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Die Weltmission und die geistige Krise des Westens

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Umwälzende Errungenschaften der Wissenschaft und die moderne Technik des Westens haben das Antlitz der Erde umgestaltet. In wenigen Stunden begibt sich heute ein Forscher von Kapstadt an den Konferenztisch nach London, und in wenigen Minuten ist die Welt informiert, wer Präsident der Vereinigten Staaten oder Weltmeister im Boxen geworden ist.

Zivilisatorisch überlegen drang der weiße Mensch in den schwarzen Erdteil vor und erzwang sich den Zutritt zu den Ländern der aufgehenden Sonne. Westliche Lebensart, Wissenschaft und Technik haben das Weltbild der farbigen Völker weithin erschüttert, ja über den Haufen geworfen und einen geistigen Umbruch von unabsehbaren Folgen unter ihnen heraufbeschworen.

Die Völker Afrikas und Asiens beugten sich dem harten Zugriff des westlichen Menschen aber nur knirschend und mit geballter Faust. Mit erwachtem Selbstbewußtsein suchen sie heute den zivilisatorischen Vorsprung des weißen Menschen einzuholen, um ebenbürtig an seine Stelle treten zu können. Praktisch bedeutet dies Bruch mit dem Gewesenen, mit den bisherigen Lebensformen und -prinzipien. Die Lanze hat dem Karabiner zu weichen, das Sing-Sing dem Kino, die Signaltrommel dem Radio und die Hacke dem Traktor.

Am folgenschwersten wirkt sich der Einbruch westlicher Lebensart im Weltbild des farbigen Menschen aus. Ein europäisch gekleideter Negerarzt fällt vor keinem Fetisch mehr in den Staub. Seine Bildung und seine — Bügelfalte dulden es nicht. Bei einer Umfrage unter 5000 japanischen Studenten bekannten sich etwa 300 zu einer bestimmten Religion. 1500 bezeichneten sich als Atheisten und 3000 als religionslos. Die heidnischen Religionen sind weithin morsch geworden und die jungen Völker Asiens und Afrikas halten Ausschau nach einem neuen Weltbild, genau genommen nach dem besseren Weg zum Glück. „Priester, mein Herz ist wie eine Schaukel, einmal hoch, dann wieder tief, ohne festen Halt. Wo kann ich Halt finden?“ So drückte ein gebildeter Japaner es aus. Das Alte vergeht, und im Gefühl geistiger Leere halten Millionen bewußt oder unbewußt Ausschau nach dem Neuen, nach einer befriedigenderen Antwort auf die Grundfragen des Woher, Wohin und Wozu.

Der Westen hat den Auftrag, zu antworten, denn ihm wurde die Frohbotschaft anvertraut. Das Samenkorn des Evangeliums erfordert gelockertes Erdreich. Heute sind die farbigen Völker aus jahrhundertelanger Erstarrung in ihrem Götterglauben aufgerüttelt und erwacht. Sie mußten erfahren, daß nationale Selbständigkeit durchaus noch nicht soziale Gerechtigkeit bedeutet. Das hat viele nachdenklich gemacht. Die studierende Jugend der farbigen Völker hungert nach sozialer Gerechtigkeit und wahrer Liebe. In ihren besten Vertretern halten Asien und Afrika Ausschau nach neuen Lebenswerten. „Die Völker sind reif für die Ernte, und zwar für eine reiche Ernte!“ erklärte schon Leo XIII. Heute sind die Erntefelder „größer als sie je-

mals gewesen sind“, sagte Bischof Fulton Sheen. Moderne Mittel und Wege stehen bereit für die Verbreitung der Frohbotschaft Christi: Presse, Rundfunk, Film, moderne Verkehrsmittel und Medizin. Waren die „Weichen“ je günstiger gestellt für die Heimführung der farbigen Völker in die Kirche Christi? Der geistige Aufbruch Afrikas und Asiens ist eine einzigartige Chance, zugleich aber auch eine gebieterische Forderung.

Dem suchenden Menschen im Osten tönt bereits eine andere Antwort entgegen, eine Antwort, die aufdringlich ist wie Lautsprecherpropaganda auf Marktplätzen und lockend wie die gleißende Lichtreklame einer Millionenstadt. Es ist die Antwort jenes Westens, der „fertig“ ist mit Gott und dem Christentum und nun „Wind“ sät, weil er von „Sturm“ den Triumph einer jahrhundertelangen Revolution erhofft.

Heute kann sich der militante Atheismus rühmen, den Westen bereits weitgehend unter seine Kontrolle gebracht zu haben. Der geistige Umbruch der farbigen Völker bietet ihm nun die einzigartige Chance, Asien und Afrika gewissermaßen im Handstreich zu nehmen. Er behauptet, eine bessere Antwort auf die Grundfragen des Lebens, auf die Frage nach dem Glück anbieten zu können: Er verheißt das Paradies auf Erden. Wissenschaft, Technik und das Kollektiv der klassenlosen Zukunftsgesellschaft sollen es ertrotzen. Für einen Gott schwächlicher Güie bleibt keine Existenzberechtigung mehr. Gott ist tot!

Noch ist der farbige Mensch nicht kritisch und geschult genug, um diese Fata Morgana entlarven zu können. Ein materielles Lebensglück muß ihm ungleich verlockender erscheinen als ein hochgeistiges „Selig die Armen im Geiste ...“ Die Gefahr ist beängstigend groß, daß die farbigen Völker der Sirenenmusik des Atheismus erliegen, zumal er die modernsten Propagandamittel und -methoden virtuos beherrscht. Nach Menschenermessen bedeutet das aber eine atheistische Welt von morgen!

Afrika zählt heute 200 Millionen Einwohner, Indien 460, China 600 Millionen, und die Vitalität dieser Völker ist unvergleichlich stärker als die des Westens. Nach einem verlorenen Krieg zählt Japan jährlich rund 1,2 Millionen Kinder mehr, während in Europa, beispielsweise in Schweden und Oesterreich, über 40 Prozent aller Ehen kein Kind mehr aufweisen. Auch die Führung im Weltgeschehen beginnt sich merklich vom Westen zum Osten zu verschieben. Innerhalb weniger Monate fanden in Indien elf Weltkongresse statt!

Bringt der Westen den jungen, kraftvollen und im vollen Aufbruch zur Weltgeltung begriffenen Völkern Asiens und Afrikas eine christliche Lebenserfüllung, dann darf er eine christliche, das heißt eine friedliche Zukunft erhoffen. „Beglückt“ er sie jedoch mit den Ideologien des militanten Atheismus, dann schaufelt er sich damit das eigene Grab. Nur ein christliches Asien, nur ein christliches Afrika wird vergessen können, was der weiße Mann ihm angetan hat. Auf den Missionsfeldern

Asiens und Afrikas fallen die Würfel über das Schicksal des Westens. „Asiens Bevölkerung wird über die Bevölkerung der Welt entscheiden. Keine Macht der Technik wird das verhindern können“ (M'sgr. Cardijn). Noch darf der Westen selbst würfeln ...

Ein Drittel der Menschheit lebt bereits im roten Paradies. China mit 600 Millionen ist genommen. Aus Tokio schreibt ein Missionär: „Der Marxismus erobert die Herzen der Studenten im Sturm“, und ein katholischer Laienführer Indiens bekennt von seiner Heimat: „Der Kommunismus wird zum Glaubensbekenntnis der Armen und der intellektuellen Jugend.“ Und was wird aus Indochina und Indonesien?

Oberflächliche Beobachter mögen die Lage mit dem Hinweis auf Ausnahmen bagatellisieren. Ernstere weisen vielleicht verwundert auf enorme Bekehrungsziffern. Die Missionsarbeit sei straffer durchorganisiert und umfassender denn je! Das ist wahr. Um so überraschender ist die nüchterne Feststellung, daß der Prozentsatz det Katholiken an der Weltbevölkerung nicht wächst, sondern sinkt. Die Menschheit wächst jährlich um 28 Millionen, nur 5,4 Millionen davon sind Katholiken,

22.3 Millionen dagegen Nichtkatholiken. Alle Christen zusammen wachsen jährlich um

10.4 Millionen Seelen, die Nichtchristen um 17,3 Millionen. Noch bilden die Christen ein Drittel der Menschheit. Bleiben die Verhältnisse aber wie sie sind — einschließlich des Wachstums der Weltmission —, dann werden sie bald nur noch ein Viertel, ein Fünftel usw. ausmachen. — Das Christentum scheint die Welt eher zu verlieren denn zu erobern! Kein „Wunder“, wenn bei dem vitalen Wachstum der farbigen Völker nur eine Handvoll von Missionären zur Verfügung steht, um ihre Millionen für das Christentum zu gewinnen.

Mehr als 40.000 Weltpriester betreuen die Katholiken der Vereinigten Staaten, 47.000 jene Italiens. Auf allen Missionsfeldern der ganzen Welt aber ringt ein verschwindendes Häuflein von nicht einmal 30.000 Missionspriestern (Missionäre und einheimische Priester, Weltpriester und Ordensleute) um die Bekehrung von 1.518,000.000 Heiden. Das bedeutet, daß beispielsweise in Japan jeder Priester neben der aufreibenden Sorge für eine über viele Ortschaften zerstreute Neuchristengemeinde noch über 100.000 Heiden bekehren müßte. Ein Mann also für die Bekehrung einer modernen Großstadt!

Fast in allen katholischen Ländern ist das Problem des Priestermangels brennend. Südamerika zählt 32 Prozent aller Katholiken der Welt, aber nur 7 Prozent aller Priester., Fast 6000 Katholiken entfallen auf jeden Priester (in Italien 817!). Aber nirgendwo ist der Priestermangel brennender als auf den Missionsfeldern, wo Millionen und Millionen Ausschau halten nach einem neuen Weltbild. Aber nirgendwo sind seine Folgen, aufs Ganze gesehen, schwerwiegender und ernster.

„Die Stunde Afrikas ist gekommen!“ rief* bereits Pius XI. Das Erwachen des schwarzen Kontinents wurde in wenigen Jahren so mächtig, daß die Zahl der Missionäre nicht ausreicht, um den Andrang aufzufangen. Sie sind gezwungen, entweder die dringend notwendige Weiterbildung ihrer Neuchristen zu vernachlässigen oder die Taufwilligen abzuweisen. Erst kürzlich wurde der Mangel an Missionären in Afrika dafür verantwortlich gemacht, daß der Islam jährlich fast doppelt so viele „Bekehrungen“ aufweist als die katholische Kirche. Für .viele ähnliche Fälle mag der folgende stehen:

Ein afrikanischer Häuptling kommt zum Missionsbischof mit der Bitte: „Gib uns einen Priester! Wir haben unsere Götterbilder verbrannt und wollen katholisch werden. Wir wollen dem Priester das Haus bauen, eine Kirche und auch die Schule. Gib uns einen Priester!“ Der Bischof mußte die traurige Antwort geben: „Es tut mir leid, ich habe keinen Priester mehr. Wartet!“ So muß das Dorf warten. Islam und Atheismus aber warten nicht.

Woher kommt dieser allgemeine, verhängnisvolle Mangel an Berufen? Warum nur 27.000 Missionspriester, wenn hunderttausende nötig sind? Gewiß, Berufe kommen von Gott. Aber wenn Gott heute auf den Missionsfeldern eine brennende Aufgabe stellt, versagt er dann die Berufe, die erforderlich sind, um sie auszuführen? — Ein einfacher, seeleneifriger spanischer Priester führte in den fünfzig Jahren seines priesterlichen Wirkens über hundert Jungen zum Priestertum und gegen 600 Mäd-chen zum Schwesternberuf.

Die Front, an der sich heute das Ringen um die farbigen Völker entscheidet, liegt nicht im Fernen Osten und in Afrika, sondern zunächst “im Westen selbst. Und nicht materieller Einsatz entscheidet, sondern der geistige. Weltmission ist heute eine Lebensfrage für den Westen geworden, das heißt eine Frage christlichen Lebens.

Viele Katholiken mögen sagen: „Ich habe meine Eltern zu unterstützen. Ich habe Familie. Ich kann nicht nach Afrika, Indien oder Japan gehen, um Heiden zu bekehren.“ Das erwartet Gott auch nicht von jedem Christen. Aber wer

wagt zu behaupten: „Ich kann nicht im Stande der Gnade leben“? — Hier fällt die Entscheidung. Hier muß ernst gemacht werden mit der Wahrheit vom mystischen Leibe Christi.

Es ist die Wurzel allen Unheils in der modernen Zeit, daß ein Großteil der westlichen Christen ein erschütternd geringes Interesse zeigt, in Vereinigung mit Gott zu leben. Damit

hängt es auch zusammen, daß man den Missionsbefehl Christi nicht mehr als eine allgemeine Verpflichtung, sondern nur als Privatsache einiger närrischer „Idealisten“ betrachtet, die man wohlwollend oder verächtlich belächelt. Auf dise Weise leidet das größte Werk aller Zeiten nicht nur bedrohlichen Mangel an

geistiger und materieller Unterstützung, sondern da, wo hunderttausende bereit sein müßten, stehen heute nicht einmal 30.000 Missionspriester in einem schier aussichtslosen Kampf für das Reich Gottes und — ihre eigene Zukunft.

Der Gnadenstand der Eheleute ist der Mutterboden für den Beruf zum Priestertum und Ordensstand. Nur dort werden sie als höchste Gabe erkannt und geschätzt. Wer in Sünde lebt, ist blind für solche Gaben. Häufig beruft Gott das vierte, fünfte, achte oder gar zehnte Kind einer Familie zum Priester- oder Ordensstand. Aber wie oft wird schon das vierte oder fünfte Kind zurückgewiesen und nie geboren. Gehen nicht Tausende und Tausende von geistlichen Berufen durch schwere Schuld der Eltern verloren? Aus einem Lande, das als überwiegend katholisch gilt, wird gemeldet, daß von fünf gezeugten Kindern vier vor der Geburt getötet werden! Und wie viele werden nicht einmal mehr gezeugt! Man muß sich mit Recht fragen, ob hier nicht weit über die Hälfte aller geistlichen Berufe, die ein katholisches Land heute für die brennenden Aufgaben der Weltkirche stellen könnte, verlorengeht.

Wo Eltern christlich leben, blühen geistliche Berufe. In einem Dorfe Norditaliens bemühten sich die Mütter seit einer Anzahl von Jahren, bewußt und vorbildlich im Stande der Gnade zu leben. Sie gingen regelmäßig zu den Sakramenten und beteten um zahlreiche Berufe unter ihren Kindern. Heute gehören 13 Prozent der lebenden Seelen des Dorfes dem geistlichen Stande an!

Die materielle Not in den Missionen ist so bitter, daß das stete Betteln der Missionäre zu der irrigen Meinung führte, Mission sei eine Geldfrage. Gewiß, kein Missionär kann Kirchen, Schulen und Kapellen aus dem Boden stampfen. Und wenn er 30 Dörfer zu betreuen hat, aber nur drei Katechisten bezahlen kann, dann blutet ihm das Herz, weil das Heil zahlloser Seelen an den „schnöden Mammon“ der Heimatchristen geknüpft scheint, denen vieles andere lebenswichtiger ist als das Reich Gottes. Pro Kopf der Katholiken eines westeuropäischen Landes wurden in einem der letzten Jahre für Alkohol 78 DM, für Tabak 76 DM und für Kino 10 DM ausgegeben. Für das Werk der Glaubensverbreitung hatte man ganze 0,07 DM übrig!

Ein junger Missionär berichtete von seiner Ausreise in die Mission: „Unser Schiff ist ein

moderner Ozeanriese. Es hat 13.000 Tonnen und zählt 275 Mann Besatzung. Die erste Klasse bietet 140, die Touristenklasse 770 Passagieren Raum. Insgesamt befinden sich über 1100 Seelen an Bord. Die Kapelle aber ist winzig. Wenn ich am Altare stehe, bleibt für den Meßdiencr nur noch die offene Kapellentüre. Die Gläubigen drängen sich auf dem Gang. Alles ist großzügig angelegt auf diesem Schiff, für Gott aber ist nur ein Winkel da, der anscheinend keine Ver-

Wendung fand.“ Ist das nicht symbolisch für viele Missionsalmosen, die weit eher „Beruhigungspillen“ für aufgestörte Gewissen zu sein scheinen als wirksame Hilfe für kämpfende, notleidende Missionäre?

Materielle Hilfe für das Missionswerk ist eine Frage der Großherzigkeit. Wahre Großherzigkeit aber findet sich auf die Dauer nur bei Christen, die in der Gnade zu leben bemüht sind. Wer dem Herrn sein Herz schenkt, findet einen Weg, um auch durch materielle Hilfe die Ausführung des Missionsbefehls Christi möglich zu machen, und sollte er so arm sein wie die Witwe am Opferstock im Tempel, die den letzten Pfennig gab, weil es für den Herrn war'.

Weit bedeutsamer noch als materielle Hilfe ist die geistige Unterstützung des Missionswerkes. Eine Heidenseele wird letztlich nicht durch das Wort des Missionärs, sondern durch die Gnade Gottes „bekehrt“. Gott err wartet, daß wir die Gnade des Glaubens, die wir unverdient empfingen, anderen erflehen.

Ein bewußt christliches Leben in der Gnade ist die entscheidende Voraussetzung für den Sieg im Geisteskampf unserer Tage. Solange das

„Vaterunser“ wahr bleibt, so lange bleibt es Bestimmung und Vollendung des Menschen, Kind Gottes zu sein, das heißt in der Gnade zu lebe. Sobald der Christ aber auf seine wesentliche Bestimmung vergißt, wird er auch seine weltweite katholische Sendung verraten oder wird sein Kampf gegen die moderne Gottlosigkeit Luftstreichen gleichen. Wenn er sich daran gewöhnt, in Sünde zu leben, marschiert er letztlich sogar in den Reihen derer, die er zu bekämpfen vorgibt. Er mag sich vormachen, er sei unentbehrlich im Kampfe gegen die moderne Gottlosigkeit, gegen Materialismus, Marxismus, Kommunismus und die anderen Ismen. Er täuscht sich.

Es geht heute letztlich nicht um politische, wirtschaftliche und soziale Probleme. Das Ja oder Nein des Christen zu seiner Wesensbestimmung und katholischen Sendung entscheidet über die geistige Krise des Westens von heute und das Gesicht der Welt von morgen.

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