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Wien als Buchstadt

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Das jetzt in Österreich gehörte Schlagwort „Wien als Buchstadt“ will im Grunde nichts anderes besagen, als daß Wien die Nach-folge v o n L e i p z i g antreten soll. Dieses Wort wird manchen Kenner der Verhältnisse als kühn erscheinen. Denn Leipzig, das nicht nur Zentrum der meisten reidisdeutschen Verlage, sondern auch der österreichischen, schweizerischen und sudetendeutschen war, verdankte seine Stellung nicht allein einer vielhundertjährigen Tradition als Buchmessestadt, sondern auch seinen leistungsfähigen Druckereien, Bindereien, Klischeeanstalten, Lagerhäusern und Verteilerstellen, die es mit sich brachten, daß viele Verlage, die gar nicht ihren Sitz in Leipzig hatten, ihre Bücher hier herstellen und versenden ließen. Der Krieg hat Leipzig und seiner Stellung als Zentrum des deutschsprachigen Buchhandels schwere und kaum wieder gutzumachende Schäden zugefügt. Vernichtet .sind zum großen Teil die hervorragenden Druckereien, wie Offizin Haag-Drugulin oder Bibliographisches Institut, vernichtet sind die großen Anlagen von Oskar Brandstätter, wo die Hegner- und Insel-Bücher hergestellt wurden, vernichtet sind auch die großen Lagerhäuser mitsamt den Riesenvorräten, die die deutschen Buchhändler als eiserne Reserve für die Nachkriegszeit aufbewahrten. Bei einem einzigen Fliegerangriff sollen sieben Millionen Bände teils durch Feuer, teils durdi Wasser vernichtet worden sein; Leipzig wird also sdion rein praktisch auf lange Zeit nicht in der Lage sein, die frühere Stellung wieder einzunehmen. Dazu kommt noch, daß auch der deutsche Verlagsbuchhandel zum größten Teil lahmgelegt ist. Von den früheren fi&lfrlundert Verlagen dürften kaum hundert neu bewilligt werden, deren Produktion, während die Österreich isdie schon seit Monaten läuft, erst langsam ins Rollen kommt und auf lange Sicht mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben wird.

Die Möglichkeit, an die Stelle Leipzigs zu treten, besitzt nun Wien zweifellos. Es fragt sich nur, für welches Gebiet Wien Buchhandelszentrum werden soll. Das frühere deutsche Sprachgebiet ist sehr eingeschränkt. Große Außengebiete, wie Böhmen und

Polen, sind ganz weggefallen. Österreich steht

sicherlich ganz zur Verfügung. Ebenso, zu-mindestens theoretisch, die Schweiz, mit dessen Verlagswesen sicher ein Gentleman-Agreement getitoffen werden könnte. Aber diese Absatzgebiete sind nur klein, der Hauptkonsument der deutsch geschriebenen Bücher war das Gebiet des früheren Deutschland. Es wird von großer Bedeuturig für Wien als Budistadt sein, ob das heutige besetzte Deutschland Bücher aus Österreich importieren und auch bezahlen kann. Vielleicht müßte schon jetzt von den österreichischen Stellen mit den Besatzungsmächten eine Vereinbarung getroffen werden: Da, wie bereits gesagt, der deutsche Verlagsbuchhandel nur langsam anlaufen und weiterhin mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen haben wird, zu dem auch gehört, daß er kein Zentrum mehr hat, liegt hier tatsächlich eine große Chance für Wien als Buchstadt.

Um Wien eine überragende Stellung als Buchstadt zu sichern, müssen in Wien und Österreich einige Voraussetzungen für die Verlagstätigkeit erfüllt sein. Es muß vor allem Verlage von Format geben und Produktionsstätten, in denen erstklassige Bücher hergestellt werden können. Wien bes;tß bis zum Jahre 1938 nur wenige Verlage von Weltruf. Die Möglichkeit zur Gründung und Entwicklung neuer Verlage müßte geschaffen werden. Dies ist eine der ersten Voraussetzungen. Bis jetzt gibt es für das Verlagswesen keine einheitliche Regelung für ganz Österreich. Während es zum Beispiel in Oberösterreich verhältnismäßig leicht ist, einen Verlag zu gründen, stößt dies in Wien auf beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten. Während in Steiermark bereits „Allgemeinbildung“ als eine genügende Voraussetzung zur Führung eines Verlages angesehen wird, werden in anderen Teilen Österreichs umfangreiche Fachkenntnisse und jahrelange Praxis gefordert. Ohne den amtlichen Stellen hier vorzugreifen, glauben wir doch vorschlagen zu können, daß die Verleihung einer Verlagskonzession nicht zu sehr erschwert werden sollte, da dies sonst wirklich wie Konkurrenzfurcht von Seiten der bereits bestehenden Verlage aussehen

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könnte, wenn audi andererseits praktische Kenntnisse von denjenigen gefordert werden müßten, die einen Vrlag gründen wollen.

Ist so die praktische Regelung des Verlagswesens von seiten der berufenen Stellen eine der Voraussetzungen für Wien als Buchstadt, so ist die Frage der Druckereien, der Papierherstellung und der Bindereien die andere Komponente, auf der Wiens Bedeutung als Budi-stadt ruhen wird. Österreich ist bekanntlich eines der reichsten Papierproduktionsländer Mitteleuropas. Die Papierindustrie Österreichs läuft bereits auf ungefähr 60 Prozent der Friedensproduktion. Wenn auch gewisse Papiersorten nodi nicht erzeugt werden können, wie Tiefdruck öder Kunstdruck, so sind dafür für die andern Papiere genügend Rohstoffe vorhanden. Nur ist es, wie alle Beteiligten wissen, heute sehr schwer, zu Papier zu kommen, insbesondere für die Wiener Verleger, Die Zoneneinteilung Österreichs erweist sich auch hier als ein großer Nadi-teil. Viele Papierfabriken liegen in den westlichen Bundesländern. Sie beliefern jene Verlage, die in ihren Zonen liegen. Diese Verlage aber lassen meistens in Wien drucken, während die Wiener Verlage Selbst mit Papierschwierigkeiten zu kämpfen haben und die meisten von ihnen leben heute nur von ihren Vorräten und können sich ausrechnen, wann sie damit zu Ende sein werden. Solange diese Papierknappheit andauert, wird es deshalb wohl notwendig sein, bei einer Papierkontingentierung zu bleiben, den Verlagen aber auch eine entsprechende Papiermenge zuzuweisen, um eine Produktion zu ermöglichen.

Die zweite Frage betrifft die Druckereien, Wien besitzt sehr gute und große Druckereien, die äußerst leistungsfähig sind. Hier sind alle Voraussetzungen für Wien als Buchstadt erfüllt. Aber für die Drückereien lebenswichtig ist die Beschaffung von Farbstoffen für Farbdrucke und von Chemikalien für Tiefdruck.

Ein wichtiges Kapitel sind die B u c h b i n-dereien. Hier sieht es zum Unterschied von den Druckereien zur Zeit noch recht traurig aus. Während die Druckereien von den Kriegsereignissen kaum mitgenommen sind, liegen die Verhältnisse bei den Bindereien anders. Wien besaß nur eine ganz geringe Anzahl von wirklich leistungsfähigen Bindereien und diese sind meistens noch durch Bomben oder sonstige Kriegsereignisse stark in ihrer Produktionsfähigkeit behindert. Eines der wesentlichen Erfordernisse ist deshalb die Unterstützung und Erweiterung und wohl auch Neugründung von Bindereien.

Die jetzige Hausse im Buchhandel wird nicht andauern. Heute ist es leicht, Bücher mit einer Auflage von 5—10.000 in drei Monaten zu verkaufen, oft in Wien allein. Sobald man aber wieder andere Verbrauchs-güter zu normalen Preisen zu kaufen bekommen wird, wird der reißende Absatz der Bücher nachlassen. Gekauft wird dann wieder nur das gute und auch preiswerte Buch werden. Es wird darin nicht nur auf den Autor und den Inhalt des Buches, sondern auch auf seine Ausstattung ankommen. Der Wiener Geschmack hat hier ein weites Betätigungsfeld. Auch das schöne und gute Buch kann zu einem Boten Österreichs in der Welt aber werden. Die Möglichkeiten, die Wien als Buchstadt hat, sollten aber durch Schaffung und Förderung aller hiezu notwendigen Voraussetzungen ausgeschöpft werden.

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