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Geeintes Europa als Stabilisator und Friedensstifter

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Europa sucht seinen Weg in die Zukunft und gewinnt Stück für Stück Gestalt. Die Kirche kann bei diesem Bemühen nicht abseits stehen. Darüber sind die Bischöfe aller europäischen Länder seit Jahren im Gespräch, und sie erwägen, sich zu gegebener Zeit ausführlicher zu den Aufgaben und dem Beitrag der Kirche für ein künftiges Europa zu äußern. Schon heute, am Fest der Apostel Petrus und Paulus, halten sie den Zeitpunkt für gekommen, „Ein Wort zu Europa“ an die Öffentlichkeit in ihren Ländern zu richten.

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Europa sucht seinen Weg in die Zukunft und gewinnt Stück für Stück Gestalt. Die Kirche kann bei diesem Bemühen nicht abseits stehen. Darüber sind die Bischöfe aller europäischen Länder seit Jahren im Gespräch, und sie erwägen, sich zu gegebener Zeit ausführlicher zu den Aufgaben und dem Beitrag der Kirche für ein künftiges Europa zu äußern. Schon heute, am Fest der Apostel Petrus und Paulus, halten sie den Zeitpunkt für gekommen, „Ein Wort zu Europa“ an die Öffentlichkeit in ihren Ländern zu richten.

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Fast zwei Jahrtausende nach der Geburt unseres Herrn steht die Menschheit vor schwierigen Aufgaben. Sie leidet unter starken Spannungen und mannigfaltigen Krisen auf geistigem, politischem und wirtschaftlichem Gebiet. Zur gleichen Zeit zeichnen sich aber auch neue Chancen für eine hoffnungsvollere und glücklichere Zukunft ab. Sie zu verwirklichen, sind alle Menschen guten Willens aufgerufen, nicht zuletzt wir Christen in Europa.

Das Christentum ist eine der Kräfte, die Europas Geschichte, seine Entwicklung und seine Kultur gestaltet haben. Von dem Evangelium, das die Kirche unermüdlich durch die Jahrhunderte hindurch verkündigte, haben die Völker dieses Kontinents ihre Bindung an Gott und ihr Menschenbild empfangen. Das Christentum hat „die Seele dieser Völker am tiefsten geformt“ (Papst Pius XII. am 15. 3. 1953). Die Apostel Petrus und Paulus haben die christliche Botschaft vom Hl. Land nach Rom gebracht. Wie Europa ohne ihr Apostolat nicht zu denken ist, so auch nicht ohne das missionarische Wirken seiner großen Heiligen Benedikt, Columban, Remigius, Willibrord, Bonifatius, Cyrill, Methodius, Ansgar und Adalbert. Ihrem Beispiel folgend haben die europäischen Völker, so oft sie in ihrer Geschichte auch gefehlt und versagt haben, die Botschaft Christi in die Welt getragen.

Heute ist Europa politisch geteilt, religiös und weltanschaulich zerrissen. Es steht im Schatten mächtiger politischer Kräfte. Aber die Menschen in Europa haben erkannt, daß sie nicht nur Verwalter ihrer Vergangenheit sind, sondern daß sie Gestalter ihrer gemeinsamen Zukunft sein dürfen. Daher wollen sie zusammen mit den Menschen in Afrika, Amerika, Asien, Australien und Ozeanien von denen sie Vielfältiges empfangen haben, an der Entwicklung der Welt und an der geistigen und moralischen Zukunft der Menschheit mitwirken.

Ausgehend von der Botschaft Papst Pauls VI. „Wenn Du den Frieden willst, verteidige das Leben“, sind wir aufgerufen, für die Ehre Gottes, für den Frieden, für Gerechtigkeit, für die Grundrechte und für Brüderlichkeit unter den Menschen einzutreten.

Der Schrecken des letzten Krieges hat eine tiefe Friedenssehnsucht geweckt, ja dazu aufgerüttelt, alles zu un ternehmen, um der Welt wahrhaft Frieden zu geben. Das Verlangen, in einer größeren freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft zu leben, wächst allgemein.

Wille zur Einigung

Trotz vieler Zweifel an der Kraft der europäischen Völker, ihre Einheit zustande zu bringen, wurden durch Zusammenarbeit auf den Gebieten der Politik, der Wirtschaft und Kultur, sowie durch die innereuropäische Migration, bereits beachtliche Fortschritte in Richtung auf Versöhnung und Frieden erzielt, die es nicht utopisch erscheinen lassen, daß sich die europäischen Länder eines Tages dauerhaft zusammenfinden.

Je enger sie sich zusammenschließen, um so eher können sie Spannungen auch in anderen Teilen der Welt überwinden helfen, und in dem prekären Gleichgewicht des Schreckens zwischen den Weltmächten und Blök- ken als Stabilisator und Friedensstifter wirken. Sie könnten dann auch mit mehr Aussicht auf Erfolg auf eine ausgewogene allgemeine Abrüstung drängen, auf eine Verminderung des Rüstens und der gewaltigen Summen die heute dafür ausgegeben werden.

Die Schwierigkeiten sind nur zu überwinden, die Zukunftsmöglichkeiten nur voll auszuschöpfen, wenn die Nationen von krassem Egoismus und einem durch die weltpolitische und weltwirtschaftliche Entwicklung überholten Herrschaftsstreben abrücken und zusammen mit anderen eine tragbare Lösung suchen. Wer Gegensätze überwindet und sich anschickt, mit anderen gemeinsam zu arbeiten, dient dem Frieden; das Mühen um eine Einigung Europas ist also ein Friedenswerk. Daß dabei jeder Bevormundung entsagt, die Gleichberechtigung der Länder gewahrt und die geschichtlich gewachsene Eigenständigkeit der Nationen respektiert werden muß, versteht sich von selbst.

Für die europäischen Völker heißt das: Überwindung von Haß und Feindschaft sowie Entschlossenheit, das Notwendige gemeinsam zu tun. Die Päpste haben die Staatsmänner, die sich für den Aufbau eines geeinten Europas einsetzten, ermutigt, diesen oftmals schwierigen Weg weiterzugehen, und alle Christen aufgefordert, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen, das begonnene Werk selbstlos und vertrauensvoll fortzuführen.

Die Mitarbeit der europäischen Christen an einer besseren Weltordnung setzt den Dienst am Nächsten voraus.

Im Wissen um die göttliche Herkunft und Bestimmung des Menschen, und damit um seine Personalität und Einzigartigkeit, sind wir Christen in besonderer Weise verpflichtet, für das Recht auf Leben, für Wahrheit und Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit einzutreten, und zwar auch dort, wo übermächtige Interessen des Staates und der Gesellschaft sich entgegenstellen. Wir dürfen nicht müde werden, die Menschen davor zu bewahren, verplant oder durch Nivellierung noch abhängiger zu werden (vgl. Gaudium et spes, 29). Dabei ist nicht das, was. technisch möglich ist, anzustreben, nicht das, was den größten Gewinn verspricht, sondern das vor Gott und den kommenden Generationen Verantwortbare.

„Die christliche Tradition gehört ganz wesentlich zu Europa. Selbst in jenen Menschen, die nicht unseren Glauben teilen, selbst dort, wo der Glaube verschüttet oder ausgelöscht ist, sind die menschlichen Spuren des Evangeliums weiterhin anzutreffen und stellen nunmehr ein gemeinsames Erbe dar, das wir im Interesse der Ent faltung des einzelnen Menschen fruchtbar machen sollen“ (Papst Paul VI. am 26. Jänner 1977).

Der Christ sollte nicht zuerst an seine Rechte denken, sondern an seine Pflichten in der Gemeinschaft, die ihm den Einsatz für eine gerechtere Ordnung der Gesellschaft abverlangen (vgl. Gaudium et spes, 30); und zwar nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat, im Dienst am Nächsten. Der Christ weiß, daß er nur dann sein eigentliches Ziel erreicht, wenn er zu Dienst und Opfer bereit ist und das Kreuz Christi auf sich nimmt, um seinem Herrn nachzufolgen. Das Evangelium fordert, daß wir vor allem jenen Mitmenschen unsere Stimme leihen, die zu schwach sind, um sich durchzusetzen; ihnen muß geholfen werden, ohne daß ihre menschliche Würde beeinträchtigt wird.

Soziale Ungerechtigkeiten müssen beseitigt werden. Wir müssen bereit sein, stärker als bisher mit anderen zu teilen. Als Christ handeln, heißt: der Habsucht und dem Machthunger entsagen und uneigennützig und ohne Erwartung eines Lohnes für andere dasein. Als Christ leben, heißt: so leben, daß auch alle anderen leben können.

Der Mensch in der Gemeinschaft

Wie Menschen in einer Familie nicht miteinander leben können, ohne ihrem Egoismus Zügel anzulegen, ohne auf Ansprüche, sogar auf berechtigte Ansprüche, zu verzichten und ohne einander zu helfen, so werden auch die Völker nicht zu einer von Gleichberechtigung und Partnerschaft geprägten Gemeinschaft finden können, ohne Ansprüche aufzugeben und Opfer zu bringen. Die Botschaft Christi verpflichtet uns zur Sorge um unseren Nächsten, auch um den, der fern von seiner Heimat leben und arbeiten muß, sie fordert von uns die Solidarität mit den Schwachen, Unterdrückten, Behinderten und Heimatlosen. Das Evangelium hat nicht nur für den persönlichen Lebensbereich Geltung, sondern es fordert unsere Mitverantwortung für die Welt.

Ein Teil der europäischen Völker erfreut sich seit drei Jahrzehnten der Freiheit und lebt in relativer, wenn auch bedrohter Sicherheit; einige genießen zudem einen beträchtlichen Wohlstand. Dagegen leben viele Völker auch heute noch unter Zwang und Willkür und in materieller Armut. In

Gemeinschaft mit allen, die sich zum Evangelium Christi bekennen, sind wir verpflichtet, uns gegen Unterdrückung, Hunger und Elend, wo immer sie auftreten, einzusetzen und für die Leiden und Nöte der Menschen durch die Verwirklichung einer gerechteren Sozialordnung für Europa wie für die Welt einzutreten.

Entwicklungshilfe im europäischen Maßstab darf kein Almosen sein, sondern brüderliche Hilfe. Sie muß auf dem Weg der Zusammenarbeit von Gleichberechtigten konsequent weiterverfolgt werden, sie darf sich nicht auf materielle Hilfe beschränken, sonst verweigert sie gerade das Wesentliche, das Europa zu geben hat: die Vermittlung der im christlichen Glauben begründeten und verwurzelten Grundwerte (vgl. Mater et magistra, 176), ohne die ein dauernder Friede und eine volle Partnerschaft zwischen den Völkern nicht möglich sind.

Die außerordentlichen Fortschritte in Naturwissenschaft und Technik verleiten manche zu dem Irrglauben, der menschliche Wille sei der „Imperativ des Universums“.

Die Abkehr von Gott als dem Herrn und Schöpfer hat zu menschlichem Niedergang, Krieg und Gewalt geführt. Viele Menschen, auch in unserem Land, sind dem Materialismus verfallen. In der Folge religiöser Entwurzelung greifen, trotz wachsenden Wohlstands, Resignation, Depression und Angst tun sich.

Es wäre aber verhängnisvoll, wenn wir diese Situation nur klagend zur Kenntnis nehmen würden. Wir haben doch erfahren, welchen Sinn und welche Erfüllung die Botschaft Christi unserem Leben geben kann! Die Kunde von der Liebe und Gnade Gottes befreit und befriedet nicht ęur den einzelnen, sondern auch die menschliche Gemeinschaft Sie wird, wenn Europa eine glücklichere Entwicklung nehmen und eine hoffnungsvollere Zukunft haben soll, unentbehrlich sein. Indem wir unseren Glauben erneuern und vertiefen, tragen wir bei, der werdenden Völkergemeinschaft „ihre Seele“ (Papst Paid VI. am 18. Oktober 1975) zu geben.

Noch stehen dem Zusammenwachsen unseres Kontinents große Hindernisse im Wege. Sie werden nur zu überwinden, und die Aufgaben, die sich Europa stellen, werden nur zu bewältigen sein, wenn wir Christen das Unsere tun: „das vernünftige Wagnis“ (Papst Pius XII. am 24. Dezember 1953) auf uns nehmen und uns in Wort und Tat für Europa einsetzen.

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