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Selbstkritik ist notwendig

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Wenn man die Worte „Glaube und Kritik“ zusammenstellt, dann bedenkt man oft nicht, daß dabei Glaube nur in einem bestimmten Sinn verstanden wird, nämlich als Lehre, als Inhalt, als ein System von Wahrheiten. Bei dieser Blickweise aber auf den Inhalt, auf die Lehrsätze wird nicht, oder wenigstens nicht genau genug gesehen, daß der Glaubensakt zugleich und sogar erstlich eine ganzmenschliche Zuwendung, eine Übereignung an die Person Gottes ist. Dieser Glaubensakt als eine existentielle Entscheidung bleibt unberücksichtigt, aber der Inhalt des Glaubens ist der ständigen Konfrontation mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Welterfahrung ausgesetzt.

Der Ansatzpunkt für die Zusammenarbeit zwischen Glaube und kritischem Verhalten liegt darin, daß Gottes Sprechen zu uns, seine Offenbarung, nicht ein zeitloses, über der

Erde schwebendes Geheimnis ist, zu dem wir nur durch Erleuchtung Zugang haben, sondern es ist die Offenbarung Gottes, die in der Geschichte der Menschheit sichtbar wurde und die durch die Geschichte hin in einer Tradition weitergegeben wurde. Wenn also auch der Glaubensakt in sich selbst nicht das Ergebnis kritischer Untersuchung sein kann, so ist doch der Glaubende aufgerufen, diese geschichtlichen Bedingungen sowohl der Aussage wie der Vorlage zu sehen und zu werten, einfach damit, wenn man das hier sagen darf, der „Sachverhalt“ selbst, also Gottes Offenbarung, möglichst rein sichtbar wird. Insofern gehört vor allem Kritik zum Glauben. Nur muß für den, der zum Glauben kommt, klar sein, daß keine kritische Prüfung ihm den Sprung, das Wagnis erspart.

Ein modernes Zauberwort

Und dem Glaubenden muß Mar sein, daß die kritische Prüfung nicht die Zustimmung „produziert“, freilich auch nicht aufheben kann. Vor allem aber muß klar sein, und dies, scheint mir, ist nicht der Fall, daß jede Kritik einen bewußten oder unbewußten Maßstab zugrunde legt. Und wenn ich vorhin die These vertreten habe, es wird zuwenig kritisch gedacht, dann meine ich doch ganz besonders das Fehlen jener

Selbstkritik, die einfach nicht nach den eigenen Maßstäben fragt.

Die Kritik hat heute, ob bewußt oder unbewußt, unwillkürlich als Maßstab: Alles ist geschichtlich bedingt. Wir leben also in dieser Welt des geschichtlichen Verständnisses,

und in diesem Begriffsfeld liegen auch, wie mir scheint, die Kategorien der Kritik, die wir bewußt oder unbewußt anwenden.

Die Offenbarung Gottes tritt uns entgegen in der Verkündigung der Kirche. Wir fragen sofort: Welche Autorität? Wir wissen aus der Geschichte, daß Autorität überbewertet werden konnte, auch in der Gegenwart. Die Glaubensvorlage der Kirche stützt sich auf die Heilige Schrift. Aber das ist eine Sammlung historischer Dokumente, wir müssen sie auf ihren historischen Wert prüfen. Wir brauchen dazu historische, kritische, literarische, kurz hermeneu-tische Methoden. Die Kirche folgert aus den heiligen Schriften moralische Folgerungen, aber auch diese gibt es nicht als über der Geschichte schwebende absolute Normen, sondern nur in einer geschichtlich bedingten Verkündigung, Anwendung und Interpretation. Mit anderen Worten: Wir verstehen die Offenbarung, so wie der Weltprozeß geschichtlich verstanden wird, erstlich als Heilsgeschichte und sehen die Kirche auf dem Weg in der Geschichte. Also prüfen wir historisch und fragen unwillkürlich, was das so historisch Gegebene für unsere heutige Existenz bedeutet, sei es individuell, sei es für die Menschheil von heute und morgen.

Nun kommt aber außerdem noch dazu: Unwillkürlich sehen wir den geschichtlichen Prozeß als einen Prozeß des Fortschritts. Was aber zu der Kategorie Fortschritt paßt, was also progressiv ist, was modern ist, was zeitgemäß ist, was dynamisch erscheint, das ist nahezu der kritischen Prüfung entzogen.

Es zeigt sich wieder, daß eine Kategorie überstrahlt ist, überbelichtet ist; und so sehr die kritischen und historischen Methoden auch geholfen haben zur Erfassung auch der Heilsgeschichte, auch der Heiligen Schrift und der Offenbarung, Werte an sich sind weder Fortschritt noch Dynamik, weil beides erfahrungsgemäß auch zum Bösen intendieren kann.

Das kritische Vermögen, das der Mensch ohne Zweifel in sein Glaubensleben einbringt, müßte also vor allem die Kategorien, die Modelle, die Wertbilder kritisch sichten, mit denen wir als Kinder unserer Zeit arbeiten und nach denen wir, wenn auch meist unwillkürlich, Kritik üben. Eine solche Kritik ließe uns erkennen, daß der Glaube nicht einfach bewertet werden kann nach weltimmanenten Kategorien, wie immer sie heißen mögen, obwohl richtig ist, d?ß er mit all diesen Kategorien konfrontiert werden muß.

Glaube ist Krisis und Kritik

Es gibt hier an diesem Punkt zwischen Glaube und unseren Denkkategorien nur ein einziges sicheres Maß der Unterscheidung, das ist dasselbe wie im 1. Korfntherbrief: das Kreuz! Eine noch so elegante Theorie, die das Kreuz leugnet, ist nicht mehr christlich.

Und der Glaube selbst ist „Kritik“. Wer glaubt, begibt sich in eine Krise. Denn wer glaubt, stellt sich auf die Seite Gattes; er vertraut sich Gott an, und das heißt, er verläßt seinen eigenen Standpunkt und stellt sein Leben mit seinen Tendenzen in Frage. Tut er das nicht, dann kommt das Verhältnis des Glaubens gar nicht zustande, dann bleibt er hl sei. nem Leben mit mehr oder weniger religiöser Dekoration, aber er glaubt nicht. Glauben kann christlich nur heißen: „Ich glaube an den Gott, der sich in Christus geoffenbart hat.“ Ich muß, um das zu können, das kritische Vermögen haben, mkh selbst als Sünder zu erkennen, und dieses kritische Vermögen scheint mir in der Kirche etwas nachzulassen. Ich muß dies aber haben, denn wenn Christus nicht der Erlöser ist, dann mache ich Ihn zum Lehrer des Humanismus, dann degradiere ich Ihn zu einer Art Entwicklungshilfe für meine Persönlichkeitsentfaltung oder zum Aufbau einer besseren Welt.

So gewiß der Christ Sorge tragen muß um die soziale Gerechtigkeit — dies ist nicht Christusglaube! Wenn aber im Glauben Gott als der zu mii Sprechende angenommen wird und wenn Er in diesem Sprechen zugleich sagt, wer der Mensch äst und was die Welt ist, dann folgt daraus, daß der Glaube selbst Maßstab wird für eine Kritik. Der geistliche Mensch, so heißt es im Korinther-brief, ist der Mensch, der alles in diesem Sinne beurteilen kann, nämlich im Sinne der letzten Entscheidungsfrage. Dieser geistliche Mensch kann das, weil das Pneuma, der Geist Gottes, ihn fähig macht, die Schwerkraft der Ich-Befangenheit und die Gefangenschaft in der Form, in dem Schema, in den Modellen der ihn umgebenden Welt zu durchbrechen. Er wird fähig, im Lichte Gottes das Ganze zu sehen und den Sinn des Ganzen.

Unterscheidung der Geister

So gibt es also neben der Kritik als „Zauberwort“ eine im Glauben vollendete Kritik, und die heißt in der Sprache der Heiligen Schrift „Die Unterscheidung der Geister“; jenes Charisma, das besonders der von seinem Leben und Beruf her zum kritischen Denken Erzogene und Geforderte erbeten sollte: Unterscheiden, was Geist Gottes und Geist der Welt ist.

So notwendig Kritik ist, damit wir nicht falschen oder vergötzten Werten anhängen oder uns ausliefern, so ist doch die Kraft, sich nach dem Hohen, Kostbaren liebend und empfangend auszustrecken die eigentlich formende und erfüllende menschliche Kraft. Es macht nicht erstlich die Größe des Menschen aus, über wieviel er sich kritisch urteilend erheben kann, so gewiß das auch zum Schöpfungsauftrag gehört, die Erde zu beherrschen; sondern es macht die Größe des Menschen erstlich aus, wie groß das ist, vor dem er sich beugt. Und die letzte Entscheidung seines Lebens fällt darin, ob er sich vor einem Götzen beugt, welchen Namen er auch haben mag, oder vor dem lebendigen Gott

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