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Psychiatrisierang höchster Ebene

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Wolfgang Graninger, nicht identisch mit dem Klestil-Arzt, lebt in einem Mikrokosmos voller Bilder. Eine Annäherung an einen Besessenen.

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Wolfgang Graninger, nicht identisch mit dem Klestil-Arzt, lebt in einem Mikrokosmos voller Bilder. Eine Annäherung an einen Besessenen.

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Die Wände der winzigen Diele sind bedeckt mit Bildern. An der Tür zum Wohn-Schlaf-Le-bensraum darf sich eine jahrelang eingerollt gelagerte Leinwand aushängen. Die Zimmerwände - „Völlig durchlöchert! Ausmalen ist eine Katastrophe!” - sind ebenfalls voller Bilder, die Bücher türmen sich daher im Baum. Frühstück könne er keines anbieten, erklärt der Salzburger Kunstsammler Wolfgang Graninger, seine Küche beherberge nur einen kleinen Durchlauferhitzer, sei zum Kochen nicht angelegt. Küchendämpfe wären wohl auch für die Bilder an den Wänden nicht gut.

Und Graninger lebt, wie es scheint, ohnehin von Bildern, für Bilder und mit Bildern. Auch im Bad hängen Bilder. Nicht nur, um die sich ablösenden Kacheln zu verdecken: Bei einer Vierzig- Quadratmeter-Wohnung muß jeder Quadratzentimeter ausgenützt werden.

Wolfgang Graninger ging vor drei Jahren als Pfleger des Landeskrankenhauses Salzburg in Pension. Die Ausbildung (samt Diplom) zum Pianisten und einige Jahre als Klavierlehrer, „zum Beispiel bei den Englischen Fräulein, unter 180 Mädchen und Klosterfrauen”, liegen hinter ihm; weiters ein Abstecher als Postu-lant in einen, damals dem Stift Heiligenkreuz unterstellten, Laienorden; nicht zuletzt die Krankenpflegeschule in Hamburg: „Ich wollte einen sozialen Beruf ergreifen.” In Linz sei er an der Musikschule und daneben in der Trinkerfürsorge tätig gewesen, in Hamburg habe er Schwerverbrecher im Gefängnis besucht.

1964 kam Wolfgang Graninger nach Salzburg: „Die Arbeit als Krankenpfleger hat mich ausgefüllt. Ich mache immer das, was ich gerne mache. Nur so kann man erfolgreich sein: Wenn man etwas gerne macht.” Soziales und künstlerisches Engagement zogen sich immer als parallele Stränge durch das Leben Graningers. „Heute ist es zwar nur mehr die Kunst. Aber wenn ich das Bild eines noch unbekannten jungen Malers kaufe, ist das wohl auch im weitesten Sinne ,sozial'.” In den letzten vier Berufsjahren war Graninger karenziert und baute für eine Wiener Immobilienfirma, die Geld in Kunst investierte, eine Sammlung mit Arbeiten junger Künstler auf. Professor bin ich dann auch einmal geworden. Ich glaube, da muß man fünfzig sein.” Auch das Goldene Verdienstkreuz des Landes stellt sich ein. Jury-Tätigkeit, das Verfassen von Katalogbeiträgen und Eröffnungsvorträge gehören zum Alltag.

„Meine Eltern haben immer Bilder gehabt.” Mit vierzehn habe er, noch mit dem Geld des Vaters, sein erstes Bild gekauft, eine Zeichnung von Kubin. Der erste Galeriekauf fiel in das erste Salzburg-Jahr: „1964 in der Galerie Welz eine Anton-Kolig-Zeichnung um 4.000 Schilling.” Auch sei er schon früh Modell gesessen: etwa 1952 dem Porträtisten und Landschaftsmaler Max Hirschenauer, der 1945 bereits Graningers Mutter gemalt hatte. Beide Bildnisse hängen heute in Graningers Salzburger Bilderhöhle, in der Porträts und Menschendar-Stellungen dominieren: „Ich umgebe mich gerne mit Menschenbildern.”

Graninger ließ sich mehrmals auch von Josef Kern malen, der die Geduld dieses Modells sehr zu schätzen wisse. „Gerade jetzt entsteht ein Bild, das braucht Sonnenlicht. Sehr mühsam in dieser Jahreszeit.” Modellsitzen ist für den Besessenen Therapie, „Psychiatrisierung auf höchster Ebene”, wie er es im Katalog „Josef Kern - Die Graninger-Bildnisse ” nannte.

Der gebürtige Grazer ist in Schärding in Oberösterreich aufgewachsen. „ Kubin war für mich daher der zentrale Meister.” Zu den bewunderten Besuchern im Haushalt des k. & k. Bittmeisters (und späteren Militärbürgermeisters von Schärding) Franz Graninger, gehörte eben auch Alfred Kubin, „der sich für alles Altösterreichische interessiert hat”. Wie finanziert nun ein Sammler mit dem Gehalt eines Krankenpflegers seine Leidenschaft? „Dreißig Jahre lang mit Ratenzahlungen und Gehaltsüberziehungen ...” Jetzt in der Pension sei sein Kapital die Zeit: „Im offiziellen Kunsthandel kann ich wenig kaufen. Aber ich stöbere viel auf Flohmärkten, bei Trödlern, in Pfandleihhäusern. Und ich sehe einfach, was andere übersehen: Zum Reispiel bei einem Kunsthändler einen Pfeiffer-Watenphul um 500 Schilling, der in den Galerien 20.000 Schilling kostet.” In Wolfgang Graningers Wohnung hängen viele unsignierte Rilder: „Mich muß ein

Rild ansprechen. Erst dann schaue ich auf die Signatur.” Verkaufen sei manchmal notwendig, mache aber keine Freude. Tauschen schon eher. Etwa: „Alte Zeichnungen gegen moderne Kunst.”

Graninger sammelt, aber er hortet nicht. Immer wieder trennt er sich von großen Teilen seines Schatzes. Stichwort „Schenkungen”: Das Salzburger „Rupertinum” etwa präsentiert ab 20. Dezember eine Auswahl (!) aus der „Schenkung Graninger”: Rund 100-Arbeiten von österreichischen und internationalen Vertretern der klassischen Moderne werden gezeigt, so etwa von Fritz Wotruba, Viktor Vasa-rely oder Lovis Corinth, aber auch Ru-pert Gredler, Janz Franz oder Johannes Steidl.

Der Sammler und Schenker hat keine Familie, lebt allein in besagter winziger Wohnung und besitzt kein Auto. Der letzte Urlaubsversuch (Neusiedlersee) liegt gut dreißig Jahre zurück und endete vorzeitig im Atelier Alfred Hrdlickas mit dem Erwerb einer Radierung.

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