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Wassily Kandinsky: Ein Leben im Reich der Farben

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Die Kunst, die keine Potenzen der Zukunft in sich birgt, die also nur das Kind der Zeit ist und nie zur Mutter der Zukunft heranwachsen wird, ist eine kastrierte Kunst. Sie ist von kurzer Dauer und stirbt moralisch in dem Augenblicke, wo die sie gebildet habende Atmosphäre sich ändert". Der Satz stammt aus der Feder eines Künstlers, dem es Zeit seines Lebens auf die Weiterentwicklung seiner Arbeit ankam, der „das Prinzip der inneren Notwendigkeit" ins Zentrum seines Schaffen rückte.

Die Rede ist von Wassily Kandinsky, dem eine Ausstellung im Münchner Lenbachhaus gewidmet Ist. „Das bunte Leben", so der Titel der Ausstellung, geht zurück auf ein frühes gleichnamiges Gemälde aus dem Jahr 1907, in dem sich eine bunt zusammengewürfelte (vermutlich russische) Gesellschaft in ihren hellen Farben von der schwarz eingefärbten Leinwand abhebt.

In einer längst fälligen Ausstellung zeigt das Lenbachhaus zum ersten Mal seinen Bestand an Arbeiten von Wassily Kandinsky, der die ersten zwanzig Jahre seines künstlerischen Schaffens in München verbracht hat. Durch die Stiftung von Gabriele Munter, die Kandinsky über mehrere Jahre, zuerst als Schülerin und dann als engste Vertraute begleitet hatte, gelangten 1957 fast 600 seiner Arbeiten in den Besitz des Lenbachhauses.

Thema der Ausstellung ist die Entwicklung des Malers, aber auch des Theoretikers Kandinsky, der sich im „Reich der Farben" stets mehr heimisch fühlte als in dem der Zeichnung.

Dessen ungeachtet werden zahlreiche Bleistiftstudien gezeigt, die seinen künstlerischen Weg dokumentieren sollen.

Als Kandinsky 1896, im Alter von dreißig Jahren als promovierter Jurist nach München gekommen war, um Malerei zu studieren, traf er eine gute Wahl für den Ort seines künstlerischen Anfanges. Anerkannte Künstler wie Franz von Lenbach oder Lovis Corinth galten als tonangebend. 1897 trat Kandinsky in die Schule von Anton Azbe ein, wo er sich anfänglich der strengen Disziplin des Aktzeichnens unterwarf. Gleichwohl ihm das anatomische Zeichnen zuwider war, eignete sich Kandinsky in kürzester Zeit die nötigen Grundlagen an.

Die Ausstellung zeigt deutlich, daß sich Kandinsky schon früh mit dem Studium geometrischer Formen auseinandergesetzt hat. Nach einem einjährigen Unterricht in der Kunstakademie bei Franz Stuck begann Kandinsky seine selbständige Entwicklung. 1901 gründete er die Vereinigung „Phalanx", in deren Rahmen er zum ersten Mal eigene Werke ausstellte. Beeinflußt vom Jugendstil entwarf er das erste Plakat, das die vorwärtsstürmenden geistigen Strömungen der Zeit in eine bildliche Sprache umsetzt. Anstoß dazu mag vielleicht das künstlerische Klima in München gegeben haben, das Kandinsky doch eher konservativ erschien.

Um 1903 fand er in der Technik des Holzschnitts einen Weg, Formen mit symbolischen Dimensionen in Einklang zu bringen. Eines seiner wohl bekanntesten Bilder dieser Periode ist „Die Sängerin" (1903). Vermehrt werden auch Szenen aus mittelalterlichen Städten oder Märchenthemen zu seinen beliebten Motiven.

1908 ließen sich Kandinsky und Munter in Murnau nieder, wo Kandinsky selbst die Möbel und den Stiegenaufgang des „Bussenhauses" bemalte. Immer mehr rückten religiöse Themen in den Mittelpunkt seines Schaffens. Davon zeugen sowohl zahlreiche Hinterglasmalereien, wie etwa das „Letzte Abendmahl" (um 1909/10). Parallel zu seinem künstlerischen Schaffen arbeitet Kandinsky an einer Kunsttheorie, die er 1911 unter dem Titel(„Das Geistige in der Kunst" publiziert. Ziemlich genau zu dieser Zeit vollzog sich in ihm der Wandel vom gegenständlichen Maler zum Schöpfer abstrakter Werke.

Als am 18. Dezember 1911 die erste Ausstellung „Der Blaue Reiter" eröffnet wurde, stellte Kandinsky erstmals seine abstrakten Werke vor. Neben einigen religiösen Bildern und Hinterglasmalereien zeigte er seine „Komposition V". Von da an war es nicht mehr weit, bis zum Kernstück von Kandinskys Münchner Periode, nämlich der „Komposition VII".

Seit ihrer Entstehung 1913 ist sie jetzt zum ersten Mal öffentlich in München als eine der wenigen Leihgaben der Moskauer Tretjakow Galerie zu sehen. Präsentiert wird sie im zweiten Teil der Ausstellung, in dem dem Lenbachhaus benachbarten Kunstbau, der sich fast ausschließlich dem abstrakten Werk Kandinskys widmet.

Geht man die Rampe in das Kellergewölbe in Richtung „Komposition VII" hinunter, wird man bald dessen gewahr, was im Benjamin-schen Sinn als Aura beschrieben wird. Flankiert von den zahlreichen Vorstudien, empfängt die „Komposition VII" den Besucher, ähnlich einer Königin im Exil, gleichsam als Ergebnis dessen, was Kandinsky in seinem Traktat „Das Geistige in der Kunst" nennt. Ein Werk das aus der Vergangenheit in die Zukunft strahlt. Allein sie lohnt schon einen Besuch im Lenbachhaus.

DAS BUNTE LEBEN DES WASSILY KANDINSKY

Lenbachhaus und Kunstbau D-80333 München, Luisenstraße 33. 29. November J995 bis 10. März 1996 Dienstag bis Sonntag von 10-20Uhr

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