"Nicht nur Abwehr planen!"

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Der frühere polnische Außenminister Bronislaw Geremek weigert sich, Einwanderung ständig nur unter dem Gesichtspunkt der Gefahr zu diskutieren.

Die Furche: Herr Geremek, was bedeutet die Schengen-Erweiterung für Polen?

Bronislaw Geremek: Die Schengen-Erweiterung ist der Beweis für den Erfolg der EU-Erweiterung. Die neuen Mitgliedsländer haben in kurzer Zeit gezeigt, dass sie allen Anforderungen der Union gewachsen sind. Und die Schengen-Erweiterung ist die Normalisierung des Verhältnisses zwischen alten und neuen Mitgliedsstaaten. Es gelten jetzt die gleichen Rechte und Pflichten für alle. Die Reisefreiheit gehört zum Grundbestandteil des EU-Rechts und muss für alle Bürgerinnen und Bürger gegeben sein.

Die Furche: Das hindert Deutschland und Österreich nicht daran, an ihren Ostgrenzen auch weiterhin selbst "unterstützend" patrouillieren zu lassen und auch die Beschränkungen am Arbeitsmarkt bleiben aufrecht.

Geremek: Ach ja, ich weiß, in Deutschland und Österreich fürchtet man die Schengen-Erweiterung, die Öffnung der Grenzen, man fürchtet, die Polen werden kommen …

Die Furche: Die sind schon da …

Geremek: Stimmt, schon ohne die Anwendung des Schengen-Regimes auf die neuen Mitgliedsstaaten war die EU-interne Migration enorm. Deutschland, Österreich oder Frankreich sollten sich heute überlegen, ob ihre Entscheidung richtig war, nach der EU-Erweiterung 2004 ihre Grenzen für polnische, tschechische oder ungarische Arbeiter zu schließen. Großbritannien hat seine Grenzen für Arbeiter aus Osteuropa geöffnet - und nicht zuletzt wegen ihnen einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt.

Die Furche: Die Wirtschaft will offene Grenzen. Sorgen machen offene Grenzen doch vor allem den Arbeitnehmern, die um ihren Job fürchten.

Geremek: Ich bin dagegen Immigration ständig unter dem Gesichtspunkt der Gefahr zu diskutieren. Europa braucht Immigration, um wirtschaftlich wie sozial nicht die Balance zu verlieren. Es geht hierbei vor allem um die Integrationskapazität Europas. Europa hatte immer eine enorme Aufnahmekapazität für Neuankömmlinge. Heute stellt sich die Frage: Warum hat Europa diese Fähigkeit verloren?

Die Furche: Ihre Antwort darauf?

Geremek: Wir wissen nicht mehr so recht, wer wir sind, wer wir sein wollen. Auf diese Unsicherheit sollten wir mit einer großen Investition in eine europäische Ausbildung antworten. Was wir brauchen, ist ein Unterricht über die europäische Identität, die europäische, nicht nur die nationale Geschichte. Vielleicht finden wir uns dann wieder besser zurecht und kommen in eine bessere Position. Wir dürfen beim Thema Migration nicht nur in die Repression und in die Abwehr investieren, sondern wir müssen vor allem den Aufbau einer gemeinsamen und uns tragenden europäischen Identität unterstützen.

Ein ausführliches Interview mit dem polnischen Europaabgeordneten, ehemaligen Außenminister, Historiker und Solidarno´s´c-Berater der ersten Stunde lesen Sie in der nächstwöchigen Furche.

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