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Gnade von Anstandslehrernn

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Was muß denn eigentlich noch alles passieren, bis die Menschheit kapiert, wieviel.es geschlagen hat? Nach der Verknappung vieler Rohstoffe, bei denen noch vor wenigen Jahren das Überangebot den Experten Sorge machte, nach der Fleisch- und Futter-mittelkrise in Amerika, der internationalen Buntmetall-, Leder-und Baumwollhausse kommt jetzt auch noch die Energiekrise — vorläufig auf Erdöl beschränkt. Daß es in Wahrheit allerdings um mehr als nur Erdöl geht, verriet das Ersuchen Präsident Nixons an den Kongreß, ihm als Provisorium Sondervollmachten zwecks sofortiger Verhängung von Energiesparmaßnahmen ganz allgemein zu gewähren. Ein umfassendes Rationierungs- und Bewirtschaftungssystem soll noch vor Ende dieses Jahres ausgearbeitet sein, das die Energieressourcen insgesamt erfaßt.

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Was muß denn eigentlich noch alles passieren, bis die Menschheit kapiert, wieviel.es geschlagen hat? Nach der Verknappung vieler Rohstoffe, bei denen noch vor wenigen Jahren das Überangebot den Experten Sorge machte, nach der Fleisch- und Futter-mittelkrise in Amerika, der internationalen Buntmetall-, Leder-und Baumwollhausse kommt jetzt auch noch die Energiekrise — vorläufig auf Erdöl beschränkt. Daß es in Wahrheit allerdings um mehr als nur Erdöl geht, verriet das Ersuchen Präsident Nixons an den Kongreß, ihm als Provisorium Sondervollmachten zwecks sofortiger Verhängung von Energiesparmaßnahmen ganz allgemein zu gewähren. Ein umfassendes Rationierungs- und Bewirtschaftungssystem soll noch vor Ende dieses Jahres ausgearbeitet sein, das die Energieressourcen insgesamt erfaßt.

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Man muß sich klar sein, was das bedeutet. Ausgerechnet in den USA, dem klassischen Land des Überflusses, das die Verschwendung zur „Philosophie“ erhoben, die Verbrauchssteigerung zum obersten Ziel der Nationalökonomie gemacht hat, wurde — zunächst einmal — zu freiwilliger Sparsamkeit aufgerufen: Es sollen die Thermostate der Zentralheizungen niedriger gestellt, überzählige Glühbirnen ausgeschraubt, unnötige Autofahrten unterlassen werden, um Energie zu sparen. Sogar die Werbung, Symbol und Motor des Konsumdenkens, wird in Mitleidenschaft gezogen: die Lichtreklamen, die allnächtlich massiv und verschwenderisch die Städte mit Lichtkaskaden überschütteten und auch die ländlichen Gemeinden erhellten, sollen verlöschen. Sollte der Appell zur Selbstbeschränkung nichts nützen, sind staatliche Zwangsmaßnahmen zu erwarten.

Die Opposition spricht von einem Versagen von Nixons Wirtschaftspolitik, für die Regierung ist der arabische ölboykott ein willkommener Vorwand. Alle diese Versuche, die Krise zu bagatellisieren, als wirt-schaftspoliltische Verkehrsunfälle oder momentane Fehlleistungen ab-zutun, gehen aber an den Fakten vdrbeii^In Wirklichkeit gebt es weder um Nixon noch um Araber und “Israelis. ♦> ,BW'n •^.tom?***

Die „Der-Jud'-ist-schuld“-Mentali-tät, die heute allenthalben anzutreffen ist und in beschämender Weise die Aktivitäten der Politiker vieler Staaten diktiert, verkennt die Situation total. Dies zeigten deutlich die arabischen Reaktionen auf die blamable Nahost-Deklaration der EWG-Staaten, die sich in liebedienerischer Weise den arabischen Standpunkt zu eigen machte: Statt daß die „Ölscheichs“ und (nicht zu vergessen) die „ölrevolutionäre“ nun ihr Embargo aufheben, die Produktionsbeschränkungen rückgängig machen würden, schrauben sie nur ihre Forderungen an das „Wohlverhalten“ der Abnehmernationen höher. Um als Freundstaat eingestuft und in vollem Umfang weiterbeliefert zu werden, soll in Hinkunft, wie aus einigen, speziell saudi-arabischen Enunziationen hervorgeht, der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Israel gefordert werden.

Ob die Araber die Sache soweit treiben werden, wird sich zeigen. Daß sie derlei in Betracht ziehen, daß sie Forderungen stellen wollen,

von denen sie wissen, daß sie — vermutlich — sogar für die Franzosen, trotz ihrer prononciert arabischen offiziellen Politik, unerfüllbar sind, legt die Annahme nahe, es gehe ihnen letzten Endes weniger um Israel als um den ölboykott an sich. Der Kampf gegen Israel ist nur ein willkommener „idealistischer“ Vorwand für sehr materielle Interessen, so sehr auch zugegebenermaßen in manchen Staaten der Wunsch nach Vernichtung des Judenstaates vorhanden sein mag.

Was sich jetzt beim Erdöl zutragt, hätte sich früher oder später auch ohne Nahostkonflikt zugetragen. Der eigentliche Grund ist, daß der Erdölverbrauch die Erdölproduktion eingeholt hat, daß jede geförderte Gallone sofort ihren Abnehmer findet, daß auch die USA, noch vor gar

nicht langer Zeit ein ölexportland, nun zum Importeur geworden sind.

Eine solche Situation gibt den Produzenten enorme Macht. Die arabischen Staaten müßten nicht einmal einen so großen Teil der Weltproduktion kontrollieren, wie sie tatsächlich tun, und könnten trotzdem die importabhängigen Nationen unter Druck setzen: dort wo Produktion und Verbrauch ausbalanciert sind, die Entwicklung sogar zum Ver-brauchsüberhang tendiert, genügt ein Ausfall von wenigen Prozent, um den ganzen Markt in Unordnung zu bringen.

Die USA beispielsweise sind vom arabischen öl nur wenig abhängig. Nixon beziffert den durch den arabischen Boykott zu erwartenden Versorgungsausfall mit 10 bis 17 Pro-

zent. Dies ist wahrscheinlich sogar übertrieben; bisher wurde der US-Import von arabischem Erdöl auf 5 bis 6 Prozent beziffert. Aber auch das würde genügen, um den Markt zu deroutieren. Ein solcher Ausfall ist hinreichend, um zu Einsparungen zu zwingen, schon rein psychologisch den Eindruck des Mangels entstehen zu lassen, die in den letzten Dezennien selbstverständlich gewordene alljährliche Verbrauchssteigerungs-rate — nicht nur bei Mineralölderivaten — in Frage zu stellen.

Wer unter diesen Umständen an einem ölhahn sitzt, und wäre dieser noch so klein, der kann sämtliche Industriestaaten unter Druck setzen.

Und die Araber sitzen an einem gewaltigen ölhahn!

Das eigentliche Ziel, das auch ohne Nahostkonflikt verfochten worden wäre, heißt Preiserhöhung, Umverteilung aus den Taschen der Erdölkonsumenten in jene der Produzenten. Dadurch, daß die ölbüanz praktisch sämtlicher nichtkommunistischer Industriestaaten defizitär ist, ein Ausweichen auf andere Lieferungen außer Frage steht, sitzen die Produzenten auf dem längeren Ast. Und wären die sonstigen Interessen der ölproduzenten auch noch so divergent, wenn es um Preiserhöhungen geht, sind sie sich einig.

Auch der Schah, ansonst eifrig bestrebt, dem Westen seine Zuverlässigkeit als öllieferant zu beweisen, tut beim Preisballonsteigen munter mit. Und Venezuela, an Israel total

r

uninteressiert, nützt den arabischen Boykott nicht nur für die Preissteigerungen aus, sondern auch zur energischen Nationalisierung der bisher weitgehend in ausländischer Hand befindlichen Fördergesellschaften.

Österreichs Situation

Und wie sieht die Situation in Österreich aus? Hat sich die kleine Charakterlosigkeit in Sachen Schönau ausgezahlt, sind wir nun Liebkind bei den Arabern, reich belohnt mit in Fülle geliefertem Rohöl?

Nun, so schnell ist die Gnade der Araber vom ölgeschäft nicht erobert. Zuerst noch mußte sich der Bundeskanzler vor den Botschaftern der arabischen Staaten verantworten, die ihm seine — private — Solidaritäits-resolution für Israel, auch von prominenten Sozialisten mitunterzeichnet, zum Vorwurf machten. Sie, selbst äußerst empfindlich in Fragen der Einmischung in innere Angelegenheiten, wollen offenbar sogar den individuellen Bürgern der demokratischen Republik Österreich vorschreiben, was sie zu denken haben.

Aber nehmen wir sogar an, daß Österreich die „Prüfung“ besteht, vor den gestrengen Augen seiner arabischen Anstandslehrer Gnade findet: Unsere ölsorgen sind deshalb noch lange nicht behoben.

Österreich hat seinen Bedarf an Rohölderivaten bisher zu einem nicht unbeträchtlichen Teil im Ausland gedeckt, keineswegs zur Gänze im Inland erzeugt Der Bedarf speziell an Benzin wurde zu zirka einem Drittel aus dem Ausland, hauptsächlich aus den EWG-Raffinerien in Deutschland und Italien, bezogen. Versorgt wurde von diesen vor allem Westösterreich, dies nicht zuletzt aus ver-kehrstechnischen Gründen.

Schon allein was die Transportmöglichkeiten betrifft, ist ein Ausweichen auf Bezüge aus Ostöster-

reich, wo die Raffineriekapazität konzentriert ist, nur bedingt durchführbar. Auch bei Diesel- und Heizöl besteht Auslandsabhängigkeit, wenn auch nicht im gleichen Maß. Wenn nun die Araber ihren Teil-

boykott der EWG — speziell Deutschlands und Italiens — aufrechterhalten, dort eine Verknappung bewirken (die sich in der Bundesrepublik allein schon aus der Abhängigkeit von Lieferungen aus den zur Gänze boykottierten niederländischen Raffinerien ergeben kann), dann wird höchstwahrscheinlich auch die Versorgung Österreichs knapper werden. Unser EWG-Vertrag schützt uns zwar vor Exportzöllen der Partnerländer, nicht aber vor Exportkontingentierungen.

Sollten Deutschland und Italien sich zu internen Bewirtschaftungsmaßnahmen gezwungen sehen, dann wäre es wohl für sie innenpolitisch nicht zu verkraften, den Export unbeschränkt aufrechtzuerhalten. Voraussetzung für eine weitere Belieferung Österreichs wird es daher höchstwahrscheinlich sein, daß wir zumindest die gleichen Beschränkungsmaßnahmen wie die Bezugsländer einführen. Die besten Sonderbeziehungen zu den Arabern werden uns also unter Umständen ein EWG-Schicksal nicht ersparen.

Nun mag man darauf hinweisen, daß die Raffinerie Schwechat noch über gewisse Kapazitäten verfügt. Wir könnten also, sofern wir das Transportproblem für Westösterreich lösen, theoretisch den ausländischen Lieferausfall an Mineralölderivaten teilweise mit Hilfe einer inländischen Produktion kompensieren.

Dem steht aber entgegen, daß die Araber ihre Rohölförderung insgesamt drosseln, ihre Auslieferung in bestimmte Staaten überhaupt kürzen oder ganz einstellen, nirgendwohin aber mehr liefern wollen. Auch bei bester Benotung Österreichs durch die ölbesitzenden Schulmeister würden wir nicht mehr Rohöl als bisher erhalten, sondern etwa auf dem Stand von 1972 eingefroren werden.

Sicherlich sind wir weitgehend auf Vermutungen angewiesen. Es ist die Situation noch keineswegs ganz klar. Ob Entspannung im Nahen Osten oder nicht, es ist möglich, daß die Europäer insgesamt für ihr Wohlverhalten belohnt und — freilich nach einem kräftigen Preisruck — wieder ausreichend beliefert werden. Es wird im übrigen nicht der einzige Preisruck bleiben, um so mehr, als die Araber nicht mehr ausschließlich auf die westlichen Industriestaaten und Japan als Großabnehmer angewiesen sind, sondern zunehmend auch schon auf Interesse im Ostblock stoßen. Die UdSSR, vor deren ölex-portoflensive sich die Amerikaner noch vor zehn Jahren fürchteten, sind mit ihren Lieferungen sehr zurückhaltend geworden, sieht es gerne, wenn sich ihre COMECON-Part-ner anderswo eindecken und sind sogar selbst Fremdbezügen nicht mehr abgeneigt. Den Arabern wird es also bald möglich sein, Ost und West gegeneinander auszuspielen.

Dennoch ist, wenn auch zu höheren Preisen, kurzfristig eine Entspannung möglich. Mittelfristig mag es vielleicht sogar wieder zu einem vorübergehenden ölüberfluß kommen,

wenn die Amerikaner ihre noch vorhandenen Ressourcen in Alaska und die Europäer ihre — allerdings bei weitem bescheideneren — Lager in der Nordsee voll erschlossen haben. Die unentwegten Expansionisten mögen sich sogar für kurze Zeit wieder bestätigt sehen.

Längerfristig sind allerdings die Aspekte eher trist. Die bisher bekannten Erdöllager samt Hoffnungsgebieten reichen auf der Basis des Verbrauchs von 1970 nur noch für

30 Jahre. Steigt der Verbrauch weiter so wie bisher, so sind sie — einer Berechnung von Dennis Meadows zufolge — schon in 20 Jahren erschöpft. Auch wenn der unwahrscheinliche Fall der Entdeckung neuer großer Fundgebiete und dadurch eine Verfünffachung der Reserven eintreten sollte, wäre bei Anhalten des gegenwärtigen Verbrauchswachstums in längstens 50 Jahren kein Erdöl mehr vorhanden. Daß wir natürlich nicht bis zum letzten Moment im Überfluß schwelgen und dann abrupt vor dem Nichts stehen werden, ist klar. Die Erschöpfung der Felder wird lange Schatten vorauswerfen.

Die Verknappung wird nicht bei Erdöl allein, sondern bei allen Energiearten und früher oder später bei allen Rohstoffen auftreten. Daß wir dann seitens den Rohstoffexporteu-re mit ähnlichen Druckmethoden wie bei Erdöl zu rechnen haben, steht außer Zweifel. Wie gut dies funktioniert, wurde in diesem Jahr unter anderem schon sehr geschickt von den Baumwollerzeugern vorexerziert.

Es ist höchste Zeit, uns darauf einzustellen, daß die Zeiten des Uberflusses, der unerschöpflichen Reserven vorbei ist, daß wir nicht mehr alle unsere Wirtschafts- und Sozialprobleme durch verstärktes Wachstum lösen können, überhaupt der weitere Fortschritt nicht mehr auf der grob materialistischen Konsumidee von heute basieren kann. Eine Wende zur Selbstbeschränkung ist heute nicht mehr bloß eine Forderung der Literaturprofessoren und Theologen, sondern müßte auch jedem Ökonom und Techniker als einzig gangbarer Weg in die Zukunft einleuchten.

So besehen mögen die „Grenzen des Wachstums“ sogar ihr Gutes haben. Ob es freilich gelingen wird, die Menschen rechtzeitig auf dieses neue Fortschrittsdenken „umzupolen“?

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