Gleicher Gott und fremde Welt

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Im Grätzel Embelgasse im fünften Wiener Gemeindebezirk (Margareten) sind die Spannungen groß. Um zwischen Migranten und Wienern den Kontakt zu verbessern und das Verständnis zu erhöhen, öffnete eine Moschee vor Ort ihre Pforten.

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Im Grätzel Embelgasse im fünften Wiener Gemeindebezirk (Margareten) sind die Spannungen groß. Um zwischen Migranten und Wienern den Kontakt zu verbessern und das Verständnis zu erhöhen, öffnete eine Moschee vor Ort ihre Pforten.

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Die Träume des Kalifen" interessieren die alte Dame herzlich wenig. Dafür hat ein gelbes Büchlein mit dem nüchternen Titel "Islam hier und heute" ihre ganze Neugierde geweckt. Abseits des hektischen Treibens steht sie am reich gedeckten Büchertisch, und man könnte meinen, in Gedanken sei sie nicht mehr in Wien, sondern längst im Morgenland. Tatsächlich tun sich für viele Anrainer im Haus Embelgasse 44 neue Welten auf: Schwarzer Tee (Cay) und honigtriefende Naschereien (Baklava) werden kredenzt, Blätterteigtaschen mit Topfen-, Spinat- oder Fleischfülle (Börek) serviert. Erklärungen über die fünf Säulen des Islam und eine arabische Koran-Rezitation sollen den Besuchern das Fremde so nah wie möglich bringen.

Viele haben die Möglichkeit genutzt, hinter die Kulissen der Moschee zu blicken - oder endlich ihrem Ärger Luft zu machen: "Ich glaube nicht, dass das Tragen des Kopftuches ein Beitrag zur Integration ist", meldet sich ein Mann zu Wort. Wie in der Türkei solle das Kopftuch auch in Österreich weitgehend von der öffentlichen Bildfläche verschwinden. Die Trennung von Staat und Religion sei ihm eben ein Anliegen, setzt er nach - und hält konsequenterweise auch die Kreuze in Klassenzimmern für entbehrlich.

Dass gerade das Kopftuch für Emotionen sorgt, ist für Ursula Struppe von der Initiative "Land der Menschen" mittlerweile ein alter Hut: "Eine Frau hat gemeint: ,Wenn ich in den Park hinunterschau, sehe ich hunderte Frauen mit Kopftuch.' Ich glaube, wenn sie zwei oder drei davon kennen würde, wäre die Situation eine andere." Allein: Die Situation ist, wie sie ist - angespannt. Im Vergleich zu anderen Wiener Bezirken rangiert Margareten mit einem Ausländeranteil von 27 Prozent hinter Wien Fünfhaus mit seinen 33 Prozent an zweiter Stelle. Allfreitäglich kommen 100 bis 200 Muslime meist türkischer Herkunft hierher, um ihr Gebet zu verrichten, sich auszutauschen oder auch sonntags im angrenzenden Lebensmittelgeschäft einzukaufen. Der Unmut in der Nachbarschaft wuchs. Einem Anrainer wurden schließlich die gegenseitigen Ressentiments zu viel. In Tür-zu-Tür- und Straßenaktionen versuchte "Land der Menschen", den Problemen auf den Grund zu gehen, erzählt Struppe: "Wir sind im Grätzel unterwegs gewesen und auf ziemlich große Besorgnis gestoßen." Die Klagen seien "nicht wirklich rassistisch oder ideologisch" gewesen, sondern Folge eines typischen Generationenproblems, glaubt Struppe: "Wie der alte österreichische Opa, der nicht schlafen kann und darüber klagt, dass die Ausländer zu laut sind." Zu beschönigen gibt es freilich nichts, ist sie sich bewusst: Man stehe tatsächlich vor einem "enormen sozialen Problem". Eine Lösung ist noch nicht in Sicht - zumal in Wahlkampfzeiten mit frisch affichierten "Ausländer"-Plakaten und emotionsgeladenen Debatten um die Öffnung der Gemeindebauten und das aktive Ausländerwahlrecht auf kommunaler Ebene.

Mitten in die Politdebatte tönt indes der Ruf zum Gebet: Zwei Dutzend Männer reihen sich aneinander, wenden sich in Richtung der Gebetsnische (Michrab) gen Mekka, knien nieder und verneigen sich, während der Imam spricht. Einer von ihnen ist Tarafa Baghajati von der "Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen", die gemeinsam mit der "Islamischen Union - Muriade" und "Land der Menschen" den Tag der offenen Moschee veranstaltet. "Wichtig ist, dass die Begegnungen unverkrampft stattfinden", nennt Baghajati seine Maxime. Ziel sei es, jeden Monat eine der rund 30 (provisorischen) Moscheen in Wien öffentlich zugänglich zu machen - "um Probleme gleich zu diskutieren und der Gesellschaft die muslimische Lebensweise zu präsentieren." Wenige Meter entfernt ist seine Frau Carla Amina ins Gespräch vertieft. Lange Zeit schon habe sie sich mit dem Islam beschäftigt, erzählt die protestantisch getaufte Mainzerin. "Und viele Fragen haben sich gelöst." Etwa Glaubensinhalte wie die Trinitätslehre oder der Gedanke der Erbsünde, von denen sie sich löste und zu einem "klaren Monotheismus" und zur "Selbstverantwortung jedes Menschen" gelangte. 1989 ist sie zum Islam übergetreten, ein Schritt, den sie "nie als Bruch zum Protestantismus" gesehen hat, baue doch der Islam auf Judentum und Christentum auf. Ihre vordringliche Aufgabe sieht die 34-jährige Mutter von drei Kindern vor allem darin, über ihre Religion zu informieren, um Vorurteile auszuräumen: "Der Islam wird immer daran gemessen, wie sein Frauenbild aussieht und was in der islamischen Welt geschieht. Manche Parteien finden dadurch in den Muslimen den perfekten Sündenbock." Tatsächliche Missstände wie in Afghanistan, wo Frauen von der islamistischen Taliban-Regierung gänzlich aus dem öffentlichen Leben gedrängt werden, müssten umso heftiger kritisiert werden, fordert auch Andrea Saleh, Frauenbeauftragte der islamischen Religionsgemeinde Wien. "Das ist doppelt traurig, weil man immer darauf angesprochen wird."

Angst & Faszination Rund 200 Interessierte und Prominente tummeln sich inzwischen in den Räumlichkeiten, die Gespräche intensivieren sich, die Zeit verrinnt: Im angrenzenden Büro wiederholt die Wiener Integrationsstadträtin Renate Brauner (SP) die Wichtigkeit von Deutschkursen - ein Wunsch, dem man mit Unterstützung des Integrationsfonds auch in der Embelgasse bald nachkommen will. Auch die Beziehungen zu den Pfarren müssten intensiviert werden, schlägt Brauner vor - und erntet beim Gründer der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen, Omar Al-Rawi, ein gequältes Lächeln: "Das Traurige ist, dass christliche und muslimische Menschen den gleichen Gott haben. Trotzdem gibt es Berührungsängste." Das Fremde entsteht eben in den Köpfen, weiß Al-Rawi: "Entweder es entsteht Faszination oder Angst. Im letzteren Fall kann man hundert Mal erklären, dass sie irrational ist: Es nützt nichts." Begegnung ist also angesagt, denn "dort, wo man sich kennt, gibt es keine Probleme".

In der Moschee ist es inzwischen ruhig geworden. Auch die betagte Frau hat sich vom Büchertisch noch losgerissen und sich nach Hause aufgemacht. Was bleibt, ist die Hoffnung auf mehr Offenheit und Neugier - nicht nur bei alten Damen.

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