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IM SPIEL DES LICHTES

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Alle zwei Jahre wird das Apollo-Theater in Wien eine Woche lang zu einem Zentrum des religiösen Films aus aller Welt. Die „VIII. Internationale Festwoche des religiösen Films“, die heuer in der Zeit vom 15. bis 21. November von der Katholischen Filmkommission für Österreich veranstaltet wurde, gab nicht nur eine Bilanz über das derzeitige religiöse Filmschaffen, sondern zeigte auch die ganze Vielfalt der Möglichkeiten auf, wie die Existenz Gottes und der Glaube in der so sehr säkularisierten und vielfach dämonisierten Welt des Films dargestellt werden kann.

7 wei Filme unternahmen es, biblische Geschehnisse wie- " derzugeben. „Der ägyptische Josef“ aus Israel war ein origineller und größtenteils geglückter Versuch, diese alttestamentarischen Begebenheiten in einem Farbfilm durch archaisch stilisierte Puppen, die alles Menschlich-Realistische auf ein Mindestmaß reduzierten, wiederzugeben. Es war ein köstliches Erlebnis, der eigenen Phantasie weiten Spielraum einräumend, und ein durchaus legitimes Experiment, vor allem durch alte Gesänge und eindrucksvolle Musikuntermalung wirksam der Erhabenheit des Stoffes angepaßt.

Der zweite Film versuchte eine psychologische Deutung der wohl tragischesten Figur des Neuen Testaments, des Apostels und Verräters Judas Ischariot. „Einer wird Mich verraten“ war eine spanische Produktion, die trotz mancher historischer Freizügigkeiten bemüht war, die Geschichte von Christi Erdenleben dezent nachzuerzählen und der breiten Masse des Publikums durch emotionelle Momente entgegenzukommen. Sicher wirkt manches süd- ländisch-theatralisch, doch war der Ernst zu spüren, mit dem das Problem des Judas behandelt wurde.

Carl Theodor Dreyers „Dies i r a e“ ist ein „Schuld-und- Sühne“-Drama, in dem menschlicher Haß und Vorurteil im Hexenwahn jener Zeit kulminieren. Das religiöse Moment kam erst in der zweiten Schichte des Films zum Ausdruck, in der Verankerung des menschlichen Gewissens in Gott, der allein Herr über Leben, Tod und Ewigkeit ist. Es war ein harter und unbarmherziger Film, der sein Publikum nicht schonte und alle Düsternis der ewig neue Verstrickung zeugenden Schuld schockierend aufzeigt. Der Film entstand bereits 1943 unter den Augen der deutschen Besatzungsmacht, er kann auch als Anklage gegen alle dunklen Mächte, die die Menschen willkürlich diskriminieren und verurteilen, interpretiert werden. Statuarisch und wuchtig in seiner formalen Gestaltung und großartig in der Schauspielerführung, verriet dieser Film die sichere Hand des großen Meisters der Regiekunst.

Įlobert Bressons „Le pr.ocė.s de Jeanne d'Arc“, dessen Dialog aüs den originalen Prozeßakten dieses kirchlichen Prozesses stammte, verzichtete in einer geradezu asketischen Weise auf alle filmischen Effekte, die Gefühl und Auge ansprechen. Alles Nebensächliche wurde weggelassen und auf diese Weise ein Mensch in den Mittelpunkt gestellt, der auch angesichts des Todes in letzter menschlicher Verlassenheit

nur seinem Gewissen und Gott verpflichtet ist. Die geradezu antike Einfachheit des filmischen Hintergrundes ließ dieses Drama zu einem Erlebnis voll unerhörter geistiger Spannung und Dichte werden, vor allem auch durch die best-

mögliche schauspielerische Interpretation. Florence Carrez, eine Studentin aus Paris, vollbrachte eine eindringliche schauspielerische Meisterleistung.

Drei Filme der Woche befaßten sich mit den Problemen des Glaubens in unserer Zeit. In heiter-gelöster Form der köstliche amerikanische Streifen ''liTTiern auf dem Felde“ („Lilies of the field“), der einen herzličtiėn Optimismus verbreitet und einen praktisch gelebten Glauben vor Augen führt. Der Film will weniger Probleme aufwerfen als — in echt amerikanischer Art — mehr vom Gemüt her überzeugen. Der Film ist ein Bekenntnis des Glaubens auch in unserer Zeit, ein Zeugnis der Brüderlichkeit zwischen

Menschen verschiedener Rassen und Konfessionen. Unvergeßlich wird allen Besuchern der Vortrag des alten Spirituals „Amen“ bleiben.

Wesentlich gewagter, zwiespältiger und problematischer war der 1959 entstandene Film von Luis Bunuel „N a z a r i n“ („Nazario“) aus Mexiko. Ein Priester der Armen, der in bewußter Christusnachfolge den Kreuzweg der

Verkennung und Verhöhnung, Erniedrigung und Ablehnung geht — wohin? Der Film läßt eine mehrfache Deutung des Schlusses zu. Nazarino wird als Gefangener, von den kirchlichen Behörden als unbequemer Außenseiter fallengelassen, eine Straße entlanggeführt. Eine Bäuerin bietet ihm eine Ananasfrucht an, die er zuerst zurückweist, sich jedoch dann besinnt und annimmt. Eine einfache Geste, fast banal, aber bei einem Regisseur wie Bunuel sicher nijßjjt zufällig an den Schluß gestellt. Wird dieser Priester seinerp Weg der Nächstenliebe, der sich als 50 sinnlos erwiesen hat, weitergehen, jene bedingungslose Christusnachfolge? Der Film legt überraschenderweise eine positive Deutung nahe. Es fehlt die erwartete aggressive Verurteilung eines religiösen Lebens, wie etwa bei „Viridiana“, wobei auch dort nicht die Caritas an sich ad absurdum geführt wurde, sondern nur diese überspitzte, mißverstandene und exzessive Form der Liebestätigkeit, die jeden natürlichen Bezug verloren hat. Es war ein harter und problematischer Film, der zu ernsthaften Diskussionen anregen wird, wo immer er gezeigt wird, der aber durchaus als religiöser Film bezeichnet werden kann, da er sich mit religiösen Fragen ernsthaft auseinandersetzt.

Der sicherlich anspruchsvollste Film der Woche aber war „Licht im Winter“ („Nattvardsgästerna“) des großen Schweden Ingmar Bergman, der damit erstmals in einer religiösen Filmfestwoche in Wien zu Worte kam. Es geht um die Frage nach Gott und den Glauben an Gott, den ein Pastor verloren hat und um den er nun ringt, bis er zuletzt aus dem Munde eines schlichten Kirchenmesners die Antwort erhält. Auch Christus hatte in der Ölbergstunde diese letzte Verlassenheit gespürt, Er, Gottes Sohn, brach in die Worte am Kreuze aus: „Gott, mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?“ Der Mensch wird Gott nie begreifen und ermessen können, zu Ihm führt nur der Glaube.

Die internationale Jury der VIII. Internationalen Festwoche des religiösen Films verlieh den Preis für den besten Spielfilm dem schwedischen Film „Licht im W i n t e r“, „weil dieser mit religiösem Ernst eindringlich gestaltete Film richtungweisende Antwort auf die Frage nach dem Schweigen Gottes und dem Leid der Verlassenheit enthält“. (Wortlaut der offiziellen Begründung der Preisverleihung.)

Von den sieben Kulturfilmen erhielt der indische Streifen „Jain temples of India“ („Indische Tempelkunst") den Preis. Neben diesem verdient auch noch der erschütternde Streifen aus Berlin „Kirche in geteilter Stadt“ Beachtung, während die anderen Kurzfilme weniger bedeutsam waren. Der weitere deutsche Beitrag „Taufe in der Osternacht“ war trotz bemühter formaler Gestaltung zu kühl und unbeteiligt an dem Geschehen der Erwachsenentaufe. Die minuziöse Abfolge der liturgischen Zeremonie ließ kaum Platz für eine echte Osterfreude.

Eine begrüßenswerte Neueinführung dieser Festwoche waren die Diskussionen nach den ersten beiden Vorführungen jedes Tages in den manchmal überfüllten Gesellschaftsräumen des Apollo-Theaters, die den Besuchern die Möglichkeit gaben, über den eben gesehenen Streifen zu diskutieren. Diese Aussprachen verliefen durchweg sachlich und interessant und trugen viel zur Vertiefung des Gehalts der einzelnen, oft sehr schwierigen Filme bei. Es war ein ausgesprochen geglücktes Experiment, das sicherlich in den kommenden Festwochen wiederholt werden wird.

Auch der äußere Erfolg der Festwoche war beachtlich. Insgesamt besuchten über 15.000 Menschen die Vorstellungen, zehn waren gänzlich ausverkauft, und die Durchschnittsbesucherfrequenz der Woche betrug über 82 Prozent

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