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Die Jugend und das Laienspiel

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Die Jugend, die während des Krieges in den entscheidenden Jahren der Entwicklung stand, kannte keinen unbeschwerten Frohsinn, keine Feste; in einer Welt, die von Krieg, Todesqual,' Jammer und Haß beherrscht wurde, empfingen die jungen Menschen ihre Eindrücke. Ihnen wieder Freude zu geben, ihnen zu zeigen, wie sie selber ihre Feste feiern können, ist eine wichtige Forderung, deren Erfüllung allen am Herzen liegen muß, die an der geistigen Aufrichtung der neuen Generation teilhaben.

Nach dem ersten Weltkrieg erstand aus dem Elend eine Jugend, die mit ihrem eminenten Spieltrieb an der Wiedergeburt des deutschen Theaters einen wesentlichen Anteil hatte. Verschiedene begeisterte Wandertruppen errangen in schlichten Sälen ungeahnte Erfolge, selbst Kirchen öffneten sich ihrem Spiel. Die Mysterien, die sie aufführten, waren uraltes Volksgut. In den mittelalterlichen Totentänzen oder dem Paradiesspiel lag der dramatische Keim, die theatralische Urzelle eines neuen, zukünftigen und fortschrittlichen Theaters.

Schon einmal, von der Mitte des 16. Jahrhunderts an, hat die Jugend eine wichtige theatralische Mission erfüllt. Die Jesuiten, die das Schuldrama als wirksames Er-ziehungs- und Kampfmittel übernommen haben, verbesserten mit bewundernswertem praktischem Theaterblick das System der Gelehrtenschaubühne. Die Schüler, die mitunter wenig schauspielerische Begabung zeigten, wurden von ihren Regisseuren, wenn man die Erzieher so nennen darf, auf das exakteste geführt, jede Bewegung, jeder Tonfall wurde durch lange Übung festgesetzt, und vor allem legten sie auf Ausarbeitung, auf wirklichkeitsechte Menschengestaltung größten Wert. Dadurch rückte die Laienbühne von der platten Typisierung des zeitgenössischen Komödiantentums ab und strebte nach Charakterisierung. Dieser Fortschritt in der Menschendarstellung blieb natürlich nicht ohne Einflüsse auf das Berufstheater. In der absdiließenden Schrift des Pater Franziskus Lang aus dem Jahre 1727, „De arte scenica“ (Über die dramatische Darstellung), erfahren wir.mit größter Genauigkeit, wie die Schüler geführt werden müssen, es ist vielleicht das erste Lehrbuch der Schauspielkunst.

Die Stoffe der Jesuitendramen wurden gelegentlich dem Alten Testament, am liebsten aber der Heiligenlegende entnommen: In Avancins „Kaiserspiel“ und in dem in dramatischer Wucht sich steigerden Werk „Zenodoxus“ von Jakob Bidermann gewann nicht nur ein neuer Formwille Gestalt, sie sind auch durdisetzt und umwoben von dem ganzen schönen Pomp der barock geschauten altbiblischen oder antiken Welt.

Neben den Jesuitendramen waren es während und nach dem Dreißigjährigen Krieg auch fahrende Studenten, Wanderbühnen der Schulen und Klöster in Deutschland, wo es kaum noch oder kaum erst stehende Theater gab, die die theatralische Tradition gewahrt und den Sinn für die Schauspielkunst, Darstellung, festliche Erhöhung weltlichen Gesellschafts- und Gemeinschaftsleben gerettet habjn.

Mochten die gespielten Stücke oftmals wertlos sein und plumpen moralischen, geistlichen oder rein unterhaltenden Tendenzen entspringen, ihr Spiel schlug eine Brücke zum heutigen Kunsttheater. Erst mit der Einrichtung ständiger Bühnen in fast allen Städten wurde das Jugend- und Laienspiel zu einer Vereinseinrichtung und mehr oder weniger eine Nachahmung der Berufstheater. Das sogenannte „Liebhabertheater“, das sich daraus entwickelt hat, bewegt sich in erschreckenden Niederungen und ist bis zum heutigen Tage von der „Salonkomik“ nicht mehr abgewichen. Sobald Dilettanten etwas Ernsthafteres spielen, vergreifen sie sich in der Wahl der Stücke.' Sie wagen sich an Tragisc es, mit Vorliebe an Schiller oder, wie kürzlich eine Jugendbühne in Wien, gar an den „Faust“. Dabei verfallen sie selbstverständlich in Sentimentalität und falsches Pathos, und sie kommen nicht über die schlechte Nachahmung, über Kulisse, Kostüm, Deklamation und persönliche Eitell.eit hinaus. *

Im Gegensatz zum Diilettantentheater wird das Wesen des Laienspieles dadurch bestimmt, daß das Spiel Selbstzweck ist und eine festliche Form, in der man sich außerhalb des eigentlichen Berufslebens zusammenfindet. „Der Laienspieler setzt an die Stelle schauspielerischer Routine seine leidenschaftliche Ergriffenheit. Nicht auf die Leistung kommt es an: auf die Treue ... Die Hingabe der Spieler an das Spiel ist Sinn des' Laienspieles, nicht der künstlerische Zweck ...“ So umriß der Leiter des „Mündiener Jugendringes“ Rudolf Mirbt den Aufgabenkreis des Laienspieles. Das Wort „Laie“ bezeichnet in diesem Zusammenhang nicht den Gegensatz zum Geistlichen, sondern den zum Berufskünstler. Und in diesem Sinn kann das Laientum an der Erneuerung der Kunst mitarbeiten, ohne in zünftiger, handwerksmäßiger Artistik zu verenden. Vielfach drängt das Laientum zum Beruf. Aber nur wenn es ein reines, unzunftmäßiges, unhandwerkliches, strenges Darstellertum aufbaut und das aus ihm geborene neue Schau-spielertum versucht, Kirche und Theater, kultisches und weltliches Theater, Tragödie und Mysterium in freiem Spiel — als Spiel schlechthin — zu versöhnen, dann erst erfüllt es seine höhere Aufgabe und wird zu einer schaffenden Kraft unserer Zeit im Kampf gegen den Materialismus.

Die Jugend hat sich, wenn sie Theater spielt, in erster Linie darüber klar zu werden, was sie kann und was sie nicht kann. Das Charakterspiel und die eigentliche Sprechkunst sind ihr im allgemeinen versagt. Dagegen besitzt sie, weit mehr als das reife Alter und das Berufss^hauspielcrtum, die Fähigkeit zur Körperbewegung. Wenn nun die jungen Menschen, die sich ihre Feste selbst gestalten wollen, ihr Bewegungs- und Raumgefühl ausbilden, das Spiel vom Tanz, von der bewegten Gruppe aus anfassen, dann können sie für die Neubildung und den Aufbau des Laienspieles vorbildlich und richtunggebend werden. Mit dieser natürlichen Bewegungskunst lernen sie aber auch die Sprache behandeln, denn das dramatische Wort beruht auf Muskelbewegung, auf Atem und Herz, es braucht als Resonanz den ganzen bewegten Körper. Diese Entdeckung wird die Laienspieler dazu führen, die Bühnenhandlung als symbolische Handlung zu erkennen. Sie werden Raum und Bewegung als die elementaren Gesetze alles Bühnenspiels entdecken, während das heutige Berufstheater nur noch Milieu und Mimik kennt. Wichtig ist, daß die Jugendspielgruppen von der Kraft eines nicht mehr jugendlichen, sondern männlich-reifen Regisseurs geleitet werden, der diese Gesetze erkannt hat und die jugendlichen Spieler den gewiesenen Weg führt. Wir können von der Jugend nicht erwarten, daß sie' uns die neue dramatische Form schenkt, die wir uns ersehnen, noch kann sie ohne Schulung und strenge Anleitung Theater spielen, aber sie kann trotzdem schöpferisch sein; es ist ihr herrliches Vorrecht, jederzeit mitschaffen zu können. Gerade jetzt, wo viele Theater, durch äußere und innere Not bedrängt, nicht leben und nicht sterben können, erwächst dem theatralischen Laienspiel der Jugend eine wichtige Aufgabe. Die Jugend darf diesen Augenblick nicht verkennen oder versäumen. Sie muß dem Theater Raum und Bewegung zurückerobern, indem sie die Würde des Wortes wiederfindet: Wenn sie diese schönste und reinste Bestrebung erfüllt, dann hat sie viel, sogar ungeheuer viel für die Theaterkunst geleistet.

Was sollen die Laiensp^elleiter aufführen? Diese Frage ist natürlich, kann aber heute, nachdem der Nationalsozialismus in den elf Jahren alle derartige Literatur verbannt hat, schwer beantwortet werden. Sehen wir uns einmal die Situation nach dem ersten Weltkrieg an, da die Jugendbühne in höchster Blüte stand. Damals schuf Leo Weißmantel mit einer Dorfgemeinde in der Rhön ein frommes Spiel und ließ in e'nei mittelalterliehen Kirche einen Totentanz unserer Zeit aufführen. Bernd Isemann erfaßte in einem großen dreiteiligen Christusdrama den Christus der Kirche, ohne ihn „psychologisch“ zu vermenschlichen und den Wundern des Glaubens zu entreißen, mit den menschlichen Bezügen der heutigen Bühne. Kaum eine Bühnengattung pflegte man und pflegt man heute noch so vielfach, wie die des Weihnachtsspieles. Altes wurde zu letzter Bühnenform zusammengefaßt, wie „Gottes Kind“ von Emil Alfred' Hermann oder das archa-, istisch nachgeahmte „Krippenspiel“ von Rudolf Borchardt. Auch ganz Neues wurde geschaffen in dem Vorspiel von Isemanns Drama und in Hans W.1 Fischers „Die Wandlung zur Krippe“, wo das Eigene sich um überkommene Märchen und Lieder, Rätsel und Reigen schlingt.

In unserer Heimat ist es der Dichter Max Meli, der als Sdiaffender das Erbe österreichischer Kunstkräfte weiterführt: die gotisch-mittelalterlichen, wie die barocken. In seinem erschütternden „Wiener Krippenspiel 1919“ ist die entsetzliche Welt der Zeit nach dem ersten großen Krieg mit himmlischer Glorie verklärt. Die Frömmigkeit der Alpenbewohner wurde von Meli im Halleiner Weihnachtsspiel mit feinem Verständnis herausgearbeitet. Wie nahe kommen uns diese einfachen Werke, wenn ein Dichter ihre innere Schönheit behutsam ans Licht hebt. Die aus dem alpen-ländischen Volksgemüt quellenden Lieder, die naiven, bald innig frommen, bald harmlos munteren Dialoge von Hirten- und Krippenspielen, durch Dichter wie Max Meli und die wenigen anderen, mit dem Volk in seinem höchsten Begriff' innerlich vertrauten Dichter dramatisch zu bearbeiten, wäre eine wichtige Kulturaufgabe. Der in den alpenländisrhen Spielen aufgespeicherte Reichtum ist ungeheuer, und diese Spiele der Jugend zu schenken, damit sie sie in ihrer Festgestaltung aufnehmen können, müßte allen denen am Herzen liegen, die sich mit der Führung der Jugend befassen. Dann würde das Laienspiel seiner eigentlichen Mission gerecht werden: den verschütteten Weg zu echter Volkskunst, die nichts mit den Talmifiguren in gewissen Bauernstücken gemein hat, freizulegen. In ' erlebter Schau, die zutiefst im Volke verwurzelt ist, würden verborgene Quellen wieder aufrauschen. In die Hände der Jugend müßte rrfan auch Jahresfestspiele legen: Fastnachtfestspiele von Hans Sachs, Fastnachtspossen aus der Commedia dell' arte, alpenländische Überlieferungen; Ostern brächte Passionsspiele; für die Pfingstzeit könnte eines der Calderonschen Autos, die .alle um die Eucharistie gruppiert sind, vorbereitet werden. Der österreichische Barockdichter Johann Baptiste Adolph hat ein geistliches Fastnachtsspiel, „Die vertriebene Fastnacht“, und ein Spiel vom „Zarten Frohnleichnam“ geschrieben. Es wäre ein dankenswertes Beginnen für die Laienspieler, uns-dieses schon aus der spanischen in die österreichische Barocksphäre verpflanzte Werk näherzubringen.

Gewiß wird die Jugend fragen, wo sind denn oder wann kommen denn die neuen Spiele, die neuen Mythen und Kulte, aus unserer Zeit geboren, die wir ersehnen? Wir rufen mit der Jugend nach den Dichtern, die als Künder christlich-abendländischen Geistes ans Werk gehen und der sudienden Jugend echte zeitnahe Spiele schenken, die ihren Feststunden inneren Gehalt geben.

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