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Gegen Gott, ohne Gott, mit Gott

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FILM

WENN SICH RELIGION UND EILM BE- BEGNEN, so ist diese Begegnung nicht etwa nur eine faktische, zufällige; nein, Film und Religion gehören zusammen, intern bedingt. Denn alle Kunst entspringt irgendwie der Religion, dem tiefmenschlichen Bedürfnis einer sinnfälligen Darstellung des Uebersinnlichen. Des Filmes historische Wiege stand jedoch nicht in einer Kirche, sondern eher auf dem Jahrmarkt. Daher mußte er, sobald und in dem Maße, als er sich zur Kunst entfaltete, das nachholen, was seinem profanen Ursprung mangelt: er mußte aus interner Notwendigkeit eine Verbindung zur Uebernatur suchen.

Die folgenden Filmkategorien kennzeichnen die Etappen dieses Weges; Filme gegen Gott, Filme ohne Gott, Filme mit Gott.

UM EIN HAAR hätte sich das Kapitel „Filme gegen Gott" sparen lassen können. Denn direkt und offen antireligiöse Filme jener Art, wie sie schon 1898 W. Paul in England mit seinem Film „Die Mönche" eingeleitet hat, sind wenigstens in der freien Welt außer Mode gekommen. Nun hat sich aber gerade in diesen Monaten ein Fall zugetragen, der hier nicht übergangen werden kann. In Tokio fischte die Polizei am 10. März dieses Jahres die Leiche eines ermordeten Mädchens auf. Die ersten polizeilichen Nachforschungen ergaben, daß das Mädchen katholisch getauft und erzogen und eine Zeitlang in einem katholischen Waisenhaus angestellt gewesen war, dessen Rektor, einen belgischen Salesianermissionär, es kurz vor dem Tode besucht hatte. Mehr brauchte es nicht, um ein antikatholisches Sensationsblatt zp veranlassen, den Verdacht auf den Missionär zu lenken. Die Untersuchung endete jedoch mit einer einwandfreien Entlastung des Paters.

Nun sieht plötzlich eine kleine Filmfirma die Chance ihres Lehens und dreht Hals über Kopf einen Film, der sich zwar in einem Vorspruch dagegen verwahrt, mit der obigen Geschichte etwas zu tun zu haben, im übrigen aber haargenau ihre Tatsachen übernimmt und den Priester glattweg als Mörder hinstellt. Die Premiere lief am 4. Oktober gleichzeitig in mehreren größeren Kinos der japanischen Hauptstadt an. Und mit der Premiere kam das Wunder; die Kinos blieben leer. Nach fünf Tagen mußte der Film abgesetzt werden.

Reichere Ernte könnten wir halten, wenn wir neben dem gewollt antireligiösen Film zwei Abarten berücksichtigen würden: den Film mit spöttischen Seitenhieben auf Religion, Kirche und kirchliche Persönlichkeiten und den Film, der zwar ins Transzendente hinübergreift, aber nicht echte Religion, sondern Religionsersatz bietet, wie das Seltsame, Okkulte, Mysteriöse einer Welt von Teufeln, Hexen und Gespenstern.

WEITAUS ZAHLREICHER sind die Filme ohne Gott. Ist es nicht eigenartig, daß sich fast leichter gute, direkt religiöse Filme finden, als solche profanen Charakters, in denen Gott und die Religion einfach jenen Platz haben, der ihnen im wirklichen Leben der handelnden Personen zukommt?

Man verstehe die Katholiken recht! Sie verlangen keineswegs, daß jede Filmdiva an goldener Kette ein Kreuz am Halse trage, daß vor jeder Mahlzeit ein Tischgebet gesprochen werde, daß in jedem Zimmer ein Kruzifix prange. Religiöse Dinge dürfen nicht zu Requisiten herabgewürdigt werden. Sie gehören nur dann in den Film, wenn ihre Präsenz einen von der Handlung oder dem Milieu her bedingten Sinn hat und damit zur Aussage beiträgt, so zwar, daß ihre Abwesenheit ein Fehlen, eine Lücke bedeuten würde. Das aber hängt in hohem Maße von der Art des betreffenden Filmes ab. Würde beispielsweise ein süddeutscher oder österreichischer Heimatfilm, hei dem ja Landschaft und Milieu die eigentliche Rolle spielen, im Verlauf der Handlung alle Räume eines Hauses zeigen, ohne uns einen Blick auf den

Herrgottswinkel zu gestatten, so wäre das irgendwie eine Lücke, die kaum ohne Absicht unterlaufen kann. In einem amerikanischen Bewegungsfilm hingegen oder in einem spreng gerafften psychologischen Werk der französischen Schule jenes Stils, wo jedes Detail in die Aussage einbezogen ist und die Handlung weitertragen muß, kann die Präsenz des Religiösen mitunter sogar ein Stilbruch sein.

Das Fehlen des religiösen Momentes, wo es der ganzen Anlage des Filmes gemäß hingehörte, ist besonders peinlich, wenn es um die großen Wendepunkte des Lebens geht: Geburt, Heirat, Tod, oder um schwerwiegende Entschlüsse.

Das lenkt zu einer wichtigen Feststellung über. Der Film ist nicht nur Lehrer und Wegweiser der modernen Menschheit; er ist zuerst und vor allem Spiegel der jeweiligen Zeit. Wenn nun in zahllosen, um nicht zu sagen in fast allen Filmen das Religiöse so auffällig fehlt oder nur als angeklebtes Requisit eine Art Statistendasein fristet, und wenn so viele Filmschaffende diese Lücke gar nicht spüren, unsere Forderung nicht verstehen oder sie in so offensichtlich falscher und kitschiger Weise zu erfüllen suchen, so ist wohl die Frage berechtigt: Wie steht es denn in der Wirklichkeit mit der Präsenz des Göttlichen im Alltag der menschlichen Gesellschaft? Sind wir vielleicht mehr ent- christlicht als wir ahnen, als wir es dem Film gegenüber wahrhaben wollen? Und liegt nicht die Schuld mehr an dieser entchristlichten Wirklichkeit als an dem Spiegelbild des Films?

IN DER DRITTEN GRUPPE, des Filmes mit Gott, also des dirqkt reljgiösen Filmes, stoßen wir früh auf den religiös-historischen und hier, besonders den Bibelfilm.

Auf die Gefahr hin, von manchen Nur-Kriti- kern gesteinigt zu werden, möchte ich einmal ganz vorsichtig feststellen, daß die europäische katholische Kritik meiner Meinung nach allzu hart mit diesen Filmen umzugehen pflegt. Ich möchte keineswegs leugnen, daß es dieser Schule des Religiös-Grandiosen am wirklich religiösen Anliegen, am Begriff für das Transzendentale, am Sinn für das Mysterium fehlt. Wie ganz- anders aber urteilt der Mann von der Straße darüber! Und diese Diskrepanz ist gefährlich für unser Urteil als Intellektuelle, wo es sich um eine Volkskunst handelt wie beim Film. (Ich kann mir vorstellen, daß der gelehrte Theologe des Mittelalters wenig für die naiven Passionsspiele des Volkes seiner Zeit übrig gehabt hat )

Der biblische Monumentalfilm hollywoodscher Prägung bewegt sich durchweg an der Oberfläche des religiösen Geschehens, zeigt den Rahmen auf, beleuchtet die Kultur, die Geographie, in der sich das biblische Ereignis abgespielt hat, bringt uns die Personen und Ereignisse irgendwie menschlich näher; an dem eigentlich Religiösen geht er meistens vorbei. Aber auch der Rahmen hat seine Bedeutung, so wie das Studium eines Volkes die Kenntnisse auch seines Lehensraumes voraussetzt. Man mag also, wenn man will, dem US-Bibelfilm den Titel „Religiöser Film“ im engeren Sinn abstreiten; sein Wert aber wenigstens als Vorstufe, als Rahmen, in den sich die anderweitig erworbene religiöse Kenntnis einbauen läßt, läßt sich nicht ohne weiteres leugnen.

ENG VERWANDT mit dem religiös-historischen Film ist der religiös-biographische Film, der uns das Leben und Wirken der heiligen oder heiligmäßigen Gestalten unseres Glaubens sowie der großen Männer der Kirche aus Vergangenheit und Gegenwart nahebringen will.

Zwei schwerwiegende Forderungen müssen an jeden Heiligenfilm gestellt werden: er muß historisch echt sein, denn der Heilige hat wirk-

lieh einmal gelebt; und er muß das Transzendente und also grundsätzlich und an sich Undarstellbare mit darstellerischen Mitteln sichtbar werden lassen. Kein Wunder, daß nur wenige Heiligenfilme allseits befriedigen. Trotzdem haben einige wenige das schier Unglaubliche wahrmachen können; „Monsieur Vincent“, „Das Lied der Bernadette“ und „Himmel über den Sümpfen“ — in Vorbereitung sind zwei Filme über, Ignatius von Loyola und Vinzenz von Paul.

IM RELIGIÖSEN ZEITFILM unterscheide ich wieder drei Gruppen Religiös-sozial nenne ich jenen Film, der sich eine der verschiedenen Manifestationen des Religiösen im menschlichen Gesellschaftsleben zum Thema nimmt. So etwa religiöse Zeremonien, kirchliche Personen, religiöse Motive, welche die zwischenmenschlichen Beziehungen so oder so gestalten. Am zahlreichsten finden sich in dieser Kategorie die Priester- und Nonnenfilme vor. Fast ausnahms los sind diese Filme jüngeren Datums und stammen aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg.

Der religiös-physiologische Zeitfilm hat, obwohl sein Thema das offenbar schwierigste und unfilmischeste ist, gerade auf seinem Gebiet die besten religiösen Leistungen aufzuweisen. Frankreich ging hier voran, Deutschland, England und Amerika folgten nach. Aus Mexiko kam mit dem diesjährigen Festival von Cannes das eigenartigste und eigenwilligste, das rücksichtsloseste und kompromißloseste religiöse Drama der Nachkriegszeit, „Nazarin“ von Luis Bunuel.

Der Philosophie unserer Zeit eng verwandt ist schließlich der religiös-phänomenologische Film, der neorealistische Film in seiner Anwendung auf das Religiöse. Geht bei dem historischen, dem sozialen, dem psychologischen Film die Idee voraus, während die filmische Realität gewissermaßen als Mittel zum Zweck um diese Idee herumgelegt wird, so will man hier die nackte und ganze Wirklichkeit, die Dinge und die Ereignisse mit der ganzen farbigen Vielfalt auch ihrer scheinbar zwecklosen Details einfangen und für sich selbst reden lassen, wobei es dem Zuschauer anh ‘111 gestellt bleibt, ob und welche Deutung er den Dingen geben will. Irgendwie entspricht die Geisteshaltung dieser Schule auf dem Gebiete des Films der phänomenologischen und der existentialistischen Philosophie. Bekannt sind vor allem die eklatanten Erfolge der italienischen neorealistischen Schule.

Ein Beispiel recht glücklicher Anwendung dieser phänomenologischen Arbeitsmethode auf den religiösen Film bietet der italienische Film „Himmel über den Sümpfen“ über das Leben der heiligen Maria Goretti. Wenn besonders von fromm-katholischer Seite diesem Film das Fehlen einer Stellungnahme zu den treu beschriebenen Ereignisse vorgeworfen wurde, so zeigt das nur, daß man seine streng realistische bzw. phänomenologische Konzeption weder erkannt noch verstanden hat. Auch andere Filme gehören hierher, etwa „Der verbotene Christus“ von Malaparte, der umstrittene Franziskusfilm „Francesco Giulare di Dio“ u. a.

WAS ERGEBEN SICH FÜR SCHLUSSFOLGERUNGEN DARAUS?

1. Eine empfindliche Lücke im religiösen Film unserer Tage: Die verschiedenen Gattungen haben uns Heiligenfilme. Filme über Priester und Ordensfrauen geschenkt. Keine aber, vielleicht mit Ausnahme des deutsch-österreichischen Films I „Der veruntreute Himwel“J? zeigt uns den christlichen Laien InmitteÄ “eHir ihm eigenen, vielgestaltigen Probleme, die er, in der Welt lebend, aus seiner religiösen Ueberzeugung heraus zu lösen hat. Diese Lücke ist besonders bedauerlich in einer Periode der Kirchengeschichte, die den Laienstand in seinem Bezug zum Religiösen so stark zu revalorisieren sucht.

2. Der religiöse Film in einer wirklich befriedigenden Form ist möglich.

3. Seien wir nicht übertrieben anspruchsvoll! Nicht so anspruchsvoll, daß unsere Forderungen den religiösen Film glattweg entmutigen müßten. Es wäre zu wünschen, daß die katholische Kritik etwas weniger brutal mit jenen bescheidenen Filmen umginge, die, ohne Anspruch auf hohe Kunst zu erheben, dennoch einem breiten Publikum gewisse religiöse Werte näherbringen können.

4. Der religiöse Film wird wirklich religiös erst durch den religiös eingestellten Zuschauer.

5. Das eigentliche und vordringlichste Problem bleibt nach wie vor, neben dem religiösen Film Gott in den Film überhaupt, in den alltäglichen. allgemein menschlichen Film zurückzuführen.

6. Abschließend - was nun? Vielleicht einmal eine zuwenig beachtete Forderung der Enzyklika „Miranda prorsus“ verwirklichen: daß nämlich die katholischen Filmstellen der Produktionsländer mit allen Mitteln einen lebendigen Kontakt mit den Filmschaffenden suchen und ihnen Gelegenheit geben, „ihr geistiges Leben zu nähren und zu vertiefen". „Vor allem aber“, so fährt der Heilige Vater fort, „sollte man in diesem Zusammenhang besondere Sorge der christlichen Bildung junger Menschen widmen, die das Filmschaffen als Beruf erwählen wollen “

Wir alle aber können wirksam zur Wieder- verchristlichung des Films ebenso wie zur Förderung des spezifisch religiösen Films beitragen, indem wir durch unseren Besuch einen Markt für diese Filme schaffen. Ich brauche nur auf ein geflügeltes Wort hinzuweisen, das, soviel ich weiß, gerade in Oesterreich zum erstenmal gebraucht wurde: Jede Eintrittskarte ist ein Stimmzettel für den guten oder den schlechten Film.

Die obigen Ausführungen sind ein Auszug aus dem Vortrag des Verfassers auf dem Eröffnungsabend der VI. Internationalen Festwoche des religiösen Films am 19. November 1959 im Vilmsaal der Albertina zu Wieu.

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