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Dialog in polnischer Gestalt

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In Österreich ist er durch seine vielen A uftritte - zuletzt beim Steirischen Katholikentag in Graz -schon wohlbekannt: Josef Tischner, polnischer Theologe und Philosoph, der der phänomenologischen Schule zugerechnet wird und vor allem die Wertphilosophie und die. Philosophie des Dialogs repräsentiert. Zur Zeit ist er Professor an der Päpstlichen Theologischen Fakultät in Krakau und dort auch Vorstand des Institutes für Philosophie. Er ist Mitarbeiter der polnischen katholischen Zeitschriften „Znak" und„Tygodnik Powszechny" und A utor zahlreicher Bücher, die teilweise auch in westeuropäischen Ländern erschienen sind. Sein jüngstes Werk ist im polnischen Verlag „Biblioteka spotkan" unter dem Titel,, Dialog in polnischer Gestalt" veröffentlicht worden und wird aller Voraussicht nach auch in deutscher Sprache erscheinen. Wir bringen einen A uszug daraus:

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In Österreich ist er durch seine vielen A uftritte - zuletzt beim Steirischen Katholikentag in Graz -schon wohlbekannt: Josef Tischner, polnischer Theologe und Philosoph, der der phänomenologischen Schule zugerechnet wird und vor allem die Wertphilosophie und die. Philosophie des Dialogs repräsentiert. Zur Zeit ist er Professor an der Päpstlichen Theologischen Fakultät in Krakau und dort auch Vorstand des Institutes für Philosophie. Er ist Mitarbeiter der polnischen katholischen Zeitschriften „Znak" und„Tygodnik Powszechny" und A utor zahlreicher Bücher, die teilweise auch in westeuropäischen Ländern erschienen sind. Sein jüngstes Werk ist im polnischen Verlag „Biblioteka spotkan" unter dem Titel,, Dialog in polnischer Gestalt" veröffentlicht worden und wird aller Voraussicht nach auch in deutscher Sprache erscheinen. Wir bringen einen A uszug daraus:

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Seit mehr als 35 Jahren vollzieht sich bei uns in Polen eine in ihrer Weise einzigartige Begegnung zwischen Christentum und marxistischem Sozialismus. Eine Begegnung zweier einander entgegengesetzter Konzeptionen davon, wie der Mensch das Glück erlangen kann. >

Die grundsätzliche Ebene des Dialogs des Christentums mit der Theorie und der Praxis des Marxismus in Polen war eine ethische Ebene, genauer gesagt eine Ebene, auf der das Ethos als eine Seinsweise, die der Hoffnung des Menschen entspricht, in integraler Weise zur Geltung kommt. . Auf der einen Seite begegnete uns die bloß irdische Hoffnung, deren wesentli» che Komponente die Verheißung vom Aufhören der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen war, auf der anderen Seite war da eine vielseitigere Hoffnung, als deren zentraler Wert sich die Menschenwürde zeigte. Allein dieser Ansatz fur einen Dialog führte dazu, daß sich an ihm praktisch ein ganzes Volk beteiligte.

Es gab im ganzen Land keinen Menschen, welcher sich nicht von Zeit zu

Zeit auf eine mehr oder weniger konsequente Art zur einen oder zur anderen Seite bekennen hätte müssen. Der Verlauf der Ereignisse forderte von allen irgendein Engagement. Einmal ging es um das Problem der Kindertaufe, ein anderes Mal um die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht, wieder ein anderes Mal ging es um die Teilnahme an einer Prozession oder an einer religiösen Feierlichkeit oder am Empfang Johannes Paul II. in der Heimat.

Die Arten des Engagements waren unterschiedlich. Es war auch Platz für Formen, die der Philosophie entsprachen. Auch wenn die gesellschaftliche Funktion des auf dieser Ebene geführten Dialogs von keiner allzu großen Bedeutung war, so handelte es sich doch um einen interessanten Dialog, weil sich in ihm in reiner Form die das gesellschaftliche Bewußtsein durchdringenden Meinungen ausdrückten.

Was sind die Folgen dieses Dialoges?

Zu den bedeutendsten Auswirkungen des Dialogs gehört vor allem die Tatsache, daß in unserem Land ein Freiheitsraum existiert. Wir wissen, daß dieser größer ist als in anderen uns vergleichbaren Ländern. Niemand wird sich Illusionen darüber machen, daß die Erlangung eines solchen FreiheitsraunTes ein Verdienst christlichen Widerstandsgeistes, sowie der seelsorglichen Arbeit der Kirche und der nachkonziliaren Theologie der kirchlichen Gegenwärtigkeit im Alltagsleben ist.

In diesem erkämpften Freiheitsraum waren sogar derart riskante Ereignisse wie die Pilgerreise Johannes Paul II. nach Polen möglich. Erinnern wir uns: Zu Zeiten Pius XII. und B. Bieruts wäre so etwas nicht auszudenken gewesen; zu Zeiten Paul VI. und W. Gomul-kas war eine solche Sache zwar denkbar, erwies sich aber als nicht realisierbar, da es trotz der Bemühungen des Episkopats und des Verlangens Paul

VI. zu keiner Einladung des Papstes zur 1000-Jahr-Feier nach Tschenstochau kam; dann aber wurden alle vom Lauf der Dinge überrumpelt.

Wir haben also unseren Freiheitsraum. Wir wissen, daß es kein allzu großer Raum ist. Aber in der Vergangenheit war es noch schlechter. Der Besuch Johannes Paul II. hat diesen Raum erweitert und gefestigt und gab zudem jenen Mut und Kraft, welche an dessen Ausweitung mitarbeiteten.

Der Besuch schloß eine bestimmte und wichtige Phase des Dialogs ab. Er stellte nämlich so etwas wie ein nationales Plebiszit dar. Das Volk stellte sich auf die Seite der Hoffnungen, deren Symbol der Polen-Papst wurde. Was ist der Kern dieser Hoffnung? Es scheint mir, daß es eine besondere Konzeption der Würde der menschlichen Person ist. Alle Auftritte Johannes Paul II. in Polen waren eine Auslegung dieser Konzeption.

In dieser Konzeption hatten auch andere Werte Platz. Der gedankliche Raum der päpstlichen Reden war so weit, daß sich in ihm alle Menschen guten Willens finden konnten. Plötzlich hatten sich die Proportionen verändert. Jetzt luden nicht mehr die Sozialisten und Kommunisten die Katjioliken zum Dialog und zur Zusammenarbeit ein, sondern die Katholiken alle anderen.

Diese Zusammenarbeit ist tiefergehend als der Kampf um Frieden und gesellschaftliche Disziplin. Es geht um den Aufbau und die Fortsetzung der tiefgreifendsten Werke des nationalen Geistes, die durch solche Gestalten wie den heiligen Stanislaus, die selige Königin Hedwig, Paulus Wladimiri, Nikolaus Kopernikus und Maximilian Kolbe symbolisiert werden. Gestalten, die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit Johannes Paul II. standen. Indem er das Gefühl der Würde erweckte, erweckte der Papst die Hoffnung, die diesem Gefühl entspricht.

Zugleich festigte er das Verantwortungsgefühl. Das Ereignis der Pilgerfahrt wurde zu einem integralen Bestandteil des polnischen nationalen Selbstbewußtseins. Wie einst die Teilungen Polens, ein Beispiel nationaler Schmach, zum Inhalt des nationalen Selbstbewußtsein» wurden, so wurde es jetzt die Pilgerreise: als ein Symbol des unbesiegbaren Geistes.

Wer hatte bei all dem den Erfolg auf seiner Seite, wer war der Verlierer? War der Erfolg auf der Seite des Christentums und der Kirche, und hatte die marxistische Indoktrination eine Niederlage erlitten? Das gewiß. Aber wer so spricht, sieht nicht tief genug.

Es handelt sich vor allem um einen Erfolg des Volkes. Das Volk hat die Wahl getroffen, das Volk zeigte sein Gesicht und blieb sich selbst treu. Bei dieser Gelegenheit konnten alle, die das Wort „Volk" aus ihrem Wortschatz gestrichen und durch Begriffe wie „Gesellschaft" oder „Klasse" ersetzt hatten, unmittelbar das sehen, spüren und hören, was das Volk ist.

Das Volk - und nicht die eine oder andere Klasse - erwies sich als führende Kraft der Geschichte. Ich meine, daß jeder von uns in Polen irgendwie an Polen glaubt. Aber zu einem bestimmten Zeitpunkt war dieser Glaube nicht mehr vonnöten, weil jeder von uns Polen konkret erfahren hatte. Polen war kein Symbol mehr, keine Metapher -das war ein lebendiges, denkendes, fühlendes und sich entscheidendes Volk.

Erst seit dieser Wahlentscheidung können wir von einem Erfolg des Christentums sprechen. Manche scheuen eine solche Feststellung, weil sie darin die Gefahr eines religiösen Triumpha-

lismus erblicken. Ich glaube, daß Triumph und Triumphalismus zwei verschiedene Begriffe sind. Der Triumph des Christentums ist ein Faktum, aber daraus muß noch lange kein Triumphalismus werden.

„Es gibt keinen Triumphalismus der Kirche, es gibt nur ein Dienen", sagte Johannes Paul II. in Krakau. Der Triumph hat vor allem ethischen Charakter. Er geht nicht über Leichen. Er beruht darauf, daß gerade das Christentum den Menschen eine verhältnismäßig einheitliche Sprache gab, eine zugleich konkrete und allgemein verständliche Sprache, mit Hilfe derer die verschiedenen Formen der Ausbeutung durch den Menschen, für die die sogenannte „Phase des sozialistischen Aufbaus" charakteristisch war, aufgezeigt und bestimmt werden konnte.

Indem sie diese Ausbeutung anprangerten nahmen Kirche und Christentum den benachteiligten Menschen unter ihre Obhut. Diese Obhut hatte nicht nur den Charakter einer theoretischen Erklärung, sondern stellt sich in der Praxis als Schutz des Lebens, als Schutz der Wahrheit und als Recht auf Arbeit und Freiheit dar.

Kann man behaupten, die Kirche habe zwar gegen einzelne Dinge protestiert, aber im Grunde das sozialistische System angenommen? Ich glaube, daß man das nicht sagen kann. Die Kirche ist von diesem System nicht vollends überzeugt. In den Briefen und Dokumenten des Episkopats findet sich kein einziges Mal das Wort Sozialismus. Es wurde auch bei den Auftritten des Papstes nicht ausgesprochen.

Johannes Paul II. hat bei seiner Rede in Nowa Huta ganz allgemein vom „Arbeitssystem" gesprochen. Das heißt natürlich auch wieder nicht, daß die Kirche den Kapitalismus akzeptiert. Auch ein solches Wort gibt es nicht in der modernen Sprache der Kirche Polens.

Man muß hervorheben, daß die Kir-

che aus der Konfrontation mit dem Marxismus bis zu einem gewissen Grad gereinigt und gestärkt hervorgegangen ist. Ein Autoritätszuwachs ergab sich aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Konzilsreformen nahmen in Polen ihren eigenen Verlauf und haben in entscheidender Weise zur Stärkung und Vertiefung der Religiosität im Lande beigetragen.

Wie es scheint, hat es die Kirche ein bißchen besser verstanden, daß ihre gesellschaftliche Macht im Glauben und in der Kraft des Volkes, in der Präsentation und Repräsentation ihrer ethischen Tradition begründet ist. Sie hatte es auch verstanden, daß die Glaubens-’ kraft des einfachen Volkes blind wäre, gäbe es keine Reflexion der Intellektuellen, der Schriftsteller und Kulturschaffenden im Volk. Von dorther rührt die enge Verbindung mit den Menschen, die Wissenschaft und Kultur formen - eine Verbindung, die vor dem Krieg nicht so ausgeprägt war.

Die Kirche hatte sich auch von den Bindungen an das Privateigentum losgesagt, sie hatte sich von der Obsession des Besitzes befreit. Das Privateigentum hörte für sie auf, Abgott, Dogma des täglichen Lebens, Zentrum täglicher Sorgen zu sein, wie wir das leider im Westen hier und dort sehen. Davon, leitet sich das Gefühl der Unabhängigkeit und der geistigen Freiheit ab.

Die Kirche lernte auch, in einer evangelischen Sprache über die Würde des Menschen, über seine Freiheit und über das Wesen der Nation zu sprechen …

Die Kirche kämpfte nie direkt gegen das politische System, in welchem sie lebte, und auch nicht gegen die Bündnisse, in die unser Land durch das System gebracht wurde.’Sie hat aber auch nicht deren a priori anerkannt. Die Kirche war feinfühlig für die konkreten Ereignisse, wie sie die Zeit mit sich brachte. Sie war der Macht gegenüber eher auf Proposition denn auf Opposition eingestellt.

Die Kirche baute und schuf solche Werte, welche über der Gewalt stehen. Sie verteidigte die nationale Hoffnung …

Die polnische Kirche lebt seit über 30 Jahren mit dem Prozeß des „sozialistischen Aufbaus". Sie ist in den Sozialismus eingetaucht wie ein Fisch ins Wasser. Immer wieder ist sie veranlaßt, Proteste einzulegen. Führt so ein Miteinanderleben nicht dazu, daß man etwas vom Gegner annimmt?

Vielleicht sollte man es so sagen: In einem bestimmten Moment hat die Kirche die ethische Initiative aus der Hand ihrer Gegner übernommen - und in Folge davon ist es gerade die Kirche, die die Verwirklichung grundlegender

gesellschaftlicher Ideale einfordert, welche sich bis dahin im ethischen Horizont des Marxismus befunden hatten. Die Kirche und die Christen entdeckten so etwas wie einen zweiten Boden marxistischen Denkens.

Dort fanden sie etwas verstaubt und verunstaltet die eigenen gesellschaftlichen Ideale wieder. Darüber braucht man sich nicht zu wundern. Der Marxismus war doch eine Art neuen Heldentums, das durch den Niedergang des christlichen Europa entstehen konnte. Das ist ein bedeutender Moment: Die Übernahme der Initiative des Gegners führte dazu, daß dieser Gegner in dieser Welt nicht mehr notwendig erscheint.

Karl Marx hat einmal über die Religion geschrieben, daß sie verschwinden werde, sobald sie sich als nicht notwendig erweise. Nach der Auffassung Marx’ verschwindet sie also nicht in Folge von Polemik oder durch den Fortschritt der Wissenschaft oder aufgrund gewaltsamer Unterdrückung, sondernaufganzgewöhnlicheWeise …

Die Geschichte des Sozialismus konnte diese Theorie nicht verifizieren. Es scheint aber, daß sich diese Theorie von Marx durch ein paradoxes Zusammentreffen verschiedener Umstände in der Geschichte des Marxismus selbst verifiziert.

Heute wächst das Bewußtsein fürdie-se Fragestellung: Für wem und wozu ist der Marxismus nötig? Diese Frage betrifft nicht die eine oder andere These, sondern die ethischen Quellen des gesamten Ideologisierungsprözesses und des Marxismus überhaupt. Wozu ist der Marxismus notwendig? Und wem nützt er etwas?

Diese beiden Fragen scheinen die aktuelle Situation unseres Dialogs zusammenzufassen und endgültig seine moderne, polnische Gestalt zu beschreiben.

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