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Die alte, gute Gewohnheit hat ihren Sinn

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Viele verneinen es; sie setzen ihre Hoffnung in ein „elitäres“ Christentum, in eine Kirche, die nur aus „wirklich“ Gläubigen besteht (ohne „Traditionschristen“); die allen Ballast von „leergewordenen Zeremonien“ und religiös verbrämtem Brauchtum abschüttelt und nur — aber hier stocken wir schon: der Satz kann auf dreierlei Weise zu Ende geführt werden! „Nur radikale Nächstenliebe verwirklicht nach Jesu Lehre und Beispiel“ ... oder: „nur jene umschließt, die vorbehaltlos das ganze Credo bejahen...“ Oder gar: „nur jene, die in Erkenntnis und Leben voll dem Evangelium entsprechen wollen“ ... ?

Aber selbst die Heiligen waren Sünder und dem Irrtum unterworfen! Wollen wir eine Kirche der bereits Vollkommenen bauen, uns unterfangen, das himmlische Jerusalem vorwegzunehmen? Das kann wohl unsere Sache nicht sein!

In einer *i-iner „Glaubensbriefe“ bemerkt Kardinal König: „Eine sogenannte Elitekirche würde dann gerade jene Menschen anlocken, von denen Jesus nicht viel gehalten hat: die Überheblichen, die Selbstgerechten ...“ und „Jesus wäre der letzte, der diese religiös Armen, Heruntergekommenen oder nie Entfalteten aus der Kirche davonjagen würde“.

Der Kardinal legt also ein überzeugendes Bekenntnis zur Volkskirche ab. Dazu mögen nun hier ein paar nachdenkliche Fragen erlaubt sein ...

Mit Recht sieht der Kardinal in der Kindertaufe die wesentliche Basis einer Volkskirche, da sie allein die Kontinuität des Glaubens durch mehrere Generationen ermöglicht. Haben aber nicht auch jene Priester recht, die es ablehnen (möchten), ein Kind zu taufen, das offensichtlich bei ungläubigen Eltern aufwachsen wird? Der Zurückweisung eines solchen Ansinnens liegt kein Pharisäis-mus zugrunde, sondern die legitime Forderung jeder Gemeinschaft, daß ihre Voraussetzung akzeptiert, wer ihr anzugehören wünscht!

Die Zulassung (oder gar „Redefreiheit“) von Ungläubigen in der Kirche wäre kein Zeichen ihrer Barmherzigkeit, sondern nur ihres tief erschütterten Selbstverständnisses. Denn niemals hat Christus gesagt, daß man sich ins Himmelreich irgendwie korporativ hineinschmuggeln könne, er hat immer wieder auf den „schmalen Weg“ und die „enge Pforte“ verwiesen! Wenn heute manche Priester geradezu um Menschen werben, die den Glauben der Kirche nicht teilen, wenn sie diese zu den Sakramenten zulassen, als könnten die Sakramente eine Zugehörigkeit vermitteln, für die die geistige Voraussetzung, die Entscheidung des Glaubens fehlt — verfallen dann solche Priester nicht ihrerseits in ein „magisches Denken“, viel extremer, als es je in ritualsier-ten Volksbräuchen zutage trat?!

Die Verächtlichmachung der Volksbräuche aber, der Volksandachten, Prozessionen, Segnungen, der „veralteten“ Gebete und Lieder ist ein sicheres Mittel, die bestehende, Generationen und Klassen verbindende Volkskirche auch dort zu zerstören, wo „der Docht noch glimmt“, wo es nur der Belebung, Ver-Geistigung und der Bewußtmachung des tiefen Sinnes alter, guter Gewohnheiten bedürfte, um viele Katholiken zum innerlichen Glauben zurückzuführen! (Ein glückliches Beispiel hiefür: Roggendorf!)

Und wirkt sich nicht besonders verhängnisvoll die „neue Sprache“ mancher moderner Theologen aus, selbst wenn sie, was ja leider nicht immer der Fall ist, nur auf neue Weise die alte Lehre vermitteln will? Da wäre doch nichts anderes so wichtig in Katechese und Predigt wie der Nachweis, daß eben auch neue (liturgische) Formen und Lieder und neue Formulierungen dasselbe meinen, was die Kirche immer gelehrt hat! Und was sie immer, so auch heute, nur unzulänglich ausdrücken kann, weil es „über alle Vernunft“, weil es „Geheimnis des Glaubens“ ist!

Aber offenbar dünken sich manche Katecheten und dann natürlich die von ihnen unterwiesenen Kinder erhaben über die „Primitivität“ der Älteren, deren einziges Verschulden doch darin besteht, daß sie — ganz wie der heilige Paulus es fordert! — „in dem bleiben, was sie gelernt haben“! Und wenn nun etwa der Fünfzehnjährige seinen Vater belehrt, daß „Jungfräulichkeit“ ein geistiger Begriff sei, der mit faktischer Unberührtheit nichts zu tun habe, darf man sich dann wundern, wenn die Reaktion des Vaters, je nach Temperament, in Abmeldung vom Religionsunterricht, trostloser Resignation oder hilflosem Groll besteht? Und daß er nun dem nächsten Gottesdienst statt in andächtiger Erwartung mit mißtrauischer Reserve beiwohnt?

Die Umdeutung grundlegender Begriffe wirkt weit ins sittliche, ins praktische Leben hinein. Denn wenn Jungfräulichkeit nichts „Konkretes“ ist, dann ist natürlich auch die eheliche Treue unabhängig von eventuellen außerehelichen Beziehungen, um nur ein Beispiel zu nennen! Und ebenso geraten alle anderen Glaubenssätze ins Zwielicht moderner „Deutung“: „Ewiges Leben“ heißt dann nicht unbedingt „in Ewigkeit leben“, sondern kann etwa bedeuten, an einer „unsterblichen Idee“ irgendwie Anteil haben. Auch da ist gewiß etwas Wahres dran, aber es ist eben nicht die katholische Wahrheit, wie sie sich in den Dogmen der Kirche ausgeprägt hat! Und kann man sich noch weiter von Christi Forderung entfernen, daß unsere Rede ein einfaches Ja! und Nein! sein solle?

Die Volkskirche, welche alle einzelnen Gruppen, alle katholischen Aktionsgemeinschaften mit ihren voneinander abweichenden Schwerpunkten umfaßt und dem legitimen Pluralismus theologischer Auffassungen Raum gibt — also in jenen, aber nur in jenen Fragen, die durch kein Dogma entschieden sind! — kann wohl nur weiterleben, wenn alle diese Aktivitäten, so verschieden sie auch sein mögen und welchen Wert immer ihnen der einzelne oder die Kirchenleitung zugesteht, einander ergänzen, aber nicht, wie wir es heute zuweilen erleben müssen, wenn sie einander widersprechen!

Eindringlich warnt Kardinal König immer wieder davor, zu strenge Maßstäbe an den Glauben der Mitchristen anzulegen; weil auch der Glaube einem Reifeprozeß unterliegt, weil wir alle schwach sind im Glauben. In der Tat, wer könnte sich rühmen, jenen Glauben „groß wie ein Senfkorn“ wirklich zu besitzen? Vor allem betont er, daß das christliche Leben, die Verwirklichung der Nächstenliebe, noch wichtiger ist.

Doch erklärte der Kardinal in einer Predigt ausdrücklich: „Wir werden nicht dulden“, daß von Predigern und Lehrern der katholische Glaube willkürlich, je nach dem Stande ihrer persönlichen Einsicht,verkürzt oder gar verändert werde!

Geschieht aber nicht gerade dies seit Jahren selbst auf Dorf kanzeln und in Volksschulen und nun besonders durch die neuen „Arbeitsbehelfe“ für den Religionsunterricht? Und wenn unsere Kinder erst mit dreizehn oder vierzehn Jahren vom Sündenfall und der Erbsünde hören sollen, wie macht man ihnen denn in den vorhergehenden Jahren (für viele die einzige Gelegenheit zu „religiöser Bildung“!) klar, weshalb die Welt eines Erlösers bedurfte?

Viele Katholiken scheinen heute die Verpflichtung zur Treue, zum „sentire cum ecclesia“, nicht mehr zu fühlen; und nicht wenige Priester verzichten, vielleicht in einer Art falscher Scham, darauf, die Liebe zur Kirche, zu ihrer eigenen Berufung und zu der Berufung aller Christen 2ur Helligkeit zu verkünden, vorzuleben und — im Auftrag des Herrn! — zu fordern ...

Schon der heilige Augustinus soll gesagt haben, katholisch sei nicht das „Entweder-Oder“, sondern das „Sowohl-Als-auch“! Wer könnte diesem Ausspruch leidenschaftlicher zustimmen als eine Konvertitin, die aus solcher Einsicht zur katholischen Kirche gefunden hat? Eine Kirche aber, die sich als Gemeinschaft „sowohl“ der Gläubigen „als auch“ der Ungläubigen verstehen wollte, wäre nicht mehr Volkskirche, sondern hörte einfach auf, Volk Gottes und Gemeinschaft der Heiligen zu sein!

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