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1916: Die Hölle von Verdun

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Februar 1916 - seit eineinhalb Jahren stehen das Deutsche Reich und die Österreichisch-Ungarische Monarchie im Krieg gegen Rußland, Frankreich, England. Der deutsche Vorstoß auf Paris war schon im September 1914 an der Marne liegengeblieben, der österreichische gegen Rußland mußte auf die Karpaten zurückgenommen werden.

Erst im September 1915 war es gelungen, Serbien, Montenegro, Albanien zu besetzen, aber dafür war Italien als zusätzlicher Gegner aufgetreten. Truppen, die im Osten und Westen gebraucht worden wären, wurden in den Dolomiten aufgerieben.

Die Koordination der beiden getrennt agierenden Oberkommandos klappte nicht. Österreich-Ungarns Generalstabschef, Franz Conrad von Hötzendorf, lehnte die Bildung eines gemeinsamen Oberkommandos ab. Nicht als „machtgieriger General”, der seinen Posten nicht zur Verfügung stellen wollte, versichert Man-fried Rauchensteiner („Der Tod des Doppeladlers”). Conrad versuchte mit letzter Kraft, sich gegen die deutsche Dominanz zur Wehr zu setzen. „Was nützt es, mit aller Macht einen Kampf um den Fortbestand der Monarchie zu führen und dann vor dem Deutschen Reich zu kapitulieren?” (Rauchensteiner).

So sah Conrad Ost- und Südfront für wichtig an und hätte dafür deutsche Unterstützung haben wollen, sein deutscher Kollege und Konkurrent, Erich von Falkenhayn, ärgerte sich, daß er keine österreichischen Divisionen in Frankreich einsetzen konnte. Und so planten sie beide ihre Offensiven getrennt, der Österreicher in Südtirol, der Deutsche in der Champagne.

Falkenhayn drängte im Winter 1915/16 auf eine endgültige Entscheidung im Krieg. Die Vereinigten Staaten, obwohl offiziell neutral, lieferten große Mengen Kriegsmaterial an England und Frankreich, womit die Gefahr bestand, daß die Mittelmächte der Materialüberlegenheit der Gegner auf die Dauer nicht gewachsen sein könnten.

Während der „Schlieffen-Plan” für 1914 den raschen Vorstoß über das neutrale Belgien, die Umfassung und Vernichtung der französischen Armee im Angriff vorgesehen hat, geht Falkenhayn nun zur Strategie der „Blutpumpe” über: Er will den Gegner im Trommelfeuer verbluten lassen. Die Folge ist das Verbluten der ei -genen Armeen ohne wesentlichen Landgewinn.

Am 21. Februar 1916 gibt Falken hayn der fünften deutschen Armee den Befehl zum Angriff auf die Festung Verdun an der Maas - hier war fast elf Jahrhunderte vorher die Grenzziehung zwischen dem germanischen und dem romanischen Teil des Frankenreichs, zwischen Frankreich und Deutschland, grundgelegt worden.

Mehrere Tage lang trommelt die deutsche Artillerie auf die Festungsanlagen, dann tritt die Infanterie zum Sturm an - und bricht bei nur geringem Widerstand in die äußeren Verteidigungslinien ein.

Schon am 25. Februar fällt das Fort Douaumont, das von den Franzosen

Verdun 1916vor 80 Jahren verbluteten zwei Millionen deutsche und alliierte Soldaten auf den französischen Schlachtfeldern. geräumt worden ist. Aber drei Tage später setzt der französische Gegenangriff ein; der deutsche Vorstoß bleibt im Trommelfeuer liegen.

Douaumont wird zum Brennpunkt der Schlacht um Verdun, zum Symbol der Materialschlacht. Es gehört zum Festungsgürtel, den Frankreich nach der Niederlage von 1871 aufgezogen hat, um einen erneuten Angriff aus dem Osten aufzuhalten. Falkenhayn rechnet nicht zu Unrecht damit, daß der Gegner Verdun unbedingt halten will, daß er alle Kräfte dafür mobilisieren wird - so soll er hier ausbluten, um dann widerstandslos niedergeworfen zu werden.

Noch scheint der deutsche Vorstoß zu gelingen. Am 14. März können die Höhen des „Toten Mannes” genommen werden, am 29. stehen die Angreifer im Dorf Vaux, am 2. Juni fällt das Fort Vaux. Dazwischen meldet der deutsche Armeebericht: „Im Westen nichts Neues”. Am 11. Juli wird ein neuer deutscher Angriff auf die Anhöhen von Verdun zurückgeschlagen - dann siegt auf beiden Seiten die Erschöpfung. Der Plan, Verdun zu nehmen, ist gescheitert - der Preis: 337.000 Mann an Verlu-377.000 auf fransten auf deutscher, zösischer Seite.

Aber auch in Paris ist man mit der Abwehr nicht zufrieden. Am 8. April wird General Philippe Petain abgelöst - was nicht hindert, ihn später als den Helden von Verdun zu feiern und ihm 1917 das Oberkommando über die Armee zu übertragen. 1940 wird der „Held von Verdun” nach der französischen Niederlage gegen Deutschland an die Spitze der Regierung von Vichy geholt werden.

Petains Nachfolger Georges Nivel-le bereitet die Gegenoffensive drei Monate lang vor, während gleichzeitig zur Ablenkung an der Somme die vierte britische und die sechste französische Armee versuchen, zwischen Arras und St. Quentin die deutschen Stellungen zu durchbrechen.

Aber auch an anderer Stelle wird eine Entlastung versucht: Am 4. Juni bricht General Alexe) Brussilow auf 300 Kilometer Breite in Galizien ein - 200.000 Österreicher geraten in rus: sische Gefangenschaft. Als dann auch noch am 27. August Rumänien als neuer Gegner auf Seiten der Alliierten in den Krieg eintritt, ist Falkenhayns Zeit zu Ende - er hat Rumäniens Kriegsvorbereitungen nicht erkannt. Falkenhayn wird als Chef der Heeresleitung entlassen und zum Führer der nach Rumänien entsandten deutschen Armee bestellt.

Der neue deutsche Generalstabschef ist Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der Sieger von Tannenberg, 1914, wo er den Vormarsch der Russen in Ostpreußen gestoppt hat, zuletzt Oberbefehlshaber der deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen an der Ostfront. Er wird zwei Jahre später, nach dem Zusammenbruch der Monarchie, die Feldtruppen in die Heimat zurückführen, 1925 und 1932 zum Reichspräsidenten gewählt werden -und zusehen müssen, wie die Uneinigkeit der Parteien die „Weimarer Republik” in den Untergang treiben wird.

Hindenburg war seit je Gegner der Versuche Falken-havns, Verdun zu nehmen, und bläst nun den weiteren deutschen Angriff -k— ab, um Truppen für die Schlacht an der Somme zu gewinnen.

Hier können Engländer und Franzosen geringe Geländegewinne erzielen. Am 15. September tauchen zum ersten Mal die furchteinflößenden „Tanks”, die Panzer, auf. Als am 18. November die Schlacht an der Somme abgebrochen wird, haben die Briten 420.000, die Franzosen 195.000 Mann, die Deutschen 450.000 Mann an Toten und Verwundeten verloren - für einen „Geländegewinn” von elf Kilometern auf einer 35 Kilometer breiten Front.

Vor Verdun hat General Nivelle am 23. Oktober die Gegenoffensive gestartet, die Forts Douaumont und Vaux sind am 1. November wieder in französischer Hand. Am 17. Dezember wird die Schlacht von Verdun abgeblasen. Die Bilanz: 542.000 Franzosen, 434.000 Deutsche gefallen ...

Verdun wird zum Inbegriff der Materialschlacht, der Stellungskrieg im Westen zum Kennzeichen des Ersten Weltkriegs, wie die „Blitzkriege” zum Symbol des Zweiten.

Die „Gespenster am Toten Mann” (P. C. Ettighofer), die stereotype Formel des Heeresberichtes „Im Westen nichts Neues” (E. M. Remarque) werden in den zwanziger Jahren zum literarischen Aufschrei einer Generation, die „vom Krieg zerbrochen wurde, auch wenn sie den Granaten entgangen ist” (Remarque). Der Protest im rechten Lager will nicht zur Kenntnis nehmen, daß die Illusion vom „frisch-fröhlichen Krieg”, vom „Dulce et decorum est pro patria mori” im Stahlgewitter vor Verdun untergegangen ist.

Die starke Festung

Der Name Verdun ist keltischen Ursprungs - Verodunum - und bedeutet soviel wie „starke Festung”. Als solche hat sich das ursprüngliche Oppidum am linken Maasufer (heute 23.400 Einwohner) im Laufe der Jahrhunderte tatsächlich erwiesen.

Im Jahre 843 wurde im Vertrag von Verdun das Fränkische Reich unter den drei Söhnen Kaiser Ludwigs des Frommen aufgeteilt. Die Stadt kam zunächst ins Mittelreich, ab 880 zum Ostfränkischen Reich, gehörte später zum Hl. Römischen Reich.

Im Westfälischen Frieden 1648 wurde Verdun vom Reich an Frankreich abgetreten. Wegen seiner wichtigen Lage (Maas-Übergang) wurde es von Vauban zu einer starken Festung ausgebaut, desgleichen nach der Räumung durch die deutschen Truppen 1873.

Die Schlacht um Verdun von Ende Februar bis Mitte Dezember 1916 war eine der bedeutendsten und verlustreichsten des Ersten Weltkriegs. Der deutsche Angriff begann am 21. Februar 1916 auf dem Frontabschnitt östlich der Maas. Nach Scheitern eines letzten deutschen Angriffs Mitte Juli 1916 flaute die Zerrnürbungs-schlacht langsam ab.

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