Es gibt keine Propheten mehr

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In einem Gastvortrag an unserer Universität unterstrich ein ägyptischer Gelehrter, dass der Islam keine Pluralität zulasse. Er argumentierte mit dem koranischen Vers: "Die Religion bei Gott ist der Islam"(Koran, 3:19).

Wieso erkennt der Koran dennoch andere Religionen an und verspricht deren Angehörigen gar Gnade und Glückseligkeit (Koran 2:62, 5:69)? Wieso appelliert der Koran an Juden und Christen, sich an ihre Schriften zu halten und ihnen loyal zu bleiben "Und die Leute des Evangeliums sollen nach dem richten, was Gott darin herabgesandt hat" (Koran, 5:47)?

Die Kernbotschaft aller dieser Verkündungen ist dieselbe. Der Koran verwendet den Begriff "Islam", um damit das Ausrichten des Lebens auf Gott hin zum Ausdruck zu bringen und spricht in diesem Zusammenhang daher von einer Religion. Diese bedarf jedoch der ständigen Aktualisierung und Kontextualisierung. Das Judentum, das Christentum und der Islam sind nur Formen der Kontextualisierung der eigentlichen Kernbotschaft.

Dass Mohammed für Muslime als Siegel der Propheten gilt, bedeutet keineswegs Stillstand im Prozess der Kontextualisierung oder Aufhebung anderer Ausformungen der Kernbotschaft, sondern einen Wandel in der Methode. Denn nun ist die Menschheit gereift und benötigt keine Propheten mehr, um die Frage nach der Kontextualisierung zu beantworten. Der Mensch tritt nun in die Geschichte als direkter Empfänger göttlicher Eingebung und als direkter Lenker seiner Geschichte ein, um die Kernbotschaft der ursprünglichen Religion immer wieder zu aktualisieren.

Der Mensch trägt heute viel mehr Verantwortung für seine Geschichte. Wer nicht genau in sich horcht, was die innere göttliche Stimme ihm sagen will, wer seine Vernunft nicht ernst nimmt, der entzieht sich der Verantwortung, trägt zum Stillstand bei, denn Propheten als Verkünder göttlicher Botschaften gibt es keine mehr.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster

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