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Brot mit den Hungernden teilen

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„Hunger der Menschheit“ lautete das Motto des 41. Eucha-ristischen Weltkongresses, der in der Vorwoche in Philadelphia über die Bühne ging, quasi ein Geburtstagsgeschenk der Kirche an die jubilierenden Vereinigten Staaten. „Die Eucharistie und der Hunger der Welt“ war das Thema des Referates, das Franz Kardinal König in diesem Rahmen hielt:

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„Hunger der Menschheit“ lautete das Motto des 41. Eucha-ristischen Weltkongresses, der in der Vorwoche in Philadelphia über die Bühne ging, quasi ein Geburtstagsgeschenk der Kirche an die jubilierenden Vereinigten Staaten. „Die Eucharistie und der Hunger der Welt“ war das Thema des Referates, das Franz Kardinal König in diesem Rahmen hielt:

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Unser Herr Jesus Christus hat uns zu diesem Eucharistischen Kongreß zusammengerufen. Er will uns in diesen Tagen besonders vor Augen stellen, was das „Brotbrechen“ bedeutet, zu dem wir uns versammelt haben. Er hat beim Letzten Abendmahl das Brot vom Tisch genommen, gebrochen und die Stücke seinen Jüngern gereicht mit den Worten: „Das ist mein Leib!“ Das heißt aber auch: Das ist mein Leben. Tut das im Gedanken an mich. Das heißt: Macht es ebenso wie ich!

Das war ein Auftrag an seine Freunde. Wenn wir jetzt diesen Auftrag ernst nehmen, so müssen auch wir den Menschen das Brot reichen, damit sie davon leben können. So wie Er seinen Freunden das Brot gereicht hat, so wie Er sein eigenes Leben gegeben hat im Einsatz für die Wahrheit, für die Liebe, für die Menschen, so müssen auch wir unser Leben einsetzen für die Menschen. So wie er für sie zum Brot geworden ist, von dem sie leben können, so müssen auch wir selber zum Brot werden für die andern, damit sie von uns leben können. Denn die Menschen sind hungrig nach dem Brot, der Liebe und der Wahrheit. Sie hungern nach Hilfe und Erbarmen. Sie hungern nach Erkenntnis und dem rechten Weg. Wenn wir ihnen nicht helfen, so bleiben sie hungrig und kommen um.

Wie müssen so leben wie unser Herr Jesus Christus, denn er hat gesagt: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben. Wie ich getan habe, so sollt auch ihr tun!“ (Joh. 13, 15). Gebt ihnen zu essen, so sagt der Herr heute auch zu uns.

Die Welt hat wahrlich Hunger genug. Sie braucht das Brot. Wir können den Auftrag unseres Herrn Jesus Christus auch ganz wörtlich nehmen: „Die hungernden “Völker brauchen Brot und wir Christen müssen ihnen das Brot verschaffen!“ Unsere satte Zeit vermag es gar nicht zu begreifen, daß unser goldenes, Feste feierndes Jahrhundert tatsächlich ein Jahrhundert voll Hunger ist. Denn der Satte kann sich den Hunger nicht vorstellen.

Der Generaldirektor der Welternährungsorganisation formulierte es deutlich genug: „Die ganze Welt leidet heute Hunger, mit Ausnahme einer Minderheit. Und diese leidet unter Energiemangel.“ Denn sie möchte noch mehr verbrauchen und vergeuden. Der Nobelpreisträger Barlang, der Erfinder der „Grünen Revolution“, sagt: „Zwanzig Millionen Menschen werden im kommenden Jahr verhungern, wenn nicht rechtzeitig etwas geschieht.“ Die Welternährungsorganisation warnte bereits vor einiger Zeit vor einer starken Lebensmittelverknappung um 1985. Schon heute stirbt in Indien jährlich eine Million Kinder an Unterernährung. Stark wächst der Hunger der Welt durch die wachsende Bevölkerung der Erde. Sie nimmt jährlich um zwei bis drei Prozent zu. Sie wächst stärker als der Ertrag der Felder. Der Hunger wächst, deswegen müssen auch unsere Herzen wachsen. Das Erbarmen muß wachsen, sonst wächst die Verzweiflung.

Heute läuft ein Graben quer durch die Welt. Er trennt die reichen von den hungernden Völkern. Diese Kluft wird von Jahr zu Jahr breiter. Das Unrecht wird größer. Deswegen wachsen auch Terror, Gewalt und Revolution. Die Wortführer sind Propagandisten, deren geistige Heimat uns bekannt ist. Sie proben mit jenen hungernden Völkern den Aufstand gegen die Industriestaaten. Sie nähren das Verlangen nach Gerechtigkeit und die Empörung get;en das

Unrecht. Die Partisanen und Terroristen schüren heute jenes Feuer, das die Industriestaaten selber entzündet haben, denn das Unrecht ist ein Feuer, das jeden verbrennt, der ihm zu nahe kommt.

Die Industriestaaten der westlichen, ehemals christlichen Welt leben heute wie jene Luxusgesellschaft, die auf der Titanic fuhr, ehe sie in den Fluten versank. Die Bördkapelle spielte bis zum letzten Augenblick zum Tanz auf, zum Luxustanz, zum Wegwerf tanz, zum Tanz der Verschwendung und der Vergeudung. Der „reiche Prasser“ beginnt heute die Tage seines letzten Festes. Inzwischen stirbt Lazarus vor seiner Haustür, ohne daß es jemand bemerkt. Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Was aber wird geschehen, wenn man den Sturm sät?

Unsere Welt hat nach Ansicht maßgeblicher Fachleute nicht mehr unbegrenzt Zeit zur Entscheidung. Denn die Entscheidungen fällen in diesen und den kommenden Jahrzehnten, ob wir es wollen oder nicht. Wir müssen uns entscheiden, ob wir in den Industrieländern die Konsumsteigerung um jeden Preis wollen, oder ob wir den hungernden Nationen wirtschaftlich helfen wollen. Wir müssen wählen zwischen Konsumsteigerung der Reichen oder Entwicklungshilfe für die Hungernden. Denn beides zugleich ist nicht mehr möglich. Die Hilfsquellen der Erde reichen nicht mehr für beides. Das müssen wir den maßgebenden Fachleuten heute glauben, die uns die Prognose stellen. Wir müssen wählen zwischen Luxus oder Armut.

Wenn wir der hungernden Welt helfen wollen, dann genügen nieht jene drei Schilling, die wir von je tausend erarbeiteten als Entwicklungshilfe ausgeben. 0,5 Prozent geben die achtbaren Industrieländer für den Bruder, der am Verhungern ist. Aber das ist keine Entscheidung für das Leben des Bruders.

Die eigentliche Entscheidung muß darin bestehen, daß wir die hungernden Länder nicht mehr weiterhin vom Weltmarkt ausschließen, nur damit wir selber noch mehr Profit machen. Der Weltmarkt wird beherrscht von den reichen Nationen. Sie bestimmen die Gesetze dieses Weltmarktes. Die gegenwärtigen Gesetze sind ein eiserner Ring, der die armen Nationen ausschließt vom reich gedeckten Tisch der Industrieländer. Die armen Nationen wollen keine Geschenke, sondern wollen Handel treiben. Sie wollen Zugang zum Weltmarkt. Wenn wir ihnen und ihren Produkten durch ungerecht hohe Zölle den Zutritt zum großen Markt der Menschheit absichtlich verwehren, werden wir zu Mördern. Auch durch Gesetze kann der Mensch morden.

Wir müssen uns heute entschließen, den Hungernden Brot zu geben, auch wenn wir das eigene Brot mit ihnen teilen müssen. Wenn sich die Menschheit heute nur animalisch verhält und nur wie das Tier leben und reagieren will, dann wird es uns ergehen wie vielen Arten aus dem Tierreich; die Menschen werden dann zugrunde gehen an Nahrungsmangel und Vergiftung des Lebensraumes. Alle entscheidenden Probleme der Welt werden unlösbar, wenn wir nicht das Problem der Bevölkerungsvermehrung auf menschliche Weise lösen.

Viele verlangen heute eine verschärfte Geburtenkontrolle, die der Staat in die Hand nehmen müsse, um die Welt vor der Katastrophe zu retten. Aber die Pille kann die Welt nicht retten. Eine erzwungene Geburtenkontrolle kann das Schicksal der Welt nicht wenden. Die Welt kann nicht gerettet werden durch bloße Technik und Organisation, sondern braucht Bekehrung und Gewissen. Die Welt braucht zum Uberleben mehr Selbstzucht und weniger Ausleben, mehr Idealismus und we^ niger Materialismus, mehr Gottesfurcht und weniger Egoismus und Selbstsucht. Die Pille kann das Heil nicht bringen. Sie züchtet nur noch mehr die Sinnlichkeit des Menschen, den Sex, den Egoismus.

Deswegen sagt die Kirche heute mit großer Uberzeugung: Der wesentliche Weg zum Überleben der Welt ist Selbstzucht und Selbstbeherrschung, echte Bindung an Gott und Rücksicht auf die Menschen, Gewissen und Verantwortungsbewußtsein. Aber viele Menschen stehen in einer so schwierigen Situation, daß sie keinen Ausweg wissen, als widernatürliche Mittel der Geburtenkontrolle anzuwenden, auch wenn diese von der Kirche abgelehnt werden. Ich brauche nicht darauf zu verweisen, daß es-eine natürliche, von der Kirche erlaubte Geburtenkontrolle gibt.

Die Welt sollte heute reif sein für Zucht und Maß, denn unsere Situation verlangt das eindringlich. Aber die Menschen sind dafür nicht reif. Die Schuld dafür liegt weitgehend bei den „christlichen Völkern“, denn sie haben seinerzeit fast die ganze Welt zu Kolonien gemacht und „christianisiert“. Aber sie haben auch nicht wirklich den Geist Christi gebracht, sondern nur seinen Namen. Sie haben selbst nicht das Evangelium gelebt und konnten es daher auch den andern nicht beibringen. Deswegen fehlt heute der Welt das erforderliche Maß an Einsicht, Gewissen, die notwendige Zucht und das Maß.

Die „christlichen Völker“ haben die Weltzivilisation gebracht, aber nicht die Kultur des Herzens. Sie haben Wissenschaft gegeben, aber wenig Weisheit. Sie haben den Völkern die Wundermacht der Technik gezeigt, aber zu wenig die Wundermacht des Glaubens. Sie haben das Christentum gepredigt, aber die Zehn Gebote nicht vorgelebt. Sie haben das Ärgernis des reichen Prassers gegeben und damit die Lebensgier aufgestachelt. Sie haben die Welt mit Atombomben beschenkt, statt mit Gewaltlosigkeit. Sie haben ihren Atheismus exportiert und der Welt den atheistischen Kommunismus gebracht, statt das Reich Gottes in dieser Welt zu begründen.

Heute ernten wir die Früchte. Nicht einmal die „christlichen Völker“ können die Bevölkerungsprobleme auf christliche Weise lösen. Die Geburtenkontrolle entartet zur Abtreibung und zur Tötung im Mutterleib. Statt des Geistes Christi brachten sie den Geist der Selbstherrlichkeit. Und weil ihnen selbst der Geist Christi und seine Kraft fehlt, können sie auch der Welt den Geist Gottes nicht geben. So wurden die „christlichen Völker“ auch mitschuldig an der Überbevölkerung der Erde.

Deswegen leben die Menschen heute weitgehend animalisch, egoistisch, sinnlich und süchtig. Aber eine nur so lebende Menschheit kann die Probleme dieser Zeit nicht mehr lösen.

Heute ruft uns der Herr erneut auf, unser Brot mit den Hungernden zu teilen. Aber woher sollen wir die Kraft nehmen zum Geben und Teilen? Die Kraft der Liebe erhalten wir, wenn wir uns vom Geist Christi ergreifen lassen: wenn wir hören und horchen auf Gottes Wort in der stillen Besinnung, im Schweigen und Beten, im Überlegen und Betrachten, in der Gemeinschaft der Brüder und Schwestern, in der Gemeinschaft mit Gott. Bis wir seinen Anruf vernehmen und seine Stimme erkennen und sein Wort verstehen: „Tut das im Gedenken an mich!“

Haute zählt nur der „Erweis von Kraft und Geist“ (1 Kor. 2, 4). Alle Frömmigkeit nützt nichts, wenn die Taten der Liebe fehlen: „Wer seinen Bruder nicht liebt, den er vor Augen hat, der kann auch Gott nicht lieben, den er nicht sieht“ (1 Joh. 4, 20). „Wer die Güter der Welt besitzt und seinen Bruder Not leiden sieht und doch sein Herz ihm verschließt, wie kann in dem die Liebe Gottes wohnen? Brüder, laßt uns nicht mit Worten und mit der Zunge leben, sondern in der Tat und in der Wahrheit“ (1 Joh. 3, 17). Dazu will uns der Herr heute aufrufen.

Unheilbare Krankheiten sind Vorboten des Todes. Solche Vorzeichen sind bereits in der Gemeinschaft der Völker zu erkennen, weil die Herzen unheilbar erkrankt sind. Solange die Herzen nicht heilen, kann auch die Welt nicht geheilt werden.

Das Brot für die Seelen wird auch deswegen immer wichtiger, weil die Seelen heute stark werden müssen, sonst werden sie die Not nicht wenden können, die über dieser Welt liegt. Das Brot für die Seelen ist heute entscheidend, damit viele zur Einsicht kommen und zur Bekehrung, zur Nachfolge und zur Liebe, zu der Entschlossenheit und zur Opferbereitschaft, zum Gottesdienst, zum Bruderdienst. Nur wenn die Menschen zur Liebe finden und in der Kraft der Liebe wachsen, werden sie die Not der Welt noch einmal wenden können.

Wir vertrauen auch heute auf Gottes Wege. Er sagt uns heute: „Erhebt eure Häupter!“ Er reicht uns das Brot und nährt unsere Seelen, damit wir stark werden im Dienst an den Brüdern. Wir wollen sie nähren und stärken, so wie Gott uns nährt und stärkt. Heute müssen wir erkennen, daß der Geist wichtiger ist als die Materie. Diesen Primat des Geistes müssen wir verkünden und leben. Gewissen ist mehr als Wissen. Religion ist wichtiger als Wirtschaft. Gebet ist stärker als Waffen. Gott ist wichtiger als Geld. Das Ewige hat Vorrang vor dem Vergänglichen. Der Friede mit Gott gibt mehr Freude als Geld und Vergnügen. Die Freude der Sinne muß ihren Grund haben in der Freude der Herzen. Die tiefste Freude aber stammt aus der Gemeinschaft mit Gott, denn er ist Seligkeit und Frieden.

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