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Die Sprachnorm schreibt Unterscheidungen vor, die guten Sinn machen, obwohl sie dem Wortschatz nicht in die Wiege gelegt wurden. Wider "gegen" und wieder "zurück, von neuem" waren einst ein identisches Wort mit einem breiten Bedeutungsspektrum. In den Formen Wiederkehr oder Wiederbeginn im Gegensatz zu Widerruf bzw. Widerstand gibt es kaum orthographische Probleme. Bei Widerhall und Widerschein jedoch mag ein nachdenklicher Sprecher zweifeln, ob der Klang bzw. der Abglanz da entgegenkommt oder vielmehr wiederkehrt.

Auch der geforderte Unterschied zwischen derselbe und der gleiche ist berechtigt: Ob ein Verdächtiger als Tatrequisit denselben oder den gleichen Mantel getragen hat, kann einen Indizienprozess entscheiden. Und wer nach einem Unfall wieder dasselbe Auto bekommen will, muss oft mehr in die Reparatur investieren als beim Kauf des gleichen Wagens.

Die Differenzierung zwischen anscheinend und scheinbar, auch sie erst ein Faktum der jüngeren Sprachgeschichte, leistet gleichfalls eine wesentliche Aufgabe. Wenn jemand anscheinend die Wahrheit gesagt hat, so spricht bis zum Beweis des Gegenteils alles für seine Aufrichtigkeit. Hat er es hingegen nur scheinbar getan, dann liegt die Unehrlichkeit schon auf der Hand. Und wie steht es mit offenbar, das bisweilen als sprachliches Signal von Unsicherheit gilt? Dass es in älteren Sprachperioden "augenscheinlich, deutlich" bezeichnet hat und fast synonym mit offen war, zeigen noch die Ableitungen offenbaren und Offenbarung. Im heutigen Gebrauch hat es sich anscheinend genähert, also etwas an Evidenz eingebüßt. Doch die mitunter beigemischte Skepsis ist weniger ein Merkmal dieses Wortes als der ironisch getönten Äußerung. So wenn ein notorischer Pessimist verkündet: "Wir gehen offenbar immer rosigeren Zeiten entgegen!"

Der Autor ist Professor für Sprachwissenschaft in Salzburg.

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