Es gibt Theatererlebnisse, die man nicht mehr vergisst. Deren Luxus gerade in ihrer totalen Reduktion besteht. Luxus zum Beispiel ist, sich von Anne Bennent die komplette „Penthesilea“ vorlesen zu lassen. Obwohl – vorlesen kann man das nicht nennen: Es ist ein Deklamieren und Posaunen, ein Schreien und Schmeicheln, Höhnen und Tändeln, ein Durchdenken und Durchkosten der Kleist’schen Sätze in ihrer gnadenlosen Schärfe und Konsequenz.
Nach und nach erhalten alle Charaktere ihre eigene Stimme, werden die wilden Szenen plastisch, wird das Lesen zum Spielen. Anne Bennent sitzt auf einem orangen Plastiksessel, steht auf, setzt sich auf einen anderen, in der Hand ein zerfleddertes Reclamheft, in dem nahezu alles gelb markiert scheint.
Karl Ritter an der Gitarre begleitet und kommentiert das Geschehen bald subtil, bald gewitterhaft explosiv. Von Zeit zu Zeit ein unheilvolles Dröhnen, als Generalbass das Anlaufen und Verebben eines Kühlaggregats.
Denn das Blut der Amazonen, das Blut des von ihrer Königin schrecklich geliebten Achill wird vergossen im Schlachthaus Geitzenauer in Litschau, in den Blutrinnen Rosenblüten, an einem Fleischerhaken eine Strick-Skulptur aus Brüsten von Hermine Ritter, keine Requisiten, kein Bühnenbild. In der Pause gibt es Innereien, Zunge und Herz.
„Hin & Weg“ heißt das flächendeckend pulsierende Theaterfestival in Litschau, aber wer könnte hier weg und hin zu einem der vielen anderen Schauplätze? Am Ende erklärt Penthesilea, aus ihrem kannibalischen Rausch erwacht: „So war es ein Versehen. Küsse, Bisse, / Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, / Kann schon das eine für das andre greifen.“ Kein Versehen: Von Anne Bennent bekommen alle, die bis zum Schluss ausgeharrt haben, einen Kuss, denn das hat sie am Anfang versprochen. Und ziehen so von dannen, doppelt belohnt.