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Kinder der Nacht

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Es ist weder die Absicht des Verfassers noch hier genügend Platz vorhanden, die psychologischen oder literaturhistorisehen Hintergründe und Entwicklungsreihen des Horrors aufzudecken und zu untersuchen; einzig die Tatsache, daß im österreichischen Fernsehen eine Serie berühmter Horror-Filme gezeigt wird, die — völlig unvorbereitet und ohne entsprechende Einleitung — auf die Zuschauer losgelassen wird, ergibt den Anlaß einer zweifellos viel zu kurzen Betrachtung über das vielfach noch dubios erscheinende Genre des „Horror-Films“ (wobei hauptsächlich jene Filme beziehungsweise jene Ära dieses Filmgenres untersucht werden soll, die zur Vorführung gelangen). Da diese Gattung — neben dem Western und Abenteuerfilm eine der ältesten der kinematographischen Geschichte und auch eine der noch immer am meisten verkannten — in cineastischen Liebhaber- und Kennerkreisen in den letzten Jahren, und da selbstverständlich vorwiegend im Ausland, nicht nur eine Renaissance erlebt, sondern auch eine gewisse künstlerische Rehabilitierung findet, scheint es erforderlich, sich mit ihr einmal auseinanderzusetzen.

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Es ist weder die Absicht des Verfassers noch hier genügend Platz vorhanden, die psychologischen oder literaturhistorisehen Hintergründe und Entwicklungsreihen des Horrors aufzudecken und zu untersuchen; einzig die Tatsache, daß im österreichischen Fernsehen eine Serie berühmter Horror-Filme gezeigt wird, die — völlig unvorbereitet und ohne entsprechende Einleitung — auf die Zuschauer losgelassen wird, ergibt den Anlaß einer zweifellos viel zu kurzen Betrachtung über das vielfach noch dubios erscheinende Genre des „Horror-Films“ (wobei hauptsächlich jene Filme beziehungsweise jene Ära dieses Filmgenres untersucht werden soll, die zur Vorführung gelangen). Da diese Gattung — neben dem Western und Abenteuerfilm eine der ältesten der kinematographischen Geschichte und auch eine der noch immer am meisten verkannten — in cineastischen Liebhaber- und Kennerkreisen in den letzten Jahren, und da selbstverständlich vorwiegend im Ausland, nicht nur eine Renaissance erlebt, sondern auch eine gewisse künstlerische Rehabilitierung findet, scheint es erforderlich, sich mit ihr einmal auseinanderzusetzen.

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Von dem „Zauberer des Films“, Georges Melies, schon vor der Jahrhundertwende erstmals aufgegriffen und mehr fllmspielerisch-naiv als hintergründig-psychologisch angewendet, erlebte der Horror- oder Gruselfilm vorwiegend im deutschen Stummfilm von 1913 bis 1930 seine erste Blüte. Die Doppelgänger, Dämonen und selbst der Teufel, ja die Schaffung des künstlichen Menschen entsprangen im deutschen Film einer gewissen „Abgründigkeit und Mystik der deutschen Volksseele“, die in den zahlreichen dunklen Märchen und späteren „Schauerromane“ ihre Uranfänge besitzen. So entstanden in jener Zeit Filme, deren meisterhafte und vorbildliche optische Gestaltung mit dem Ruhm des deutschen Stummfilms begründeten und Ausdruck im berühmten „Hell-Dunkel“-Stil fanden, der ebenso zu einem filmischen Begriff wurde wie der Expressionismus, der mit dem „Kabinett des Dr. Caligari“ die Filmgeschichte (und besonders den Horrorfilm) beeinflußte und befruchtete. Von diesem Film, sowie von Paul Wegeners Bildlegenden „Der Student von Prag“ und „Der Golem“, von Fritz Längs „Der müde Tod“ und Paul Lenis „Wachsfigurenkabinett“, alle zu Beginn der zwanziger Jahre hergestellt, stammen die Grundelemente des berühmten Genres, dessen Hauptwerke von 1930 bis 1940 in Hollywood geschaffen wurden (und von denen eben eine Auswahl im Fernsehen gezeigt werden soll). Nicht zuletzt ist dies auch der (damals noch freiwilligen) Emigration deutscher Filmkünstler in die USA zu verdanken, Regisseuren und Kameraleuten wie (eben) Leni, Karl Freund, Mumau usw., die ihren Stil in Hollywood fortführten und so initiativ und vorbildlich wirkten.

Wenn auch im amerikanischen Stummfilm schon seit Beginn unseres Jahrhunderts Verfilmungen von Mary Shelleys „Frankenstein“, von Stevenson („Dr. Jekyll and Mister Hyde“), Poe, Hawthorne usw. bekannt sind, so wurden seine bedeutendsten Werke doch erst auf Grund des deutschen Einflusses gedreht — vornehmlich die Filme mit dem berühmten Charakterdarsteller Lon Chaney, dessen „Glöckner von Notre-Dame“ und vor allem „Phantom der Oper“ bis heute, trotz mehrmaliger Remakes, unerreicht sind Mit diesen Filmen wurden die Grundlagen des amerikanischen Horrorfilms gelegt, mit Regisseuren wie Rex Ingram, Tod Browning, James Whale usw., Trickkünstlern wie Willis H. O'Brien der Boden vorbereitet, der dieses Genre in den dreißiger Jahren als „klassisch“ in die Filmgeschichte einschreiben ließ. Am St.-Valentins-Tag 1931 wurde das Kapitel mit einem Werk aufgeschlagen, das am treffendsten mit einem Zitat aus diesem Film überschrieben werden kann: die Ära der „Chil-dren of the Night“, der Geschöpfe der Finsternis, wurde mit „Dracula“ eröffnet, inszeniert von Tod Browning und unsterblich geworden in erster Linie durch seinen Hauptdarsteller, den Ungarn Bela Lugosi. Mag vielleicht auch Murnaus Adaption der Vampirgeschichte Bram Stokers (unter dem Titel „Nosferatu — eine Symphonie des Grauens“) die künstlerisch und stilistisch bedeutendere gewesen, mag auch Ghristopher Lee, der in den späteren „Dracula“-Re-makes den blutlüsternen Grafen aus Transsilvanien verkörperte, der bessere Darsteller sein — dennoch ist „Dracula“ für alle Filmzeiten untrennbar mit Lugosi verbunden: seine Identifikation mit der Figur ist vollkommen und unvergeßlich ... Noch bevor dieser echte „Filmklassiker“ uraufgeführt war, entstand ein anderer, der in der Fama wahrscheinlich als noch berühmter und legendärer gilt: die Tonftlmversion von Shelleys „Frankenstein“, in der ein Schauspieler zum Weltstar avancierte und bis an das Ende seines Lebens für ein Genre festgelegt war, Boris Karloff. Von Robert Florey konzipiert, doch dann von James Whale realisiert, wirkt der Film wie ein Nachfolger des deutschen Stummfilms — mit seinen winkeligen Bauten, Lichtreflexen und gespenstischen Schatten dem Expressionismus verwandt. Heute noch, und gerade heute immer mehr, wird der Film als „der größte Horrorfilm der Geschichte“ eingestuft — und Karloff (der die Rolle des künstlich geschaffenen Monsters noch in zwei weiteren Filmen verkörperte, in „The Bride of Frankenstein“, 1935, und „Son of Frankenstein“, 1939) bot die faszinierendste und erschütterndste Darstellerleistung seiner Laufbahn, die keiner seiner zahlreichen Antipoden (Lon Chaney jr., Bela Lugosi, Glenn Strange und Christopher Lee) mehr annähernd erreichte. Bei „Frankenstein“ scheiden sich die Geister: der Film ist kaum noch ein reiner Horrorfilm, sondern reiht sich bereits in das Gebiet der Science-fiction ein (eine feste Abgrenzung ist wohl nicht möglich): fällt die Erschaffung eines künstlichen Lebewesens heute schon in das Gebiet der Wissenschaft — was bei der Creation der Gestalt doch noch als Vermessenheit und blasphemische Anschauung (1816) bezeichnet wurde; daher auch die Zeugung des Wesens als Ungeheuer, als Monster... Ein Nachtgespenst reiner Horrorfantasie ist jedoch der von Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack 1933 geschaffene Riesenaffe „King Kong“, von einer Insel an der afrikanischen Küste als Ausstellungsstück nach New York transportiert und dort der Zivilisation zum Opfer fallend — heute ebenfalls ein Filmklassiker, dessen tricktechnische Perfektion (Kongs Kämpfe mit prähistorischen Geschöpfen) dem genialen O'Brien zuzuschreiben sind. In die Reihe der schauererregenden Ungeheuer gehört auch der Lycan-thropus, der Werwolf, der zwar (wie der Vampirismus) seine wissenschaftliche Erklärung als pathologische Aberration findet, doch im Kino wesentlich simplifizierter eingestuft ist. „The Werewolf of London“, 1935, ein Botaniker, in Tibet nächtlich von einem Wolf angefallen und sich in London daraufhin bei Vollmondnachten in ein mordendes Ungeheuer verwandelnd (die Parallele Doktor Jekyll/Hyde liegt nahe!), war der erste und bedeutendste einer ganzen Serie, in der als letztes ernstzunehmendes Werk noch „The Wolf Man“ (1941 — mit Lon Chaney jr.) zu nennen ist. Henry Hulls verzweifelte Erkenntnis seines Fluches und seine Verwandlung in den Wolfsmenschen, eine grausige Menschenparodie, bleiben unvergessen... Doch Boris Karloff war in diesen Jahren zum „Meister des Horrors“ geworden — die Liste seiner unheimlichen und grauenerregenden Filmgestalten in den dreißiger Jahren enthält noch drei Filme, die Interesse verdienen: „The Black Cat“ (1934, Die schwarze Katze) — trotz des Titels nicht identisch mit der Poe-Novelle — und „The Raven“ (1935, Der Rabe) — mit Anlehnungen an E. A. Poe; in beiden Filmen war Bela Lugosi der Gegenspieler Karloffs, jeweils die Rolle des Guten und Bösen vertauschend. Der erste, von Edgar G. Ulmer (einem Assistenten Murnaus) inszeniert, ist reine Dämonie mit dem Höhepunkt einer „schwarzen Messe“, der zweite eine Huldigung an die Schrecken Poes, doch schon mit fast parodistLschen Zügen. Der vom ehemaligen Kameramann Karl Freund gedrehte Horrorfilm „The Mummy“ (1932, Die Mumie), beinhaltend mystische ägyptische Totenbeschwörung und Reinkarnationskult — mit Karloff als Imhotep, die zum Leben erwachte dreitausendjährige Mumie eines verbrecherischen Priesters —, ist wohl der schwächste Film der genannten Reihe des Grauens, deren Erfolg so groß war und deren Ruf so zeitlos ist, daß wir heute noch unzählige filmische Neuaufgüsse (in buntem Technicolor und auf breiter Leinwand) erleben können.

Doch der Geist einer Ära ist nicht wiederholbar, jede Reproduktion nur synthetisch. Möglich auch, daß uns angesichts unserer Gegenwart das Grauen im Kino nicht mehr zu erschrecken vermag, nicht einmal mehr der Horror von gestern, in diesen Filmen dargeboten. Doch bewundern können wir sie und in ihrer Kunst noch einen Hauch jener schöpferischen Talente, Begabungen und Persönlichkeiten entdecken, die wir heute leider auch verloren haben...

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