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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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LILIENFELD — EIN SYMBOL! In Lilienfeld hat die OeVP die Mehrheit der Sozialisien gebrochen. Und dies in einem Industrieort des ehemals eindeutig roten Traisentales. Die bürgerliche Presse sucht im Wahlergebnis von Lilien-feld einen Hinweis auf den Wahlausgang des 13. Mai zu sehen. Wir sind jedoch der Meinung, dal) das Beispiel Lilienfeld nichf so sehr Schlüsse auf den Ausgang der Wahlen zuläfjf, sondern eher ein Beweis dafür ist, w o die Chancen der OeVP heute gelegen sind: Nichf in der Konservierung eines rhetorischen Anti-Marxismus und in einem Aufruf an die besitzbürgerlichen Instinkte, sondern in einer konsequenten Oeff-nung nach links. Wenn in Lilienfeld eine Gruppe Anteil an dem gewiß beachtlichen Erfolg der OeVP hat, dann sind es die Arbeiter in der OeVP, die Männer, die in jener Partei, die sich so gerne als nur-bürgerlich bezeichnen läßt, auch eine soziale Hoffnung sehen. Nichts wäre verderblicher für die OeVP als die Annahme, Lilienfeld sei ein „bürgerlicher“ Sieg. Gerade das Gegenfeil scheint, nach Kenntnis der Dinge, der Fall zu sein. Es sei denn, man ist gewillt, die starken Gruppen von Arbeitnehmern, die jetzt im Traisental in das Lager der OeVP gekommen sind, als „bürgerliche“ zu klassifizieren. Das wäre aber eine heillose Verwirrung der Begriffe und die Verdeckung einer Entwicklung, die zu einem Strukturwandel der Volkspartei führen kann. Was manche ihrer Prominenten gar nichf wahr haben wollen. Weil sie dann einbekennen müßten, dafj sie Gruppen zu repräsentieren suchen, die offensichtlich mehrheitlich gar nicht in der VP ihren politischen Standorf sehen.

EIN TREUER SOHN DER KIRCHE. Der Erzbischof von Erlau (Eger), Dr. Gyula Czapik, ist nach schwerer Krankheit im Budapester Heiligen-Franziskus-Priesterspital gestorben, meldete das Ungarische Nachrichtenbüro in der Nacht auf Donnerstag, den 26. April. Das Kommunique, das die Umstände seines Todes mit grofjer Genauigkeit schildert, wurde von namhaften Pro-fessoren der Medizin unterschrieben. Budapester Zeitungen widmeten dem toten Erzbischof Nachrufe. Der Tod eines katholischen Bischofs muf) also heute, wie man sieht, auch in einer Volksdemokratie ernst und würdig aufgenommen werden. Erzbischof Czapik war seit 1951, seit der Verurteilung des Erzbischofs von Kalocsa, Josef Groesz, Vorsitzender der ungarischen Bischofskonferenz, und als solcher stand er seither fast ununterbrochen in Verhandlungen mit den staatlichen Stellen, um aus der tragischen Situation, in der sich die Kirche in Ungarn besonders zwischen 1948 und 1951 befand, einen für die Katholiken gangbaren Ausweg zu finden. Dieser tägliche Kleinkrieg schien den westlichen Presseagenturen nie dramatisch genug, um Erzbischof Czapik als Märtyrer der Christenheit zu proklamieren, aber wer auch nur einigermaßen die ungeheuren Schwierigkeiten kennt, denen er mit Geduld, christlicher Demut und doch in den letzten Dingen mit Festigkeit begegnete, wird die wahre Bedeutung dieser Tätigkeit eines Oberhirten nicht verkennen. Erzbischof Czapik war vor dem ersten Weltkrieg Zögling des Wiener ungarischen Priesterseminars „Pazmaneum“, studierte in Wien Theologie und wirkte hier auch als Lehrer. In den zwanziger Jahren errang er in Ungarn Berühmtheit als Redakteur katholischer Zeitschriften, darunter der hervorragenden Zeitschrift „Magyar Kultura“. 1939 zum Bischof von Veszprem, 1943 zum Erzbischof von Erlau ernannt, hatte er wohl kaum Zeit, sich auf die so neuartige, zeitgemäße Aufgabe eines katholischen Bischofs vorzubereiten, Hirte, Wortführer und Beschützer der ihm anvertrauten Gläubigen zu sein: in der Diaspora, inmitten einer aggressiv feindseligen, nur bestenfalls gleichgültigen Umgebung, abgeschnitten von Rat und Hilfe der römischen Kurie, allein einer überlegenen materiellen Macht gegenüber, die alle Künste und Kunststücke einer dialektischen Verhandlungstechnik im Dienst ihrer religionsieindlichen Politik anwendet. Wie bestand er? Er blieb stark, als ihn die Polizei holte, weil er dem französischen Kommunistenführer Duclos kein Begrüßungstele-gramm schicken wollte. Er sprach deutlich, auch bei „Friedenskongressen“, wenn es so kommen muffte, stets „als treuer Sohn les Oberhauptes unserer Kirche“. Nur einmal zeigte er Zeichen der „Schwäche“, in besonderem, ergreifendem Sinn, als er am 8. Dezember 1954 bei dem Hochamt zum Abschluß des Marienjahres ein Gebet für den Papst vor Rührung kaum sprechen konnte. Ungarns Katholiken haben viel in Erzbischof Czapik verloren.

DER ENGLANDBESUCH BULGANINS UND CHRUSCHTSCHOWS war der eiste Besuch der sowjetischen Staatsführer im Westen seit Bestehen der UdSSR. Das allein mag schon auf die Bedeutung dieser Reise hinweisen. Die englische Oeffentlichkeit zeigte in ihren sehr verschiedenartigen Reaktionen auf diesen Besuch das selbstbewußte Gesicht einer echten Demokratie: von unverhülller Ablehnung, vom heftigen Angriff, Spott, Satire und Ironie bis zu freundlicher Aufnahme waren alle Schattierungen des menschlichen Verhaltens einem großen Feind, Gegner, Partner, Genossen gegenüber gegeben. Die sowjetischen Führer nahmen diese wahrheitsgetreue Spiegelung politischer Ueberzeugungen zur Kenntnis und ließen es ihrerseits nicht an Offenheit und Härte fehlen. Was ist, soweit sich das in diesem Moment übersehen läßt, das Ergebnis dieser ersten Westfahrt der sowjetischen Machthaber? Das kurze gemeinsame Kommunique, das am 26. April kurz vor Mitternacht unterzeichnet wurde, erklärt: Beide Mächte werden alles in ihrer Macht Siehende tun, um eine Entspannung in der Weif herbeizuführen, dem Wettrüsten Einhalt zu gebieten, den Frieden im Nahen Osten aufrechtzuerhalten, die russisch-englischen Handelsbeziehungen zu verbessern und die kulturellen Kontakte zu erweitern. — Eine Stunde nach diesem Kommunique gab die Regierung der Vereinigten Staaten die Lockerung der Ausfuhrbeschränkungen nach dem Osten (mit Ausnahme Chinas) bekannt. Rund siebenhundert strategisch nicht wichtige Warenkategorien sind davon betroffen. Diese blitzschnelle Reaktion der USA, die aber schon von langer Hand vorbereitet war, wie die letzten Reden des Staatssekretärs Dulles über das Vordringen friedlicher und freiheitsliebender Kräfte in der Sowjetunion beweisen, ist nichf nur in bezug auf ein Riesenangebot Chruschtschows an den englischen Handel (Aufträge im Werf von 70 Milliarden Schilling) zu verstehen. Es geht um mehr als um den englisch-russischen Handel. Es geht über den Handel des Westens (auch amerikanische industrielle Kreise drängen auf neue Kontakte mit dem Osfen), um eine neue Absprache Moskaus mit London und Washington. Chruschtschows Worte in London — „Wir würden es begrüßen, mit Ihrer Hilfe bessere Beziehungen zwischen der Sowjetunion, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern herzustellen“ — sind ernst zu nehmen. Momentan haben es die beiden großen Kontrahenten nicht eilig. Eisenhower kann sich vor den Wahlen nicht allzu weit mit den Sowjets einlassen, diese wieder wollen sehen, was sich bis dahin in der Weif für sie machen läßf. Beider Blicke gehen nach Asien, nach Japan (Ministerpräsident Hatojama bereifet eine Reise nach Peking vor), In den Nahen Osfen, und in Europa 1iach Frankreich und Deutschland. Die Russen haben in England dezidiert erklärt, daß die deutsche Frage für sie noch nicht spruchreif Ist. Eden hingegen betont, in Uebereinstimmung mit Washington, die große Bedeutung der deutschen Wiedervereinigung. Be:de Partner im großen Tauziehen glauben, ein starkes As zu haben: der Westen zählf auf Adenauer, und der Osfen zählt auf die Unzufriedenheit mif Adenauer. In und um Bonn werden also zunächst die Auseinandersetzungen weitergeführt werden, die jetzt, hart, offen und ruhig in London begonnen haben. Die Londoner Proklamation des kalten Friedens — nach der Beendigung des kalten Krieges —wird es jedenfalls Amerika erlauben, weltpolitisch aktiver zu werden als es in der letzten Zeif war. Ueber den Handel beginnt der Wandel der Weif sichtbar zu werden ...

DER STAATSBESUCH GRONCHIS IN PARIS — der erste eines italienischen Staatsoberhauptes seit der Frankreichreise des Königs Victor Emanuel III. im Jahre 1918 — ging weit über eine reine Höflichkeitsvisite hinaus. Die Agenda waren aber auch diesmal umfangreicher und verpflichtender als je zuvor. Ohne formelle „Tagesordnung“ wurden fünf Probleme besprochen, die auch die Zukunft beherrschen werden: 1. Auswertung des bislang in Vergessenheit geratenen und gerade vom italienischen Staatschef bei seinem Nordamerikabesuch nachdrücklich hervorgekehrten Artikels 2 des Atlantikpakts mit seinen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Solidaritätsbekundungen aller Partner; 2. Die Probleme der Weltsicher-heit und der Wiedervereinigung Deutschlands; 3. Die Abrüstungsfrage; 4. Lage im Mittleren Osten; 5. Europäische Integration und gemeinsamer Markt. Zu Punkt 1 will sich natürlich Italien die kapitalsfarke französische Hilfe sichern, auch in Form von technischer Unterstützung für die geplante großzügige Industrialisierung im Süden des Landes. In Frankreich, wie übrigens auch in Deutschland, England und den Vereinigten Staaten sucht es Kapitalien und technische Unterstützung mobil zu machen, um die Ziele des Zehnjahres-(Vanoni-) Plans zu verwirklichen. In der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands dürften die französischen Interessen mit jenen der Italiener nicht ohne weiteres übereinstimmen. Denn Italien spürt heute, zumal seit der Neu-Iralisierung Oesterreichs und der Wiederaussöhnung Tito-Jugoslawiens mit Sowjetrußland, mehr denn je den russischen Druck auf seine Grenzen und würde nach der Wiedervereinigung Deutschlands erleichtert aufatmen. Eine besonders wichtige Frage ist der Punkt 3: die des Mittleren und, fügen wir hinzu, des Nahen Ostens. Für Italien ist sie in letzter Zeif geradezu eine Frage der Friedenssicherung und des nationalen Prestiges geworden. Italien, das eigentliche Herzland des Mitfelmeers, ist an der Befriedung der Uferstaaten dieses politisch und wirtschaftlich gleich wichtigen Raumes, sei es in Nordafrika, sei es in Kleinasien, wo es zudem überall italienische Minderheiten gibt, eminent interessiert.

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