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Die Situation der Gegenwart

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Dies soll ein Gespräch zwischen Menschen sein, die ein gemeinsames Interesse an einem bestimmten Problem miteinander verbindet, aber vielleicht verschiedene Ansichten über eben dieses Problem unterscheidet, um nicht zu sagen trennt. Wie immer man diese Veranstaltung hätte nennen können, das heißt, welchen Titel man ihr hätte geben können, und die Veranstalter haben sich sehr bemüht in dieser Hinsicht, die Möglichkeit von Fehldeutungen wäre immer gegeben. Niemals würde ein Leitwort, das ja notgedrungen kurz und prägnant sein soll, zur Gänze das treffen, was hier gemeint wird. Man hat schließlich dieser Veranstaltung den Titel „Diskussion über das Gespräch zwischen Sozialisten und der katholischen Kirche“ gegeben.

Lassen Sie es mich hier noch einmal wiederholen, daß hier niemand von niemandem beauftragt ist, irgendwelche Standpunkte zu vertreten, daß hier niemand im Namen der Kirche reden kann, Kirche sowohl im falschen, aber überkommenen Begriff der hier-

archischen Kirche, als Bischöfe und Priester, aber auch nicht Kirche im wahren und nach dem Konzil immer stärker erlebten Sinn als Gemeinschaft der Gläubigen, als Gemeinschaft der Getauften. Von der einen, der hierarchischen Kirche haben wir, die wir hier sprechen, keinen Auftrag, auch keinen von irgendeiner organisierten Gruppe in dieser Kirche. Jeder spricht für sich, trotzdem soll aber das hier keine Aneinanderreihung von Monologen sein; wir wollen ja nicht für uns, sondern ineinander reden.

Bei aller Verschiedenheit mancher Einzelstandpunkte vereinigt uns hier der Wunsch, ins Gespräch zu kommen. Wir glauben, daß ein solches erstmaliges Gespräch notwendig ist, wir glauben, so unbeholfen, so unvollkommen ein solches Gespräch sein muß, daß es zuerst und vornehmlich ein menschliches Gespräch sein soll. Nicht im Sinne des Wienerischen „Menschen, Menschen san ma alle, Fehler hat ein jeder gnua“, nicht daß wir uns in den Armen liegen und uns gegenseitig alles verzeihen sollen, nachdem wir alle Konturen weggewischt haben, sondern ein menschliches

Gespräch in dem Sinn, daß es uns um den Menschen geht, daß uns dessen vollmenech-liche Entfaltung am Herzen liegt. Diesen Menschen sehen wir heute gefährdet von Mächten, die ihn wieder manipulieren möchten, ihn au einem bloß konsumierenden Wesen machen wollen, was letztlich zu einer neuen Entfremdung des Menschen führen müßte.

Was können wir hier nun als Katholiken zu diesem Gespräch beitragen? Es gibt Menschen und es hat sie immer gegeben und es wird sie immer geben, für die der religiöse Glaube vollendetster Ausdruck des Menschen, wahrer Humanismus ist.

Das ist unsere Basis, von der aus wir hier sprechen, die Grundlage unseres Gesprächsbeitrages. In drei Stufen erfolgt dieses Gespräch. Die Fronten der Vergangenheit, die Situation der Gegenwart, die Chancen der Zukunft. Wer über die Situation der Gegenwart sprechen soll, hat es vielleicht am schwersten, nicht nur, weil es immer schwer ist, die gegenwärtige Situation zu erkennen, sondern weil sich nur von einer möglichst klaren Standortbestimmung abwägen läßt, welche Perspektiven sich in die Zukunft eröffnen. Die Analyse der Fronten der Vergangenheit kann vielleicht heute bereits auf weiten Gebieten eine Ubereinstimmung ergeben. Was die Chancen der Zukunft betrifft, so werden wir hier keine Wunschbilder entwerfen, sondern wahrscheinlich nur sehr vorsichtige mögliche Tendenzen und Wertziele anvisieren. Wenn wir die Situation der Gegenwart erkennen wollen, müssen wir offen und klar, vielleicht auch hart miteinander reden. Denn diese Gegenwart brennt uns ja unter den Nägeln.

Nicht zum Fenster hinaus

Wenn unser Gespräch einen Sinn haben soll, dann den, daß es nicht bei diesem einmaligen Gespräch bleiben soll, sondern daß es fortgesetzt werden soll in kleineren Kreisen vielleicht, die sich aber dann mit ganz konkreten Fragen befassen müßten, nicht um eine Übereinstimmung festzustellen, auch nicht um immer zu einer Ubereinstimmung zu kommen, sondern um den Standpunkt und die Motive des anderen kennenzulernen. Es soll dabei nichts zum Fenster hinaus geredet werden, wir wollen das ja auch hier nicht tun. Es geht nicht um taktische Vorteile im politischen Tageskampf, nicht um Polemik und auch nicht um gegenseitige Anbiederei, es geht um die Sache, es geht darum, ob zwei Bewegungen, die sich in der Geschichte als harte Gegner gegenüberstanden, echt miteinander reden können, ohne in einem solchen Gespräch unmittelbare Vorteile nur für sich selbst zu suchen. Es geht, um es nochmals zu sagen, um die Menschen und um das Land, dem wir alle dienen wollen.

Derjenige, der jetzt zu Ihnen spricht, ist ein Vertreter der mittleren Generation, er hat als Kind einer Wiener Arbeiterfamilie, aufgewachsen in einem Gemeindebau in Sim-mering, die Fronten der Vergangenheit im eigenen Haus, in der eigenen Familie schmerzvoll miterlebt. Er hat nach dem Krieg mit sehr bescheidenen Kräften ein ganz klein wenig mitzuhelfen versucht an der Gestaltung der Situation der Gegenwart, und er hofft auch von der Zukunft, um deren Chancen es hier geht, noch ein Stück miterleben zu können.

Ist das Gespräch noch Notwendigkeit?

Die Situation der Gegenwart im Gespräch der Sozialisten mit der Kirche! Ist ein solches Gespräch überhaupt notwendig? Es gibt nicht wenig Leute hüben und drüben, die ein solches Gespräch überhaupt als vollkommen überflüssig abtun. Es war ein hoher sozialistischer Funktionär, der mir einmal gesagt hat, man sei Sozialist in der Partei und Katholik in der Kirche, was brauche man darüber viel zu reden. Die Sozialisten hindern niemand daran, in die Kirche zu gehen, die Kirche verbietet niemandem, sozialistisch zu wählen.

Als ob es damit getan wäre! Gewiß, wenn man die Situation der Gegenwart so betrachtet, dann gibt es zwischen Kirche und Sozialisten kaum mehr viele Reibungsflächen. Die Kämpfe der Vergangenheit sind einer ruhigeren und sachlicheren Betrachtung gewichen. Weder haben kirchliche Warnungen und Verurteilungen des Sozialismus verdrängt noch eine sich wissenschaftlich gebärdende Aufklärung und eine massive, nicht immer bloß mit propagandistischen Mitteln arbeitende sozialistische Abfalls- und Austrittspropaganda den Glauben und die Kirche ausgerottet. Das gehört der Vergangenheit an, das Leben war stärker als ideologische Kämpfe und Krämpfe, die Geschichte ein zwar harter, aber heilsamerer Lehrmeister als alle eifernden Schulmeister.

Die Front jener, die beides miteinander zu vereinen können glauben, ihr politisches Bekenntnis als Sozialisten und ihr religiöses Bekenntnis als Katholiken, ist breiter geworden. Die Breite dieser Front sagt allerdings nichts aus über ihre Tiefe. Sie entspricht eher der österreichischen Mentalität, dadurch in Spannungen leben zu können, daß man einfach die Spannungen leugnet, Probleme zu lösen, indem man sie als nicht existent erklärt. So verhältnismäßig schmal in Österreich, aber nicht nur in Österreich, die Schicht jener Menschen ist, die sich über Sozialismus und Religion Gedanken machen, so schmal ist auch der Bereich der Menschen, die daraus ihre Schlüsse gezogen haben.

Schlüsse so oder so! Denn man kann natürlich auch zu verschiedenen Schlüssen kommen. So möglich, ja wahrscheinlich es ist, daß ein Sozialist erklären kann, er könne gerade als Sozialist kein im religiösen Sinn gläubiger Mensch sein, und Sie ihn deswegen nicht aus dem Haus Ihrer Partei weisen, so gibt es auch Katholiken, die erklären, als Katholiken könnten sie niemals Sozialisten sein. Es wäre ein Trugschluß, zu erwarten oder gar zu verlangen, die Kirche sollte sich von jenen Katholiken distanzieren. Es wäre auch vielfach falsch, in einer solchen Erklärung nur politische Hintergründe zu suchen. Es ist das Recht der einen und der anderen, sich frei entscheiden zu können. Und was die Katholiken betrifft, die meinen, sie könnten und wollten keine Sozialisten sein, so wissen sie, daß das heute die Mehrheit der österreichischen Katholiken sind.

Kein Kreuz auf neue Fahnen!

Das Unglück ist in beiden Fällen nicht die persönliche Überzeugung, das Unglück beginnt dort, wo man die eigene, als solche berechtigte persönliche Überzeugung verallgemeinert, wenn aus dem „Du darfst“, „Du kannst“, ein „Du sollst“, ein „Du mußt“ beziehungsweise ein „Du darfst nicht!“, „Du kannst nicht!“ wird. Ich weiß schon, daß es eine Grundtatsache, eine Grundvoraussetzung jeder Werbung, jeder Propaganda, jeder Mission ist, Ubereinstimmung über eine Prämisse zu' erzielen, um daraus eine zwingende Folgerung abzuleiten. Man kann dem Teufelskreis der Folgerungen, wo jede Folgerung wieder zur Prämisse weiterer Folgerungen wird, nur dadurch entgehen, daß man sich schon der ersten standhaft widersetzt.

Auch im Verhältnis von Sozialisten und Kirche hat es solche eingeredeten Zwangsfolgerungen immer gegeben. „Du bist ein Arbeiter, daher darfst du kein Kirchgänger sein! Du mußt die Kirche als Instrument des Klassenfeindes bekämpfen! Du bist ein Katholik, daher darfst du kein Sozialist sein, dahat

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