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Besuch heim Pfarrer on Ars

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Weil uns nichts gelingt, weder im eigenen Leben noch in unserem Werk, darum wohl haben wir eine so grenzenlose Hoch- tung or jenem Pfarrer, den man uns als himmlischen Patron gegeben hat, ich meine jenen on Ars.

Wer nur ein wenig erhältnis zu diesem heiligen Pfarrer hat, wird die Sehnsucht nicht los, ihn an seiner Wirkungsstätte, die zugleich sein Grab birgt, zu besuchen. Im ergangenen Herbst ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen, und ich stand an seinem Grabe.

Die Landschaft um Ars ist eigenartig. Am besten gelingt es noch Bemanos, sie in seinem Roman „Die Sonne Satans zu schildern. Es ist keine Ebene, es ist auch kein Gebirge, sondern flache Wellen beleben ein wenig das einförmige Land: schmale Straßen, die wenig befahren sind, führen durch die Felder und Weiden, die man nie weit übersieht. Gebüsch steht da und kleine Baumgruppen und selten einmal ein Dorf. Die Dörfer haben alle etwas erwahrlostes, zumal wenn man aus der sauberen Schweiz kommt.

Ars ist nicht anders. Es hat heute 363 Einwohner mit zwei kleinen Hotels für die Fremden. Es kommen nicht allzu iele, meist Ausländer, die per Auto durchfahren. Nach allem, was ich gesehen habe, sind die Leute nicht sehr fromm, der hl. Pfarrer ist schon zu lange tot. Einer on den Brüdern, die in der Sakristei Dienst machen, widersprach mir zwar ein wenig, doch das glaubte er dem Ruf des Ortes schuldig zu sein.

Auch die Kirche macht keinen guten Eindruck. Sie besteht aus zwei Teilen, der alten Kirche und dem Anbau, der sogenannten Basilika, die aber in Wirklichkeit auch nur ein winziges Kirchlein ist. Die alte Kirche hat einen hölzernen Fußboden und eine’ flache Decke. An den Wänden hängen nichtssagende Bilder und Erinnerungstafeln. Alles hat kein Format. Die Wände haben eine Holz ertäfelung, um die Feuchtigkeit zu erbergen. In winzigen Seitenkapellen stehen kitschige Altäre, einer da on ist der hl. Philomena geweiht.

orne stehen Kniesessel, zehn rechts und zehn links, weil nicht mehr Platz haben, dahinter ier Bänke, das ist alles.

Rechts orne geht man in die kleine Sakristei. Im Gang, an der Wand steht der berühmte Beichtstuhl des Heiligen. Nie sah ich einen armseligeren. Er ist offen, eigentlich nichts anderes als ein roher Stuhl mit höheren Brettern rechts und links. Weil die Pilger sich Splitter als Andenken herausgeschnitten haben, hat man ihn später mit einem Drahtnetz überzogen.

Ich habe ihn ehrfürchtig betrachtet und mich dann hineingesetzt mit dem schlechtesten Gewissen der Welt. Mein Gott, was bedeuten meine Beichten, ich meine jene, die ich abnehme, or seinen. Bei ihm ist immer etwas geschehen, da war die Beichte Einbruch Gottes in ein Menschenherz, und bei mir gehen die Sünder so kalt weg, wie sie gekommen sind.

Ich glaube, das Wichtigste bei der Beichte ist die Geduld. Daß man nur da ist, ohne Hast, und die Leute sich aus- reden läßt. Freilich, wie wenig disponiert sind auch unsere Beichtleute. Das geht alles so nach der Schablone, immer dasselbe, was sie sagen, immer der gleiche Typ on Menschen, die im Grunde sich doch als gerecht empfinden und zu keiner herzhaften Anklage fähig 6ind. Selten einmal eine Ausnahme.

Also ich setzte mich in den Beichtkasten hinein. Aber, ich will es nicht erschweigen, er war mir zu eng. Ich stand an beiden Seiten an. Ein Geistlicher sollte nicht dick sein. Wer könnte sich den hl. Pfarrer on Ars orstellen als einen Schwergewichtler on 100 Kilogramm! Mein Bruder erzählte einmal: „Da kam ich in eine Kirche, da predigte so ein fetter Kerl. Das war mir derart widerlich, daß ich gleich wieder hinausging.“ Das ist bestimmt zu hart, aber etwas ist dran. Freilich kann einer — ohne erdienst — mager und noch widerlicher sein.

Hier ist also der Pfarrer on Ars gesessen om frühesten Morgen an. Hier hat er einen Großteil seines Lebens erbracht, hier sind die Besten der Nation or ihm gekniet. Welche furchtbare Sünden sind durch dieses Fensterchen geflüstert worden, wie iel heilende Kraft ging on diesem Stuhle aus!

Aber zugig und feucht ist es dort, finster und ungemütlich.

ianney hat das alles ielleicht gar nicht gesehen, er war so innerlich, daß ihm das alles nichts mehr gemacht hat Oder ielleicht hat auch er darunter gelitten und hat es gerne getragen.

Genug om Beichtstuhl. Die Kanzel ist ein kleiner Holzkasten, der an der Wand steht. Ich stieg nicht hinauf, aber es muß angenehm on dort aus zu reden sein, man ist mitten unter den Leuten; eine solche Kanzel ist mehr für Konferenzen als für laute Predigten.

Dann tritt man durch den Bogen in die neue Kirche, die erst später on Bossan im romanischen Stil als Zentralbau errichtet worden ist. In der Mitte steht ein Baldachinaltar, der on einem Kapellenkranz umgeben ist. Das Ganze ist sehr klein und sieht aus wie eine Kapelle in einem Frauenkloster.

Ziemlich ratlos ging ich herum. Da stand ich plötzlich or jener Altarnische, in der der Heilige liegt.

Die Franzosen wollen ihre Heiligen so erhalten, wie sie gelebt haben. Daher werden die Leichname kunst oll präpariert und mit Wachs überzogen, so daß sie wie eben gestorben auch noch nach hundert Jahren or uns liegen. So liegt die kleine hl. Theresia in ihrem Glasschrank in Lisieux, Franz on Sales und Johanna Franziska Chantal in der Heimsuchung in Annecy, so der Pfarrer on Ars in seiner Kirche.

Ich staunte, wie klein der Pfarrer ist. Er hat die priesterlichen Gewänder an, den Talar mit Chorrock und Stola. Sein Haupt liegt auf einem Kissen.

So schmal, so arm, so bescheiden liegt deT große Heilige da, daß man ihn nicht ohne Rührung ansehen kann.

Und sein Gesicht: es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem einer guten, alten Großmutter. Der Mund ist eingefallen wie bei alten Leuten, die keine Zähne mehr haben. Klein ist das Kinn, groß aber die Augen und weit gewölbt die Stirne. orne auf der Stirne hat er nur wenig Haare, hinten aber hängen sie in weißen Strähnen in den Nacken.

Ich mußte ihn immer wieder ansehen und ich war tief erschüttert. Wahrhaftig, das ist das Gesicht eines Heiligeh.

Neben mir stand ein anderer Pfarrer, der ihn ebenso schweigend betrachtete wie ich. Dann sagte er: „Der hat on Gott etwas gewußt. Wir reden nur on Ihm. Ihm war Er Wirklichkeit.“

Er meinte, daß ianney ständig unter dem Eindruck Gottes stand. Daß er eine enorme Erfahrung on der übernatürlichen Welt hatte.

Aus dem Antlitz sprach eine große Güte und Bescheidenheit, aber auch ein abgrundtiefes Wissen um die letzten Geheimnisse des Daseins sprach aus ihm.

„Beten wir ein aterunser“, sagte der Kollege, „daß wir bessere Pfarrer werden.“

Nie werde ich dieses aterunser am Grabe unseres Standespatrons ergessen!

Es war schön bei dem Heiligen, aber auch anstrengend.

„Wenn man ihn öfter sähe, könnte man nicht so weitertun, mein Lieber“, sagte der Genosse, ebenso für sich wie für mich.

Dann sahen wir uns noch den Pfarrhof an. Er liegt gleich neben der Kirche und ist ein winziges Häuschen. Er ist gut erhalten, man hat nichts erändert. Die Zimmerchen sind klein und überaus nieder. Sie sind alt aterisch und primiti eingerichtet. Man sieht noch den berühmten Topf, in dem er seine Kartoffeln für die ganze Woche orausgekocht hat, man sieht seinen Talar.

Hier steht das Bett, in dem er wahrscheinlich nur drei oder ier Stunden täglieh geschlafen hat, hier hängen die Heiligenbilder an der Wand, die er des Nachts ansah, wenn er nicht einschlafen konnte, weil die Ner en on den 11 bis 15 Stunden im Beichtstuhl aufgepeitscht waren.

„Und bei dir steht im Salon ein Kla ier, und das riesige Radio, und Teppiche liegen auf dem Boden, und du hast ein Bad wie ein Bourgeois“, höhnte ich meinen Begleiter. „Darum geht nichts weiter mit deiner Heiligkeit.“

„An dem liegt es nicht“, antwortete er resigniert, „leider, sonst könnte man leicht einmal den Kram hinausschmeißen. Als ich jung war, wollte ich mit Gewalt ein Heiliger werden und habe alles Mögliche ersucht. Aber es gehört zu den bittersten Erfahrungen meines Lebens, daß man nicht die Heiligkeit an sich reißen kann, sondern daß sie uns geschenkt werden muß. So müssen wir halt mit schlechtem Gewissen weiterwursteln, wie wir es tun und die tausend anderen.“

Beim Fortgehen ließ er es sich, nicht nehmen, in den Holzschupfen zu sehen, wo altes Zeug herumlag.

„Hier hat er wahrscheinlich Holz gehackt“, meinte er, „Wirtschafterin hatte er keine, so iel ich mich meiner Lektüre des Troch’i erinnern kaum Die Wirtschafterin, die er mitbradite, hat er gleich am Anfang hinausgeworfen.

Alles im Hause war so winzig wie er selber.

Und doch — welch ein Format hatte sein Leben und seine Leistung!

Dann kauften wir uns einige Karten und gingen in das schmutzige Kaffeehaus.

Mein Gefährte kam nicht zur Ruhe.

„Hier in Ars kannst du iel lernen’, meinte er, „ich habe mir das alles ganz anders orgestellt.

Der Kaffee war ordinär und bitter, stellte er fest. Aber um des Gedächtnisses des Heiligen wegen wollte er nichts sagen. Er war auch teuer, was ihn ebenfalls wurmte.

„Siehst du , sagte er schließlich, „so sind die Menschen: ein Heiliger hat hier gelebt, und für das Dorf ist er nur mehr Erinnerung und … Geschäft. Was wunderst du dich, daß unsere Gemeinden so tun und leben, als wäre kein Pfarrer im Ort?

„Eines kannst du on ianney lernen, was wir gerne übersehen: Er wußte om Geheimnis des Bösen etwas. Er sah, daß die Sonne dieser Welt noch nicht Christus, sondern der Satan ist. Denn Sein Reich ist erst im Kommen.

Dann saßen wir wieder im Wagen und fuhren der Rhone zu.

Aber heute noch, wenn wir uns treffen, fängt er gerne an, on Ars zu reden, und sagt:

„Kannst dich erinnern an den bitteren Kaffee und unser Gespräch om Teufel? or dem Heiligen haben wir ein ater- unser gebetet. Mein Lieber, so etwas geht einem nicht mehr aus dem Kopf.“

Aus „Der Seelsorger“, Nr. 6, 1952, Wien

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