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Rahmen für den Markt

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Die Globalisierung wird derzeit überwiegend den wirtschaftlichen Akteuren überlassen. Für eine weltweite Umsetzung des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft plädiert Investkredit-Generaldirektor Wilfried Stadler.

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Die Globalisierung wird derzeit überwiegend den wirtschaftlichen Akteuren überlassen. Für eine weltweite Umsetzung des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft plädiert Investkredit-Generaldirektor Wilfried Stadler.

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Im Rahmen der Gespräche zu "Chefsache: Wirtschaft und Ethik?" plädierte Wilfried Stadler, Generaldirektor der Investkredit, in Alpbach für eine Rückbesinnung auf die gesellschaftliche Verantwortung der Marktwirtschaft. Am Rande des Forums Alpbach erklärte er der FURCHE seine Sicht der gegenwärtigen wirtschaftsethischen Herausforderungen.

Die Furche: Spiegelt sich in der laufenden wirtschaftsethischen Diskussion die Notwendigkeit für radikale Reformen des Wirtschaftssystems oder genügen aus Ihrer Sicht Anpassungen?

Wilfried Stadler: Es geht um eine grundlegende Erneuerung, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen wurde mit dem Platzen der Spekulationsblase der New Economy das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit eines einseitigen Finanzkapitalismus erschüttert. Diese Vertrauenskrise wird sich nicht damit lösen lassen, dass Manager jetzt Eide auf ihre Bilanzen schwören. Zum anderen stellt sich die Frage nach der richtigen Globalisierung. Wie globalisieren wir auf die richtige Weise? Ich vergleiche die heutige Situation gerne mit den Herausforderungen des Umweltschutzes vor 30 Jahren. So wie wir damals Lösungsansätze gefunden haben, das Thema Umwelt in marktwirtschaftliche Systeme zu integrieren, so müssen wir es heute mit den Problemen der Globalisierung machen.

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Die Furche: In Ihrem Vortrag sagten Sie, man müsse die Geschlossenheit des markt-fundamentalistischen Weltbildes aufbrechen. Was meinen Sie damit konkret?

Stadler: Ich wollte damit an das Bild von Karl Popper von der offenen Gesellschaft erinnern. Popper hat immer vor dem Determinismus geschlossener Denksysteme gewarnt, der die Offenheit der Gesellschaft in Frage stellen könnte. So paradox das klingt, ich sehe in der Überbetonung eines rein marktwirtschaftlichen, unregulierten Zuganges zur Globalisierung ein derartig geschlossenes Denksystem. Die Markt-Fundamentalisten gehen ja von der Annahme aus, es könnten die Marktkräfte - ohne dass die Politik ihnen Korrekturen gegenüberstellt - von sich aus das Richtige für die Weiterentwicklung der Weltgesellschaft bewirken. Wir können aber täglich beobachten, dass das so nicht funktioniert. Daher sehe ich einen Diskussionsbedarf über sozial-marktwirtschaftliche Alternativen.

Die Furche: Es wurden unterschiedliche Ansätze, die Globalisierung zu gestalten, deutlich. Die einen sagen, es genügt, wenn die Ethik in den Spielregeln verankert ist. Dann kann jeder drauflos stürmen. Andere setzen eher auf freiwillige Regelungen durch Selbstverpflichtung, Verhaltenskodizes der Unternehmen. Wohin tendieren Sie?

Stadler: Es geht nicht um ein Entweder-Oder. Sicher ist die individual-ethische Ebene wichtig. Der Einzelne muss sich pakttreu und moralisch verhalten. Genauso wichtig ist die Ebene der Unternehmen, die - wie die Amerikaner das nennen - "good citizens" sein sollen. Beide Ebenen aber genügen nicht, um das System offen zu halten und die Kräfte der Marktwirtschaft für die Gesellschaft zu nützen, obwohl man durch einen gesetzlichen Rahmen das positive Verhalten durchaus verstärken kann, indem man die, die dagegen verstoßen, sanktioniert. Es kommt die dritte Ebene der politischen Gestaltung dieser Rahmenbedingungen dazu. Das ist das Typische der Sozialen Marktwirtschaft, dass sie von diesem Modell ausgegangen ist - übrigens in einem bewussten Gegensatz zum laissez-faire-Liberalismus der 30er-Jahre und zu den damals schon ihr Scheitern ankündigenden Planwirtschaften. Man wollte Rahmenbedingungen schaffen, unter denen der Markt seine Dynamik - die wir wollen - entfalten kann. Und mit den Früchten der Wertschöpfung, die aus der Marktdynamik entstehen, verfolgen wir dann ergänzende gesellschaftliche Ziele: etwa eine flächendeckende Gesundheitsversorgung, ein offenes Bildungssystem. Jetzt lautet die anspruchsvolle Themenstellung: Wie können wir diese Ausgangslage, die nach dem Zweiten Weltkrieg für die Länder Europas (durch die Bretton-Woods-Vereinbarungen, aber auch für den globalen Kontakt) geschaffen wurden, auf die heutigen weltpolitischen Rahmenbedingungen anwendbar machen? Wie schaffen wir es unter den Gegebenheiten einer sich immer mehr zu einer globalen Weltwirtschaft entwickelnden Ökonomie, politische Rahmenbedingungen zu schaffen, die dazu führen, dass auch auf dieser Ebene die Marktdynamik für die Gesellschaften nachhaltig nützlich wird? Sowohl im sozialen als auch im ökologischen Sinn. Es hebt sich sozusagen die ordnungspolitische Aufgabe von der Ebene des Nationalstaates, in der sie wichtig bleibt, auf die supranationale Ebene.

Popper hat immer vor dem Determinismus geschlossener Denksysteme gewarnt, der die Offenheit der Gesellschaft in Frage stellen könnte. So paradox das klingt, ich sehe in der Überbetonung eines rein marktwirtschaftlichen, unregulierten Zuganges zur Globalisierung ein derartig geschlossenes Denksystem.

Wilfried Stadler
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Wilfried Stadler

ist Generaldirektor der Investkredit Bank AG in Wien, außerdem Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Autor von "Auf dem Weg zu neuen Spielregeln - Beiträge zum Wandel von Wirtschaftsordnung und Finanzierungskultur" (Wien 2000).

ist Generaldirektor der Investkredit Bank AG in Wien, außerdem Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Autor von "Auf dem Weg zu neuen Spielregeln - Beiträge zum Wandel von Wirtschaftsordnung und Finanzierungskultur" (Wien 2000).

Die Furche: Bei den Diskussionen kam zum Ausdruck, dass die multinationalen Konzerne intensives Lobbying betreiben, um solche Regelungen auf der supranationalen Ebene zu verhindern. Der Vertreter des Währungsfonds hielt es auch für naiv, zu glauben, die USA würden sich je solchen Regeln unterwerfen. Teilen Sie diese Einschätzungen?

Stadler: Ich bin zuversichtlicher als der Vertreter des Währungsfonds. Einerseits halte ich die isolationistische Haltung der USA für eine vorübergehende Reaktion, die viel mit dem Schock vom 11. September zu tun hat. Andererseits ist jetzt schon erkennbar, dass das, was die Globalisierungskritiker thematisiert haben, von den internationalen Institutionen durchaus ernst genommen wird. Beispielsweise schlägt Horst Köhler, der Chef der Weltbank, für die sogenannten Entwicklungsländer wesentlich angepasstere Strategien ein, als seine Vorgänger. Überhaupt müsste man die internationalen Organisationen wie den Währungsfonds, die Weltbank oder die WTO neu erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe. Die Frage ist nur, unter welchem Denkansatz sie geführt werden. Ich gebe gerne zu, dass mir der europäische Denkansatz der Sozialen Marktwirtschaft, mit dem wir bei uns erfolgreich waren und sind, bisher zu kurz kommt. Es liegt an Europa, sich in den internationalen Organisationen ein stärkeres Einflussrecht zu sichern, indem es mit einer einheitlichen Stimme die europäische Weltsicht vorträgt.

Die Furche: Glauben Sie, dass die europäische Stimme in Zukunft mehr Gehör finden wird?

Stadler: Das hoffe ich. Wir haben es schließlich auch geschafft, uns eine gemeinsame Währung zu geben, die in wirtschaftlichen Fragen die Stimme Europas viel gewichtiger macht, als es in der Vor-Euro-Zeit der Fall war. Außerdem bekommen wir mit der bevorstehenden Integration der Länder Mittel- und Südost-Europas noch mehr politisches Gewicht, sofern es gelingt, die institutionellen Fragen im Vorfeld der Erweiterung zu lösen.

Die Furche: Wie kann die jetzige Krise des Wirtschaftssystems überwunden werden? Was halten Sie von Gütesiegeln, die dem Kunden die Gewähr bieten, dass Produkte unter Beachtung bestimmter sozialer und ökologischer Normen hergestellt wurden, dass es eine transparente Buchhaltung gibt?

Stadler: Man braucht eine Vielfalt von Zugängen. Sicher wird sich weiterhin der Ansatz verstärken, dass sich Unternehmen selbst Wohlverhaltensregeln geben. Der Aktionär kann dann in Unternehmen investieren, die bestimmte Kriterien befolgen, wie das heute schon bei Ethikfonds der Fall ist. Auf der anderen Seite kann der Konsument anhand von Gütesiegeln etc. aus der Vielfalt des Angebots bestimmte Produkte auswählen - wie etwa heute schon bei Bioprodukten.

Die Furche: Die Konsumenten müssen Produkte von Unternehmen wählen, in die sie Vertrauen haben, denn es überfordert den einzelnen, sich bei jedem Kauf ausführlich zu informieren. Nun zielt die Kritik etwa von Klaus Werner, dem Autor des Schwarzbuchs Markenfirmen, genau in diese Richtung. Mit enormem Werbeaufwand würden Unternehmen Vertrauen erzeugen, das bei einem Blick hinter die Kulissen nicht zu rechtfertigen sei. Teilen Sie diese Kritik?

Stadler: Dieser Kritik kann ich nur sehr eingeschränkt folgen. Werner tut sich schwer dabei, anzuerkennen, dass es eine Vielzahl von Unternehmungen gibt, die wirklich Verhaltensweisen guter Bürger oder guter Marktteilnehmer an den Tag legen und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten an ethische Prinzipien halten. Im Gegensatz zu Werner bin ich überzeugt, dass man diese Prinzipien nicht nur über Regulative und Gesetze verwirklichen kann, sondern auch über wettbewerbliche Anreizsysteme, offene Information und Selbstregulierung.

Die Furche: In Ihrem Vortrag haben sie darauf hingewiesen, dass ein Wirtschaftssystem von den Menschen als sinnvoll erachtet werden muss, um Unterstützung zu finden. Die Soziale Marktwirtschaft fand nach dem Zweiten Weltkrieg große Zustimmung auch weil man ihre Sinnhaftigkeit für das Ganze der Gesellschaft erkannt hat. Haben wir in den Zeiten des Aktienbooms eher den Nutzen für den Einzelnen betrachtet und den für das Gesamtsystems aus den Augen verloren?

Stadler: Das stimmt. Ludwig Erhards Konzept vom "Wohlstand für alle" war mit zusätzlichen Zielen verbunden, die ausdrücklich gesamtgesellschaftlichen und sozialen Nutzen stiften sollten. Man wollte damit Entwicklungen wie in den 30er Jahren von vornherein vermeiden. Das war ein ungeheuer mutiger Schritt, denn die Währungsreform und freie Märkte waren nicht selbstverständlich. Entscheidende ordnungspolitische Wirkung hatte auch der Marshall-Plan. So etwas geht mir heute im Umgang mit der Dritten-Welt ab. Wir sollten mit einem ähnlichen Zugang etwas genauer auf die Situation der einzelnen Zielländer eingehen und Hilfe anbieten, die Wohlstand schaffen kann - und uns nicht damit begnügen, nur auf die Öffnung der Märkte für unsere Güter und das Kapital zu drängen.

Die Furche: Kann man die heutige Situation in den "sweat-shops", den Zulieferern der Textil-Konzerne, oder in den vielen Minen der Dritten Welt mit den Zuständen der frühen Industrialisierung vergleichen?

Stadler: Tatsächlich sind einige Länder zeitverschoben in einer Phase der Frühindustrialisierung, natürlich unter ganz anderen technologischen Voraussetzungen. Das zeigt, dass wir diesen Ländern auch Zeit für ihre Entwicklung lassen müssen. Sicher geht vieles heute schneller, aber kulturelle Lernprozesse lassen sich nicht verkürzen. Auch bei uns entwickelte sich eine sozialstaatlich gefestigte Demokratie über einen langen Zeitraum. Es gibt kein einfaches Einheitsrezept, um den schlechter entwickelten Ländern über diese Zeitkluft hinwegzuhelfen.

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