Strategie des Dialogs

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Er mahnt in seiner Kirche ein "wirklich pastorales Konzept“ und die Bereitschaft zum Dialog ein. Propst Maximilian Fürnsinn im FURCHE-Weihnachtsgespräch über Gott, Kirche und Welt.

Seit 33 Jahren steht Maximilian Fürnsinn dem Augustiner Chorherrenstift Herzogenburg als Propst vor. Er gilt als besonnene und versöhnliche Stimme im Konzert der kirchlichen Meinungsträger. Und er positioniert sich klar als Vertreter des Dialogs - nach innen wie nach außen.

Die Furche: Sie haben 2012 Ihr großes Jubiläum begangen: 900 Jahre Stift Herzogenburg - das ist etwas Altes, nichts Modernes. Und Ihr Ort ist ein Barockstift - Zeichen einer Zeit, in der die Kirche großen Einfluss hatte. Wie kann man das heute erklären?

Propst Maximilian Fürnsinn: Häuser wie das unsre zeigen etwas von der Großzügigkeit des Glaubens. Es stimmt schon, dass sie in einer anderen Zeit entstanden sind. Barock ist aber die großzügige Zeit des Glaubens gewesen. Viele Menschen spüren das auch heute. Triumphalismus wäre falsch. Aber die Erinnerung an die Kraft dieses Glaubens manifestiert sich auch in solchen Gebäuden. Das finde ich faszinierend.

Die Furche: Eine Kraft, die es jetzt nicht mehr gibt.

Fürnsinn: Natürlich muss man das in der heutigen Zeit anders leben. Ich muss diese Häuser öffnen und zugänglich machen. Und für die Begegnung bereit sein.

Die Furche: Sie haben selber einmal gesagt, Sie seien ein barocker Mensch.

Fürnsinn (schmunzelt): Na ja, das ist auf meine Figur hin gesagt, dass ich kein sparsamer "Bautyp“ bin. Aber ich gebe auch zu, dass mich die barocke Lebensfreude auch anzieht. Der innerste Kern des Glaubens ist die Freude. Das spürt man in der Epoche des Barock. Es stört mich, wenn Menschen heute alles heruntermachen - da ist zu wenig Glaube, da ist immer alles nur schlecht und böse. Natürlich gibt es das auch. Aber: "Die Freude am Herrn ist eure Stärke“, heißt es im Buch Nehemia. Die Freude - und nicht unsere Eingezogenheit, unsere Aggressivität und unser Feuereifer, mit dem wir so herumstolzieren.

Die Furche: Aber geht vielen Menschen an der katholischen Kirche nicht gerade die Lebensnähe ab?

Fürnsinn: Die Situation der Kirche ist für mich verstehbar. Wir stehen in einer Zeit des Wandels und tun uns im Augenblick schwer. Denn wir wissen nicht, wohin die Reise geht. Von daher gesehen, sind wir ein wenig irritiert. Aber vieles ist auch hausgemacht. Ich vermisse in unserer Kirche zurzeit die Entwicklung einer Strategie, eines Dialoges nach innen. Ich vermisse ein wirklich pastorales Konzept, das auch die Menschen wieder erfasst. Das macht die heutige Situation schmerzlich. Wir sollten mutiger, herausfordernder sein. Wir sollten einfach leben!

Die Furche: Eigentlich hätte die Kirche ja viel zu geben.

Fürnsinn: Eben. Und ich wehre mich da gegen das Wort von der kleinen Herde. Natürlich kann eine kleine Gruppe in der Verbundenheit mit dem Herrn, in der Erwartung des Reiches Gottes auch Unglaubliches vollbringen. Aber in Österreich ist die Kirche keine kleine Herde. Und wer sie dazu machen will, der führt sie auf einen Irrweg. Es gelingt uns nicht recht, eine Bewegung hineinzubringen - aber das ist etwas anderes.

Die Furche: Sie mahnen seit Jahren den innerkirchlichen Dialog ein. Der findet aber seit 15 Jahren nicht mehr wirklich statt. Wie kann man ihn wieder in Gang bringen?

Fürnsinn: Gerade bei den derzeitigen Polarisierungen brauchen wir einen strukturierten Dialogprozess. Zunächst muss man auch einen Schritt zurück tun, manche Positionen entschärfen, um wirklich in ein Gespräch zu kommen. Ich habe das auch gegenüber der Pfarrer-Initiative gesagt und den Vorschlag gemacht, anstelle von Ungehorsam "kritische Loyalität“ zu sagen. Ich würde zweitens diesen Gesprächsprozess nicht von vornherein überfordern. Um bei der Pfarrer-Initiative zu bleiben: Zu einigen von deren Forderungen kann ich stehen. Doch wenn man einen Gesprächsprozess will, dann muss man die Sache differenziert angehen. Da gibt es Möglichkeiten, schon allein aus der pastoralen Sicht heraus. Aber wer alles will, will nichts.

Die Furche: Aber die Grundanliegen der Pfarrer sind doch berechtigt!

Fürnsinn: Mir ist klar, dass gerade die Priester, die in der Pfarrer-Initiative sind, die Generation des Konzils darstellen. Die sind mit dem Drive des Konzils aufgewachsen und haben das über Jahrzehnte mit ihrem Leben umgesetzt, sie haben ihre ganze Kraft investiert und merken heute: So ernst war das Konzil in allen Konsequenzen ja nicht gemeint. Von daher verstehe ich, dass sie eine etwas aggressivere Gangart haben. Aber das sollte einen hellhörig machen. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, die Situation auszusitzen. Es gibt auch Forderungen der Pfarrer-Initiative, wo ich mir wünschen würde, dass die Bischöfe in Rom mit mehr Nachdruck auftreten würden.

Die Furche: Etwa beim Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen?

Fürnsinn: In der Frage des Kommunionempfangs für wiederverheiratete Geschieden müssen wir eine Lösung finden. Wenn der dogmatische oder der kirchenrechtliche Weg nicht geht, dann werden wir eine pastorale Lösung suchen. Die Pfarrer sind bislang damit nicht schlecht umgegangen; sie haben nicht salopp erklärt: Es ist egal, sondern sie sind sorgsam herangegangen, weil sie die wirkliche Not und die Sehnsucht von Christen spüren.

Die Furche: Eine andere Frage betrifft die Gemeindeleitung, auch angesichts des Priestermangels.

Fürnsinn: Ich bin keiner, der sagt: Schaffen wir den Zölibat ab. Der Zölibat hat einen unglaublich starken, auch spirituellen Wert: Es muss uns die Sache etwas wert sein. Dennoch bin ich der Auffassung, dass Bischöfe das Recht haben sollten, da oder dort zu sagen: Diesen verheirateten Mann, der gut in der Kirche integriert ist und eine entsprechende Ausbildung hat, will ich zum Priester weihen. Wir haben ja Beispiele in der katholischen Kirche, wo es das ja gibt. Das ist ja keine dogmatische Frage. Zudem hat Kardinal Schönborn bei seinem Reformplan in Wien gesagt, die Laien müssen mehr in die Hand nehmen. Aber hier wurde einiges versäumt: Wo haben wir Frauen und Männer wirklich ermächtigt, diesen Dienst auch zu übernahmen, ihnen das Vertrauen geschenkt und sie dazu beauftragt?

Die Furche: Und die Predigt von Laien …

Fürnsinn: … wäre kirchenrechtlich möglich: Wo es die Situation erfordert, kann ein Bischof genehmigen, dass ein Laie predigt - auch in der Eucharistie. Nur müsste das die Bischofskonferenz beschließen. Warum tut sie das nicht? Auch das wäre also lösbar.

Die Furche: Wie sehen Sie die Aufgabe der Orden in dieser pastoralen Situation?

Fürnsinn: Die Rolle der Klöster wird sich verändern müssen. Wenn sich die Struktur der Kirche in den Diözesen weiter so ausdünnt, dann werden starke pastorale Zentren nötig sein. Ich glaube, da sind die Ordensgemeinschaften gefragt, solche geistliche Zentren anzubieten. Denn je mehr wir auch Frauen und Männer bitten, Dienste in den Pfarren zu übernehmen, umso mehr müssen wir ihnen auch die Möglichkeit bieten, eine Tankstelle zu haben und eingebunden zu sein. Es ist ja auch das Kreuz vieler alleinstehender Priester, dass sie keine Beheimatung haben. Und dafür brauchen wir immer stärkere Zentren.

Die Furche: Sie sprechen von Strategien, die nötig sind, um in Zukunft auch nach außen strahlen zu können. Ist das ohne vollständige Gleichberechtigung der Frau möglich?

Fürnsinn: Dass die Frauen heute in der Kirche eine große Rolle spielen, brauche ich nicht eigens zu betonen und ich sehe auch unglaubliche Fähigkeiten der Frauen. Lassen Sie mich diplomatisch sein: Warum sollen wir die unglaublich schwierige Frage der Frauenweihe an die erste Stelle stellen? Gleichwohl meine ich, dass sich die Kirche damit auseinandersetzen wird müssen. Abt Martin Werlen von Einsiedeln hat dieses Thema kürzlich ganz klar angesprochen, indem er gesagt hat, das Thema wird die Kirche nicht loslassen.

Die Furche: Wir haben jetzt viel über die Krise der Kirche gesprochen. Aber ist der Auftrag zum Wandel nicht überhaupt auch auf die Gesellschaft zu beziehen?

Fürnsinn: Ich würde mir von der Kirche auch einen Dialog nach außen wünschen. Es würde genügen, die fünf wichtigsten Fragen, die eine Gesellschaft hat, aufzugreifen und sie zu einem großen Gespräch zu machen, wo die Kirche federführend ist. Wo sie zeigen kann, dass ihr die Anliegen der Menschen wichtig sind. Mit den besten Köpfen, mit den gescheitesten Leuten, mit den Engagiertesten in der Gesellschaft. Lebe die Liebe und du bist in der Kirche drin, heißt es. Hier gibt es sehr viel an Solidarität und sehr viel an selbstverständlicher Liebe. Diese Brunnen in der Gesellschaft aufzusuchen, das würde der Kirche sehr viel bringen.

Die Furche: Wenn wir von diesen Problemen das ökonomische besprechen: Sie selbst beschreiben sehr schön die Gedanken der Nachhaltigkeit und der Menschenliebe in der Klosterökonomie. In weiten Teilen der Wirtschaft scheinen die gegenläufigen Gesetze zu gelten. Sie stehen da als Propst zwischen diesen Welten. Wenn zu Ihnen jemand käme und sagte: Ich kann dir dein Kloster renovieren, aber ich müsste dafür ein wenig spekulieren - was würden Sie tun?

Fürnsinn: Dann würde ich sagen, lass die Finger davon. Ich kann nicht jemanden ermutigen, eine Sache zu tun, die ich persönlich nicht gutheiße. Wir sind in den letzten Jahren in einen unglaublichen Sog gekommen. Damit meine ich nicht nur die "da oben“, sondern auch uns selbst. Wenn wir ehrlich sind, war es doch immer willkommen, eine Veranlagung zu haben, wo man einen höheren Prozentsatz bekommen hat. Zur Sicherung der Pensionen oder zum Hausbau. Es haben also alle mitverdient. Auch die Klöster.

Die Furche: Alles Teilnehmer eines großen Marktes.

Fürnsinn: Das ist das Problem. Das größte Regulativ, das es heute gibt, ist der Markt. Da hätte die Kirche schon deutlicher sprechen müssen. Diese Überbetonung hat ja auch der Kirche Probleme gebracht: Die Abschaffung des Sonntags oder der Feiertage, wir haben nur mehr den Markt gesehen. Da hätten wir schon ein wenig hellhöriger sein sollen. Wir waren aber ab 2000 auch Zeugen eines enormen weltweiten Politikversagens: In dem Augenblick, in dem Politiker sagen, Politik sei dazu da, Rahmenbedingungen zu schaffen, muss man hellhörig werden. Da muss offenbar das Geschäft geschmiert werden, damit es läuft. Politik hat aber Korrektive zu setzen und Visionen zu haben. Heute schreien wir wieder nach der Politik. Vor wenigen Jahren haben wir sie hinausreguliert.

Die Furche: Was also tun?

Fürnsinn: Ein Markt kann nicht frei sein -er wird immer spekulieren und bis zum Äußersten gehen, um Gewinne zu machen. Gewinn zu machen, ist nichts Negatives, aber Gewinn zu maximieren schon. Das werfe ich der Wirtschaft nicht vor, aber die Grenzen und Korrektive und die Perspektiven Gemeinwohl und Menschenwürde, die haben wir einzuschärfen versäumt.

Die Furche: Aber wer wird Ihrer Meinung nach in der Lage sein, diese neue Politik zu machen?

Fürnsinn: In der Zivilgesellschaft wächst eine völlig neue Vision von Politik heran. Themen wie Nachhaltigkeit wurden ja nicht in der Politik entwickelt, sondern in intelligenten Zellen. Ich bin der Meinung, das Regulativ wird immer stärker aus der Zivilgesellschaft heraus entstehen. Dieses "Ich bin der Kleine, der das nicht schaffen kann“, stimmt nicht mehr so. Es gibt einen unglaublichen Austausch von Meinungen und Informationen, die immer mehr auch die Politik beeinflussen. Sicher, wir leben in einer individualisierten Gesellschaft. Aber es wird sich auf Dauer nicht halten, dass die Probleme sozialisiert und die Gewinne individualisiert werden. Ich bin da sehr zuversichtlich.

Die Furche: Was ist denn Ihre persönliche Weihnachtsbotschaft?

Fürnsinn: Martin Walser hat unlängst einen ungeheuer wichtigen Gedanken gebracht. Er sagte, die wichtigste Frage ist nicht, ob Gott existiert oder nicht existiert, sondern was fehlt, wenn Gott fehlt. Wenn wir das jetzt zu Weihnachten übersetzen, dann wäre also nicht die wichtigste Frage, wie kann denn Gott Mensch werden, sondern: Was wäre, wenn es diese Inkarnation der Liebe nicht gegeben hätte? Wenn also diese Kraft nicht in die Welt gekommen wäre und nicht von Millionen Menschen zur Grundlage ihres Lebens gemacht worden wäre? Was also wäre, wenn die Krippe leer geblieben wäre? Das sollten wir uns fragen.

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