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Randbemerkungen zur woche

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DER AUSSERORDENTLICH STARKE INTERNATIONALE WIDERHALL der in Moskau besonnenen österreichisch-russischen Verhandlungen verpflichtet Oesterreich und die Oesterreicher zur sorgfältigen Beobachtung und Auswertung. Seit Jahrzehnten stand unser Land nicht mehr so im Lichte und Kreuzfeuer der Weltöffentlichkeit, wie seit den Tagen, in denen es offenkundig wurde, daß die österreichische Regierung eine direkte Aussprache mit Moskau nicht ausschlagen würde. — Es kann heute nicht nüchtern und deutlich genug festgehalten werden: weite internationale Kreise hatten sich daran gewöhnt, dieses kleine und liebenswürdige Land freundlich zu bewerten, ihm aber sowohl in der Weltpolitik wie in der Weltpresse nur eine sehr nebensächliche Bedeutung zuzuerkennen — und nicht wenige einflußreiche Kreise in Oesterreich hatten nur allzu dienstwillig das falsche und für uns so gefährliche Schlagwort kolportiert: ein so kleines Land dürfe sich nicht anmaßen, die Kreise der Großen zu stören, geschweige denn versuchen, sein eigenes Wort in die Waagschale der Wehpolitik zu legen. — Der kühne Schritt des Kanzlers Raab ließ denn zuallererst jene kleineren Mächte und Völker und ihre Presse aufhorchen, die seit langem bereits ihre eigene Einbeziehung in die Drucksphären dieser und jener Großmacht mit einiger Sorge betrachteten. Das gilt nicht mir für eine Reihe westeuropäischer Randstaaten und für die skandinavischen Länder, sondern auch für ein Land, das sich mit viel Geschick selbständig behaupten will, wie Spanien. Die offensten Worte an die Adresse des Westens im Westen selbst sind aus dem gegebenen Anlaß des österreichischen Versuches von der spanischen Presse geäußert worden. Die Schweizer Presse diskutiert mit hohem Interesse die russischen Erklärungen, die auf das Vorbild der Schweizer Neutralität hinweisen. — Naturgemäß zwiespältig mußte und muß, die Reaktion in dem nächstbetroffenen Lande Europas sein, in Deutschland. Wenige außenpolitische Ereignisse haben seit Jahren die deutsche Oeffentlichkeit und die deutsche Presse sosehr erregt, wie die österreichisch-sowjetischen Verhandlungen. Oesterreich, von dem führende deutsche Publizisten und Presseleute noch vor ganz kurzer Zeit sagten und eingestanden, daß es in ihren Augen wenig interessant sei, viel weniger als etwa indische und fernöstliche Staaten, ist, und wir wollen das mit Genugtuung verzeichnen, auf einmal daran, in dem Rang gesehen zu werden, den es tatsächlich in Europa einnimmt: eine Schlüsselposition — als solche wurde sie bekanntlich auch von Hitler, seinen Generalen und Industriellen erkannt. — Bundeskanzler Adenauer hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der Fall Oesterreich keinen Modellfall für die Bonner Bundesrepublik darstellen könne: dennoch ist es allen westdeutschen Politikern und auch der Oeffentlichkeit klar, daß das österreichische Experiment nicht ohne mannigfache direkte und indirekte Auswirkungen für die künftigen Verhandlungen Westdeutschlands mit Rußland betrachtet werden kann, Der Vorstoß der deutschen Sozialisten, die eine direkte Anlehnung an das österreichische Exempel für Westdeutschland befürworten, mag kurzsichtig sein, der Versuch führender Politiker der Liberalen, der FDP, jetzt schon einen „Dritten Weg“ für Westdeutschland zu proklamieren, jenseits der Adenauerschen und Ollen-hauerschen Konzeptionen, mag verfrüht und staatspolitisch wenig durchdacht scheinen — die künftige Bonner Außenpolitik wird auf ihre Weise dem Rechnung tragen, was sich an Möglichkeiten aus den österreichisch-russischen Verhandlungen für Deutschland ergibt. Aengstliche Beobachter und Programmschmiede sprechen überaus deutlich von der „Versuchung“ Deutschlands durch das österreichische Exempel. Wir möchten lieber von der Chance sprechen, von einer legitimen Möglichkeit, gerade für Deutschland, sich in seiner Zusammenarbeit und Föderation mit der freien Welt in einem Eigenstand behaupten zu können, den es bedarf, um seinen großen Kräften legitimen Spielraum nach außen schaffen zu können, und um den inneren Druck, von Seiten eines nationalistischen heißen Untergrundes, mindern zu können. — Oesterreich hat durch seinen Versuch nicht die Absicht bekundet, aus Europa, aus seiner Mitarbeit in der freien Welt, auszuscheiden, sondern ganz im Gegenteil: diese zu aktivieren, indem es verantwortungsbewußt im südosteuropäischen Raum seine alte Sendung wiederaufnimmt, Mittler von Kultur, Wirtschaft, Freiheit zu sein. Der Widerhall der Ereignisse dieser Tage und Wochen in der europäischen Presse zeigt, daß man beginnt, diese Rolle Oesterreichs wieder zu erkennen, die man 1918, 1938 und 1945 zu eigenem Schaden verkannt hatte.

DIE WAHL GIOVANNI GRONCHIS ZUM STAATSOBERHAUPT ITALIENS kam für seine engeren Anhänger ebenso überraschend wie für seine Gegner, wie für das Ausland. Als sich in den mehrfachen Wahlgängen immer deutlicher seine Gestalt in den Vordergrund schob und sehr ehrenwerte Männer in den Hintergrund gedrängt wurden, erhielt ein innerer Prozeß, der seit Jahren in Italien im vollen Gange ist und der den Parteitagen der Demo-cristiani immer deutlicher seinen Stempel aufprägte, seine weithin sichtbare Dokumentation. Sehr zum Unterschied von Frankreich, Deutschland und anderen Ländern, in denen die christlich-demokratischen Parteien mehr oder weniger restaurativen Tendenzen und (oder) der überwältigenden Autorität großer alter Männer und Routiniers erlagen, haben sich in Italien iene Gruppen emporgearbeitet, die entschieden und sehr ernst ein soziales Reformwerk durchführen wollen, das dem Druck der äußersten Rechten und Linken gleichermaßen gewachsen sein soll. Es ist wohl kein Zufall, daß, soweit sich ein solches Phänomen überhaupt einsehen läßt, die geistige, intellektuelle und spirituelle Durchbildung, Erziehung und innere Disziplin dieser kleinen christlichen Eliten um Gronchi, Fanfani, La Pira weit alle jene Ansätze übertrifft, die es in anderen christlich-demokratischen Bewegungen anderer Länder gibt. In der klösterlichen Stille und Zurückgezogenheit haben die geistigen Führer dieser christlichen Sozialreform sehr klar erkannt, daß die Zeit heute reif wird, um an die Stelle freundlicher Phrasen, ideologischer Vernebelungen, auch gutgemeinter Versprechungen und Verheißungen eine konkrete, weitplanende und ausgreifende Sozialarbeit treten zu lassen: eine gebieterische Notwendigkeit gerade in einem Lande wie Italien, mit Millionen Arbeitslosen, mit einer Reihe begonnener Sozialwerke, Bodenreformen, deren Ausbau beziehungsweise Verwirklichung gesichert werden muß, soll nicht eine gefährliche Verwirrung in den breitesten Schichten der Bevölkerung entstehen. Wenn schließlich Gronchi mit einer beachtlichen Mehrheit von Stimmen die höchste Würde des italienischen Staates erlangen konnte, dann wohl aus eben diesem einen Grunde: einsichtige Gegner und ihm wenig freundlich gegenüberstehende Männer seiner eigenen Partei scheinen erkannt zu haben, daß Italien, die christliche Demokratie, die Freiheit (Li-bertas ist die Devise der Democristiani) gefährdet sind, wenn die unter größten Schwierigkeiten und Hemmungen begonnenen Sozialwerke der italienischen Regierung eingestellt oder zumindest soweit verwässert werden, daß ihr Anfangs- und Enderfolg in Frage gestellt wird. Zu dieser Befürchtung gab es nun Anlässe genug: die Wahlniederlagen der italienischen Kommunisten, die relative Beruhigung der internationalen Lage ließen großkapitalistische Kreist neuen Atem schöpfen und sie wieder vorpreschen — sehr zur Sorge nicht nur der Arbeitermassen, sondern auch eines Mittelstandes und Kleinbürgertums, das kaum genug zum Leben hat. Für alle diese Millionen Menschen ist Gronchi die Verheißung einer aktiven konstruktiven Staatsführung und Sozialpolitik.

DIE KONFERENZ VON BANDUNG brachte eine Reihe vor Ueberraschungen. 29 Staaten waren an der Konferenz beteiligt, von Libanon und Jordanien bis Pakistan, von Aegypten und Abessinien bis Indien und Burma, von China bis zu den Philippinen. Vor ihrem Zusammentritt versprach die Konferenz für Rußland Vorteile, nach ihrem Abschluß kann jedoch eher Washington mit dem Ergebnis zufrieden sein. Ursprünglich schien es ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein, Rolchina und etwa die Philippinen oder die Türkei auf einen gemeinsamen weltpolitischen Nenner zu bringen, gemeinsame weltpolitische Interessen zwischen

— Ein Deutung des Gesamtwerkes des österreichischen Dichters von der Schlüsselstellung seiner Bildwelt aus, die Trakl selbst einmal als „Offenbarung und Untergang“ bezeichnete. Der Titel „Liebe und Tod“ weist darauf hin, daß im Mittelpunkt dessen, was Trakl „Offenbarung“ nennt, die Liebe steht und im Mittelpunkt de „Untergangs“ der Tod. Zu beziehen durch den Buchhandel.

VERLAG HEROLD, WIEN VIII Libyen und dem Vietnam zu finden; das Schlußkommunique wurde aber nicht so inhaltslos, wie man es voraussah, es hat echte politische Substanz, wenn sich auch die Grenzen der Zusammenarbeit zwischen den 29 Partnerländern deutlich abzeichnen, Ihre Gesamtheit dürfte schon auf die Tagespolitik Wirkungen ausstrahlen, vor allem aber verspricht die Konferenz zum Ausgangspunkt einer intern essanten Entwicklung auf lange Sicht zu werden. — Es hat sich keine asiatisch-afrikanische Gruppe, als eine Art dritte Kraft der Weltpolitik, heraus-gebildet. Dies war auch nicht bezweckt, denn Nehru, einer der Führer der asiatischen Politik, war von Anbeginn scharf gegen Blockbildungen, und auch U-Nu, der Ministerpräsident von Burma, hat sich zu dieser Ansicht bekannt. Außerdem ist es nicht abzusehen, wie Staaten, die so diametral entgegengesetzte politische Linien befolgen, wie etwa die beiden kommunistischen Länder an der Konferenz (Rotchina und Vietminh), und jene, die direkt oder indirekt dem Atlantikpakt angehören (die Türkei, Irak und Pakistan), jemals einen weltT politischen Block bilden könnten. Hingegen einigten sich die Bandung-Staaten auf eine gemeinsame Einstellung gegenüber der Gesamtheit der nichtasiatischen und nichtafrikanischen Mächte. Diese Einigung auf die Verurteilung des Kolonialismus der europäischen Mächte und der Einmischung in die Angelegenhelten anderer Völker lag in der Luft. Es war aber fraglich, ob die Vertreter so vieler Staaten gleich bei der ersten Fühlungnahme eine Formel finden werden. Soweit unter einem Schleier eine Leitidee für eine Gruppe von Staaten sichtbar wurde, wendete sie sich gegen Rußland.

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