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Kaj Münk — der Mensch und der Dichter

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Ein Wort Sören Kirkegaards, das als Motto übet dem Drama „Ein Idealist“ steht, könnte über Kaj Münks ganzes Leben und Werk gesetzt werden: „Die Reinheit des Herzens ist, eines zu wollen.“ Münks dringendes Bedürfnis war es, rücksichtslos in genauer Ubereinstimmung mit seiner Lebenslinie, mit seinem Lebensziel und seiner Lebensform zu handeln. In seinem Wesen selbst aber liegen große Gegensätze. Ein scharfer Intellekt bewacht ständig sein starkes, leidenschaftliches Gefühlsleben. Sein Individualismus enthält revolutionäre Elemente, die auch in seinen freien, unpfarrherrlichen Lebensformen zutage treten; in Glaubensdingen dagegen ist er streng konservativ .und nie irgendwelchen Schwankungen unterworfen. Von schwächlicher, zarter Konstitution, ist Münk kerngesund und gewaltigen Anstrengungen gewachsen. Seine übergroße Empfindsamkeit bedingt Stimmungsschwankungen, so daß er von den Geschehnissen der Umwelt zeitenweise völlig ergriffen und gleichsam ausgelöscht wird. Nur eine sehr starke Vitalität ermöglichte es ihm, alle diese Gegensätze — wenn nicht auszugleichen, so doch auszuleben. So sind denn auch Münks Schauspiele, wie wenige in der Weltliteratur, auf Gegensätzen aufgebaut. In jedem Akt und jeder Szene spitzen sich die Gegensätze zu und entladen sich in einem Gewitter von Antithesen. Der feste Punkt seines Werkes und seiner Persönlichkeit aber ist sein Glaube, der alle diese Gegensätze überbrückt und zur Einheit bindet

1932 erschien das bereits 1925 geschriebene Drama „Das Wort“. Dies ist das

Thema des Stückes: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erweckt der Bauernsohn Johannes aus Laaland seine Schwägerin Inger von den Toten. Diesen unbedingten Glauben hat auch Münk. Aber, so fragt er sich, ist dieser Glaube auch stark genug, erfüllt er mich ganz? Ist er so sicher, daß er es auch wagen würde, Naturgesetzen zu trotzen? Die Verteidigung der Religion und des Wunders ist für Münk auch zugleich die Verteidigung der Dichtkunst, die imstande ist, eine neue Wirklichkeit aufzubauen. Das gilt auch mit Bezug auf seine historischen Stücke und Gestalten, die keine historische Aufklärung vermitteln sollen, sondern Kunst und selbständiges Leben sind. Der große Gegenspieler seiner Helden aber ist Gott, der unsichtbar hinter allem steht. Münk stellt seine Menschen im Verhältnis zum Ewigen, Unbezwingbaren dar. Das ist Stoff für eine große Dramatik. Zugleich herrscht die Phantasie frei und inspirierend. Denn: „Dichter sein heißt an die Inspiration glauben und an das, was sie einem sagt.“

In dem Buch „Fragment eines Lebens“ hat Münk seine äußere und innere Entwicklung dargestellt. Auf dem Lande verlebt er die ersten Jahre, in einem kleinen Landstädtchen besucht er die Realschule, in einer etwas größeren Landstadt das Gymnasium. In Kopenhagen, wo er sein Studium beginnt, lebt er zunächst ziemlich einsam und verlassen, bis er von dem Kameradschaftsleben im Studentenhaus Regens fast völlig aufgesogen wird... Dann wird er Kandidat und übernimmt unmittelbar darauf eine kleine Pfarre in einer westjütischen Gemeinde. In unliter.irischem

Milieu aufgewachsen, war er der Kunst des großen dänischen Dramatikers öhlen-schläger begegnet, die einen ungeheuren Eindruck auf ihn macht. Unter der Wirkung dieses Schocks beginnt er zu schreiben — und in dem romantischen Geschmack seiner Studentenzeit schreibt er weiter. Mit scharfen Sinnen und offenem Herzen erlebt er seine eigene Zeit, die Jahre nach dem ersten Weltkrieg und die Spanne danach. Die Probleme dieser Zeit gestaltet er in einem ganz eigenen, neuen Stil, in dem man eine Synthese zwischen den beiden großen Richtungen der dänischen Literatur, der Romantik und dem Naturalismus, erkennen kann. Die auf dem Lande verlebte Kindheit und das Leben als Pfarrherr einer kleinen Dorfgemeinde erhalten ihn geistig frisch und beweglich. Für das egozentrische Vorwärtsstreben und den Geistesaristokra-tismus des Studenten, die Musik fast sein ganzes Leben lang beibehielt, war die lebendige Verbundenheit mit dem Volk das richtige, unbedingt notwendige Gegengewicht.

Noch vor seiner Maturitätsprüfung, 1917, schreibt er das Drama „Pontius Pilatus“, dessen Titelheld ihm zum „Sinnbild der ganzen Menschheit wird, die Sinn für das Gute habe und gerne danach handeln wolle, sich aber durch die verwirrenden Mächte im Leben bestricken lasse und dadurch ohnmächtig gemacht werde“. — „Die Operation“, 1924. enthält das Postulat der großen, alles bezwingenden Persönlichkeit. Das nächste Drama, „Vogel Phönix“, 1924, handelt vom Verjailler Frieden und dem Kampf zwisdien Clem-nceau und Wilson. Der Idealist unterliegt, die Gewalt triumptvert. Welcher Seite die Sympathie des Verfassers gilt, ist nach dem ironischen Schluß nicht zu entscheiden. Das zehn-aktige Herodes-Drama „Ein Idealist“ ist ein Schauspiel von irdischer Macht und Leidenschaft. Die alttestamentarischen Gestalten sind gleichsam nur der Lehm, aus dem die Menschen des Dramas gebildet sind. Der Geist, der sie beseelt und treibt, ist der des neuzeitlichen Machtmenschen, dessen Seele Eis und Feuer zugleich ist. Das folgende Drama, „Das Wort“ wurde bereits erwähnt. Es ist für Münks Eigenart und Entwicklung besonders wichtig, weil er darin zum erstenmal den Sprung aus dem Bereich rationaler Beweisführung wagt. So imponierend und ergreifend dieser Vorgang ist, so möge doch nicht übersehen werden, daß in diesem Schauspiel die Stimmen der bewegten Zwischenkriegszeit zu hören sind, für die das Wunder zugleich auch die Aufhebung der künstlerischen Gesetze und uneingeschränkte Freiheit zu allem und jedem bedeutet Das Stück erlebte in seiner Buchform fünfzehn Auflagen, was sich in Dänemark bisher noch nicht ereignet hatte.

So wie Münk an einen allmächtigen Gott glaubt, der das Weltall regiert, wie er an die Diktatur des Geistes in der Welt der Kunst glaubt, so wünscht er sich auch einen Gott auf Erden, der Ordnung schafft in der Welt der Gegensätze. Diese Einstellung Münks und das Bedürfnis seiner eigenen Natur, unumschränkt bewundern zu können, haben sein anfängliches Verhältnis zu den sich herausbildenden europäischen Diktaturen bestimmt. Die Diktatur, war für Münk eine Zeitlang Spiegelbild seiner religiösen Überzeugung. Seine Bewunderung für Mussolini reicht bis zum Abessinienfeldzug, aber als die Diktatur in dem benachbarten Deutschland Realität wird, ruft sie seine scharfe Ablehnung hero vor. Aus einem Kritiker der Demokratie entwickelte sich Kaj Münk zum konservativen Demokraten, der seine Überzeugung mit dem Leben bezahlte.

Im Frühjahr 1934 macht Münk eine Reise nach Palästina. Der Rückweg führt ihn durch Deutschland und Italien. Er reist als empfänglicher Dichter, der sich seinen Empfindungen und Eindrücken fast kritiklos überläßt. So .steht fast hinter jeder Anerkennung, die er den beiden Diktaturstaaten zollt, ein größeres oder kleineres Fragezeichen. Besonders stößt ihn die Behandlung der Juden in Deutschland ab, die er sich aus der Selbstüberschätzung der Deutschen erklärt, welche mit Notwendigkeit zur Verachtung und dann zur förmlichen Achtung einer „minderwertigen“ Rasse führen muß. Zwei Jahre später spricht Münk seine Meinung in einem Zeitungsartikel offen aus. Murks Einstellung zu dieser Frage wird durch sein unbedingtes Christentum und seinen unerschütterlichen Glauben verständlich: „Arier zu sein, ist etwas Großes, aber es ist doch noch größer, Mensch zu sein —; Jesus war Jude, aber er vermochte die beiden Titel: Davids Sohn und des Menschen Sohn, so souverän in sich zu vereinen, daß sich zwei Jahrtausende davor neigten.“ Besonders unerträglich ist für Münk, den Dänen, die deutsche Apotheose des Nordischen, und solange — meint Münk — es Hitler nicht gelingt, die Pole zu vertauschen, dürften sich die Skand:navier wohl noch nordischer nennen als die Deutschen. Das Stück „Er sitzt am Schmelztiegel“ schildert, wie ein deutscher Gelehrter — er heißt bezeichnenderweise Professor Mensch — als Wissenschaftler und als Privatmann mit den Rassegesetzen des Dritten Reiches in Konflikt gerät. Der Held des Stückes erkennt, daß die Wahrheit“ nicht leben kann, wo das Vaterland die einzige Wahrheit ist, der alle anderen Wahrheiten weichen müssen. Das Recht auf wissenschaftliche Wahrheit ist nur ein Symbol für das Recht des Menschen, an seiner Überzeugung festzuhalten und sie anderen Menschen gegenüber zu behaupöln.

Als der zweite Weltkrieg ausbricht, kommt eine große Unruhe über den Dichter; wir beobachten eine an Münk sonst völlig ungewohnte Unsicherheit. Er ist so hilflos und verzweifelt, dieser Gefühlsmensch daß er beschwörende Briefe an die europäischen Staatsmänner schreibt. Auf einer Friedenskonferenz der kleinen neutralen Staaten in Kopenhagen, die Oxford-Gepräge trug, sagt Kaj Münk in einer Anspradie:

„Was von uns Neutralen gefordert wird, weiß ich nicht. Ich verstehe gar nicht, daß es möglich ist, neutral zu sein. Aber ich beginne zu ahnen was von uns, die wir Christen genannt sein wollen, gefordert wird. Von uns wird aktiver Glaube gefordert. Oh, was ist wirksames Christentum? Ich weiß es, aber ich wage es kaum zu sagen. Es ist ein so großes Wort, daß man sich scheut, es in den Mund zu nehmen. Es ist der Märtyrergeist Durch den Märtyrergeist überwanden die ersten Christen die Welt, und uns ist in unserer Zeit kein kürzerer Weg zum Sieg geschenkt. Wir müssen bereit sein, der Welt unseren Glauben an die Menschheit zu beweisen, was sie auch mit uns tun mag. Dies gilt allen Christen, vom Papst bis zu mir.“

Am 9. April 1940 wird Dänemark von den Deutschen besetzt. An jenem Tag schrieb Münk zwei Zeilen in sein Tagebuch: „Die tausend Jahre waren weg — um fünf Uhr früh vor lauter Schreck!“ — „Verzweiflung“ stand über diesem ironischem Epigramm. Die Besetzung aber wurde Kaj Münks Schicksal. In zwei Dramen versucht er, sich von der Seele zu schreiben, was ihn bedrückte. Am reinsten aber hören wir seine innere Stimme in den Kampfpredigten, die er während der Besatzungszeit hielt. Sie vermitteln uns zugleich auch das deutlichste Bild seiner menschlichen Person. Die Haltung der Regierung und der politischen Parteien, die das Volk zur Ruhe und Besonnenheit auffordern, ist ihm unerträglich. Immer wieder appelliert Münk an das Ehrgefühl und den Widerstandswillen seiner Landsleute und weist sie zurecht wegen ihrer Oberflächlichkeit und Sorglosigkeit. Aber nicht nur zur nationalen Erhebung ruft Kaj Münk. Auch eine neue soziale Ordnung muß geschaffen werden. „Wenn es doch sein könnte, daß diesmal zusammen mit den vier Großen, die den Frieden diktieren werden, welche es auch sein mögen, auch Christi Geist eingeladen würde, daß Christi Geist als fünfter am Verhandlungstisch die Macht erhielte, zum erstenmal in der Welt einen christlichen Frieden zu schaffen, daß es ihm gelingen würde, die Völker wach und geistig bereit zu halten zum Kampf für den Schutz dieses Friedens. Wenn es doch so sein dürfte! Ich wage nicht, daran zu glauben, und ich wage auch nicht, von diesem Glauben zu lassen.“

Die letzte Neujahrspredigt, die des Jahres 1943, hat Münk auch in Buchform veröffentlicht. Sie wurde von den deutschen Behörden verboten und erschien in Schweden unter dem Titel „Christus in Dänemark“. Der Satz aber, den Münk unmittelbar vor der Erklärung des Ausnahms-zustandes an das dänische Kirchenministerium schrieb, wurde zur Kampfansage aller freiheitsliebenden Dänen ah die Deutschen: „Es ist besser, Dänemark in seinem Verhältnis zu Deutschland zu schaden als in seinem Verhältnis zu seinem Herrn Jesus!“ Nach der Judenverfolgung, die die deutschen Behörden im Herbst des gleichen Jahres begannen, ruft Münk offen zum Widerstand auf:

„Wenn hierzulande eine Verfolgung gegen eine besondere Gruppe unserer Landsleute nur um ihrer Abstammung willen in Szene gesetzt wird, so ist es christliches Recht der Kirche, zu rufen: Dies steht im Widerstreit zur Grundlage des Reiches Christi, die Barmherzigkeit hißt, und ist für eine nordische Denkart verabscheuungs-würdig. Und die Kirche muß noch weitergehen, ohne müde zu werden. Wenn es nochmals geschehen sollte, so wollen wir mit Gottes Hilfe versuchen, das Volk zu veranlassen, sich zum Aufstand zu erheben. Denn ein christliches Volk, das tatenlos dasitzt, wenn seine Ideale mit Füßen getreten werden, gewährt der Krebskrankheit der Zerfäulnis Einlaß in seine Seele, und Gottes Zorn senkt sich auf dieses herab.“

Zum Neujahrstag 144 hatte Münk nicht, wie es sonst üblich war. die Kirche schmücken lassen. Er trat in einem gewöhnlichen Straßenanzug vor den Altar und sagte: wenn man Angst habe, oflen am Kampf des Landes teilzunehmen, so könne man sich doch zum mindesten passiv verhalten. Bei der Einstellung, die in der Gemeinde vorherrschend sei, könne man vom neuen Jahr nicht viel Gutes erwarten, und darum sollte es auch nicht mit einem Festgottesdienst begrüßt werden. „Und deshalb könnt ihr ebensogut wieder heimgehen.“

Diese bitteren Worte waren die letzten, die Münk an seine Gemeinde richtete. In der Nacht vom 4. zum 5. Jänner wurde er von einem grauen Militärauto aus seiner Wohnung geholt; zwölf Stunden später fand ein Arbeiter seine Leiche im Graben neben dem Straßenrand. Die Polizeiuntersuchungen haben ergeben, daß der Mord an Münk von der Gestapo schon vor dem Jahreswechsel vorbereitet worden war. Die Worte seines Biographen aber, dessen Buch diese Darstellung im wesentlichen folgt, mögen uns noch einmal die Gestalt des Dichters, des Menschen und des tapferen Christen Kaj Münk vor die Seele rufen und unserem Gedächtnis einprägen: „Aber wie er auch war, Kompromisse. existierten nicht für ihn. Ein, auf das eine gerichteter Wille brannte sein Herz rein und machte ihn zum schonungslosen Idealisten: die Wahrheit; er wollte die Wahrheit suchen und wollte sie sagen. Dieser Wille, um den ihn viele beneiden könnten, die in den Einzelheiten seiner Lebensanschauung nicht mit ihm einig gehen, machte ihn aktiv und mutig — wenn er auch in seinem schwarzen Talar zitterte, wenn er fühlte, daß er auftreten mußte Es war dieser bebende Mut, dieser auf das eine gerichtete Wille, der seinen Tod verursachte. Aber war es sein Gott, der ihn tötete? Und war sein Tod eine Niederlage?“

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