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Krise: Irrweg oder Ausweg

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Das Institut für Wirtschaftsforschung und das Institut für Höhere Studien haben kürzlich ihre Prognosen für 1981 revidiert: nach unten. Zum ersten Mal wird mit einem wirtschaftlichen Rückgang gerechnet. Eine allgemeine Unsicherheit über unsere wirtschaftliche Zukunft macht sich breit. In einem der Beiträge bringt ein österreichischer Unternehmer sein Unbehagen zum Ausdruck. Im zweiten Beitrag soll auf die grundsätzliche, weltweite Dimension des Problems aufmerksam gemacht werden.

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Das Institut für Wirtschaftsforschung und das Institut für Höhere Studien haben kürzlich ihre Prognosen für 1981 revidiert: nach unten. Zum ersten Mal wird mit einem wirtschaftlichen Rückgang gerechnet. Eine allgemeine Unsicherheit über unsere wirtschaftliche Zukunft macht sich breit. In einem der Beiträge bringt ein österreichischer Unternehmer sein Unbehagen zum Ausdruck. Im zweiten Beitrag soll auf die grundsätzliche, weltweite Dimension des Problems aufmerksam gemacht werden.

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Vor kurzem ging die Meldung durch die Medien, daß heuer ein sprunghafter Anstieg bei den Insolvenzen zu verzeichnen sei: Einer Gesamtschadenssumme von rund acht Milliarden Schilling im Vorjahr steht allein im ersten Quartal des heurigen Jahres ein Betrag von ungefähr 6,5 Milliarden Schilling gegenüber.

Die Liste der renommierten Unternehmen, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten gelangen, wird länger: Kneissl, Schartner, Platzer, Funder, Klimatechnik - um’ nur einige zu nennen. Private Unternehmen mit einem bisher guten Image geraten in Bedrängnis. An die schon seit Jahren bestehenden Sorgen mit der verstaatlichten Grundstoffindustrie hatte man sich ja schon beinahe gewöhnt! Doch auch hier beginnt die Krise virulent zu werden, wie das Beispiel von VEW zeigt.

Nun, daß wir in schwere Zeiten - auch wirtschaftlich schwierige - eintreten, ist weder eine Erfindung der Massenmedien, noch eine österreichische Besonderheit.

Dementsprechend sind auch die Probleme weltweit anzutreffen, sind also kein österreichisches Spezifikum: British Leyland suchte im November 1980 um staatliche Unterstützung in der Höhe von 13 Milliarden Schilling an; die Rank-Corporation verkauft ihre englische Fernsehproduktionsstätte an Toshiba, wobei die Transaktion zum Verlust von 2400 Arbeitsplätzen (von 2700) führt; MasseyFerguson hatte im

ersten Halbjahr 1980 Betriebsverluste von rund 1,6 Milliarden Schilling, einen Schuldenstand von 30 Milliarden Schilling; die vier größten Automobilhersteller der Vereinigten Staaten haben im vergangenen Jahr Verluste von insgesamt 63 Milliarden Schilling zu verzeichnen gehabt.

Nun, was hat sich so grundlegend geändert? Offensichtlich handelt es sich nicht - wie die Wirtschaftspolitiker leider nur allzu lange gehofft hatten - um eine vorübergehende, konjunkturelle Schwäche. Es sprechen sehr viele Anzeichen dafür, daß die Krise grundsätzlicher, struktureller Natur ist.

Da ist zunächst die neue Situation in der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung: In zahlreichen Sparten der Industrieproduktion ist den Industrieländern eine starke Konkurrenz von Seiten der Entwicklungsländer erwachsen. Nicht nur „Made in Japan“ setzt unsere Produzenten unter Druck. Produkte aus Hongkong, Taiwan, Südkorea, Mexiko, Brasilien, usw ... drängen auf unsere Märkte, bzw. erschweren unsere Exporte in diese Länder.

Dies bekommen vor allem jene Industriezweige zu spüren, die Routineproduktion mit relativ wenig qualifizierter Arbeitskraft und geringer technischer Entwicklung betreiben.

Es sind dies vor allem die Beklei- dungs- und Textilindustrie, die eisen-, stahl- und metallerzeugende Industrie, zunehmend aber auch Bereiche von Industrien, die relativ anspruchsvolle Produkte erzeugen wie die optische, die Fahrzeug- und die Elektroindustrie. So stieg der Anteil der Entwicklungsländer am Welthandel in den siebziger Jahren bei vielen Produkten, besonders deutlich bei Bekleidung (um 6 Prozentpunkte von 1973 auf 1977).

Nun zu einem zweiten wichtigen Aspekt: Auf sehr vielen Märkten müssen wir heute einfach feststellen, daß es zu Sättigungserscheinungen bei der Nachfrage kommt. Es ist ja auch weiter nicht verwunderlich: Die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges sind nun einmal - Gott sei Dank - beseitigt. Der Nachholbedarf der Kriegsgeneration ist weitgehend gesättigt.

Das bedeutet nicht, daß es in unserer Gesellschaft keinerlei materielle Bedürftigkeit mehr gäbe. Sie zu beseitigen ist aber weit eher eine Frage der gerechten Verteilung der Fülle, die wir heute erzeugen als ein Problem der generellen Unterversorgung.

Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, daß ohnedies beinahe jede Familie einen Fernsehapparat, eine Waschmaschine, ein Auto, mehr als genug Kleidung für alle Anlässe und Jahreszeiten, eine funktionsfähige Skiausrüstung, eine ausreichende Wohnungsausstattung, usw ... besitzt.

Sicher, man kann zur Not noch die Anschaffung eines zweiten Fernsehers, einer Zweitwohnung, eines Zweitautos propagieren, man kann durch Schaffung künstlicher Moden langlebige Güter zu Konsumartikeln umfunktionieren. Aber man befriedigt damit keine wesentlichen Bedürfnisse mehr. Und damit muß diese Strategie langfristig zum Scheitern verurteilt sein.

Sie hat nämlich zu jener Wegwerfmentalität geführt, die uns die vielen Umweltprobleme gebracht hat. Kann man sich ernsthaft eine weitere Absatzsteigerung erwarten bei Produkten, deren Erzeugung in der Vergangenheit ohnedies explosionsartig angestiegen ist?

So wuchs etwa die Produktion im ersten Vierteljahrhundert nach dem zweiten Weltkrieg in den USA bei Einwegflaschen um 53.000 Prozent, bei Kunststoffen um 1960 Prozent, bei Pestiziden um 390 %, um nur einige umweltbelastende Produkte zu nennen.

Kann es sinnvoll sein, hier weitere Anstrengungen zu forcieren? Sinnvoll sein, täglich (wie dies in Deutschland geschieht) 14 Hektar Wiesen und Äk- ker, 11 Hektar Wald und 13 Hektar Gärten zu verbauen oder zuzupflastern?

Der Auto-, Reifen-, Elektrowaren-, der Bekleidungsmarkt und viele andere sind einfach gesättigt. Die Nachfrage stagniert oder ist rückläufig. Auf diese neue Situation gilt es, sich einzustellen.

Neben diesen Sättigungstendenzen ist ein weiteres Phänomen festzustellen, das die Wirtschaft betrifft: Die Einstellung zur Arbeit hat sich verändert. Vergleichende Untersuchungen in der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1965 bis 1974 lassen erkennen, daß die Anzahl der Menschen mit negativer Einstellung zur Arbeit stark angestiegen ist: Von 12 auf 21 Prozent der Befragten. Auch der Anteil derjenigen, die Arbeit nur als Geldverdienst ansehen, stieg von 28 auf 38 Prozent.

Schließlich sei noch auf die drastisch gestiegenen Energiekosten hingewiesen, die langfristig dazu führen werden, daß sich das Preis- und Kostengefüge, sowie die Ausrichtung unseres technischen Fortschritts ändern werden.

Leider haben wir für diese grundlegend neue Situation zu wenig vorausgedacht. Vor allem die Wirtschaftswissenschaften haben sich allzu lange mit eher esoterischen, wenn auch in schöne mathematische Formeln kleidbaren Problemen beschäftigt.

Dementsprechend ratlos sind auch vielfach die Wiftschaftspolitiker. Das bisher so beliebte und jahrzehntelang erfolgreiche Rezept von Keynes (Erhöhung der öffentlichen Ausgaben in Krisenzeiten zur Nachfragebelebung) funktioniert nicht mehr.

Worum es meiner Ansicht nach heute primär ginge, das wäre eine konzentrierte geistige Anstrengung von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Sie müßte die Grundlagen liefern für längst fällige wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidungen.

Neben dem derzeit zweifellos notwendigen Krisenmanagement brauchen wir also vor allem eine langfristig realisierbare Vision von der Funktionsweise einer Wirtschaft, die einerseits stabil und nur geringfügig wachsend, die aller Wahrscheinlichkeit nach weniger stark international verflochten und die vor allem nicht mehr der allein seligmachende Glückspender des Menschen sein wird.

Es gibt einige Faktoren, die den Übergang zu einem solchen neuen System erleichtern würden, wenn man sie ausreichend berücksichtigen wollte: Die bestehende Knappheit bei der inländischen Energieversorgung und die Umweltproblematik könnten Herausforderungen für einen wachsenden Wirtschaftssektor zur Lösung dieser Probleme darstellen.

Ähnliches könnte gelten, wenn wir uns die enorme Not und Unterversorgung in Ländern der Dritten Welt zum eigenen Anliegen machen wollten, ähnlich wie die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg dies mit dem Marshallplan getan haben. Dies würde uns gewissermaßen eine Verschnaufpause einräumen, in der wir einen geordneten Rückzug aus dem bisher dominierenden Wachstumsdenken einleiten könnten.

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