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Eine Alternative zu Adenauer?

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I.

Einer der -erfahrensten und gediegensten Pressemänner des heutigen Deutschland sagte uns vor kurzem bei einem Gespräch über die Gedankenkonstruktionen einer nichtkommunistischen deutschen Alternative zur Europapolitik des Bundeskanzlers Dr. Adenauer mit souveränem Lächeln: „Man muß schon ins Ausland fahren oder ausländische Zeitungen lesen, um all diese Theoreme, die in irgendwelchen Kreisen und Grüppchen konstruiert werden, ernst genommen zu finden " Wir glauben ihm dies aufs Wort, soweit es das Bewußtsein der Massen betrifft. Wir erlauben uns aber, aus gewissen Erfahrungen der neueren deutschen Geschichte heraus, bezüglich der Relevanz solcher zunächst nur auf dem Reißbrett existierenden Theorien, für den Fall, daß auf diese oder jene Weise ein Umschwung in der Massenstimmung eintritt, einen durchaus anderen Standpunkt. Man mag, wenn man ihn persönlich kennt, über die Gewichtigkeit und Verläßlichkeit der einzelnen Aussprüche des Vorsitzenden der Freien Demokraten, Doktor D e h 1 e r, seine eigene skeptische Meinung haben: Seine jüngste Rundfunkrede, in der er sich grundsätzlich hinter die Ambitionen seines außenpolitischen Beraters Dr. Pfleiderer, eines nationalliberalen Diplomaten der Strese- mann-Aera, stellte, ist wohl doch ernster zu nehmen als irgendein unmaßgebliches Geschwätz. Es wird hier von einer Seite, die des Kommunismus oder der Kommunistenfreundlichkeit durchaus unverdächtig ist, der Versuch einer Alternative zum Programm Adenauers unternommen, der auch in Oesterreich aufmerksam beobachtet werden sollte. Es ist weder unsere Aufgabe poch unser Recht, dem’ deutschen Nachbarland und seiner Regierung unerbetene Ratschläge zu erteilen; aber es erscheint wichtig, solche Tendenzen zumindest zu registrieren und auf ihre allfälligen gesamteuropäischen, also auch uns betreffenden Auswirkungen hin objektiv zu untersuchen.

II.

Wie sieht also eine solche vorläufig nur gedanklich konstruierte Alternative aus? Sie nährt sich, mit kleinen Abweichungen, im wesentlichen doch noch von jener R a- pallo-Politik, die vor mehr als 30 Jahren den großen Schachzug der deutschen Diplomatie bedeutete. Der Ring der Ententesieger um das geschlagene Deutschland wurde durch das zunächst nur wirtschaftliche und handelspolitische (intern aber viel weiter gehende) Abkommen zwischen Deutschland und der damals um ihren Bestand und ihr Weiterleben ringenden Sowjetunion gesprengt. Scharfsinnig kann daraus gefolgert werden, daß erst diese scheinbare Ostorientierung, zumindest die Drohung einer deutsch- sowjetischen Gemeinsamkeit Deutschland für seine westlichen Nachbarn wieder interessant und begehrenswert machte, somit also erst die berühmte Politik Stresemanns, die zur Locarno-Vereinbarung mit den Westmächten führte, ermöglichte. Hinter diesem Mythus von Rapallo tauchen aus dem Nebel der Geschichte dann noch andere Leitbilder auf: Die Bismarcksche, von seinen Nachfolgern leichtfertig verlassene Politik der Rückversicherung Rußland gegenüber, der Tag von Tauroggen, an dem der preußische General Yorck sich mit den russischen Truppen zum Kampf gegen Napoleon verbündete, vielleicht sogar hoch der geschickte Frontwechsel Friedrichs von Preußen, der durch seine Verständigung mit dem neuen Zaren den Ring seiner Gegner durchbrach

So lockend all diese historischen Spielereien und Parallelverschiebungen auch sein mögen, es bedarf kaum vieler Worte, um auch dem weltpolitisch Ungebildeten ihre gefährlich schillernde Irrealität für das Heute zu beweisen. Man konnte es den Männern von 1923, dem General Seeckt und dem Freiherrn von Maltzahn, zur Not nachsehen, daß sie die Umwandlung des zaristischen Rußlands in ein weltrevolutionäres, grundsätzlich expansionistisches Machtzentrum noch nicht zur Kenntnis genommen hatten. Für heutige Politiker ist die Verwechslung des Politbüros mit dem Kabinettsrat des Hauses Romanow eine indiskutable Torheit. Genau so kurzsichtig ist das periodisch immer in der Weltpresse wiederkehrende Gerede von einer angeblich im Hintergrund stehenden Fronde der Marschälle und Militärs, die bereit wäre, in Rußland einen Regimewechsel herbei zuführen. Die einfachste Berechnung dei Jahreszahlen müßte ergeben, daß die Mar schälle und Epaulettenträger von heute durch das strenge und sehr konsequent arbeitende Sieb von kommunistischen Parteiau lesen hin durchgegangen sind und so in ihrer bestimmenden Mehrheit als absolut regimetreue Funktionäre (wenn auch mit gewissen, hier aber weltpolitisch nicht ins Gewicht fallenden Cliqueinteressen) anzusehen sind. Es ist ermüdend, angesichts der eigentlich jeden Tag erfolgenden schlagenden Widerlegungen, die eine solche Spintisiererei durch die sowjetische Wirklichkeit erfährt, immer und immer wieder den gleichen historisierenden Träumereien irgendwelcher Exzellenzen und Klubstrategen zu begegnen.

III.

So leicht es also fällt, diese merkwürdigen Tagträumereien zu widerlegen, so ernst und beachtenswert aber wird das hier zunächst auf der politisch-militärischen Ebene entwickelte Denken, wenn es in weltanschaulich relevante Bereiche vorstößt. Beachtenswert und höchst gefährlich vor allem deswegen, weil in dem nun zu betretenden Niemandsland jede Wegmarkierung aufhört, weil gewisse Schlagworte, wie zum Beispiel auch das des „Nationalismus“, der „Europa-Idee“, hier mit einem Male doppeldeutig werden, ja sehr oft das Gegenteil von dem besagen können, was man landläufig darunter versteht. Wir glauben uns keiner Uebertreibung schuldig zu machen, wenn wir in den zunächst noch unausgegorenen, der begrifflichen Neuformung (die sich über Nacht durch einen geschickten’ Wortmagier finden kann) harrenden Stimmungen, die hinter dem Versuch einer deutschen Alternative zu Adenauer stehen, jenen uralten Gegenpol der deutschen Politik erblicken, der einmal Widukind, Jahrhunderte später Heinrich der Löwe und wieder ein halbes Jahrtausend später Hohenzollern- Preußen hieß. Je mehr sich Adenauers Politik als eine westlich-abendländische, im romanischen Sinn „reichische“ zu erkennen gibt, desto ausgeprägter werden auch die nach einem unheimlichen Gesetz der kommunizierenden Gefäße steigenden antithetischen Tendenzen bemerkbar. Die reichlich nebulösen Bezeichnungen, die der jüngste mit einem noch nicht ganz durchsichtigen Führungskampf in der Parteispitze endende Parteitag des sogenannten „Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ fand, deuten an, woher und wohin auch hier der Wind weht „Eine europäische Staatengemeinschaft mit Einschluß des Ostens.“ (Natürlich kann hier nicht das bolschewistische Satellitensystem gemeint sein, wohl aber auch nicht jene rein westliche Konzeption, die hinter Elbe und Oder nur einen weißen Raum kennt.) Instinktiv empfinden diese Kreise, mögen sie nun bewußt protestantisch, national, nationalistisch oder auch nur dumpf antiromanisch, antikatholisch eingestellt sein, das Fehlen einer Konzeption deutscher Ostpolitik, die ihnen von Bonn nicht gegeben wurde, der Lage der Dinge zufolge auch gar nicht gegeben werden konnte. Natürlich bleiben diese Sehnsüchte vorläufig noch in der Sackgasse der unannehmbaren russischen Forderungen, der von kaum einer Seite als auch nur theoretisch diskutabel angesehenen Ulbricht-Regierung stecken, aber es hinderti-nicht, daß sie innenpolitisch um sich greifen, die Parteien rechts der CDU wie ein Schwamm durchwuchern und heute oder morgen in einer noch nicht abzusehenden Weise auf den Plan treten können, dann aber nicht mehr als Sehnsüchte, sondern als politisch wirksame Kräfte.

IV.

Politisch wirksam: das heißt zunächst im Inneren. Das heißt als Möglichkeit einer großen Fronde der Mißvergnügten, die sich, bei entsprechend geschickter Regie, sogar um das so oft schon mißbrauchte Banner „Schwarz-Rot-Gold“ gruppieren könnte, die den Geist der Paulskirche gegen den des rheinischen Zentrumskatholizismus, den Geist König Heinrichs mit seinem ostmitteldeutschen Grab in Quedlinburg gegen die nach Süden ausgreifenden Staufer römischdeutscher Prägung nicht ohne ein gewisses Echo beschwören könnte. Es könnte aber auch sein, daß man die schwarzweißroten Farben des Nationalliberalismus beschwört: Tauroggen, den „Rückversicherungsvertrag“, die „Schwarze Reichswehr“

All das bliebe aber immer noch innerdeutsche, wenn auch schmerzliche und gefährliche, längst vernarbt geglaubte Wunden aufreißende Auseinandersetzung. Gefährlich und höchst aktuell würde dies alles nur in dem Augenblick, an dem sich hierfür im Kreml ein aufmerksamer Beobachter, ein elastischer Partner fände. Die scheinbar undurchdringliche und rücksichtslose Sturheit des Gesprächspartners im Kreml ist in ihrem Verhältnis zum asiatischen Osten einer geradezu akrobatischen Elastizität, einer weitläufigen Einfühlungsgabe gewichen. Peking war es und ist es wert. Wie aber, wenn in der weltpolitischen Schachpartie Deutschland mit seinen potentiellen Schlüsselstellungen für den Kreml auch diesen oder einen ähnlichen Wert bekäme? Der Hauptträger einer solchen Politik, Berija, ist in der abgrundtiefen Versenkung verschwunden, viele Männer seiner Richtung aber, in Deutschland etwa Zaisser und Herrnstadt, sind heute eiskalt gestellt. Aber was geschieht morgen? Semjonow, der geschickteste Deutschlanddiplomat der

Sowjets, sitzt, stiller und gebundener ais früher, immer noch auf seinem Prokonsulsessel Unter den Linden, bestimmt sehr aufmerksam beobachtend Es dürfte feststehen, daß der deutsche Kommunismus samt allen seinen winzigen Satelliten und Ablegern für Moskau weder ein Schuß Pulver noch eine Drehung im Thronsessel wert ist. Ein solches schwarzrotgoldenes Rapallo-Konzept aber, „klug zusammengebraut und mit einem Schuß Antiklerikalismus gewürzt, das wäre schon eher ein lohnendes Ziel“.

Unsere eingangs gestellte Frage ist zu beantworten: Ja, es gibt eine Alternative zur Politik Adenauers. Sie trägt diesen oder jenen schönen, traditionsreichen Namen, sie läßt dieses oder jenes töricht-edle Herz höher schlagen, der Endpunkt dieser Straße aber liegt im Kreml. Nur wer bis dahin pilgern will, kann den Ritt ins Niemandsland der deutschen, der europäischen Politik antreten!

Wir sagen dies nicht in kritikloser Verherrlichung des gesamten Konzepts des deutschen Bundeskanzlers. Und wir sagen dies auch nicht im Ton der Begeisterung und des Hurrapatriotismus. Aber es scheint uns, angesichts der extremen Versuchung, eine harte Notwendigkeit zu sein, auf die so seltene staatsmännische Tugend der Ausdauer und Zähigkeit hinzuweisen, auch in einem Wellental der politischen Stimmung auszuharren. Jedes andere Experiment würde heute auf kurzscljlüssigen Umwegen wieder in jene ausweglose Zweifröntenstellung hineinführen, in die Wilhelm II. und Hitler das deutsche Volk mit Glanz und Gloria hineinmanövrierten.

Und es erscheint uns dies vor allem auch in Oesterreich bemerkenswert zu sein, weil gewisse auf die nationale Wählerschaft spekulierende Gruppen, einander in unguter Weise emporlizitierend, mit solchen Gedanken des romantisierenden „Wanderers zwischen beiden Welten“ und der selbstmörderischtörichten Pose des „Viel Feind, viel Ehr“ zu kokettieren beginnen.

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