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Das Beispiel des Patriarchates von Karlowitz

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Das Patriarchat Karlowitz war in der Folge nicht nur geistiges Zentrum für die Orthodoxen der Monarchie, es wurde auch Schnittpunkt russischer, griechischer und westlicher Kultureinflüsse, entfaltete so ein reges Leben und strahlte seinerseits bis auf den Athos aus. Das Patriarchat von Karlowitz war wohl das bedeutendste Beispiel, wie sich byzantinische und lateinische Christen auch in jenen Zeiten, in denen Toleranz noch nicht groß geschrieben wurde, in einem Rechtsstaat schließlich zu einem gedeihlichen Zu-lammenleben finden können. Es war

aber nicht der einzige Punkt, an dem die Wiener Behörden Kontakte mit der Ostkirche pflegen und Erfahrungen sammeln konnten.

Die Orthodoxen Dalmatiens — zeitweise unter venezianischer, dann unter österreichischer Herrschaft, kirchlich seit 1873 dem Metropoliten von Czernowitz unterstellt — hielten ihre jährliche Synode oft sogar in Wien ab, in der griechischen Kirche.

Für die Orthodoxen von Bosnien und der Herzegowina wurde 1880 ein Konkordat mit dem ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel ge-

schlossen. Die jungen Theologen gingen — soweit sie nicht das heimische Seminar in Raljewo besuchten — nach Athen oder auf Chalkis studieren. Auf diese Weise war eine ständige Verbindung zur berühmtesten Pflegestätte orthodoxer Theologie vorgesehen und ostkirchliche Geistigkeit konnte so aus erster Quelle in das alte Österreich einströmen.

Österreich hat übrigens später seine Hochschätzung des orientalischen Ritus — innerhalb der katholischen Kirche — dadurch bewiesen, daß es die unter Kaiserin Maria Theresia gegründeten unierten Bistümer der Südslawen, Rumänen und Ruthenen in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Unterordnung unter die lateinischen Erzbistümer löste und in Rom die Einrichtung selbständiger Erzbistümer durchsetzte. Die Hochschätzung für die Tradition der östlichen Riten und für die Eigenständigkeit des orthodoxen Kirchentums ist also in Österreich ein jahrhundertealtes Erbe. Möge daher im Sinne dieses Erbes das gegenwärtige Treffen auch ein Schritt auf dem Wege zu immer größerer gegenseitiger Annäherung und zu der schließlich erhofften Wiedervereinigung sein.

Kein Streit mehr um das „filioque“

Wenn wir aber unseren Blick wieder in die Gegenwart wenden, so müssen wir schließlich und endlich nicht nur das sehen, was uns trennt, sondern können dankbar feststellen, daß heute auf dem Wege der Wiederannäherung und des gegenseitigen Verständnisses immerhin sehr viel geschehen ist. Wieviel Trennendes ist in der Vergangenheit abgebaut worden! Niemand wird heute mehr wie vor neunhundert Jahren den Ritus des anderen ablehnen oder ihn als minderwertig betrachten, niemand wird die Eucharistiefeier im anderen Ritus für ungültig oder für unerlaubt ansehen. Kein katholischer Theologe wird behaupten, daß das Glaubensbekenntnis ohne den Zusatz des „filioque“ nicht dieselbe Lehre ausdrücke, zu der sich auch die katholische Kirche bekennt. Die meisten orthodoxen Theologen anerkennen übrigens, daß die katholische Kirche mit dem „filioque“ denselben Lehrinhalt meint wie die orthodoxe Kirche mit dem Glaubensbekenntnis ohne das „filioque“.

Niemand wird heute, weder auf der einen noch auf der anderen Seite — trotz allem was uns noch trennt —, in Frage stellen, daß die beiderseitigen Hierarchien die zuständigen Oberhirten ihrer Gemeinden — hier und dort — sind und niemand wird wie in der Vergangenheit die Wiedervereinigung durch individuelle Bekehrungen zu forcieren suchen. Und ist nicht auch die gegenseitige Mitteilung, die sich Oberhirten von hüben und drüben über ihre vollzogene Erhebung machen, ein symbolischer Schritt von unabsehbarer Tragweite? Wenn wir alle diese Dinge erwägen, die noch vor ein oder zwei Jahrhunderten — vielleicht noch vor einem halben Jahrhundert — undenkbar waren, so ist es gewiß keine Vermessenheit, wenn wir die Hoffnung hegen, daß das Wort des Herrn, daß alle eins seien, nicht in einer ganz fernen und ungewissen Zukunft liegen muß.

Damit möchte ich mich noch einmal den guten Diensten zuwenden, die gerade von Wien aus möglich zu sein scheinen. Wien hat gelernt, auf sein Prestige als politische Hauptstadt einer Weltmacht zu verzichten, ohne deswegen das traditionelle Erbe der guten Nachbarschaft nach dem Osten hin zu vergessen. Wien möchte ohne politische Aspirationen geistiger Umschlagplatz und dadurch auch ein wenig geistiges Strahlungszentrum in weitere Bereiche sein.

Stadt ohne Machtprestige

Auch auf geistlichem, aus religiösem Gebiet — eben im Gespräch mit der Orthodoxie — mag sich die heutige Position Wiens als günstiger Ort anbieten. Die Ostkirche mag — auf Grund mancher unangenehmer Erfahrung — hinter so manchem Gespräch ein verstecktes Expansionsstreben vermuten. In der heutigen Atmosphäre Wiens ist sicher nichts davon vorhanden. Das

Schicksal unserer Stadt, unseres Staates und unseres Volkes lassen solche Ideen nicht aufkommen. So bietet sich Wien als Brücke an — nicht als Brückenkopf, sondern als echte Brücke. Die Wahl gerade dieser Stadt, die so manches von ihrer einstigen äußeren Macht abgegeben hat, ohne jedoch dadurch an Schönheit und Würde zu verlieren, könnte vielleicht ein Symbol sein für die Bereitschaft der katholischen Kirche, das Gespräch mit der Orthodoxie zu eröffnen, unter Verzicht auf einstige Prestigeansprüche.

Auch der Neutralitätsstatus mag beitragen zur Erleichterung des allseitigen Dialoges. Österreich ist heute nicht mehr „Schutzmacht der

Christen unter dem Halbmond“. Es kann nur noch Anwalt sein. Auch dazu gehört schließlich Mut und Entschlossenheit.

Als Staatsbürger eines neutralen Landes hatte der Erzbischof von Wien schon mehrmals Gelegenheit, katholische Bischöfe der Oststaaten zu besuchen. Man kann wohl in aller Bescheidenheit sagen, daß diese Besuche nützlich und gut waren und daß sie eine echte Aufgabe des Wiener, Erzbischöflichen Stuhles darstellen — vielleicht auch deswegen,“, weil sie nur von hier aus durchführbar sind.

Es gibt nur eine Orthodoxie

Warum sollen nicht von Wien aus Kontakte zur orthodoxen Hierarchie

der Oststaaten aufgenommen werden?

Freilich muß man zwei ganz verschiedene Probleme unterscheiden: Der Kontakt zur Kirche unter kommunistischer Herrschaft ist eine und der Kontakt zu nichtkatholischen Bischöfen ist ein anderer. Aber diese beiden Problemkreise überschneiden sich nun eben in Zeit und Raum. Ich bin der Ansicht, daß die Orthodoxie eine ist, In Konstantinopel und Antiochien, In Moskau, Belgien und Jerusalem usw.

Da nun von Wien aus der Zugang zum Osten aus geographischen, historischen und psychologischen und politischen Gründen leichter erscheint als von irgendeiner anderen Stadt und da Wien der Ort ist, der von der Gesamtheit aller orthodoxen Kirchenzentren am leichtesten zu erreichen ist — was liegt da näher, als daß der Erzbischof von Wien seine Dienste anbietet für die Herstellung von Kontakten mit der

Kirche im Osten und was liegt dann näher, als gerade die Verbindung mit der griechisch-orthodoxen Kirche in den Mittelpunkt zu stellen?

Wir dürfen dabei nicht aus dem Auge verlieren, daß alle Bemühungen auf diesem Gebiete ihre fruchtbaren — und ich glaube — segensreichen Auswirkungen haben werden für die um ihre Einswerdung und um den Frieden ringende Welt von heute. Das Wort des heiligen Paulus an die Epheser (4, 3) möge uns Leitwort sein: „Bestrebt euch, die Einheit im Geiste durch das Band des Friedens zu bewahren. Es ist ein Leib und ein Geist — ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allen ist und durch alle und in allen.“

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