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Viele „Gottheiten” statt Gott

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Jugend ohne Gott: Das sei eine allzu pauschale Feststellung, meint ein Pädagoge aufgrund seiner Erfahrungen. Da müsse man differenzieren.

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Jugend ohne Gott: Das sei eine allzu pauschale Feststellung, meint ein Pädagoge aufgrund seiner Erfahrungen. Da müsse man differenzieren.

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Zunächst geht es einmal um die schlichte Auseinandersetzung mit dem Thema Jugend, wohl aber auch mit dem Thema Gott.

■ Zweifelsohne begegnet die Gefahr, unter dem Begriff „Jugend” zum Beispiel alle Schüler zusammenzufassen. Da beginnt aber schon das Problem. Die Jugend gibt es nämlich nicht. Und wer das nicht akzeptieren kann wird kaum einer Auseinandersetzung mit den Fragen, die Jugendliche haben, gerecht. Die geforderte Differenzierung - die Jugendlichen lieben genausowenig Verallgemeinerungen wie Erwachsene - bildet eine Schwierigkeit und eine Herausforderung zugleich. Unterschiede in Alter, Herkunft und Bildung gilt es genauso zu nennen wie die Unterschiede in Geschlecht, Interessen und Freundeskreisen.

Zusätzlich dürfen wohl kaum unbeachtet bleiben die verschiedenen Altersstufen der „Jugend”, denn ein 14jähriger läßt sich längst nicht mehr als „Kind” bezeichnen, und 16jährige Hochpubertierende sehen manches ganz anders als 18/19jähri-ge, denen allen gemeinsam die Zugehörigkeit zur „Jugend” nicht abzusprechen ist. Wie in anderen Gegenständen so findet dies natürlich auch im Religionsunterricht seinen Niederschlag. Da geht es um viel mehr als um die Möglichkeit, sich von diesem Unterricht abzumelden, anders als bei jedem anderen Unterrichtsfach.

■ Vor der näheren Betrachtung des Themas soll dem Leser der Gottesbegriff nahegebracht werden, den der Verfasser zugrunde legt. Denn auch bei der Frage nach „Gott” und dem „Göttlichen” scheint heute eine Fülle von Vorstellungen die Köpfe der Menschen zu erfüllen beziehungsweise zu verwirren. Der vorliegende Gottesbegriff entstammt der christlich-katholischen Gottesvorstellung, die auf die Offenbarung Jesu Christi zurückgeht. Der Gott Jesu Christi, den er seinen „Vater” nannte und nach dem er sich selbst als „Sohn Gottes, des himmlischen Vaters” bezeich- - nete, bildet die Grundlage für die folgenden Überlegungen. Gerade darin wird aufzuzeigen sein, daß sich die Gottesvorstellungen bei Jugendlichen im eingangs differenzierten Sinn erst entfalten, reifen und vielleicht erst viel später festigen.

Dieser Gott Jesu Christi will ein „Gott für uns und mit uns” sein, ruft zu freundschaftlicher, ja sogar familiärer Beziehung auf. Er beruft aber nicht nur zu solcher Freundschaft beziehungsweise Gotteskindschaft, sondern er befähigt auch dazu. Allerdings gilt sein Wort: „Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. ” (Joh 15,12f).

Im folgenden geht es um einen Gott, der in konkreter Beziehung zu den Menschen stehen will, also auch zu jungen Menschen, der ihnen sinnerfüllte Lebensfreundschaft anbietet, der über die Grenzen unserer Endlichkeit hinausgeht und der ganz konkrete Lebens- und Liebesvorstellungen hat.

■ Nun einige Gedanken beziehungsweise Erfahrungen, die der Autor im Bereich des Religionsunterrichtes an einer Wiener AHS gemacht hat. Das Thema ist aktuell und immerwieder Zündstoff in Gesprächen mit Kollegen und Schülern. Teilnahme am Religionsunterricht muß nicht grundsätzlich mit dem im zweiten Abschnitt erwähnten Glauben an Gott identisch sein. Weil aber genau das einem überzeugten katholischen Religionslehrer ein Herzensanliegen ist, und vermutlich nicht nur einem Religionslehrer, erscheinen solche Überlegungen sehr sinnvoll.

Ablehnung von Autorität

Wie läßt sich feststellen, daß Jugendliche nicht an Gott glauben, also ohne Gott leben? Sicherlich nicht durch Abfragen von Unterrichtsstoffen oder Beteiligung am Unterricht. Gute Noten bedeuten nicht einfach guten Glauben oder gute Freundschaft mit Jesus.

Das kann auch identisch sein, wird sich sogar oft gegenseitig beeinflussen. Aus manch einem Gespräch in der Klasse und in der Schule ergibt sich dann, wie es um die tatsächliche Verbindung, Bindung oder Bindungslosigkeit mit beziehungsweise von Gott bestellt ist. In diesen Gesprächen kommt es meist sehr schnell zu einer Klärung, daß es Jugendliche gibt, die nichts mit Gott zu tun haben wollen. Was sie aber eigentlich sagen, läßt sich erst beim näheren Zuhören erfahren: das Lebensprogramm eines Jesus mag ja schön und gut sein, aber die Forderungen, die er aufstellt, kann ja kein Mensch einhalten. Und dabei geht es wirklich nicht ausschließlich um ^ie Fragen der Sexualität, der Ehe usw. So manch einer tut sich schwer, den Sinn von Geboten und Weisungen anzunehmen und in seinem Leben umsetzen zu wollen (das Können ist eine ganz andere Frage). Ablehnung von Autoritäten - vergleichbar mit Eltern und Vorgesetzten - läßt sich heraushören.

Zum anderen sprechen junge Leute auch davon, daß es diesen Gott nicht geben kann, der Liebe und Frieden auf seine Fahnen ge-* schrieben hat angesichts von ständigem zerstörerischem Haß und Krieg auf der Erde. Sie zweifeln ernsthaft daran und haben selten einen Zugang erfahren dürfen, was und wie dieser Gott wirklich zu verstehen ist.

Und schließlich ortet der Pädagoge im Schulbereich eine sehr kritische Haltung allem Institutionellem gegenüber, was sich meist ohne tiefere Reflexion auch auf die Kirche bezieht. In Bausch und Bogen wird dann Kirche und Gott über Bord geworfen. Begründungen wie Zwänge, Vereinnahmungen und anderes werden laut. „Jugend ohne Gott” läßt sich also nicht äußerlich an den Ju- I

gendlichen ablesen und wird auch nicht am Gewand plakatiert. „Jugend ohne Gott”, das heißt ohne Gottesbeziehung, das heißt ohne Gottesglauben begegnet auf unterschiedlichste Weise. In ihrer Lebensgestaltung weisen diese zum Teil sogar christliche Elemente auf und doch handelt es sich nicht wirklich um ein echtes christliches Handlungsprogramm.

■ Erstaunlicherweise berichten jedoch viele dieser Jugendlichen über ihre vielfältigen Freizeitbeschäftigungen, die längst nicht auf die Freizeit beschränkt bleiben. Diejenigen, die sich mit dem Gebet schwertun, weil es dort keine unmittelbare „Rückmeldung” gibt, erzählen im gleichen Atemzug von den stundenlangen Beschäftigungen mit dem Computer, Fernsehen, Sport. Die Verehrung und damit verbunden die Abhängigkeitsverhältnisse erinnern an das goldene Kalb der Bibel, das sich die Israeliten machten, weil sich ihr Gott nicht schnell genug wiedergemeldet und der Mittelsmann die Geduldsprobe der Seinen offensichtlich überdehnt hatte. Der eine Gott schwindet im Bewußtsein einiger Jugendlicher zugunsten einer Fülle von neuen Gottheiten.

Das Irdisch-Faßbare scheint die Dimension des Ewigen im Leben der nach Wissen, Lebenserfahrung und Wirtschaftlichkeit jagenden Gesellschaft zu verdrängen. Kein Wunder, daß das Vorbild der Erwachsenen im Jugendbereich nachempfunden und kopiert wird.

Anziehung des Magischen

Bei manchen Jugendlichen wiederum, die sich einer über das oberflächlich Irdische hinausgehenden Dimension ihres Lebens bewußt sind, und doch nicht an einen persönlichen Gott glauben können, gibt es Bestrebungen in eine andere Welt hinein, die von magischen Begebenheiten und Persönlichkeiten geprägt ist. Daß diese andere Welt im Unterschied zum christlichen Welt-und Menschenbild drogenartig die Realität der großen und kleinen Welt nicht mehr voll erfassen läßt, wird leider erst sehr spät erkannt.

Schließlich scheint es Jugendliche auch deshalb „ohne Gott” zu geben, weil sie selbst so seljr an sich glauben, daß kein anderer daneben Platz hat. Dieses übersteigerte Selbstbewußtsein führt aber immerwieder zu einer Selbstüberschätzung, die zunächst Mitschüler und Lehrer, dann aber auch die Betroffenen selbst als negativ empfinden, aber schwer aus ihrer Isolation alleine herauskommen. Die zunächst beschworene wahre Menschlichkeit

verkehrt sich leicht. Nicht selten gibt es auch in Klassen kleine Tyrannen beziehungsweise negative Abhängigkeitsverhältnisse.

Das Klima verbessert sich

■ Die wenigen Schlaglichter aus den Erfahrungen eines Schulalltags wären unbedeutend, würden sie nicht etwas über Gefahren oder Chancen der Jugendlichen aussagen. Ohne in die eingangs kritisierte Pauschalierungssucht zu verfallen, gibt es doch gewisse auffällige Gemeinsamkeiten: Auch in einem öffentlichen Gymnasium wird das Klima im wahrsten Sinne des Wortes menschlicher, wo Schüler und Lehrer einen Zugang zu Gott gefunden haben. Nicht daß es hier nur Heilige gäbe. Aber die Fähigkeit zu einem von freundschaftlicher und damit friedvoll-versöhnender Atmosphäre geprägten Klima kann in dieser Weise zusehends wachsen.

Aus den abschließend angeführten Stellungnahmen von 14jährigen zum Thema „Tod - und was gibt's danach?” mag sich der Leser selbst eine Einschätzung bilden - bitte kein Urteil, denn Verurteilungen nehmen die Möglichkeit, Jugendliche wirklich zu verstehen und sie in ihrem Suchen und Fragen, gerade auch nach Gott, weiterzuführen:

„Im Gedanken an meinen eigenen Tod empfinde ich sowohl Angst, Leere und auch Erlösung. Danach ibt es wahrscheinlich nichts mehr, ch denke, wenn man einmal tot ist, dann bleibt man das auch. Die Verstorbenen leben in Gedanken ihrer Angehörigen weiter. Vielleicht lebt die Seele irgendwo in den Weiten des Weltalls weiter. Aber irdisches Leben, so etwas, was man normalerweise unter lieben versteht, gibt es nach dem 1 od nicht mehr.”

Oder: „Wenn ich Angst hätte vor dem Tod, müßte ich die ganze Zeit Angst haben. Ich würde nur nicht gern im Krieg sterben, in dem man mit Kugeln durchlöchert wird. Vor dem Krieg habe ich Angst. Ich stelle mir aber den Tod nicht sehr toll vor. Ich bin zwar katholisch, trotzdem glaube ich nicht an das Leben nach dem Tod - aber an Gott.

Ich glaube, daß der tote Mensch irgendwie spürt, daß man noch an ihn glaubt und ihn liebt. Das wird auch durch die Blumen am Grab ausgedrückt.”

„Jugend ohne Gott”? Diese Frage wird zur Lebensfrage. Die Offenheit vieler Jugendlicher trägt zu einer wirklichen Beantwortung bei, einer Offenheit, die manchen Erwachsenen verlorengegangen scheint. Der Autor ist

AUS-Professor und Kaplan in Wien.

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