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Bestenfalls halber Katechismus

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Das Teilkonkordat vom 9. Juli 1962 bestimmt mit Art. I 2 Abs. 1: „Der Religionsunterricht wird an allen öffentlichen und allen mit öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen ... für alle katholischen Schüler Pflichtgegenstand sein.“ Dasselbe ist mit 1 Abs. 1 des Religionsunterrichtsgesetzes von 1949 in der Fassung von 1962 allgemein für alle Schüler bestimmt, „die einer gesetzlich anerkannten Kirche ... angehören“. Die Möglichkeit einer Abmeldung vom Religionsunterricht „zu Beginn eines jeden Schuljahres“ gewährleistet die verfassungsrechtlich garantierte „Glaubens- und Gewissensfreiheit“. Denn wer grundsätzlich den Religionsunterricht ablehnt, hat die Möglichkeit, ihn zu meiden. Mit Erlaß vom 15. November 1950 hat jedoch das BMfU, zweifellos aus Ordnungsgründen, verfügt, daß die vorgesehene Abmeldung vom Religionsunterricht nur innerhalb der ersten zehn Tage des Schuljahres erfolgen kann.

An sich ist der Gedanke, Schülern, die sich zu einer anerkannten Kirche bekennen, eine zusammenhängende und umfassende Kenntnis dessen zu vermitteln, wozu sie sich bekennen, sehr berechtigt und daher begrüßenswert. Es haben sich denn auch im Jahre 1962 alle demokratischen Parteien in Österreich zu diesem Gedanken bekannt. Die betreffenden Normen stehen, abgesehen von der völkerrechtlichen Verankerung im Teilkonkordat, in Verfassungsrang. Sie können daher nur mit der für Verfassungsgesetze erforderlichen Zweidrittelmehrheit abgeändert werden.

Das genannte Teilkonkordat hat mit Art. I 4 Abs. 5 die „Vermittlung des katholischen Lehrgutes ausschließlich“ der kirchlichen Zuständigkeit unterstellt. Damit ist auch die alleinige Verantwortung der kirchlichen Behörden klargestellt. Im 5 Abs. 2 hat sich die Kirche jedoch verpflichtet, für „den Religionsunterricht ... nur Lehrbücher und Lehrmittel“ zu verwenden, die auf „christliche Lehre“ gründen.

Im Jahre 1962 hat die vorgesehene Möglichkeit zur Abmeldung vom Religionsunterricht gewiß dazu ausgereicht, dem Grundrecht auf Gewissensfreiheit zu entsprechen. Seit jene Bestimmungen geschaffen wurden, ist jedoch die katholische Kirche von einer Krise erfaßt worden, die nur mit der arianischen Krise im Altertum verglichen werden kann. Sie geht weit über die Glaubensspaltungen der Reformationszeit hinaus, denn damals standen jedenfalls die Göttlichkeit der Offenbarung, die Gottmenschlichkeit Christi und damit die wesentlichen Grundlagen der christlichen Lehre außer Frage. Heute dagegen werden diese Grundlagen unter dem Einfluß positivistischer, relativistischer und skeptizistischer Philosophien mit solcher Selbstverständlichkeit hinweginterpretiert, daß selbst die verantwortlichen Hirten weithin gar nicht bemerken, was vor sich geht. Das wissenschaftliche „Klima“ ließ diese Entwicklung sich schlagartig und weltumspannend entfalten. Dieser Effekt wurde noch dadurch verstärkt, daß die neuen Ideen unter dem Schein vorgetragen werden, der vom Zweiten Vaticanum angestrebten Erneuerung der Kirche zu dienen. In Wahrheit haben sie jedoch weder mit dem Konzil, noch mit der Erneuerung der Kirche etwas zu tun. Sie drohen vielmehr die Kirche auf weiten Teilen der Erde, besonders aber in Europa, vollkommen zu zerstören. Dazu kommt, daß die Entwicklung von einer weltumspannenden Organisation gesteuert wird. Sie nennt sich IDOC und rühmt sich dessen, alle wichtigen Meinungsbildungszentren der Welt zu beherrschen.

Bereits im Jahre 1964 hat Papst Paul VI. in seiner Enzyklika „Ecclesiam suam“ eindringlich vor den heraufkommenden Gefahren gewarnt. Nach einer Beschreibung der Krisenerscheinungen in der Welt sagt er: „Alles dies umhüllt und schüttelt die Kirche selbst, Meereswogen ähnlich. Die Menschenseelen, die sich ihr anvertrauen, sind stark beeinflußt von der Denkart der diesseitigen Welt; so sehr, daß eine Gefahr, einem Schwindel, einer Betäubung, einer Verirrung ähnlich, besteht, die ihre eigene Festigkeit erschüttern und viele verleiten kann, die sonderbarsten Gedankengänge anzunehmen, fast als ob die Kirche jemals eich selbst verleugnen und ganz neue und ungeahnte Lebensformen annehmen müßte“. Nach einer Beschreibung der modernistischen Krise sagt er weiter:

„Ähnliches könnten Wir sagen bezüglich der Irrtümer, die auch im Inneren der Kirche selbst um sich greifen und in die jene fallen, die nur eine teilweise Kenntnis ihrer Natur und ihrer Sendung haben und nicht genügend die Dokumente der göttlichen Offenbarung und der Verlautbarungen des von Christus selbst eingesetzten Lehramtes beachten.“

Man müßte annehmen, daß diejenigen, die heute von der Erneuerung der Kirche reden, ihr Handeln an den Richtlinien des kirchlichen Lehramtes messen. Für die heutige Situation ist es jedoch kennzeichnend, daß allein ein solches Ansinnen bei den meisten Propheten der „Erneuerung“ nur ein mitleidiges Lächeln hervorrufen würde. Dementsprechend sehen ihre Erneuerungsmaßnahmen aus.

Eine der wichtigsten Erneuerungs maßnahmen ist die Schaffung neuer Lehrmittel für den Religionsunterricht. Die Vermittlung des „katholischen Lehrgutes“, von dem das Teilkonkordat spricht, hängt weitgehend von diesen Lehrbehelfen ab. Damit haben sie auch entscheidende Bedeutung für die Zukunft des katholischen Glaubens in Österreich. Es läßt sich nun leicht nachweisen, daß jedenfalls die neuen Arbeitsbücher „Glaube gefragt“ und „Christus gefragt“, teilweise aber auch die übrigen Glaubensbücher, auf der Grundlage von theologischen und philosophischen Auffassungen stehen, die dem Arianismus einerseits und den von Paul VI. in der genannten Enzyklika umschriebenen Zeitirrtümern anderseits verhaftet sind. Aus diesen Auffassungen folgt, daß es keine göttliche Offenbarung gibt. Dementsprechend existiert auch kein kirchliches „Lehramt“. Christus ist nicht Gottmensch, sondern „Mitmensch“. Die Kirche kann somit keine göttliche Stiftung sein, sondern unterliegt, als eine von Menschen gebildete Gemeinschaft, dem Bewußtseinswandel der Zeit. Das alles sind jene „Irrtümer, die auch im Inneren der Kirche selbst um sich greifen“, wie der Papst sagt. Die Öffentlichkeit wird über diese Ungeheuerlichkeiten dadurch hinweggetäuscht, daß man vorgibt, es handle sich nur um neue Methoden der Darbietung des Glaubensgutes. In Wahrheit bleibt aber vom katholischen Glauben — und einem christlichen Glauben überhaupt — bei dieser Methode nichts mehr übrig. Nicht einmal eine rudimentäre Kenntnis jener „christlichen Lehre“, die zu vermitteln die Kirche sich im Teilkonkordat verpflichtet hat, wird durch diese „Lehrmittel“ geboten. Damit erweist sich die angewandte Methode als völlig unangemessen für den zu behandelnden Inhalt. Ja, die Methode selbst ist bereits von den inhaltlichen Irrtümern geprägt. Es kommt in ihr genau das zum Ausdruck, wovor der Papst in der genannten Enzyklika gewarnt hat, wenn er sagte, es gelte die „Gefahr zu vermeiden, die der Wunsch nach Reform nicht nur in uns Hirten erzeugen könnte, die ein wacher Sinn der Verantwortung zurückhält, sondern auch in der Meinung vieler Gläubigen, die der Ansicht sind, daß die Reform der Kirche hauptsächlich in der Anpassung ihrer Gesinnungen und ihrer Sitten an jene der Welt bestehen müsse. Die Verlockung des profanen Lebens ist heute sehr mächtig. Der Konformismus scheint vielen unvermeidlich und klug. Wer nicht fest verwurzelt ist im Glauben und in der Beobachtung der Gebote, denkt leicht, es sei der Augenblick gekommen, sich der profanen Lebensauffassung anzupassen“.Zweifellos gibt es ein echtes Anliegen, die Verkündigung so zu gestalten, daß der Glaube, die christliche Lehre, den jungen Menschen nahegebracht werden kann. Hier über gute Methoden nachzudenken, ist verdienstvoll. Aber der zu verkündende Glaube darf nicht mehr unter methodischen Vorwänden seiner Grundlagen beraubt werden. Die Propheten jenes Glaubens aber, der mit den neuen Büchern verkündet werden soll, wollen die Menschheit nicht mehr durch Christi Tod und Auferstehung erlöst sehen, sondern durch ihre „Weisheit“. Dieser Glaube ist eine neue Form der Gnosis, eine sich humanitär gebende Selbsterlösungsreligion, die mit der christlichen Heilsbotschaft nichts mehr zu tun hat.

Zahlreiche Personen, wie Leiter kaitechistischer Ämter, Inspektoren für den Religionsunterricht, und natürlich Religionslehrer selbst, erkennen offenbar weder die, in diesen Büchern vertretenen Irrtümer, noch sind sie in der Lage, die sich aus diesen Irrtümern zwangsläufig ergebenden Konsequenzen zu erfassen. Vielmehr werden jene, die Bedenken erheben, als Angehörige „konservativer Gruppen“ diffamiert. Die entscheidende Frage nach der Wahrheit wird durch die wahrhaft stupide Denkschablone von „konservativ“ einerseits und „fortschrittlich“ anderseits ersetzt. Es wird nicht bedacht, daß diejenigen, die Katholiken sein wollen, nur deswegen der katholischen Kirche angehören, weil sie glauben, daß sie die eine, wahre, von Christus gestiftete Kirche ist, welche die ihr anvertraute Heilsbotschaft Christi, die göttliche Offenbarung, zu hüten und zu lehren hat. Alle jene, die sich um ein bewußtes Leben aus dem Glauben bemühen, würden der Kirche keinen Tag angehören, wenn sie den Glauben nicht haben könnten, daß die Kirche die Wahrheit lehrt. Der Wegfall der objektiven Wahrheit entzöge der Kirche die Existenzberechtigung, und allen ihren Amtsträgern die Legitimation, für das Gewissen verbindlich zu lehren.

Das echte Anliegen, der Jugend den Glauben näherzubringen, kann nur dann erfüllt werden, wenn man beachtet, auf welchen Grundlagen die Glaubensverkündigung zu stehen hat. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, mit einer Relativierung der Wahrheit könne man den Glauben irgend jemandem, sei es auch nur den getrennten Brüdern, näherbringen. Darüber hat Paul VI. in der zitierten Enzyklika klar gesagt: „Die Sorge, den Brüdern näherzukommen, darf nicht zu einer Abschwächung oder Herabminderung der Wahrheit führen. Unser Dialog kann uns nicht von den Verpflichtungen gegenüber unserem Glauben entbinden. Das Apostolat darf keinen doppeldeutigen Kompromiß eingehen bezüglich der Prinzipien des Denkens und Handelns, die unser christliches Bekenntnis kennzeichnen. Der Irenismus und der Synkretismus sind im Grunde nichts anderes als Formen des Skeptizismus hinsichtlich der Kraft und des Inhalts des Wortes Gottes, das wir verkünden wollen. Nur wer der Lehre Christi vollkommen treu ist, kann ein erfolgreicher Apostel sein. Und nur wer die christliche Berufung ganz lebt, kann gegen die Ansteckung der Irrtümer, mit denen er in Berührung kommt, gefeit sein.“ *

Legt man diese Maßstäbe, die das Konzil vollinhaltlich bekräftigt hat, an die heutige Glaubensverkündigung im Religionsunterricht an, so muß man sagen, daß er weithin der Verführung zum Irrtum dient, statt der christlichen oder gar der katholischen Glaubensverkündigung zu dienen. Nach vorsichtigen Schätzungen erfährt wohl bereits mehr als die Hälfte der katholischen Schüler im Religionsunterricht, den sie besuchen, bestenfalls nicht mehr, was der Inhalt des katholischen Glaubens ist. In sicher nicht seltenen, schlimmeren Fällen werden sie in Irrtümer geführt, die ihnen zukünftig den Zugang zum katholischen Glauben überaus erschweren, wenn nicht für immer verschließen. Die verantwortlichen Hirten haben sich nun immerhin veranlaßt gesehen, sich vom Inhalt der neuen Glaubensbücher zu distanzieren und für die Herausgabe besserer zu sorgen. Selbst wenn das gelingt, wird die Lage im ganzen wenig verändert, solange in den kirchlichen Schulämtern, an theologischen Fakultäten und in den Schulen Personen an der Glaubensverkündigung mitwirken, die selbst entweder nicht erkennen, was geschieht, oder aber bereits selbst dem Irrtum verfallen sind. Es wird jedenfalls Jahrzehnte benötigen, den Religionsunterricht von Grund aus zu sanieren. Angesichts dieser Lage entsteht für katholische Eltern die überaus schmerzliche Gewissensfrage, ob der obligatorische Religionsunterricht noch mit der Gewissensfreiheit vereinbar ist. Denn diese gewährleistet ohne Zweifel auch das Recht, den katholischen Glauben zu erhalten. Jenes Recht aber, welches eine objektive Vermittlung des katholischen Lehrgutes an die katholischen Schüler gewährleisten sollte, wird durch die jetzige Situation zu einem Instrument der obligatorischen Verbreitung von Irrtümern „umfunktioniert“.

Hier entdecken nun plötzlich jene, die an der Verbreitung der neuen Ideen interessiert sind, die Bedeutung der „kirchlichen Obrigkeit“, und den Rechtszwang als Mittel zur Durchsetzung dieser Irrtümer. Sie entdecken die sonst so verpönte Gehorsamspflicht der Laien, die, wie mir entgegengehalten wurde, verpflichtet seien, „den Bischöfen auch in den Irrtum zu folgen“, in einen Irrtum übrigens, den die Bischöfe gar nicht „vorgeschrieben“ haben, sondern den nur manche Herren gerne von den Bischöfen vorgeschrieben sehen würden. In dieser Situation genügen die zehn Tage am Anfang des Schuljahres nicht mehr zur Wahrung der Gewissensfreiheit. Es stellt sich häufig erst später heraus, was eigentlich im Religionsunterricht gelehrt wird. Wenn der Inhalt des Unterrichts dem katholischen Glauben nicht mehr entspricht, wird der Zwang zu einer Verletzung der Gewissensfreiheit. ★

Das zweite Vatikanische Konzil hat in seiner Erklärung über die Religionsfreiheit die Gewissensfreiheit nachdrücklich bekräftigt. Sie ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in unserer Verfassung verankert. Wenn die verantwortlichen Hirten nicht rasch Abhilfe schaffen können, wird die nunmehr entstandene Situation, für die das Erscheinen der neuen Religionsbücher nur ein Symptom ist, katholische Eltern dazu zwingen, dieses Recht a,uf Glaubens- und Gewissensfreiheit zur Erhaltung des katholischen Glaubens ihrer Kinder in Anspruch zu nehmen.

Ähnliche Situationen wie die heutige hat es im Laufe der Geschichte schon wiederholt gegeben. Ein besonders lehrreiches Beispiel ist der Abfall der Kirche Englands unter Heinrich VIII. Der Kampf, den der einzige damals katholisch gebliebene Bischof Englands, John Fisher, Bischof von Rochester, und Thomas Morus, Lordchancellor von England, durchzustehen hatten und der mit ihrem Martyrium endete, zeigt verblüffende Parallelen mit der heutigen Situation.

Noch darf man auf eine Wendung hoffen. Sie müßte freilich bald kommen, wenn es nicht zu spät sein soll. Sie müßte an der Wurzel ansetzen. Die gesamte Glaubenslehre, von den theologischen Fakultäten angefangen, in denen die Brutstätten der modernen Irrtümer sich hinter der „Wissenschaftlichen Freiheit“ verbergen können, bis zu den Katechetenschulen, müßte auf völlig neue Grundlagen gestellt werden. Nur dann könnte man hoffen, daß Österreich katholisch bleibt, oder vielmehr: es wieder wird.

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