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Der Luftkreislauf zwischen Subtropen und Polargebiet

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Mit steter Wachsamkeit verfolgen die Meteorologen im Herbst auf der Wetterkarte eine Reihe von Erscheinungen, die das Herannahen des Winters erkennen lassen. Aufmerksam wird jede Phase des erbitterten Ringens der nach Süden zurückweichenden Sommerwärme mit der von Norden vordringenden Winterkälte überwacht. Im Herbst ist vor allem Mitteleuropa der abwechslungsreiche Schauplatz lebhafter Gefechte verschiedener Luftmassen, die zu dieser Jahreszeit besonders häufig aus ihren Quellgebieten hervorbrechen und die Vorherrschaft in Mitteleuropa zu erringen trachten.

Auf der Nordhemisphäre sind vor allem zwei Zonen für die Entstehung ausgedehnter Luftkörper mit ganz bestimmten Eigenschaften von Bedeutung. Erstens der in etwa 30 Grad Nordbreite verlaufende Hochdruckgürtel der Subtropen, der eine ausgedehnte, um die ganze Erde herumreichende Produktionsstätte warmfeuchter Luftmassen darstellt, und zweitens das polare Hochdruckgebiet in der Region ewigen Eises. Letzteres ist eine ungeheure Brutstätte extrem kalter arktischer Luftmassen. Im engeren europäischen Bereich sind das Azorenhoch und die grönländische Antizyklone die Quellgebiete zweier mit extrem verschiedenen Eigenschaften ausgestatteter Luftmassen. Von Zeit zu Zeit finden in der kalten Jahreszeit mächtige Kälteausbrüche polarer Luftmassen nach Süden statt. Das Abtropfen der Polarluft erfolgt im Winter häufig in einem Rhythmus von vierundzwanzig Tagen. Das ist genau die Zeit, die erforderlich ist, um bis zu einer Höhe von 5 km den für einen mächtigen Kaltluftvorstoß notwendigen Temperaturgegensatz von der Größenordnung von 20 Grad entstehen zu lassen. Man spricht von einer 24tägigen „Tropfperiode” oder von einer 24tägigen „polaren Welle.”

Die polare Kaltluft wird weit nach Süden verfrachtet. Bei ihrem Vordringen in wärmere Gebiete verliert sie nach und nach ihre ursprünglichen Eigenschaften. Die Temperatur wird gemäßigter, die Feuchtigkeit nimmt zu, Böigkeit und Windstärke nehmen ab. Nach Annahme charakteristischer Eigenschaften der gemäßigten Zone wird sie bei ihrem weiteren Vordringen nach Süden schließlich in Warmluft umgewandelt.

Das durch die Kältevorstöße nach Süden in Erscheinung tretende Luftmassendefizit in nödlichen Breiten muß sofort durch entsprechende Gegenströmungen kompensiert werden. In den der Kaltluftströmung benachbarten Gebieten setzt sich Warmluft nach Norden in Bewegung. Sie gelangt in immer kältere Gebiete, und auch ihre Eigene schäften verändern sich und passen sich der Unterlage an. Dabei erleidet sie ein der Kaltluft inverses Schicksal: sie wird bei weiterem’ Vordringen zu Kaltluft transformiert.

Zwischen polarer Kaltluft im Norden und subtropischer Warmluft im Süden findet demnach von Zeit zu Zeit Austausch von Luftmassen durch nebeneinander und auch übereinander fließende, aber entgegengesetzt gerichtete Hauptluftströme mit Bewegungskomponenten gegen den Äquator und gegen den Pol statt. In den Scherungsgebieten zwischen den Hauptluftströmen entstehen große atmosphärische Wirbel, Zirkulationsräder der Austauschströmungen, die Tiefdruckgebiete. Es ist für den Luftkreislauf der gemäßigten Breiten besonders charakteristisch, daß er sich in eine Reihe einzelner, nebeneinander bestehender zellularer Zirkulationen gliedert.

Das gesamte System polare Kältezone subtropischer Warmluftgürtel mit den dazwischenliegenden Zirkulationsrädern und Austauschströmungen unterliegt jahreszeitlich bedingten Ortsveränderungen. Im Sommer liegt es verhältnismäßig weit im Norden, ja in Trockensommern verläuft der subtropische Hochdruckgürtel quer über Europa, wie zum Beispiel in dem denkwürdigen Dürresommer 1947. In verregneten Sommern verbleibt er in niedrigeren Breiten. Mit abnehmender Sonnenhöhe weicht das Subtropenhoch zurück, die Polarluftkalotte breitet sich nach Süden aus und Mitteleuropa gelangt mehr und mehr in die Tiefdruckzone. Das Herbstwetter ist daher in unseren Gegenden normalerweise unbeständig, unruhig, nicht selten stürmisch. In strengen Wintern greift die polare Kältezone weit nach Süden aus. Sie überdeckt dann die ausgedehnten Landflächen Sibiriens, wo eine ungeheure Kälteproduktion einsetzt. Die niedrigsten Temperaturen werden auf der Erdoberfläche bekanntlich in Ostsibirien und nicht am Nordpol angetroffen. Sie liegen bei — 70 Grad. Von Sibirien breiten sich die Kältewellen nach Westen und Süden aus und können unter Umständen das ganze europäische Festland überfluten. So war es im strengen Winter 1946/47, in dem sich nicht weniger als fünf Kältewellen im Westen bis über die britischen Inseln, im Süden bis Sizilien ausbreiteten. Die Zugstraßen der Tiefdruckgebiete verliefen damals sehr südlich durch das Mittelmeer.

In milden Wintern dagegen weicht das Subtropenhoch nicht weit nach Süden zurück. Die Tiefdruckgebiete schlagen Bahnen ein, die über Mittel- oder Nordeuropa hinwegführen und die Polarlufthaube reicht nicht sehr weit nach Süden. Die Witterung in Mitteleuropa ist dann unbeständig, regnerisch, aber mild, wie im vergangenen zyklonenreichen Winter 1947/48.

Für die Wirtschaft wäre die Vorhersage des Winterwetters von unschätzbarem Wert. Wenn es möglich wäre, den Grad der mit der Sonnenbewegung zusammenhängenden jahreszeitlichen Verschiebung der großen polaren und subtropischen Hochdruckzonen, der Aktionszentren der Atmosphäre, vorauszu- bestimmen, dann wäre man der Lösung des Problems der Witterungsvorhersage ganzer Jahreszeiten ziemlich nahegekommen. Viele Spekulationen knüpfen sich an die Fleckentätigkeit der Sonne. Als im Jahre 1946 die Sonnenfleckentätigkeit erwartungsgemäß zunahm und der Winter 1946/47 sehr streng wurde, vermuteten die Sonnenfleckengläubigen sofort Zusammenhänge zwischen beiden Erscheinungen. Im Jahre 1947 trat eine weitere Steigerung der Fleckentätigkeit auf der Sonne ein. Der Winter wurde diesmal aber außergewöhnlich mild. Eine Prognose des Winters 1948/49 könnte nach solchen Erfahrungen mit den Sonnenflecken, die heuer das Maximum ihrer Tätigkeit erreicht haben, kaum gewagt werden.

Die erfolgversprechendsten Untersuchungen, die auf eine Vorhersage des Winterwetters abzielen, hat der russische Meteorologe W. J. Wiese unternommen. Er setzte den Grad der Frühjahrseisbedeckung im grönländischen Seegebiet mit den Niederschlägen an der russischen Schwarzmeerküste im darauffolgenden Winter in Beziehung. Es ergab sich, daß bei starker Vereisung des Grönlandmeeres und bei weit nach Süden ausgreifender Treibeisgrenze die Niederschläge an der Schwarzmeerküste im darauffolgenden Winter erheblich über dem Durchschnitt lagen. Bei leichtem oder mäßigem Eisvorkommen im grönländischen Seegebiet verzeichneten die Wetterstationen an der Küste des Schwarzen Meeres winterliche Trockenheit. Bei der weiteren Untersuchung ergab sich, daß die Zyklonenbahnen im Winter über dem Nordatlantik und über • Europa weiter im Süden verliefen, wenn die Vereisung der grönländischen Meeresgebiete stark war, und umgekehrt.

Weitere Fortschritte auf diesem interessanten Gebiet der Wettervorhersage könnten wahrscheinlich durch eine Verdichtung des meteorologischen Beobachtungsnetzes im Polargebiet erzielt werden. Russen und Amerikaner haben aus diesem Grund der Polarmeteorologie neuerdings ihr besonderes Augenmerk zugewandt. Die Russen dehnen ihr großes meteorologisches Stationsnetz, das mehr als 6000 Wetterbeobachtungsstellen umfaßt, Schritt für Schritt gegen den Nordpol aus. Die Amerikaner führen seit Kriegsende täglich weite Erkundungsflüge mit Langstreckenflugzeugen im Polargebiet durch und melden die Messungen funktelegraphisch sogleich ihren meteorologischen Zentralinstituten. Die Verarbeitung dieses Materials läßt in den nächsten Jahren einige Fortschritte auf dem Gebiete der langfristigen Wettervorhersage erwarten.

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