Perfect Days - © Polyfilm

Perfect Days: Vom Glück des Klomanns

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Langsam, bedächtig entrollt Wim Wenders in seiner neuen Tokio-Hommage „Perfect Days“ eine einnehmende Philosophie des Glücks. Und bietet Hauptdarsteller Koji Yakusho eine Bühne zum Brillieren.

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Langsam, bedächtig entrollt Wim Wenders in seiner neuen Tokio-Hommage „Perfect Days“ eine einnehmende Philosophie des Glücks. Und bietet Hauptdarsteller Koji Yakusho eine Bühne zum Brillieren.

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Ein (Werbe-)Film über öffentliche Toiletten und ihre Reinigung? Hierzulande käme kaum jemand auf die Idee, das schmutzige Business in die Kinos zu bringen. In Tokio jedoch gelang es Autor und Werbefilmer Takuma Takasaki, Wim Wenders nach Tokio zu bringen, um sich eine Reihe öffentlicher Klos in Parks anzuschauen, die allesamt von bekannten Architekten geplant worden waren. Einen Fotoband, so das Begehr an Wenders, oder ein paar Kurzfilme wünschten sich die Auftraggeber vom deutschen Autorenfilmer.

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Es geht darum, auch in scheinbar völliger Unscheinbarkeit, Lebensmut und -freude zu beweisen.

Und Wim Wenders verwendete die 16 möglichen Drehtage, um statt der vier Kurzfilme „Perfect Days“ zu zaubern, einen Spielfilm, der anhand der Figur des Kloputzers Hirayama zu einer grandiosen Parabel übers Glück im Leben geriet. Gemeinsam mit Takasaki entwickelte Wenders ein Drehbuch, das Hauptdarsteller Koji Yakusho („Die Geisha“, „Babel“) auf den Leib geschrieben scheint. „Perfect Days“ schlug auch beim Filmfest in Cannes ein, Yakusho brachte von dort die Silberne Palme als Bester Hauptdarsteller mit.

Hirayama, ein Mann in den Sechzigern, betreut für die Firma „The Tokyo Toilet“ öffentliche Bedürfnisanstalten als Servicemann. Tag für Tag dasselbe Ritual: Hirayama steht auf und vollzieht die Morgentoilette, er lässt sich eine Kaffeedose aus dem Automaten herunter und begibt sich auf seine Klo-Runde. Mit gleicher Akribie säubert er die einzelnen Locations, untersucht auch schwer zugängliche Stellen nach fäkalem Schmutz, sodass diese Tempel der Exkremente in einem Sauberkeitszustand sind, von dem man – beispielsweise – in der Wienerstadt nur träumen kann.

Die Liebe Hirayamas zu seinem schmutzigen Beruf erstaunt auch seinen faulen Kollegen Takashi. Im Serviceauto hört Hirayama Musikkassetten aus den 1970-ern – etwa den Lou-Reed-Song „Perfect Day“, der dem Film auch den Namen gegeben hat. Nach der Arbeit fotografiert Hirayama leidenschaftlich gerne mit einer Analogkamera Bäume in Parks; und mit behelfsmäßigen „Blumentöpfen“ aus Zeitungspapier nimmt er Baumschösslinge mit nach Hause, die er zu Bonsais weiterzüchtet.

Die Routinen, denen Hirayama folgt, sind seit Jahren die gleichen: Allabendlich verzehrt er Nudeln am selben Imbiss-Stand, sonntags wäscht er im immer gleichen Waschsalon seine Wäsche; und in „seiner“ Buchhandlung kauft er jeweils ein gebrauchtes Taschenbuch, das er danach liest.

Ein beschauliches Leben, das aus dem ewiggleichen Fluss der Dinge und vor allem: lauter kleinen Glücken besteht. In großer Langsamkeit und in der Beschaulichkeit seiner Profession lebt Hirayama seine Tage dahin, nur hin und wieder beginnen die Zuschauer zu ahnen, dass „The Tokyo Toilet“ gewiss nicht die ursprüngliche Berufsstation des Klomannes Hirayama war.

Wanderung zwischen Kulturen

Erst als Nichte Niko, Tochter seiner Schwester Keiko, zu der er den Kontakt verloren hat, bei Hirayama auftaucht – sie ist von zu Hause ausgerissen – kommt etwas Unruhe in die Gemächlichkeit dieses Alltagstrotts – und Hirayama muss sich auch einer Vergangenheit stellen, die in seiner aktuellen Lebensweise verschollen und vergessen schien.

Ganz offensichtlich gab es auch Dramen in Hirayamas Leben; aber wer erwartet hatte, dass Wenders diese Unwirtlichkeiten zu Film werden ließ, liegt falsch. Denn die betörende Philosophie, der „Perfect Days“ Ausdruck verleiht, will nicht die Brüche einer Existenz hervorkehren. Sondern es geht darum, auch in scheinbar völliger Unscheinbarkeit, Lebensmut und -freude zu beweisen.

Es ist dieses Streben nach Glück, dem Wim Wenders in „Perfect Days“ so perfekt und einnehmend frönt. Japanfreund Wenders hat selber erklärt, dass er sich auch in diesem Film dem Vater des japanischen Arthouse-Kinos, Yasujiro Ozu (1903–63), nachfolgt: „Er hat uns ein seismografisches Bild des kulturellen Wandels in Japan übermittelt, von den 1920-ern bis zu seinem frühen Tod in den 1960-ern.“

Wenders gelingt mit „Perfect Days“ einmal mehr eine Wanderung zwischen den Kulturen. „Das Glück is a Vogerl“ – dieser Spruch passt auch auf den hier festgehaltenen ostasiatischen Kosmos. Auch wenn er in diesem Kontext etwas ganz anderes bedeutet als in der Urwiener Version.

Perfect Days - © Polyfilm
© Polyfilm
Film

Perfect Days

J 2023. Regie. Wim Wenders.
Mit Koji Yakusho, Tokio Emoto, Arisa Nakano.
Polyfilm. 123 Min. Ab 21.12. im Kino.

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