Konzentrationsprozesse - © Illustration: Rainer Messerklinger

Corona-Krise macht Fresslust

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Der Wirtschaftseinbruch durch die Covid-19-Pandemie wird tiefer sein als jener der Finanzkrise 2008. Er wird zu Konzentrationsprozessen, Schulden und Ungleichheit führen. Es gäbe aber auch die Möglichkeit, schädliche Entwicklungen der Ökonomie zu ändern.

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Der Wirtschaftseinbruch durch die Covid-19-Pandemie wird tiefer sein als jener der Finanzkrise 2008. Er wird zu Konzentrationsprozessen, Schulden und Ungleichheit führen. Es gäbe aber auch die Möglichkeit, schädliche Entwicklungen der Ökonomie zu ändern.

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Der Mensch ist gewöhnlich der Meinung, dass sein Umfeld im Wesentlichen stabil ist. Dass er sich selbst also eher bewegt, als dass die Dinge sich bewegen. Das Leben entfaltet sich demnach so, wie man es sich zurechtschnitzt, oder krummbiegt. Es ist eine bevorzugt passive Masse. Das bringt eine überschaubare Perspektive auf die Welt und ein Gefühl der Sicherheit. Denn man hat es ja selbst in der Hand, die Dinge zu ändern. Etwa indem man sich Dinge erarbeitet oder die Auswahl unter verschiedenen Möglichkeiten trifft.

Plötzliche negative Ereignisse, externe Schocks, sprengen diesen Traum vom „Herr des eigenen Schicksals“ und plötzlich findet sich der eben noch stabile Mensch in einer Umwelt, die schneller in alle Richtungen strebt, stürzt, sich auflöst, als er selbst davonzurennen vermag. Er leugnet oft die Existenz dieses Zustands der Ohnmacht. Philosophen, die ihn darüber unterrichten wollten, wurden bisher mit dem Adjektiv „dunkel“ bedacht, wie der Grieche Heraklit. Aber es ist in aktuellem Licht betrachtet gar nichts dunkel, sondern hell und es reimt sich alles, wenn man liest: „Alles fließt“. Es fließt tatsächlich bedrohlich um uns herum. Und das, während so viele gezwungen zu Hause sitzen und über die Medien stündlich erfahren müssen, wie sehr alles sicher geglaubte unsicher wird.

So fühlt sich Vieles in diesen Tagen verkehrt an. Die Aktienmärkte stürzen anstatt zu steigen, die Fabriken stehen still statt endlos zu schaffen, die Manager üben sich in Vorsicht statt Vorwärtsgeschrei, die Schornsteine rauchen nicht mehr. Und viele müssen plötzlich mit sich selbst zurechtkommen und der Erkenntnis, dass man in Wichtigkeit für das Ganze der Kassierin im Supermarkt um einiges hinterherhinkt. Aber die Isolation bietet immerhin Gelegenheit, einmal die Dinge anzuschauen, die kommen könnten – und kommen werden, wenn man annimmt, dass nicht auch die Gesetze der Ökonomie zuschanden gehen. In diesem Sinn voraus gedacht, könnte in diesen Wochen Ungeheures passieren, was unsere Wirtschaft betrifft. Denn die Notenbanken tun sich wie erwartet schwer, den Fall der Märkte zu bremsen, geschweige denn zu stoppen. Die Zinshebel sind längst ausgeleiert. Aber hinter diesem Nebel an Hilflosigkeit zeigt sich, wie sich die Starken der Wirtschaft‑ wie in der Krise von 2008 ‑ von den Schwachen trennen werden. ­

Ein konkretes Beispiel, das aber für sehr viele Bereiche Geltung hat: der Lebensmittelhandel. Seit Jahren wünschen sich die Konsumenten einen verlässlichen Einzelhandel und die Versorgung durch kleine Betriebe, die in den Gemeinden auch ein wichtige soziale Funktion abdecken. Denn sie dienen dem Austausch nicht nur von Gütern, sondern auch von Gesprächen – also dem sozialen Kontakt. Man sieht einander dort kurz und weiß, man ist nicht allein. Dieser Tage aber bleiben nur noch Supermärkte. Die großen Lebensmittelketten Spar, Aldi/Hofer, Rewe fahren Doppelschichten mit Doppelumsätzen und Doppelgewinnen. Die anderen Einzelhändler fahren die gähnende Null, denn sie müssen geschlossen halten. Diese Ungleichheit führt bei den Kleinen zu einer heftigen Kontraktion, denn länger als einige Wochen sind solche Betriebsschließungen nicht durchzuhalten.

Zögerliche Staatshilfe

Nun hatte die Regierung zur Unternehmenshilfe zunächst nur vier Milliarden Euro Unterstützung versprochen. Das war von Anfang an eine geradezu lächerliche Summe, verglichen mit den Verlusten, die hier Tag für Tag entstehen. Wenn wir beim Beispiel Handel bleiben. Etwas mehr als 200 Milliarden Umsatz werden in dieser Sparte pro Jahr gemacht. Abzüglich Wochenenden und Feiertagen wird also mehr als eine halbe Milliarde pro Tag umgesetzt. Allein die Sparte Handel verliert im Shutdown in weniger als zwei Wochen soviel Wertschöpfung, wie die Regierung an Gesamthilfe versprach. Zum Vergleich: Schweden gab sofort 40 Milliarden Hilfe frei, Spanien noch mehr. Erst am Mittwoch sickerte das bei der Regierung, spät aber doch sehen wir nun ebenfalls bei über 30 Milliarden.


Treffen wird die Pleitewelle in allen Wirtschaftsfeldern vor allem die kleinen und mittleren Betriebe ‑ allen voran die Einpersonenunternehmen. Viele dieser Dienstleister lebten schon in den Jahren nach der letzten Krise von Auftrag zu Auftrag und haben kaum die Möglichkeit gehabt, Rücklagen zu bilden. Im Gegenteil: Das enge Korsett, das Sozialversicherung und Steuer-nach- und -vorauszahlung um sie gelegt haben, entpuppt sich in diesen Tagen als äußerst effektives Würgeinstrument. Diese Zahlungen an Versicherung und Finanz zu „stunden“, wie Wirtschaftsministerin Schramböck meint, oder ihnen mit neuen Kreditlinien durchzuhelfen, verschiebt das Problem (und die Pleite) nur ins kommende Geschäftsjahr.

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Im Gefolge der kommenden Krise und der sich weitenden Ungleichheit wird die Politik erkennen, dass sie die Ökonomie gestalten muss, um sie fruchtbar für alle zu machen .

Sinnvolle Hilfe ist teuer

Eine Lösung wäre allein durch eine vollständige Finanzierung möglich. Doch die ist nicht in Aussicht. Für viele Unternehmen in diesem Bereich bleibt also eine äußerst bittere Bilanz – wenn man die Sache zu einer Angelegenheit der Ungleichheit zuspitzen möchte: Sie haben wenig bis kaum von einer Globalisierung profitiert, die über die internationale Vernetzung ein Virus verbreitet hat, das nun zu ihrem Geschäftsstillstand führt. Doch gerettet werden sie nicht, oder nur unzureichend.

Gut, dass diese Bilanz noch nicht gezogen werden kann. Denn die Dinge sind ja noch in reißendem Fluss. Es ist also noch Zeit, auch noch viel entschiedener von Regierungsseite einzugreifen als mit 30 Milliarden, um so Liquidität in einen Bereich zu pumpen, der für 90 Prozent aller Betriebe in Österreich verantwortlich zeichnet. Für die Öffentliche Hand wäre das auch Selbstschutz. Denn immerhin würden so viele Pleiten noch mehr Arbeitsplätze kosten ‑ und viel Arbeitslosengeld.

Die Kontraktion auf der einen Seite ist aber nur die eine Hälfte der Geschichte. Wieder kann man zum Einstieg auf Heraklit zurückgreifen: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.“ Tatsächlich werden jene Unternehmen von der Krise profitieren, die die finanziellen Rücklagen haben, um eine längere Periode ohne Umsatz auszukommen. Dazu gehören nicht nur die internationalen Hightech-Konzerne wie Apple und Google, sondern auch die großen Industrien, wie etwa die europäische Autobranche.

Sie sind es, die noch genug Zeit haben werden, von den staatlichen Stützungen zu profitieren. Diese Pakete diverser Staaten werden nicht in Monaten bemessen werden, sondern in Jahren. Und unterfüttert mit öffentlichen Stützungen könnte ein neuer Konzentrationsprozess beginnen, in dem kleine und mittlere Unternehmen aufgrund ihrer angeschlagenen Situation noch weniger den Übernahmeversuchen größerer Unternehmen standhalten können. Denn gerade erstere waren schon vor der Corona-Krise rekordverschuldet. Die Wertvernichtung, die im Bereich der Realwirtschaft droht, könnte auch einen Gutteil der Start-up-Bewegung vernichten, da gerade an sie in den vergangenen Jahren viel Risiko für Entwicklung und Marktdurchdringung ausgelagert wurde. Risiko, das nun schlagend werden könnte, da Null-Umsätze auch neue Entwicklungen drosseln.

Ein „Jubeljahr“, das wäre es

Das ist die private Seite der Schuldenmedaille, zu der aber auch eine der öffentlichen Hand kommt. Für die Staaten bedeutet die angeheizte Dynamik eine weitere Schuldenaufnahme und eine immer dringender sich stellende Frage, wer das alles bezahlen wird. Die Defizite werden wegen der Stützungen vermutlich in noch höherem Ausmaß steigen als 2008. Damals waren es im OECD-Schnitt 15 Prozent. Da alle Staaten der Welt gleichermaßen betroffen sein werden, wäre ein zwischenstaatlicher Schuldenschnitt denkbar, ähnlich einem biblischen Jubeljahr, in dem Schulden gestrichen wurden, um die Gemeinschaft als Ganzes nicht durch zu viel Ungleichheit zu schädigen. Das scheint zwar derzeit äußerst utopisch, aber auch das Virus schien bis vor wenigen Wochen in seiner Wirkung noch verkraftbar.

All das und vermutlich noch viel mehr wird in den kommenden Wochen zu diskutieren sein. Das Sprichwort übrigens, dass jede Krise eine Chance sei, gilt wie so vieles in diesen Tagen nur eingeschränkt. Viele gute, ideenreiche und flexible Unternehmen könnten am Virusschock ohne eigene Schuld zugrunde gehen. Soll das nicht passieren, wird die Politik einsehen müssen, dass sie selbst die Ökonomie steuernd begleiten muss, wenn möglichst viele von ihr profitieren sollen. Das ist keine leichte Aufgabe, denn die Verhinderung von Konzentrationsprozessen bedeutet den Eingriff in Machtverhältnisse.

Eingangs war von der Selbsttäuschung der eigenen Aktionsfähigkeit die Rede. Tatsächlich müssten unsere Regierungen über sich hinausdenken und sich, wenn man so will, wie Surfer in die Wellen hinaus wagen, anstatt Felsen zu mimen, die der Corona-Brandung mit großer Sicherheit nicht standhalten können.

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