"Wir haben viele Krisen"

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Nobelpreisträger Muhammad Yunus über die Bedeutung der Wirtschaftskrise für die ärmsten Länder der Welt. Yunus fordert ein generelles Umdenken. Das Gespräch führte Christina Weichselbaumer * Neu Delhi

Anlässliche einer Microfinance-Konferenz in Delhi hatte die FURCHE Gelegenheit, mit dem Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus das folgende Gespräch zu führen.

Die Furche: Mikrokredite sind mittlerweile ein etabliertes und anerkanntes Instrument zur Armutsbekämpfung. Ist es nicht etwas zu einfach, alle Hoffnungen darauf zu setzen?

Muhammad Yunus: Dazu wird niemand gezwungen. Wenn jemand Mikrokredite in Anspruch nehmen will, ist das gut. Es sagt auch niemand, dass es die einzige Lösung ist, um Armut zu bekämpfen. Menschen sind ja mehrdimensionale Wesen und ein Mikrokredit ist nur eine von vielen Möglichkeiten.

Die Furche: In Bangladesch erzielt Grameen mit Social Business, also nicht-profitorientiertem Unternehmertum, große Erfolge. Glauben Sie an ein globales Potenzial, damit die Situation von Menschen zu verbessern?

Yunus: Ja, natürlich. Das ist ganz klar ein globales und nicht lokales Thema. Es gibt zwei Arten von Unternehmen: Um Geld zu verdienen oder um die Welt zu verändern. Um wirklich etwas zu bewegen, muss man aber bereit sein, auf seinen persönlichen Vorteil zu verzichten. Es geht darum, soziale Problemlagen zu lösen, und wir können das.

Die Furche: Was braucht es für einen Erfolg solcher Unternehmen?

Yunus: Eine gute Planung, eine zündende Geschäftsidee und man muss die eigenen Ideen nutzen und kreativ umsetzen.

Die Furche: Effizienz ist für Mikrokredite und soziales Unternehmertum ein wichtiges Thema. Was kann man tun, um die soziale Mission nicht aus den Augen zu verlieren?

Yunus: Mikrokredite sind sehr populär und bekommen von vielen Seiten Aufmerksamkeit. Natürlich gibt es dann auch Menschen, die ihren Vorteil daraus ziehen wollen. Aber das passiert überall und eben auch hier: Es gibt Mikrokredite, die kaum etwas mit unserer ursprünglichen Idee zu tun haben. Da steckt eine andere Motivation dahinter.

Deshalb ist es wichtig, dass wir klar stellen, was echte Mikrokredite sind, was den Unterschied macht und wieso man uns vertrauen soll.

Aber auch wir müssen natürlich vorsichtig sein und uns immer wieder in Erinnerung rufen, wofür wir stehen, was wir wollen.

Die Furche: Welche institutionellen Voraussetzungen wünschen Sie sich für nicht-profitorientiertes Wirtschaften?

Yunus: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir brauchen Regeln und einen Rahmen, in dem wir uns bewegen, aber wir müssen trotzdem noch flexibel sein können. Überregulierung kann auch zerstörerisch sein. Es ist wie mit Kindern: Man muss sie beschützen und ihnen den richtigen Weg weisen, schränkt man sie aber zu viel ein, verlieren sie jegliche Initiative. Wir brauchen gesetzliche Rahmenbedingungen, die fördern, uns aber trotzdem immer auf den Weg, auf unsere Handlungsprinzipien hinweisen. Hier eine Balance zu finden, ist nicht einfach.

Die Furche: Entwicklungsländer sind in Krisen besonders verwundbar. Wo sehen Sie die Verantwortung der reichen Länder in der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise?

Yunus: Die Entwicklungsländer haben die Krise nicht geschaffen, sie sind Opfer. Es ist ein Land, das diese Krise verursacht und global verbreitet hat. Diejenigen, die das ausgelöst haben, tragen eine moralische Verantwortung, die Opfer dieser Krise zu entschädigen.

Derzeit sind alle damit beschäftigt, Geld zu verteilen und Bail-out-Pakete zu schnüren. Zumindest zehn Prozent dieser Summen sollten den Opfern zur Verfügung stehen. Solche Entschädigungen sollte man in zukünftigen Systemen festlegen.

Die Furche: Neben Armut ist der Klimawandel ein anderes globales Problem. Kann man diese beiden Probleme eigentlich noch getrennt voneinander betrachten?

Yunus: Die Finanzkrise war die letzte Krise. 2008 hatten wir eine Ernährungskrise, die noch immer real existiert. Es haben sich nur die Titelblätter der Zeitungen verändert, die Ernährungssituation ist noch immer die gleiche.

2008 ist auch das Jahr der Energiekrise mit einem unglaublich hohen Ölpreis. Der Ölpreis ist ja nicht für immer gefallen, das ist doch nur vorübergehend. Das sind alles miteinander verwobene Krisen und der Klimawandel gehört dazu. Diese Krisen kann man nicht getrennt voneinander betrachten, denn sie haben alle dieselbe Ursache: Das falsche System! Es sind die kapitalistischen Strukturen, die wir dringend umgestalten müssen.

Auch jeder einzelne von uns muss eine Entscheidung über unseren Planeten und unsere Kinder treffen. Es geht um einen falschen, nicht nachhaltigen Lebensstil, der andere Menschen beeinträchtigt. Wenn wir uns hier richtig entscheiden, können wir alles lösen. Wir haben auch kein Recht darauf, derartig rücksichtslos zu leben. Das ist wie im Straßenverkehr: Es geht nicht, einfach beliebig Menschen von der Straße zu drängen. Es gibt Regeln, an die man sich halten muss: Vorsicht, Sicherheit und der Respekt vor anderen. So ist das auch mit unserem Planeten, den wir uns schließlich teilen.

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