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Anwalt der Solidarität

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War die Enzyklika Rerum novarum vor neunzig Jahren ein A kt des Mutes des päpstlichen Lehramtes, sich wegweisend zu Fragen der wirtschaftlichen Ordnung und der sozialen Gerechtigkeit zu äußern, so sind wir nicht minder aufgerufen, die Probleme der Gegenwart und Zukunft in christlichsozialem Geist zu meistern. Um die Zukunft der Soziallehre geht es nicht nur in diesem Beitrag, sondern auch bei der Katholisch-Sozialen Tagung 1981, zu der das Karl-Kummer- Institut für Sozialpolitik und Sozialreform für den 3. April nach Wien eingeladen hat. Ihr Thema: Soziale Gerechtigkeit im sozialen Wandel- Wege und Irrwege.

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War die Enzyklika Rerum novarum vor neunzig Jahren ein A kt des Mutes des päpstlichen Lehramtes, sich wegweisend zu Fragen der wirtschaftlichen Ordnung und der sozialen Gerechtigkeit zu äußern, so sind wir nicht minder aufgerufen, die Probleme der Gegenwart und Zukunft in christlichsozialem Geist zu meistern. Um die Zukunft der Soziallehre geht es nicht nur in diesem Beitrag, sondern auch bei der Katholisch-Sozialen Tagung 1981, zu der das Karl-Kummer- Institut für Sozialpolitik und Sozialreform für den 3. April nach Wien eingeladen hat. Ihr Thema: Soziale Gerechtigkeit im sozialen Wandel- Wege und Irrwege.

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Zukunft ist zunächst einmal das, worauf der Mensch und menschliche Gruppen zugehen, und zugleich auch das, was auf den Menschen und auf menschliche Gruppen, ja auf die Menschheit und auf die Welt zukommt. Zukunft ist also etwas, worauf zugegangen wird und was zukommt.

• Der letzte Sinn der Geschichte und damit der Zukunft liegt in Gott und seinem Geheimnis und bleibt deshalb hier auf dem Weg irdischer Pilgerschaft verborgen. Dieser letzte Sinn ist im Glauben an die unendliche Weisheit und Liebe Gottes stückweise erahnbar und erfaßbar und ist exemplarisch dargestellt in der Person Jesu Christi, welcher das Alpha und das Omega, der Anfang, das Ende und das Ziel aller Geschichte ist.

Für die katholische Soziallehre hat dies unter anderem zur Folge, daß sie auf ihrer Suche nach dem Weg zur Vervollkommnung der Gesellschaft hellhörig bleibt für jene Weisungen, die von Christus ausgehen, und daß sie auch wach bleibt für die Zeichen der Zeit, in welchen sich Gottes Anruf an die Menschen und an die Menschheit signalisiert, daß sie aber andererseits mißtrauisch bleibt allen endgültig vollkommenen Gesellschaftsmodellen gegenüber.

Nach christlicher Soziallehre hat es auf Erden noch nie die vollkommene und endgültige Verwirklichung der Gerechtigkeit gegeben und es wird eine solche auch nie geben, vielmehr kommt es darauf an, im Auftrag und in der Kraft Jesu Christi immer wieder von neuem alles zu unternehmen, um die Gesellschaft ihrem Vollkommenheitsideal möglichst nahezubringen.

Daher bleibt die christliche Gesellschaftslehre besonders jenen Gesellschaftsideologien gegenüber skeptisch, welche, wie etwa der Marxismus-Leninismus, sich im Besitze der objektiven Gesetzmäßigkeit der Geschichte wähnen und bereit sind, die Menschen nötigenfalls zu ihrem Glück zu zwingen.

• Gott, der Herr und Vollender der Geschichte, hatdennachseinemBildund Gleichnis geschaffenen Menschen zum schöpferischen und partnerschaftlichen Gestalten der Geschichte berufen. Bei der oft mühevollen, mit Rückschlägen behafteten und enttäuschenden Arbeit an der verantwortungsvollen Gestaltung der Welt darf der Mensch hoffen, daß die Vollendung der Geschichte Gottes alleinige Tat ist: daß Ungerechtigkeit, Gewalt, Lüge und Tod nicht das Letzte sind, sondern daß die Verheißung des Friedens, der Gerechtigkeit und des Lebens endgültig sind.

Aus dieser Verheißung heraus gewinnt der Einsatz in der Geschichte seinen Sinn. Die Verheißung drängt zum Einsatz in der Geschichte. Wenn in (1 Kor 13,13)der Liebe verheißen ist, daß sie für immer bleibt, dann folgt daraus, daß auch die Werke der Liebe für immer bleiben (vgl. „Gaudium et spes“ 39); sie werden in die endgültige Vollendung miteingehen.

Christliche Hoffnung ist somit gerade das Gegenteil des passiven Erduldens von Elend, sie ist nicht Vertröstung auf das Jenseits; vielmehr ist sie dynamische Kraft, welche versucht, alle geschichtlichen Verhältnisse zu vermenschlichen.

•VerantwortungsvolleGestaltungder Geschichte als eines offenen Prozesses des Aufeinanders und Ineinanders von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft bedeutet auch einen fruchtbaren Ausgleich der Spannung zwischen der Treue zu den Werken und Werten der Vergangenheit und den Verpflichtungen gegenüber den neuen Anrufen und Erfordernissen der Zukunft.

Christliche Soziallehre wird daher in zweierlei Hinsicht aufmerksam bleiben: Sie wird sich einerseits davor hüten, das Alte zu zerstören, um auf den Trümmern des Alten das Neue aufbauen zu wollen; sie wird aber andrerseits kritisch gegen den jeweiligen Status quo bleiben und sich mit keiner gesellschaftlichen Situation endgültig identifizieren.

Christliche Sozialreform wird sich als Gesinnungs- und Strukturreform vornehmlich in entschlossenen, leichter steuerbaren Schritten mittlerer Reichweite verstehen.

I. Die christliche Soziallehre wird auch in Zukunft in besonderer Weise Anwalt der Würde der Person und des Vorranges der Person vor der Sache, vor dem Kollektiv und vor der Gesellschaft sein müssen.

Nur einige der Faktoren seien in Erinnerung gerufen, die für die Zukunft eine Bedrohung der menschlichen Person befürchten lassen: die weitere Zunahme der Mammutstädte; die Unfähigkeit, das Elend des Weltproletariats zu beseitigen; die zunehmende Verknappung der Ressourcen; die Gen- Manipulation und nicht zuletzt eine weitere Anhäufung immer gefährlicherer Nuklearkapazitäten.

Angesichts solcher Bedrohungen muß gleichsam beschwörend der oberste Grundsatz der katholischen Soziallehre in den Raum gestellt werden, wonach „der Mensch der Träger, Schöpfer und das Ziel aller gesellschaftlichen Einrichtungen sein muß“ (Johannes XXIII. in Nr. 219 seiner Enzyklika „Mater et magistrą“).

Solch hoher Stellenwert der Person konkretisiert sich für die katholische Soziallehre der Zukunft in weiteren Detailarbeitsfeldern, von denen einige besonders hervorgehoben werden sollen.

1. Die Würde der menschlichen Person bezeugt die christliche Soziallehre im Eintreten und in der Parteinahme zugunsten der Entrechteten und Diskriminierten, der Ausgestoßenen und der Deklassierten, der Armen, Kranken und Hungernden, der Ungeborenen, der Kinder und der Greise, der körperlich und geistig Behinderten, kurz der „Mühseligen und Beladenen“. Christliche Soziallehre in Wort und Tat wird in ihrem Engagement für die Schwachen und Benachteiligten damit auch eine neue Dimension der Hoffnung aufzeigen.

2. Der hohe Stellenwert der menschlichen Person verpflichtet die christliche Soziallehre und ihre Praktikanten zum besonderen Engagement für die Verwirklichung der Menschenrechte, das freilich nur dann glaubwürdig sein wird, wenn die Kirche auch innerhalb ihrer Strukturen die Menschenrechte verwirklicht und für diese besonders sensibel bleibt.

3. Die Bedeutung der Person für die katholische Soziallehre zeigt sich fer-

ner in der Forderung nach dem Vorrang der Ethik vor der Technik und vor der Ökonomie: Der Mensch darf nicht alles tun, was er technisch könnte und ökonomisch möchte.

4. Die vorrangige Beachtung der Person konkretisiert sich für die katholische Soziallehre weiters in dem Vorrang der Arbeit vor allen anderen Faktoren des wirtschaftlichen Lebens, insbesondere auch des Kapitals, weil die Arbeit unmittelbarer Ausfluß der Person ist, die übrigen Produktionsfaktoren hingegen nur werkzeuglicher Art sind (vgl. „Mater et magistrą“ 107, „Gaudium et spes“ 67).

Als besonders dringlich sei hervorgehoben: Die gerechte Verteilung der Arbeit auch für die Menschen in den Ländern der Dritten und der Vierten Welt; Mitbestimmung, Mitverantwortung und Gewinnbeteiligung für die tatsächlich im Produktionsprozeß Stehenden; Humanisierung der Arbeitswelt in Richtung auf mehr Möglichkeit zur Selbstverwirklichung in der Arbeit.

5. Ein anderes Konkretisierungsfeld der Betonung der Person für die katholische Soziallehre ist der notwendige Einsatz für die Würde und für die Rechte der Frau, auch im Heimatrevier dieser Lehre, nämlich in der Kirche! Um vorzubeugen, daß die Kirche die Frauen verliert, wird die katholische

Soziallehre einen differenzierten und mutigen Weg zwischen einem ideologisch fixierten Emanzipationsstreben und einem Status-quo-Beharren suchen müssen, in Richtung einer wahren Emanzipation, welche das Maß der Frau nicht am Mann, vielmehr an ihrer Eigenart als Bild und Gleichnis Gottes nimmt.

6. Schließlich fordert das Subsidiaritätsprinzip das Belassen der Verantwortung, der Zuständigkeit und der Aufgaben, soweit diese die Aufgaben selbst zu einem guten Ende führen können, bei den einzelnen Menschen und den untergeordneten Gemeinschaften.

In Zukunft wird vor allem hinsichtlich zweier wichtiger Gebiete eine Entscheidung für oder gegen das Subsidiar- tätsprinzip fallen: nämlich hinsichtlich der Familie und einer nach föderalistischen Prinzipien aufgebauten Weltordnung und Weltautorität.

II. Als zweites großes Bewährungsfeld der katholischen Soziallehre ergibt sich eine Anwaltschaft des wohlverstandenen Gemeinwohls gegenüber egoistischen Einzel- und Gruppeninteressen. Dieses Gemeinwohl versteht sich als das größtmögliche Glück aller einzelnen mit vorrangiger Beachtung vitaler Lebensbedürfnisse für alle sowie mit besonderer Berücksichtigung der Realisierungsbedingungen beider Anliegen. Mit Johannes Messner in einer Kurzformel ausgedrückt: Das Gemeinwohl ist die allseitig verwirklichte Gerechtigkeit.

Der drohende Nukleartod, der drohende Umwelttod, der drohende Hungertod und der drohende Terrortod haben ihre eigentliche Ursache darin, daß einzelne Individuen, einzelne Gruppen und einzelne Staaten ihre Interessen in einer kurzsichtigen egoistischen Weise ohne Rücksicht auf die berechtigten Interessen anderer verfolgen, was schließlich in der Konsequenz der Logik dazu führt, daß damit früher oder später die Existenzbasis für die Realisierung auch berechtigter Eigeninteressen zerstört wird.

Das Dilemma solch selbstzerstörerischer Prozesse liegt darin, daß im Konkurrenzkampf isolierter Partikularinteressen einmal eine Schwelle erreicht wird, ab welcher sich solcher Kampf in eine Spirale der Gewalt verwandelt, die in ihrer Eskalationstendenz sehr schwer zu stoppen ist.

III. Die katholische Soziallehre als Anwalt der Person, die katholische Soziallehre als Anwalt des wohlverstandenen Gemeinwohls, das sind die beiden großen Bewährungsfelder der katholischen Soziallehre von heute und morgen. Ein drittes, mit den beiden ersten zusammenhängendes Bewährungsfeld sei noch kurz genannt: Die katholische Soziallehre als Anwalt unverkürzter Solidarität.

Der Begriff der Solidarität, der ursprünglich die Zusammengehörigkeit von in Not befindlichen Menschen im Kampf um Beseitigung von Not, Elend und Unterdrückung ausdrückte, schafft infolge seiner Verkürzung nicht selten neue Not, neues Elend und neue Unterdrückung. Dabei kommt es oft vor, daß die Solidarität der einen zum fanatischen Kampf gegen andere führt.

Christliche Solidarität hingegen ist wesentlich auf ein Füreinander und ein Miteinander und nicht auf ein Nebenoder gar Gegeneinander ausgerichtet. Sie besagt Gemeinhaftung aufgrund von Gemeinverstrickung, formelhaft ausgedrückt in dem Satz: Einer für alle, alle für einen, oder noch besser: Einer für alle, alle für alle einzelnen!

Dabei ist für den Christen tiefster Grund und tragendes Motiv solcher Solidarität Christus selbst, der für alle Mensch geworden ist, der für alle Kreuz und Tod ertragen hat und der für alle von den Toten erstanden ist, damit alle für alle Leben bedeuten.

Wo einer des anderen Last trägt (Gal 6,2), dort wird Brüderlichkeit wahr und echte Gemeinschaft Wirklichkeit.

*

Die Katholisch-Soziale Tagung findet am 3. April (16 bis voraussichtlich 20 Uhę) im Rittersaal der Niederösterreichischen Landesregierung, Herrengasse 13, Wien 1, statt.

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