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Der „volle“ Humanismus als Ziel

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Im allgemeinen aber haben die Katholiken zum Beispiel von der sozialistischen Presse den Eindruck, daß sie kaum einmal den Gottesglauben verteidigt, sondern eher eine Welt ohne Gott aufbauen will — daß sie viel von materiellen Wünschen spricht und ganz wenig von den Tüchtigkeiten des menschlichen Herzens, die wir Katholiken Tugenden nennen — daß zwar der ehelichen Untreue Verständnis entgegengebracht wird, aber kaum die Treue in der Ehe verteidigt wird — daß die soziale Indikation als legitimer Grund für eine Interruptio hingestellt wird — daß die kriminelle Schuld gerne als Krankheit oder Not gedeutet wird (außer der Schuld des Faschismus und der Gegenpartei) — daß „Sühne“ doch eigentlich nur Rache sei und darum abgelehnt werden müsse — daß Toleranz als Relativismus verstanden werden müsse, der das Finden der Wahrheit grundsätzlich in Frage stellt usw.

Das meiste von all dem ist gegen die ernste Uberzeugung der Katholiken, und es darf nicht wundern, wenn sich dadurch viele abgestoßen fühlen. Damit soll natürlich nicht gesagt werden, daß zum Beispiel die „AZ“ oder die „Zukunft“ katholischen Religionsunterricht zu geben habe. -Es kann aber wohl verlangt werden, daß eine weltanschaulich pluralistische Gruppe, die den Kontakt mit Katholiken sucht, nicht nur antichristliche Thesen vorträgt, sondern jeweils wenigstens auch die Argumente für die christliche Auffassung darstellen läßt. Es genügt nicht, über den Gesundheitszustand des Papstes oder über den Kardinal von Wien zu schreiben — so freundlich dies ist und so sehr dies als ein ehrlicher Fortschritt gewertet werden darf —,

während die christliche Überzeugung nicht ebenso wie die anderen Auffassungen zu Wort kommen kann. Das ist nicht nur eine Einschränkung der Diskussion, sondern eben auch, so meinen viele Katholiken, eine Verstümmelung des Menschenbildes, das in seiner Fülle doch viel mehr ist als die so bewunderte Natur.

Ein anderes Beispiel: Wenn sich der Sozialismus auf das christliche Gebot der Nächstenliebe beruft, so geschieht dies meist mit einer Einschränkung, die uns Kathollken weder zulässig noch richtig zu sein scheint. Es darf doch das Wart: „ ... wie dich selbst...“, nicht einfach als Egoismus gesehen und darum ausgelassen werden. Nur wer wirklich um die in persönlicher Verantwortung vor Gott verankerte Würde, Unantastbarkeit, Verpflichtung und Berechtigung seiner eigenen Person weiß, kann sich in ehrlicher Weise eine gleiche Haltung gegenüber dem Nächsten abverlangen. (Ebenso mißfällt es den Christen, wenn fast immer bei Berufung auf das christliche Gebot der Nächstenliebe das unmittelbar damit verbundene Gebot der Gottesliebe ausgelassen wird.)

Wenn nur die soziale Seite der menschlichen Existenz Berücksichtigung findet, wird dem Menschen eine derartige Sinnlosigkeit seiner Existenz zugemutet, daß er praktisch nur mit Gewalt zur Erfüllung dieses extremen Altruismus gezwungen werden kann, soweit er es nicht vorzieht, getarnt durch gesellschaftliche Slogans, seine eigenen Interessen zu suchen. Die Katholiken sind der Auffassung, daß auch in der Gesellschaft der freie, selbstveraht-wortliche Mensch gewagt werden muß, daß Gesellschaft eine Ordnung unter Menschen

ist, die auch in der Gemeinschaft wesentlich selbstverantwortlich bleiben. Das Subsidiari-tätsprinzip der katholischen Soziallehre meint nun gerade nichts anderes, als daß der Mensch davor zu bewahren ist, als Torso in der Gesellschaft vegetieren zu müssen — auch dann, wenn sich diese immer mehr verdichtet.

Es wird im Sozialismus viel vom Humamis-1 mus gesprochen und es soll und darf die ehrliche Absicht nicht in Frage gestellt werden. Wenn aber nach Chancen der Zukunft gefragt wird, dann scheint es notwendig, daß gerade über den vollwertigen Menschen und damit über den „vollen“ Humanismus die Diskussion zwischen Christen und Sozialisten weitergeführt wird.

III. Sozialismus und Katholische Soziallehre

Die Chancen der Zukunft bestehen darin, entgegenstehende Hindernisse der Gegenwart allmählich zu beseitigen und vorhandene Vorteile auszunützen. Es gibt nicht wenig Katholiken, die dem Sozialismus ehrlich zugestehen, daß er oft gesellschaftliche Probleme schneller und klarer erfaßt, daß er mit Recht die Auffassung vertritt, es ginge um den Bau

einer weithin neuen Gesellschaft, daß er in dieser Entwicklung die Vollberechtigung des Arbeiters und der organisierten Arbeiterschaft betreibt, daß er wirklich mit einer ehrlichen Sorge, die der christlichen Nächstenliebe entspricht, auch dem letzten Rentner Beachtung schenkt, daß er in Ordnung und Planung sehr große Hilfskräfte des gesellschaftlichen Lebens sieht, ohne die Freiheit privater Initiative und privaten Eigentums auszuschalten zu wollen usw.

Frau Prof. Weinzierl-Fischer hat schon darauf hingewiesen, daß es der Kirche schwer war, diese neuen Probleme der gesellschaft-, liehen Entwicklung zu erkennen und anzuerkennen. Um der Gerechtigkeit willen muß der Kirche zugute gehalten werden, daß sich das Neue zunächst mit Auffassungen und Forderungen anmeldete, deren Verwirklichung eine noch ärgere Situation mit sich gebracht hätte, als sie dann tatsächlich im sitalinisti-schen Rußland eintrat. Trotzdem war es wohl unzureichend, nur konservieren zu wollen. Es darf freilich nicht übersehen werden, daß auch viele christliche Kräfte sich ehrlich um die Besserung der sozialen Situation bemüht haben.

Daß' es eine gesellschaftliche Entwicklung gibt und daß keine Phase der Vergangenheit eine ewig gültige Gesellschaftsstruktur darstellt, ist heute die ehrliche Überzeugung auch der meisten Katholiken. Nur meint die katholische Soziallehre, daß diese Entwicklung nicht nach a priori konstruierten Schemata vor sich gehen kann, weil der Mensch einfach nicht imstande ist, schon Jahrzehnte vorher die Zukunft in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Diese Entwicklung muß vielmehr nach den sich stellenden Aufgaben einer sich ständig mehr verflechtenden Gesellschaft erfolgen. Natürlich ist es unmöglich, sich in wenigen Sätzen mit der Frage Sozialismus und katholische Soziallehre auseinandersetzen zu wollen. Doch es ist zu hoffen, daß weitere Gespräche diese Themen aufgreifen werden.

Nur ganz allgemein möchte ich jetzt noch sagen, daß auch für viele von uns Katholiken die Frage noch lange nicht geklärt ist, was denn eigentlich Sozialismus sei. Es gibt in den verschiedenen Ländern sehr verschieden zu bewertende Programme. Wenn auf das letzte Parteiprogramm der österreichischen Sozialisten hingewiesen wird, dann scheint es weit genug formuliert zu sein, um sehr verschiedene, auch einer Freiheitsgefährdung sehr nahekommende Verwirklichungen decken zu können. Auch darüber müßte noch in eigenen Diskussionen gehandelt werden. (Es dürfte dabei aber auch nicht übersehen werden, daß gerade der Sozialismus in Österreich in Fragen des Konkordates dann tatsächlich eine große Bereitschaft zeigte!)

Und noch eine andere Bemerkung: In der Diskussion wurde ein Zitat von A. M. Knoll vorgebracht, das besagt, die kirchliche Soziallehre habe sehr „unvollkommene“ Thesen, weil sie nur der Seelsorge und dem Interesse des Klerus diene. Dazu möchte ich nur sagen, daß die Soziallehre der Kirche einfach der Wahrheit dienen möchte und daß die Kirche

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