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Kein Grund zum Austritt

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„Raumschiff Terra 12 quot; lautet der Titel einer Serie, die FS 2 jeweils um 17,45 Uhr am 26. September sowie 3., 10. und 17. Oktober ausstrahlen und FS 1 um 10.15 Uhr am 29. September, 6., 13. und 20. Oktober wiederholen wird. Sie eignet sich für den Religionsunterricht und außerschulische Kinderarbeit und ist einer Initiative von Club M zu danken

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„Raumschiff Terra 12 quot; lautet der Titel einer Serie, die FS 2 jeweils um 17,45 Uhr am 26. September sowie 3., 10. und 17. Oktober ausstrahlen und FS 1 um 10.15 Uhr am 29. September, 6., 13. und 20. Oktober wiederholen wird. Sie eignet sich für den Religionsunterricht und außerschulische Kinderarbeit und ist einer Initiative von Club M zu danken

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Gehe ich davon aus, daß Christsein in unserer Zeit und in unseren Breiten etwas mehr oder weniger Selbstverständliches ist und daß die Abkehr vom Christentum der Erklärung bedarf, dann muß ich mich allenfalls mit jenen auseinandersetzen, die entschieden bestreiten, daß es gut und sinnvoll ist, in unserer Zeit noch ein Christ zu sein und einer Kirche anzugehören . . .

Christ sein heißt eben: an Christus und.durch ihn an Gott glauben, doch warum sollte ich nicht an Christus glauben, warum seine Botschaft, deren höchster Inhalt die Liebe ist, nicht annehmen?

Ich sah keinen Grund, meinem Christsein abzuschwören, keine Alternative, für die ich mein Christentum hätte eintauschen wollen. So ist es auch heute noch.

Die Agnostiker verkünden uns triumphierend, daß man die Existenz Gottes nicht beweisen könne, aber da sie auch das Gegenteil, die Nicht-Existenz Gottes, nicht zu beweisen in der. Lage sind, bin ich lieber auf der Seite derer, die glauben, daß es einen Gott gibt und daß er uns in und durch Christus geoffenbart worden ist.

Der Glaube an Gott, das ist ja etwas Beweisbares, man kann ihn an seinen Früchten erkennen, und es läßt sich allemal zeigen, daß dieser Glaube unter den Menschen größere Werke der Liebe, des Friedens und der Versöhnung, ja auch der Kunst hervorgebracht hat, als der Glaube an nichts oder an das Nichts.

Die Marxisten, jedenfalls die orthodoxen Materialisten unter ihnen, halten "Gott schlicht für einen Schwindel und die Religion für ein übles Mittel der herrschenden Klasse, die Unterdrückten vom gerechten Kampf um ihre Rechte als Menschen abzuhalten.

Aber ihre rein materialistische Weltanschauung hat dem Menschen auch bei Erreichung des in der marxistischen

Utopie verheißenen irdischen Paradieses nichts Höheres zu bieten als die allseitige Befriedigung seiner materiellen Bedürfnisse!

Wie unbefriedigend und unzure^ chend dies für den Menschen sein kann, können wir leicht schon daran erkennen, daß gerade der in unserer Epoche erreichte Zustand der Befriedigung der elementarsten materiellen Bedürfnisse bei vielen Menschen, wenn auch längst nicht bei allen, die Sinnfrage erneut so dringlich gestellt hat. Auf sie weiß der Materialismus keine Antwort, es sei denn die Selbstverwirklichung durch Arbeit oder Kampf.

Gerade in unserer Gegenwart zeigen übrigens nicht wenige Christen, die beeindruckt sind von den marxistischen Analysen der Verhältnisse in unserer sogenannten Wohlstandsgesellschaft und erst recht in der ganzen Welt, daß Christsein und politisches Engagement für mehr Gerechtigkeit und Solidarität unter den Menschen sich sehr wohl dek-ken können

Das christliche Gebot, dem Nächsten zu helfen, gute Werke zu tun, und zwar am wirksamsten dadurch, daß man auch im politischen Raum für gesellschaftliche Strukturen kämpft, die ein höheres Maß an Gerechtigkeit und Selbstbestimmung unter den Menschen ermöglichen, ist ein mächtiger Antrieb und ein wirksames Motiv, in dem humanitäre Marxisten und Christen sich begegnen und einig sein können.

Die Christen müssen sich, sofern sie sich konkreten politischen Zielen verschreiben, nur darüber klar sein, daß die Botschaft Christi sich nie und nimmer reduzieren läßt auf ein politisches Programm, daß das Reich Gottes nicht von dieser Welt ist, daß das Evangelium allen Menschen gilt, den Hohen und den Niedrigen, den Reichen und den Armen, mögen es die Hochgestellten und die Reichen auch schwerer haben, ins Himmelreich zu kommen.

Wo die Kirche sich ganz mit einer politischen Bewegung identifiziert, da steht und fällt sie mit der politischen Richtung, der sie sich verschrieben hat.

Sie soll aber nicht stehen und fallen mit dem Lauf der irdischen Dinge, auch wenn sie in ihrer konkreten Existenz notwendig und schuldhaft in sie verstrickt bleibt, sondern sie soll stets auf ihren Ursprung bezogen bleiben, der zugleich ihr Angelpunkt ist:

Christus und seine göttliche Botschaft, die in allen Lagen, in allen Verhältnissen, in allen Sprachen zu uns sprechen kann, wenn wir sie nur hören und in uns aufnehmen wollen.

Ich weiß, daß die massivste Kritik am Christentum aus der immer wieder zu machenden Erfahrung gespeist wird, daß die Christen und ihre Kirchen nicht so sind, wie sie sein sollten. Diejenigen, die so urteilen, haben meist sehr bestimmte Vorstellungen über das, was christlich sei. Sie vermissen in aller Regel die von ihnen erwarteten Tugenden und christlichen Verhaltensweisen bei denen, die sich Christen nennen ...

Die Kirche als Hüterin des Evangeliums wird an den Normen gemessen, die sie verkündet, oder von denen man meint, daß sie sie zu predigen habe. Das ist legitim, und es gilt in erster Linie für die christlichen Gemeinschaften selbst, die sich stets von neuem darum bemühen müssen, die christliche Botschaft zeitgemäß, d. h. im gegebenen geschichtlichen Zusammenhang zu interpretieren und zu realisieren.

Aber ich frage mich, warum eigentlich das immer wieder feststellbare Auseinanderklaffen von christlichem Liebesgebot und christlicher Lebenspraxis ein ernsthafter Einwand gegen das Christentum sein soll. Wer meint, alle, die sich als Christen bekennen, müßten Heilige sein, und zwar in dem vordergründigen Sinne der Makellosigkeit und Tugendhaftigkeit des Verhaltens, der hat Christi Botschaft, die eine fortwährende Verheißung für den sündigen und immer wieder in die Sünde fallenden Menschen ist, nicht verstanden und will sie nicht verstehen.

Sollte ich etwa kein Christ sein, nur weil das Christentum sich in der Geschichte notwendig durch Menschen verwirklicht und ihm darum menschliche Gebrechen und Unzulänglichkeiten alles andere als fremd sind?

Sollte ich mich nicht zu Christus und seiner Kirche bekennen dürfen, nur weil ich in meinem Umgang mit anderen Menschen, in meinem politischen Handeln oder auch in meinem inneren Leben oft weit davon entfernt bin, dem Anruf und Gebot Christi zu folgen und Raum zu geben?

Sollte ich nicht Christ sein, nur weil Christen, wie sich immer wieder zeigt, kaum bessere Menschen sind als Nicht-christen?

Sollte ich aufhören, an die seligmachende Botschaft Christi zu glauben, nur weil andere, mögen sie noch so rationale Gründe anführen, daran nicht glauben wollen oder können?

Mich fechten solche'Fragen und Einwände nicht an. Ich will ein Christ sein, auch wenn ich vielleicht kein sehr guter bin.

Angesichts der oft verbissenen, vielfach geistvollen Bemühungen gelehrter und im theologischen Disput erfahrener Zeitgenossen, ihr Christsein im geistigen Horizont unserer Epoche argumentierend zu rechtfertfgen, frage ich mich, warum ich in einem durch die christliche Tradition geprägten Land, innerhalb einer Kirche, die gegenüber ihren Gliedern so liberal und so geduldig ist wie die' meine, etwas anderes sein sollte alsein Christ.

Auszugsweise aus: „Warum ich Christ bin", 388 S., öS 230-, Copyright by Kindler-Verlag. Der Autor ist Politikwissenschafter in München.

Auszugsweise aus: „Warum ich Christ bin", 388 S., öS 230-, Copyright by Kindler-Verlag. Der Autor ist Politikwissenschafter in München.

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