"Wir haben das EU-Lobbying gelernt!"

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Anfangs streitbar, haben die Österreicher in der EU die "Technik des Kompromisses" gelernt, sagt der sich mit Monatsende aus Brüssel verabschiedende EU-Botschafter Gregor Woschnagg. Von EU-Krisen-Gejammer und EU-Müdigkeit hält Woschnagg indes nicht viel, denn die "harte Frage" "Sollen wir wieder austreten?" werde von der Mehrheit verneint.

Die Furche: Herr Botschafter, die EU feiert 50 Jahre "Römische Verträge" - ist Feierstimmung angesichts der gegenwärtigen Krise angebracht?

Gregor Woschnagg: Hören wir doch auf, ständig wie der "Eingebildete Kranke" von Molière über eine angebliche Krise zu jammern, ja diese geradezu herbeizureden - die EU funktioniert, der Binnenmarkt funktioniert …

Die Furche: Warum dann das Gezerre um die Verfassung, wenn alles so gut läuft?

Woschnagg: It's another ball game now: Wir haben mehr Spieler, wir brauchen neue, bessere Regeln. Mit einem Verfassungsvertrag wäre es einfach leichter, in Brüssel zu arbeiten; glauben Sie mir, mit 27 Mitgliedsstaaten einstimmige Beschlüsse zusammenzubringen, ist wahrlich kein leichtes Geschäft - irgendjemand ist immer dabei, der ein Thema hochstilisiert und alles blockiert. Bei 27 Mitgliedern wird die Klammer, das, was die EU zusammenhält, die Ratspräsidentschaft, die Kommission … immer wichtiger. Die halten die Union zusammen - und dazu bräuchte es den Verfassungsvertrag, denn wir haben in Europa augenscheinlich auch sehr starke zentrifugale Kräfte.

Die Furche: Sind diese mit den neuen Mitgliedern stärker geworden?

Woschnagg: Ja.

Die Furche: Und sie werden von außen, z. B. den USA, dabei unterstützt?

Woschnagg: Wir haben diesen Streit rund um den Irak-Krieg gehabt - da war das sicher der Fall, und die Union hat damals ein halbes Jahr lang gebraucht, um wieder auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

Die Furche: Hat die aktuelle Diskussion um die US-Raketenabwehr in Polen und Tschechien ebenfalls das Potenzial, sich zu einem solchen handfesten Streit auszuweiten?

Woschnagg: Die Raketenabwehr ist eine andere Sache, darüber redet weder die EU noch die NATO; das ist ein ausschließlich bilaterales Thema zwischen den USA und Polen bzw. Tschechien. Das wird in keinem Gremium in Brüssel zur Sprache gebracht, das kann man mit dem Irak-Krieg nicht vergleichen.

Die Furche: Mit der EU-Erweiterung sind aber doch einige Unruhestifter, um nicht zu sagen Querulanten dazugekommen.

Woschnagg: Diese Mitgliedsstaaten haben manchmal noch Schwierigkeiten mit dem, was wir "education européenne" nennen. Sie müssen noch mehr lernen, dass in Brüssel die Kunst des Kompromisses zählt. Wir sind nur zusammen besser und nicht mehr allein. Auch wir Österreicher mussten diesen Lernprozess durchmachen.

Die Furche: "Wir Österreicher", die nicht in Brüssel arbeiten, sind aber dabei laut Eurobarometer-Umfragen mehrheitlich nicht gerade EU-freundlicher geworden.

Woschnagg: Da bin ich nicht Ihrer Meinung: Es ist möglich, ein guter österreichischer Patriot und ein guter Europäer zu sein. 66 Prozent der Bevölkerung waren für den EU-Beitritt Österreichs, 33 Prozent waren dagegen. Fragen Sie heute, ob wir austreten sollen, Sie werden keine 33 Prozent Zustimmung bekommen, sondern 18, maximal 20 Prozent.

Die Furche: Nicht gleich austreten zu wollen bedeutet aber noch lange nicht, mit Enthusiasmus dabei zu sein. Das kann man ja auch von unseren Politikern sagen, die gegen EU-Beschlüsse wettern, denen sie in Brüssel zugestimmt haben.

Woschnagg: Diese Diskrepanz gibt es, auch unserer Politiker erliegen manchmal der Versuchung, den Schwarzen Peter nach Brüssel zu schieben für Beschlüsse, die einstimmig gefasst wurden. Letztlich hat sich aber Österreich durch die Mitgliedschaft bei der EU grundlegend reformiert - das hat uns gut getan; Österreich hat die Schweiz beim Pro-Kopf-Einkommen überholt, das erste Mal, die Schweiz hat sich bisher Österreich immer überlegen gefühlt …

Die Furche: … und sieht den EU-Beitritt nach wie vor nicht als sehr erstrebenswert an.

Woschnagg: Österreich hat vom EU-Binnenmarkt eindeutig profitiert. In der Schweiz gibt es den Binnenmarkt und die damit verbundene Freizügigkeit nicht einmal zwischen den Kantonen: Ein Lehrer, der in Zürich seine Ausbildung absolviert hat, kann nicht nach St. Gallen gehen. Da ist Österreich um vieles effizienter.

Die Furche: Gilt das auch für den Auftritt unserer Politiker auf der europäischen Bühne?

Woschnagg: Wir können gut mithalten; in der ersten Zeit nach unserem Beitritt hatten wir noch Schwierigkeiten - da waren wir die streitbaren Österreicher, Beispiel Transit; aber wir haben dazugelernt: Bei Themen, die uns wirklich unter die Haut gehen, fangen wir heute mit dem Lobbying sehr früh an und schauen, dass bereits die EU-Kommission einen guten Vorschlag macht, den wir dann im Rat mittragen können. Beim Lobbying sind wir heute viel erfolgreicher.

Die Furche: Das war nach den EU-Sanktionen im Jahr 2000, die Sie quasi zum Einstand in Brüssel erlebt haben, wohl bitter nötig?

Woschnagg: Unter den Sanktionen habe ich persönlich gelitten, weil mir plötzlich von Kollegen eine Kälte entgegengeschlagen hat, die ich mir nie erwartet hätte. Aber die EU hat gelernt - sie hat so was nie wieder gemacht, obwohl es ähnliche Regierungskoalitionen gab: in Italien, Dänemark, Holland … - die EU hat eingesehen, so geht man mit Familienmitgliedern nicht um, und hat ihre Konsequenzen gezogen …

Die Furche: … und wir unsere?

Woschnagg: Ja, wir haben die Technik des Kompromisses gelernt; das ist auch der Grund, warum wir eine gute Nachrede für unseren letzten Vorsitz haben.

Die Furche: Österreichs nächster Vorsitz ist frühestens 2019 - welcher Union werden wir dann vorstehen?

Woschnagg: Die EU wird sich viel mehr verdichten. Es wächst eine Generation heran, für die die EU eine Selbstverständlichkeit ist; es werden noch viel mehr Länder den Euro übernehmen, und es kann auch sein, dass wir dann bereits einen europäischen auswärtigen Dienst haben; eine europäische Armee wird trotz erster Ansätze wohl noch länger dauern.

Die Furche: Und wieviele Mitglieder wird die EU umfassen?

Woschnagg: Wir sind dann sicher über 30 …

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Trittsicher in EU-Diplomatie und alpinem Gelände

Glück gehabt: die Furche hat das Café Bräunerhof in der Wiener Innenstadt als Ort für das Interview mit Botschafter Gregor Woschnagg vorgeschlagen - und während des Gesprächs stellt sich heraus, dass mit dieser Wahl Woschnaggs Lieblingscafé getroffen wurde - und nicht nur das: Woschnagg gehört noch zu denen, die sich persönlich an den berühmtesten Bräunerhof-Gast, Thomas Bernhard, erinnern und auf dessen Stammplatz zeigen können. Vom Alter her geht sich das locker aus: Woschnagg ist im 68. Lebensjahr, was ihm wirklich nicht anzusehen ist - und der mit Monatsende in den Ruhestand wechselnde Botschafter weiß auch, warum er sich so gut, sprich so jung gehalten hat: "Die Arbeit in Brüssel war ein Jungbrunnen", sagt er, "ständig neue Herausforderungen, und da war es mein Ehrgeiz, mich auch in fremden Materien sattelfest zu machen." Das musste Woschnagg auch sein, um die politische wie emotionale Hochschaubahn seiner EU-Jahre - von den Sanktionen 2000 bis zur allseits gelobten österreichischen Präsidentschaft 2006 - zu überstehen. An Tritt-und Griffsicherheit mangelt es dem passionierten Bergsteiger aber auch in seiner Freizeit nicht, die der ausgebildete Heeresbergführer nicht zuletzt auf der längsten Schitour der Alpen, der Haute Route, oder in senkrechten Kletterwänden bis zum V. Schwierigkeitsgrad verbringt. Und weil vor lauter Berggeschichten die EU beim Gespräch im Bräunerhof letztlich ins Abseits gerät, ruft Herr Botschafter am nächsten Tag noch einmal in der Redaktion an und weist auf eine "vielleicht für Furche-Leser interessante Entwicklung" hin: Dass sich nämlich die EU an den Verhandlungstechniken der Katholischen Kirche mehr und mehr ein Beispiel nimmt: Deswegen gibt es heute bei wichtigen EU-Sitzungen auch eine Art Konklave, bis die Verhandelnden zu Ergebnissen kommen - und wenn das auch nichts hilft, bleibt der Präsidentschaft als letzter Ausweg immer noch ein "Beichtstuhlgespräch".

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