Vor einigen Tagen fragte mich mein Sohn, warum wir Muslime nicht auch Weihnachten feiern, wenn doch der Koran Jesus so sehr ehrt und ihm und seiner Mutter einen besonderen Stellenwert zuspricht. Ich habe ihm geantwortet, dass wir durchaus Weihnachten als eine Art Geburtstag Jesu feiern könnten, nicht jedoch seinen Status als die Offenbarung und somit die Inkarnation Gottes.
Beide Religionen, der Islam und das Christentum, sind sich einig darüber, dass Jesus eine besondere Rolle und Autorität von Gott her zukommt und er durch Rede, Zeichen und Wunder sowie die außergewöhnlichen Umstände seiner Geburt und seines Sterbens bzw. seiner Erhöhung und vor allem durch seinen Einsatz für Liebe eine legitime göttliche Botschaft in die Welt gebracht hat und selbst zur Botschaft geworden ist. Doch haben sich in beiden Religionen unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Perspektiven auf Jesus niedergeschlagen. Als besondere Herausforderungen des christlich-muslimischen Dialogs ergeben sich dennoch Fragen der Gottessohnschaft Jesu, der Lehre der Inkarnation, der Kreuzigung und der Trinitätslehre.
Muslime müssen genauso wenig an diese spezifisch christlichen Elemente glauben wie Christen an die Prophetie Mohammeds und die Verkündung des Korans als das Wort Gottes. Dennoch würden sowohl Muslime als auch Christen Gott nicht gerecht werden, würden sie leugnen, dass Er in der Lage ist, sich in der Geschichte auf unterschiedliche Weise mitzuteilen und Menschen auf unterschiedliche Wege zu sich zu rufen. Der Koran drückt es so aus: "Wäre das Meer die Tinte für die Worte meines Herrn, ja, das Meer würde sein Ende finden, ehe die Worte meines Herrn zu Ende gingen, auch wenn wir noch einmal so viel hinzubrächten.“ (Koran, 18:109) In diesem Sinne wünsche ich uns Muslimen und Christen gesegnete und besinnliche Tage.
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster
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