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Missionierung bedeutet nicht mehr Europäisierung

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Wenn von der „Weltkirche” die Rede war, bedeutete dies noch bis in unser Jahrhundert hinein eine Vereinfachung, die keineswegs dem Sachverhalt entsprach. Tatsächlich war die Kirche des Mittelalters wie der Neuzeit sowohl in der Organisation wie in der Glaubens form eine Kirche der Weißen und für viele lediglich eine Kultform des „Westens”.

Daher schien es lange Zeit so, als ob die Kirche eindeutig an eine bestimmte Kultur-, wenn nicht Zivilisationsform gebunden sei, mit deren Degeneration sie eben mitverfallen müsse. Darüber hinaus wurde in der Beziehung zur sogenannten „farbigen Welt” in der Kirche fälschlich ein Kulturinstitut der Kolonisatoren gesehen, ein Teil des nationalen Brauchtums und des Verwaltungsapparates der fremden Eroberer, von diesen dazu bestimmt, in jenen Bereichen zu wirken, in denen das Schwert der „Okkupanten” keine nachhaltige Wirkung mehr zu erzielen vermochte.

Tatsächlich hat aber die Kirche, schon aus ihrem Wesen heraus, nie eine unmittelbare und notwendige Bindung an einen Zivilisations- und Kulturtyp gehabt. Wer das Christentum mit einer doch immer nur zufälligen äußeren Form identifiziert, steht am Rand der Häresie. Die geschichtliche Erfahrung zeigt, daß die Kirche es stets vermocht hat, die neuen geistigen, sozialen und nationalen Strömungen — die doch AeußerUngen der ‘einen Natur des Menschen sind — zu evangelisieren, sogar die von der Aufklärung bestimmte bürgerliche Kultur und heute den Bereich der industriellen Arbeitswelt.

Erst in diesem Jahrhundert aber schickt sich die Kirche neuerlich und diesmal geradezu in einer demonstrativen Art an, „allen alles zu sein” und Weltkirche auch im geographischen und gesellschaftlichen Sinn zu werden. Damit aber ist das ganze Problem der Missionierung und vor allem ihrer Methoden zur Diskussion gestellt.

Noch im vergangenen Jahrhundert wurde Christi Lehre den Nichtweißen (— ;,Primitiven”) in einer „väterlichen” Weise dargeboten. Für die Farbigen war die Kirche im Missionsbereich daher Herrenkirche. Das Christentum der „natives”,. des „coloured people”, wurde nicht selten als der Anlage nach zweitrangig disqualifiziert, fähig wohl des Martyriums, nicht aber etwa einer eigenbestimmten hierarchischen Führung. Dabei übersah man, daß der einzige Unterschied zwischen dem Christentum der Weißen und jenem in den Wohngebieten der Nichtweißen der ist, daß die Menschen im „Westen” früher im Verkündigungsbereich der christlichen Lehre gestanden waren (und auch das gilt nicht durchweg).

Im vergangenen Jahrhundert hätte die Vorstellung der Ernennung eines Negerbischofs oder gar eines „farbigen” Kardinals aus den religiös „unterentwickelten” Gebieten den Charakter einer Provokation gehabt. Wie sehr sind wir unterdessen im Verständnis dessen, was Kirche ist, gewachsen!

Freilich sollten wir nicht übersehen, daß trotz der Fortschritte im Selbstverständnis der Kirche diese sich da und dort in ihren Außenpositionen immer noch als eine Einrichtung von regionaler Beschränkung darzustellen scheint. Etwa bei den internationalen katholischen Organisationen. Diese werden doch überwiegend von Menschen geführt, die aus dem italofranzösischen Raum und seinen kulturellen Satelliten stammen. Wer etwa einen Pax-Romana-Kongreß mitgemacht hat, muß das feststellen. Gleiches gilt zum Beispiel für die christlichen Gewerkschaften, die bis vor wenigen Jahren eine eindeutig westeuropäische Angelegenheit waren und daher auf die gesellschaftlichen Entwicklungen jenseits des europäischen Kontinents so gut wie keinen Einfluß nehmen konnten.

In der Frage der Missionierung hat es also der Entwicklung und der Enttäuschung von Jahrhunderten bedurft, sogar der Infragestellung der ganzen Missionierungschance, bis wir eingesehen haben, daß die Kirche wie im Ursprung eine „Kirche aus Juden und Heiden” heute eine Kirche aus „Weißen” und „Farbigen” ist.

Diese keineswegs allgemeine Einsicht hat zu einer völligen und kühnen Umstellung der Misionierungsmethoden geführt, die bitter notwendig geworden ist. Die Missionierung war lange Zeit und weithin der Versuch, Christentum und gleichzeitig europäische Sitten zu bringen. Verchrist- lichung und Europäisierung schie nen gekoppelt zu sein. Zu diesem Zweck wurde vielfach die vorgefundene Kultur wie der ganze Moralkodex der Schwarzen, weil „unchristlich”, abgelehnt.

Auf diesen Umstand haben vor einiger Zeit zwei angesehene Theologen, Jean D a n i e 1 o u und Bede Griffiths, in aufsehenerregenden Aufsätzen im amerikanischen „C o m m o n- w e a 1” mit einem außerordentlichen Nachdruck und in einer bei uns leider seltenen, erquickenden Offenheit hingewiesen:

Als Ergebnis der Missionierungsarbeit von Jahrhunderten zeigt sich in manchen Bereichen der farbigen Welt, daß die Farbigen sich nunmehr in der gleichen Weise, wie sie sich von der weltlich-politischen Führung durch die Kräfte des (weißen) Westens befreien, sich auch vom Christentum distanzieren, soweit dieses nicht vermochte, eine Volkskirche zu errichten.

Warum dies?

Im Christentum sah der Farbige nicht selten lediglich die importierte Staatsreligion eines Erobererstaates, der anzugehören wohl eine Auszeichnung, daneben aber auch die Aufgabe des eigenen Volkstums bedeuten konnte. Dazu kam oft die geistlose und in keiner Weise aus dem Wesen des Christentums heraus gerechtfertigte Uebertragung (süd)europäischer christlicher Bräuche und Denkweisen. Was als allgemeingültige christliche Kultur vorgestellt und eingeführt wurde, war den Farbigen eine „artfremde” Kultur, die neben der von ihnen trotz Taufe weitergepflegten überlieferten Kultur einfach mitgemacht wurde. Bisweilen wurden auch die alten „heidnischen” Bräuche mit den christlichen Riten zu einer Mischkultur wie in Südamerika vermengt. Die mechanische Uebertragung der religiösen Bräuche der Weißen ging sogar bis zur Namensgebung, so daß die jungen Christen über die Taufe (besonders dann, wenn die Christen in der Minderheit blieben)

offen durch ihren Taufnamen als Angehörige einer ihrem Volke „fremden” Religion (besser: als Träger fremder Sitten der Religionsausübung) gezeichnet waren. Wir sollten daher nicht übersehen, daß die Niedermetzelung farbiger Christen durch Stammesgenossen nicht immer dem Chri- stertum als Bekenntnis galt, sondern den im Dienst einer fremden Herrenreligion Stehenden.

Vergessen wir auch nicht, daß man den Farbigen die unselige europäische Kitschkultur, zum Beispiel mit ihren in Serien hergestellten weißgesichtigen, blutleeren Madonnen, aufzwang, jene plasphemischen Darstellungen. die man auch heute noch in den Kirchen der Weißen als Wandverkleidung (von „Wandschmuck” kann man kaum reden) findet. Heute, da wir anfangen, die letzten Zeugnisse einer echten, noch nicht vom Geschäft her bestimmten „Eingeborenenkunst” zu sammeln, sehen wir erst, wie überlegen allerorts diese „Eingeborenenkunst” gegenüber der am Fließband der Devotionalienerzeuger hergestellten Fabrikskunst ist, an deren Produkten wir uns mit tiefer „Ergriffenheit” in den Wallfahrtsorten erfreuen können. Der europäische Kitsch, kaum mehr als Abguß talmichristlichen Aberglaubens, aber wurde in den Missionsgebieten zur Repräsentanz christlicher Kunst erhoben und ließ lange Zeit handwerkliche Kunsterzeugnisse, die der Art und dem Stil der Farbigen angepaßt waren, kaum aufkommen.

Wenn jetzt die Kirche daran ist, Weltkirche zu werden, so heißt dies: das Evangelium ohne politische Bedachtnahme, ohne Rück-Sicht und ohne Rücksicht verkünden. Nicht allein in der Sprache des eingeborenen Volkes (das geschah doch immer), sondern so, daß sichtbar wird: Jedes Volk ist Teil der Heijsordnung, und das Christentum ist in einer unübersehbaren Vielfalt von Kultur- und Zivilisationstypen zu verwirklichen. Das heißt aber weiter: U e b e r- nahme des heimischen Brauchtums, wo möglich, und einzelner Formen einer ursprünglich gleichsam naturgewachsenen Frömmigkeit. Die Kirche muß sich dabei freilich von der westlichen Kultur (wie von jeder Teilkultur) unabhängig machen. Auf diesen Umstand wurde übrigens beim Deutschen Katholikentag 1956 eindringlich hingewiesen (siehe Katholikentagsbericht S. 409 ff.). Das soll aber nicht bedeuten, daß die Kirche es nun als ihre Aufgabe betrachten sollte, jetzt Sitten einzuführen und zu konservieren, die von den Farbigen selbst schon aufgegeben wurden.

Auch die Philosophie der Farbigen sollte nicht allein als ein Gegenstand abstrakter und vergleichender Forschungen betrachtet werden. Daher wäre zu überlegen, ob nicht das in philosophischen Thesen niedergelegte Ergebnis der Erfahrungen, etwa der Asiaten, mit der Natur ihrer Mitmenschen ernstlich zu beachten ist. Wir können doch nicht glauben, daß wir die über vier Jahrtausende gewachsene Geisteswelt Indiens in Indien durch die Thesen der mittelalterlichen Philosophie, die doch auch zum Teil befangen sind, das heißt mit den Erfahrungen mit dem mittelalterlichen Stadtmenschen Zusammenhängen, völlig und gültig zu ersetzen vermöchten. Das Christentum sollte jedenfalls erkennen, daß es bei den Farbigen nicht allein zu geben, sondern auch zu lernen vermag. Der große chinesische Konvertit Abbot Lou erklärte einmal, daß seiner Meinung nach China kaum christlich werden könne, wenn nicht die Christen in China eine chinesische Liturgie erhielten und die lateinische Theologie in Verbindung mit der klassischen chinesischen Philosophie trete.

Nicht unbeachtlich ist die Tatsache, daß die Missionäre wohl eine neue Lehre brachten, aber nicht die Gedanken einer neuen, gerade im Zeitalter des Weltindustrialismus so bedeutsamen gesellschaftlichen Ordnung. Daher das vielfache Zurückweichen der einheimischen Christen gegenüber dem Marxismus, der, jeweils anders auftretend, eine neue soziale Ordnung verheißt.

Dem Bemühen der Kirche, endlich Weltkirche zu werden, kommt — so unwahrscheinlich dies klingen mag — die fortschreitende Technisierung der unterentwickelten Länder und die ungewollte Europäisierung des Denkens der Farbigen zuweilen entgegen. Die farbige Intelligenz steht zwar meist den Weißen in einer Art Haßliebe gegenüber, ist aber mehr denn je anfällig für europäische Denkweisen, so daß zum Beispiel das, was an der Missionierungsmethode dem Schein nach „europäisch” bleiben muß, nunmehr eher verstanden wird und weniger den Schein des Fremden an sich trägt als ehedem. Ist es doch schon so, daß manchmal die Europäer in Tracht’ und Gehaben sich besser dem Milieu der Eingeborenen anpassen können als die in Moskau oder London erzogene farbige Intelligenz, die mit konfektionierten Sitten und Kleidungsstücken ausgestattet ist und daheim nicht mehr „daheim” ist. Das Entstehen einer Westkultur und einer Westzivilisation stellt daher nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine nicht unbeachtliche Begünstigung der Missionsarbeit dann dar, wenn diese sich ohne Behinderung entwickeln kann.

Daher ist auch der Einfluß, den man endlich von katholischer Seite auf die in Europa studierenden Farbigen nimmt, besonders zu begrüßen. Noch Regt vieles im argen. Der geistliche Beirat der OSCO (Oversea Students Coordination Organisation), der Vereinigung der in Europa studierenden katholischen Studenten aus Afrika und Asien, mußte erst jüngst darüber Klage führen, daß zum Teil nicht einmal die an verschiedenen Hochschulen studierenden Missionäre einen Kontakt mit ihren farbigen Kommilitonen halten.

Es mag auch sein, daß der unmittelbare Einsatz der als solche überdeutlich gekennzeichneten Priester in den Missionen nicht in jedem Milieu die beste oder einzige Form der Missionierung darstellt. Das gleiche gilt ja auch für die Innere Mission (daher die Arbeiterpriester). Aus diesem Grund muß die Entsendung von Laien, die in die Missionen zum Beispiel als Aerzte oder als Techniker gehen, besonders begrüßt werden.

Jedenfalls sollte es als ein aussichtsreicher Anfang gewertet werden, wenn man jetzt, in einer wahrhaft globalen Ueberlegung, davon absieht, die Leitung der Geschicke der Kirche weiterhin ausschließlich einem kleinen Gremium von Angehörigen der weißen Völker allein anzuvertrauen.

Die Früchte der weltweiten Politik des Heiligen Stuhles zeigen sich bereits in einem heroischen Widerstand ganzer Völker Asiens gegenüber einer atheistischen Bedrohung und in Beweisen des Heldenmutes, die uns, die wir noch den Widerstand in Oesterreich im März 1938 in Erinnerung haben, beschämen müssen.

Wenn die Kirche als Missionskirche unter den Farbigen den nachhaltigen und offenkundigen Beweis zu liefern vermag, daß sie weder Rassen- noch Kastenkirche ist, sondern das Wort Gottes in jener Unbefangenheit zu künden gewillt ist, die der frühen Kirche einen großartigen Elan verliehen hatte, wird sie in und vor der farbigen Welt bestehen. Sonst aber wird sie in den Bereichen, die wir zu den Missionsländern zählen, auf die Bedeutung einer ferngelenkten artfremden Kirche zurückgeworfen.

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