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Aus der größeren Perspektive

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Nun ist es wieder so weit: die Wiener Frühjahrsmesse wird, am 8. März ihre Pforten öffnen. Man kann ihren Verlauf mit um so größerer Spannung erwarten, als nunmehr auch in der österreichischen Konjunkturentwicklung unübersehbare Verlangsamungstendenzen auftraten. Darüber hinaus lassen die bisher bekanntgewordenen Ergebnisse verschiedener Auslandsmessen dieses Frühjahres erkennen, daß mit der Zuspitzung der Konjunktursituation auch die Diskussion um eine Neuordnung der europäischen Messen neue Nahrung erhalten hat. Läßt sich die Stellung Wiens an Hand dieser Diskussion schon klar abgrenzen?

Rein äußerlich ist Wien als Messeplatz von dieser im Ausland wieder ziemlich lebhaften Diskussion noch wenig berührt. Die Teilnehmerzahlen sind ziemlich stabil, der Besuch bleibt in den gewohnten Grenzen, wobei man sich allerdings wegen der Zahl der ausländischen Besucher keinen Illusionen hingeben soll. Trotzdem steht auch in Wien das Messeproblem als solches hinter den Kulissen zur Debatte, denn die Wirtschaft hat, zumal in Krisenzeiten, an einem Zuviel an Messen und Veranstaltungen keine Freude, schon gar nicht, wenn allmählich Aufwand und Ergebnis in kein rechtes Verhältnis mehr zu bringen sind.

Wer zu den regelmäßigen Messebesuchern gehört, wer vor allem zahlreiche Aussteller mehrmals im Jahr auf verschiedenen heimischen und ausländischen Veranstaltungen zu sprechen Gelegenheit hat, weiß, daß derlei Ueberlegungeii bei den österreichischen Ausstellern in immer stärkerem Maße angestellt werden. Die Klage über das Zuviel und Zuoft gehört geradezu zum eisernen Bestand jedes Messegespräches zwischen Aussteller und Wirtschaftschronisten.

Nach den Aufzeichnungen des Wirtschaftsförderungsinstitutes der Bundeshandelskammer finden heuer in Oesterreich 52 Messen, messeähnliche Veranstaltungen und Ausstellungen statt. Dazu kommen noch 25 ausländische Messen, die von österreichischen Firmen beschickt werden. „Jeder Gemeinde ihre Messe" — das Schlagwort hat für Oesterreich an aktueller Bedeutung noch nichts eingebüßt. Es wäre an der Zeit, daß sich auch in Oesterreich ein Ausschuß für Messen und Ausstellungen auftut, dieser Flut Einhalt zu gebieten, wie es der „Messe- uM Ausstellungsausschuß der deutschen Wirtschaft“ in der Bundesrepublik wiederholt und mit Erfolg versucht hat. Allerdings wäre einem solchen Unternehmen wenig Erfolg beschieden, solange die angesprochene Ausstellerschaft nicht von ihrer stärksten Waffe Gebrauch macht: die Verweigerung jeder Beteiligung an Veranstaltungen, deren Unrentabilität für Verkäufer und Käufer auf der Hand liegt. Damit soll aber beileibe nicht gesagt werden, daß davon nur gerade lokale Märkte oder nur solche regionalen Charakters betroffen werden. Es tut gut, daran zu erinnern, daß die besten Verkaufserfolge von allen österreichischen Messen seit Jahren immer das alte Welser Volksfest aufweist!

Wien hält am Typus der allgemeinen Mustermesse fest, an jenem Typ also, der im Ausland den meisten Schwierigkeiten begegnet. Dabei ist die Stellung der Wiener Messe am Rande des freien europäischen Wirtschaftsraumes schon an und für sich schwierig, da die Strahlungskraft nach Ost und Südost begrenzt wird durch die straffe Wirtschaftslenkung in diesen Räumen, die, notwendigerweise unelastisch, auf die saisonale Zweiteilung des Wirtschaftsrhythmus durch die Messe kaum Rücksicht nimmt. Man hat es in Wien daher wesentlich schwerer, den sich anbahnenden Strukturänderungen Rechnung zu tragen.

Dennoch hat Wien zweifellos seine Chance im Konzert der Messen, wenn es gelingt, die Struktur des Angebotes zu straffen. Eine reine Fachmesse -für Wien zu fordern, wäre völlig unrealistisch. Das aber an Beiwerk zu eliminieren, was das Angebot derzeit unübersichtlich macht, müßte keine unlösbare Aufgabe sein. Die Erfahrungen ausländischer Messen mit der nachlassenden Neigung zur Repräsentation müßten dabei ein übriges tun: auch in Wien dürfte die Zahl jener Firmen allmählich abnehmen, die sich damit begnügen, in einem mit viel Aufwand ausgestatteten Pavillon ihren ohnehin ständig betreuten Kunden die Hand zu drücken, ihnen eine Schale Mokka zu servieren und im übrigen über alles aridere, nur nicht über das Geschäft mit ihnen zu plaudern. Vielleicht erschließt sich hier mit der Zeit eine Möglichkeit, in der Vielzahl kleiner und kleinster Eigenbauten von Firmen Ordnung und Ueber- sicht und Platz für manche Zusammenfassung von bisher Zersplittertem zu finden. Darüber hinaus wird man aber auch manche Pavillons eliminieren müssen, die völlig messefremd sind: die Messe wurde für das Geschäft, aber nicht für Propagandazwecke geschaffen, auch nicht für politische Propaganda. Dies muß in jenem Zeitpunkt besonders betont werden, wo sich gerade in Wien die Hauptaufgabe der Messe in vielen Branchen immer mehr vom Verkauf auf die Bedarfsweckung verlagert. Hierin liegt ihre große Inlandsbedeutung.

Die Bedeutung der Wiener Messe für das Auslandsgeschäft ist nicht ganz unbestritten. Jedenfalls zeigt die Herbst messe eine ständig steigende Ausländsbeteiligung und erweist sich gerade für Ost-West-Kontakte als geeignet. Was Leipzig auf diesem Gebiet jenseits des Eisernen Vorhangs ist, kann Wien, bei einigem Bemühen, im westlichen Bereich sein. Auch hier wieder erweist sich Oesterreichs Stellung als Brücke zwischen Ost und West. Begreiflich, daß man unter diesem Aspekt auch alle Bemühungen um die europäische Integration kritischer betrachtet, denn sie finden ihre ureigenste Wurzel ja eben in dem Gegensatz zwischen Ost und West. Europa wird sich politisch und wirtschaftlich zwischen den beiden Weltmächten nur dann behaupten und der Gefahr, zum ohnmächtigen Objekt der Weltpolitik zu werden, entrinnen können, wenn es einig ist, wenn es seine geballte Wirtschaftskapazität im großen Ringen um die Weltmärkte von morgen zielbewußt und geschlossen einsetzen kann. Der gegenwärtige Zustand aber ist eine ernste wirtschaftliche Gefahr, nicht nur für Oesterreich, das die Folgen der Diskriminierung durch EWG und Montanunion bereits deutlich zu verspüren bekommt, sondern auch für ganz Europa, das sich eine neue Zweiteilung, die EWG und die „anderen sechs“, mit munter einsetzenden Diskriminierungen und Repressalien, ganz einfach nicht leisten kann.

Die gegenwärtige Situation im österreichischen Außenhandel ist keineswegs erfreulich: die Schrumpfung hält an, der Export wird immer schwerer und das Passivum wird größer. Was liegt näher, als daß man, vielleicht aus Ueber- vorsicht, jetzt darangeht, bei den Importen Kontingentüberschreitungen zu vermeiden, was bei den Betroffenen allerdings bitter und zum Teil sogar als Repressalie empfunden wird und die Gefahr neuer dirigistischer Eingriffe in die Freizügigkeit des Außenhandels in sich birgt. Es ist einigermaßen überraschend, daß das Wirksamwerden der EWG, von ihren Propagandisten als Vorgriff auf die europäische Integration gepriesen, nach dem Scheitern des Freihandelszonenprojektes in kurzer Zeit die Gefahr heraufbeschworen hat, daß die Liberalisierung des Außenhandels, als Folge von Diskriminierung und Repressalie, wieder schrittweise abgebaut wird. Noch ist es nicht so weit, und es wäre aller Anstrengung wert, die von der OEEC und dem GATT erzielten Erfolge auf dem Gebiete der Freizügigkeit des Handels zu verteidigen und zu erhalten. Es wäre dazu nur notwendig, daß man sich auf allen Seiten zu zwei Prinzipien bekennt: zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung und zur Einsicht, daß alle Probleme der europäischen Wirtschaft nur durch multilaterale Vereinbarungen gelöst werden können.

Es geht dabei im übrigen gar nicht um die Sonderinteressen der einzelnen Länder, sondern, in weiter Sicht, um den Bestand Europas, um den Begriff Europa als wirtschaftliche und politische Realität. Gerade im Ringen um die Weltmärkte kann nur ein integriertes Europa sich eigenständig zwischen den beiden Großmächten USA und UdSSR behaupten. Und die Weltmärkte der Zukunft, die großen Absatzmärkte von morgen, die heute schon von allen Seiten lebhaft umworben sind, liegen im Nahen, Mittleren und Fernen Osten, im afrikanischen Raum.

Es kann kein Zweifel darüber mehr bestehen.

daß das Ringen um diese Märkte von morgen in ein neues Stadium getreten ist. Die alten Begriffe von Agrarländern und Industriestaaten haben sich überlebt und neue regionale Gliederungen treten immer stärker in Erscheinung: die Verflechtungen von Politik und Wirtschaft sind stärker geworden, diesseits und jenseits! Das muß offen ausgesprochen werden.

Auf beiden Seiten, vom Westen und vom Osten, ist in den letzten Monaten und Jahren eine große Exportoffensive auf den potentiellen Märkten der Zukunft gestartet worden, die man in einiger Ueberheblichkeit oftmals als „unterentwickelte Gebiete“ bezeichnet. Es handelt sich dabei um Länder mit einem auf lange Sicht hin großen und sich im Zuge der Industrialisierung sogar steigernden Einfuhrbedarf, um Märkte von fast unbegrenzbarer Aufnahmefähigkeit. Auf der kommerziellen Ebene sind daher die verstärkten Bemühungen um diese Großräume wohl zu verstehen. Es wäre aber töricht, wenn man darüber hinwegsehen würde, daß hier auch eminente politische Interessen auf dem Spiel stehen, für beide Seiten. Kommerzielle Werbung und politische Propaganda überschneiden sich hier: es mag nicht angenehm sein, muß aber als Tatsache ins Kalkül gezogen werden. Der Osten ist sich auf diesem Gebiet der gebotenen Möglichkeiten voll bewußt. Jeder Handelsdelegation folgt eine ganz groß aufgemachte Ausstellung. In kluger Einstellung auf die Mentalität der jungen-alten Völker, der Naivität der einfachen Ausstellungsbesucher, bietet man Lieberdimensionales und Gigantisches: Propaganda statt kommerzieller Werbung, die bloß den Fachmann anspricht. Und der Erfolg: Alles spricht von den östlichen Ausstellungen und Messepavillons, in Izmir ebenso wie in Damaskus, in Kairo wie in Neu-Delhi, wogegen die sachlich hervorragenden Exponate aus dem Westen kaum beachtet werden. Sie sind nüchtern und nur auf den Fachmann abgestellt. Das ist, kommerziell gesehen, sicher richtig, aber man darf nicht vergessen, daß schließlich auch der Fachmann in Nah- oder Fernost oder Afrika unter dem Druck der öffentlichen Meinung steht. Mag es da richtig sein, daß sich die kleinen europäischen Länder, hier in übermächtigem Wettbewerb, noch gegenseitig konkurrenzieren? Oder wäre es nicht sinnvoller, wenn alle europäischen Länder gemeinsam ihre Wirtschaftskapazität in die Waagschale würfen? Hier liegt, in der größeren Perspektive, die unbedingte Notwendigkeit der Integration, die Europa erst die Möglichkeit bieten wird, sich auf den Weltmärkten von morgen durchzusetzen und zu behaupten.

Dazu noch eine Bemerkung: Auf den Wiener Herbstmessen haben westliche Besucher immer wieder geringschätzig auf die von den Oststaaten ausgestellten Maschinen herabgesehen und sich über deren „Primitivität“ und das fehlende Finish mokiert. Sehr zu Unrecht: denn gerade diese „Primitivität“ ist ein Vorzug in all den vielen Ländern Asiens und Afrikas, die erst am Anbeginn ihrer Industrialisierung stehen und über keinerlei Facharbeiter verfügen. Was nützt dort eine hochentwickelte Maschine, wenn niemand da ist, der sie bedienen kann? Sie wird in wenigen Wochen ein Wrack sein, wogegen die primitive, „idiotensichere“ Maschine munter weiterläuft und notfalls mit Hammer und Amboß „repariert“ werden kann. Wenn es die

Techniker auch nicht gerne hören, der technische Fortschritt verkauft sich nicht immer gut. Aber dafür wird der Techniker in allen diesen Ländern hochgeschätzt. Und auch hier wieder weist der Westen ein Manko auf: Die USA werden bis 1962 zirka 70.000 Ingenieure ausgebildet haben, Deutschland etwa 25.000, die UdSSR aber 120.000 und die DDR an die 23.000. Die paar hundert österreichische Ingenieure zählen hier gar nicht. Das aber heißt, daß die UdSSR jährlich mehr als 10.000 Ingenieure für den „Export“ freihaben, die USA kaum einige Tausend, Deutschland riur einige Hundert, Oesterreich aber nur selten in der Lage sein wird, Ingenieure und Techniker als Experten in die „unterentwickelten“ Länder‘zu senden. Die Folgen liegen auf der Hand: Der Osten sendet immer mehr Experten, Ingenieure und Techniker in die Länder, die die Märkte von morgen sind. Sie arbeiten dann die Riesenprojekte aus, machen die Ausschreibungen, und es ist nur selbstverständlich, daß sie auf die Verhältnisse ihrer eigenen Länder zugeschnitten sind. Daß diese Spezialisten die Erzeugnisse ihrer Länder, die sie kennen und mit denen umzugehen sie gelernt haben, nach sich ziehen, ist in der Praxis immer bestätigt worden. Wenn ein Oesterreicher ein Kraftwerk für Indien projektiert, wird er dabei von vornherein an österreichische Maschinen, Druckrohre, Leitungen, Schalter usw. denken — die Exportringe erhalten dadurch ihre stärkste Begründung — und den Nachwuchs des Landes an Maschinen schulen, die durch ihn ins Land kamen. In vielen Fällen bedeutet dies für lange Zeit rentable Ersatzteillieferungen und einen Ruf, der sich immer wieder von selbst bezahlt macht.

Wenn der Westen, wenn Europa seine Stellung im Welthandel behalten will, wird es alles daransetzen müssen, um auch den Wettlauf um Ingenieure erfolgreich bestehen zu können. Es ist allerhöchste Zeit, daß wir die Ausbildung von technischen Fachkräften den realen Verhältnissen aripassen, auch bei uns in Oesterreich.

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