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Die vatikanische Ostpolitik

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(Der Bischof von Münster, Heinrich Tenhumberg, hat dem „Rheinischen Merkur“ den Text der Rede, die er am 2. November vor dem Verband Wissenschaftlich-Katholischer Studentenverbände Unitas über Fragen der vatikanischen Ostpolitik gehalten hat, zum Abdruck zur Verfügung gestellt. Wir bringen mit Zustimmung des „Rheinischen Merkur“ diesen Beitrag.)

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(Der Bischof von Münster, Heinrich Tenhumberg, hat dem „Rheinischen Merkur“ den Text der Rede, die er am 2. November vor dem Verband Wissenschaftlich-Katholischer Studentenverbände Unitas über Fragen der vatikanischen Ostpolitik gehalten hat, zum Abdruck zur Verfügung gestellt. Wir bringen mit Zustimmung des „Rheinischen Merkur“ diesen Beitrag.)

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Wenn man in, einer ganz allgemeinen beschreibenden Begriffsbestimmung mit „Politik“ die organisierte Einflußnahme auf das menschliche Zusammenleben in Gesellschaft und Staat bezeichnet, dann hat auch alles kirchliche Wirken eine politische Seite. Jede Glaubemsverkündigung beeinflußt nicht nur die Meinung, sondern vor allem die gesamtmenschliche Grundorientierung. Sie wird infolgedessen im gesellschaftlichen Zusammenleben relevant. Darum hat sich der Staat von Anfang an um die Religionen gekümmert, die Religionen um den Staat. Das Gleiche gilt übrigens für alle Verbände, die eine organisierte Einflußnahme auf Staat und Gesellschaft ausüben. Das gilt selbst dann, wenn diese Einflußnahme zunächst gar nicht beabsichtigt ist. Das bloße Dasein von Meinungsgruppen übt einen veränderten Einfluß auf die Gesellschaft aus, hat also insofern soziale und politische Bedeutung.

Alle Religionen, alle Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften haben daher von ihren Ursprüngen an die Auseinandersetzungen mit Staat und Gesellschaft auf sich nehmen müssen. Politische Orientierung und Wirksamkeit gibt es sowohl beim Weltrat der Kirchen — denken wir nur an das heißumstrittene Antirassismusprogramm — als auch bei den orientalischen Kirchen — denken wir nur an die Bedeutung der religiösen Frage im Zypemstreit um Erzbischof Makarios, an die. Spannungen zwischen Moskau und Konstantinopel in der gesamten Orthodoxie — und seit Beginn auch in der katholischen Kirche — von Petrus, der nach dem Urteil des römischen Kaisers gekreuzigt wurde, bis zu Paul VI.

Diese politische Orientierung der Kirche in den jeweiligen Gesellschaften und Staaten ist immer umstritten. Man konnte am Beginn des Nationalsozisalismus sehr wohl darüber streiten, ob der Abschluß des Reichskonkordats nützlich sei oder nicht. Der Streit ist heute noch nicht zu Ende. Ich glaube auch nicht, daß der Streit um die sogenannte Ostpolitik des Vatikans mit den Argumenten für oder wider leicht beendet werden kann. Eine solche Illusion habe ich nicht. Einige — wie mir scheint — überaus unsachliche und unfaire Angriffe auf den Papst und seine engsten Mitarbeiter aber veranlassen mich, auf einige Gesichtspunkte hinzuweisen, die bisher in der Diskussion kaum erwähnt wurden, aber eine entscheidende Bedeutung haben:

Ein gewisser antirömischer Affekt war seit Jahrhunderten in Deutschland Tradition. Dieser Affekt wirkt auch heute bei manchen Publizisten nach. Seit dem Konzil — vorher wäre ja einiger Mut nötig gewesen — ist es auch bei gewissen Gruppierungen des deutschen Katholizismus üblich geworden, Rom dann zu loben, wenn es einem in den eigenen Kram paßt, im übrigen aber den antirömischen Affekt kräftig zu schüren. Tiefenpsychologisch liegt hier wohl immer noch ein gewisser Minderwertigkeitskomplex zugrunde. — Man glaubt, damit eine Art Eintrittskarte für den Klub der Aufgeklärten, vielleicht auch eine Art Persilschein für frühere markante kirchenkonforme Äußerungen zu bekommen.

Die ganze vatikanische Ostpolitik ist nur auf dem Hintergrund geschichtlicher Erfahrungen zu begreifen. Daß Rom in Jahrhunderten denkt, war früher ein geflügeltes Wort. Wer manche sehr durchschnittliche Mitarbeiter an der römischen Kurie kewnengelemt hat, mag mit gutem Grund daran zweifeln, daß das Wort heute noch gelte. Wer aber die Pontifikate der letzten Päpste aufmerksam verfolgt hat, wird nicht so leicht in den Chor derer einstimmen, die das Verhältnis des Heiligen Stuhls zu den Regierungen und Gruppierungen in Ost und West nur jeweils von einem kurzfristigen Opportunitätsdenken beeinflußt sehen wollen.

Ich bin davon überzeugt — und sah diese Überzeugung in manchen Gesprächen (bestätigt —, daß die geschichtlichen Erfahrungen und die politischen Entwicklungen kaum irgendwo so sorgsam bedacht werden wie in den verschiedenen Dikaste- rien der päpstlichen Kurie. Dabei habe ich nirgendwiann und nirgendwo etwas’ von einem bloßen, Prestige-, Macht- oder Profitdanken feststellen können. Seit dem Ende des Kirchenstaates hat sich Rom konsequent bei aller notwendigen kirchenpolitischen Orientierung nur von einem Gesichtspunkt leiten lassen: Der Erfüllung des Auftrages Jesu Christi und damit der Sorge um alle Menschen, deren Frieden und deren Heil. Es ist kein Zufall, daß alle Päpste seit dem 1. Vaticanum mit gutem Recht als Friedenspäpste bezeichnet werden können. Welche Instanz dieser Welt hätte in diesem Jahrhundert mehr Friedensinitiativen entwickelt als der Heilige Stuhl?

Bei diesem Denken in Jahrhunderten kann und darf die Kirche nicht vergessen, welche Lehren sich aus der für das Abendland so bedeutenden Auseinandersetzung mit dem Islam ergeben. Seit Mohammed ging es für die Kirche und alle Nationen der damaligen christlichen Welt um Sein oder Nichtsein. Die Auseinandersetzung vollzog sich im Sinn einer totalen Konfrontation auf beiden Seiten. Der jeweilige militärische Sieg entschied zugleich über die religiöse Entwicklung des einen oder anderen Landes. Für den Islam war es selbstverständlich, daß die jeweils eroberten Gebiete islamisiert wurden und umgekehrt. Die besonders intensive Verflechtung von Staat, Gesellschaft und Religion im islamischen Bereich brachte es mit sich, daß alle missionarischen Versuche, in islami- sierten Gebieten christliche Gemeinbildung durchzuhalten oder neu zubegründen, fehlschlugen. Ehemals blühende christliche Kulturen, lebendiges kirchliches Leben in der Türkei, in Kleinasien, im ganzen Vorderen Orient, in Nordafrika gingen für unabsehbare Zeit dem Christentum verloren. Das war das Ende einer totalen Konfrontation.

Doppelte Aufgabe

Ich bin gewiß der Letzte, der den Bolschewismus, auch jede andere Form eines marxistischen Staatsso- zialismus in eine Linie mit dem Islam stellen will. Ich weiß sehr wohl, daß in manchen Ländern die islamische Religion ein entscheidendes Bollwerk gegenüber dem atheistischen Marxismus und Materialismus darstellt. Aber eben auf der ideologischen Basis des atheistischen Marxismus gibt es politische, staatlich organisierte Systeme, die unter Inanspruchnahme aller staatlichen Mittel den christlichen Glauben auszurotten trachten. Beim Islam hat die Geschichte gelehrt, daß eine totale Konfrontation in der Regel auch zu einer völligen Abriegelung der Gemeinden, einer Auflösung der Gemeindestrukturen und einer ganzheitlichen Umerziehung der jungen Generation und damit zu einem Ende des christlichen Lebens führt. Die russische Oktoberrevolution war 1917. Hätte damals jemand geglaubt, daß ein solches System eine Dauer von mehreren Menschenaltern haben würde? Will jemand eine militärische Konfrontation, und meint er etwa, davon könne das Heil kommen? Ich glaube es nicht

Die vatikanische Ostpolitik, ja die Kirche insgesamt, steht damit vor einer gewaltigen doppelten Aufgabe: sie muß auf der einen Seite den Auftrag Christi getreu erfüllen: allen Götzen dieser Welt widersprechen. Sie muß daher volle Klarheit darüber schaffen, wie sie zum atheistischen Marxismus steht wie sie über die Menschenrechte denkt, und mit aller Konsequenz auch dafür eintre- ten. Eben das ist durchaus die Linie der Päpste in den letzten Jahrzehnten gewesen. Über die Beurteilung der marxistisch-sozialistischen Systeme sollte es bei Christen, die auf Rom hören, keinen Irrtum geben.

Die vatikanische Ostpolitik und die Kirche insgesamt müssen auf der anderen Seite aber dämm besorgt sein, daß in den genannten marxistisch geprägten Ländern jene kirchlichen Grundstrukturen erhalten bleiben und jenes Minimum an seelsorgerischer Arbeit in der GLaufoensverkün- digung und Katechese, in Sakramen- tenspendung und Gemeindebildung möglich bleibt, das der Kirche und dem christlichen Glauben ein Überleben garantiert. Selbstverständlich darf dieses Minimum nicht schon der Ausgangspunkt von etwaigen Verhandlungen sein. Da kann man selbstverständlich Einzelheiten der Verhandlungspraxis kritisieren. Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob dieser oder jener Kompromiß, in Ungarn etwa oder in der Tschechoslowakei, sinnvoll war. Aber die Berechtigung dieser Grundlinie wird man nicht so leicht von der Hand weisen können. Die Erfüllung beider Aufgaben ist natürlich sehr schwierig. Warnt die Kirche die Welt vor dem atheistischen Marxismus, so kommt sie leicht in den Verdacht, dem marxistisch-sozialistischen Staat politischen und wirtschaftlichen Schaden zufügen zu wollen. Bemüht sie sich um ihrer Seelsorge an den unterdrückten Menschen willen um jenes mögliche Maximum oder erzwungene Minimum an kirchenpolitischen Kompromissen, so kommt sie leicht in Gefahr, auch ihre religiöse Haltung gegenüber dem atheistischen Marxismus zu kompromittieren. Mir scheint, daß der Papst in seiner grundsätzlichen Orientierung dabei nach dem Prinzip vorgegangen ist, sich bei Entscheidungsfragen jeweils vor allem daran zu orientieren, was den unterdrückten Menschen, der Überlebens- und Entfaltungschance ihres Glaubens am meisten nutzt.

Ein zweiter Gesichtspunkt, der die vatikanische Ostpolitik seit Jahrzehnten bestimmt, bezieht sich auf die Ökumene. Der Papst hat verschiedentlich zu erkennen gegeben, wie sehr er vom Schicksal der Orthodoxie, deren Kirchengemeinschaften weithin in atheistisch-marxistischen Ländern leben, bedrängt und beunruhigt ist. Die Politik einer totalen Konfrontation würde auch dem Überleben dieser Kirchen nur schaden. In, allen marxistisch regierten Ländern haben die orthodoxen Patriarchen jeweils aus ähnlichen Überlegungen wie der Papst einen Modus vivendi mit dem jeweiligen Regime gesucht. Der Papst kann ihnen nicht in den Rücken fallen. Wenn er sich im Rahmen seiner Möglichkeit um eine — wenn auch noch so schwierige — Entspannung im Kirchen- und Religionskrieg des atheistischen Marxismus bemüht — ein solcher Religions- krieg ist tatsächlich, wenn auch mit je wechselnden Phasen im Gange —, so geschieht das nicht zuletzt aus der Hoffnung, daß diese gemeinsame Linie sowohl den gläubigen Menschen religiöse Freiheit bringt, als auch der Einheit der Kirche dient. Wer die vatikanische Ostpolitik gerecht beurteilen will, darf vor dem historischen Hintergrund der Weltpolitik diese ökumensiche Dimension nicht übersehen.

In den letzten Tagen glaube ich auch Anzeichen für einen gewissen teutonischen Pharisäismus bemerkt zu haben. Da haben doch dieselben Zeitungen, die sich bis vor kurzem nicht genug tun konnten, von einem „erfreulichen Realismus der deutschen Ostpolitik“, von einer „notwendigen, weitgehenden Kompromißbereitschaft bei den Ostverträgen“, vom „tapferen Verständnis für die politischen Vorleistungen der Bundesrepublik Deutschland“ zu schreiben, plötzlich den Papst geprügelt, wenn er ohne ökonomischen und politischen Ehrgeiz mühsam und gewiß unter vielen Schmerzen das Bestmögliche für die Menschen im Ostblock zu erreichen sucht. Man muß einmal selbst mit dem Papst gesprochen haben, um 2x1 spüren, wie er selbst unter solcher Last der Verantwortung leidet. Wer will Richter über einen Mann sein, der sich zudem in solcher Situation nicht einmal verteidigen kann, weil er auch damit den Menschen drüben schaden würde.

Zu der umstrittenen Frage, warum der Regierende Bürgermeister von Berlin die vorgesehene Privataudienz beim Papst absagte, weil die Teilnahme des Vatikanbotschafters der Bundesrepublik Deutschland dabei nicht erwünscht war, kann ich hier nicht Stellung nehmen, weil ich nicht genügend informiert bin. Auch hier sollte das Prinzip gelten: audiatur et altera pars. Der Vatikan mag gute Gründe haben, sich bis jetzt mit einer formalen Begründung zu begnügen. Ich frage mich allerdings wohl: Hätte es zu diesem Eklat kommen müssen? Wäre es für den Regierenden Bürgermeister von Berlin und auch für den Vatikanbotschafter nicht möglich gewesen, diese Frage vorher abzuklären? Das gehört in der Regel zum guten Stil in der Diplomatie und gewiß auch zur diplomatischen Kunst. Ich frage mich, woher so viele Kommentatoren in der deutschen Presse ihre Sicherheit nehmen? Wer hat denn bisher den Grundsatz von der Einheit der deutschen Nation so klar durchgehalten wie der Heilige Stuhl? Ich darf mir noch eine Frage erlauben: Kann man vom Papst verlangen, daß er deutscher ist, als die abgeschlossenen und international anerkannten Ostverträge es ihm erlauben? Ist es auch politisch klug, auf Rom einzuschlagen, wenn man sein politisches Unbehagen artikulieren will, obwohl Rom sicher nicht der stärkste Mitspieler im ganzen Gefüge von Ost und West, von Nord und Süd ist? Es fiel mir auf, daß Zeitungen heute über Rom herfallen, die sich gegenüber sehr deutlichen Unfreundlichkeiten von Ostblockländern, einschließlich der DDR, und von westlichen Ländern, einschließlich der Vereinigten Staaten, immer sehr zurückhielten. Da stimmt doch etwas nicht.

Nun sol man nicht meinen, ach persönlich oder gar alle deutschen Bischöfe übernähmen einfach jede Position vatikanischer Ostpolitik, insbesondere vielleicht auch jede Wunschvorstellung bezüglich gewisser Regelungen mit der DDR. Die deutschen Bischöfe haben in den letzten Jahren nie gezögert, mit allem Nachdruck im guten Zusammenwirken mit dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken immer jene Gesichtspunkte nachdrücklich ins Spiel zu bringen, die uns von unserer gemeinsamen Sorge um die Einheit des Vaterlandes aufgegeben sind. Jene Zeitungen und Publizisten, die sehr verständnisvoll und teilweise gar sehr beifällig reagiert haben, als sich die evangelischen Landeskirchen in der DDR von den kirchlichen Zusammenschlüssen ln der Bundesrepublik Deutschland trennten, haben jetzt wahrlich keinen Grund, Rom und die deutschen Bischöfe zum Prügelknaben zu machen, wenn sie sich nach der längst gelaufenen Ostpolitik der Bundesregierung und der Kirchenpoldtik im evangelischen Bereich um eine Pasterai verantwortliche Lösung unter voller Wahrung der Verantwortung für die Einheit des Vaterlandes und unter voller Ausnutzung unserer vertraglichen Rechte (Reichskonkordat) bemühen. Msgr. Casaroli wird im deutschen Episkopat und im deutschen Katholizismus insgesamt keinen leichten Partner haben,. Das haben die Erklärungen des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Julius Kardinal Döpfners, wie auch des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken wohl deutlich gemacht. Unsere Stärke sind gute Argumente. Darum muß es ein Ende haben, den Papst zum Prügelknaben unserer nationalen Schwächen zu machen.

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