuen Dimensionen zu denken.

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