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Brief an Sylvia

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Mein Kleines! Wenn du einmal diese Zeilen in den Händen hältst, dann bist du vielleicht aHein und niemand ist um dich, dir zu erzählen, was dein war; darum soll dieser Brief dich leiten, durch den Garten m iner Kindheit, der ganz dein eigen sein sollte, durch das Haus, in dem dein Gitter-bettdhen stand und dessen Wände dein erstes Kinderweinen vernahmen.

Heute ist all dies verloren. Nch begreift dein Kinderherz nicht, was man ihm nahm. Doch nicht nur in meinem Erinnern lebt das Bild unserer Landschaft, nicht nur durch mein Träumen flüstert das Regenlied der Heimat. Etwas von all diesem sank ein in den Spiegel deiner Seele, lebt fort in deinen meertiefen Augen, die so viel Ernst aussprechen, fast überviel für die Augen eines so kleinen Mädchens.

Die Dinge des Hauses aber, die du mit Kinderhänden zärtlich betastetest, die Ding?, erzählen ... Und nun vernimm, was sie dir künden. t

Die Nacht ist wie ein dunkler Strom, der durch die Ebene braust Ruch der Erde steigt auf aus den frischgepflügten Furchen, schwingt über die Felder hin, die weit sind und einsam und nur betaut vom Licht der Sterne. Wind fegt um die alten Parkmauern, in hohen Bäumen rufen die Käuzchen. Nun beginnt es leise zu tropfen. Noch ist der Regen kaum zu verspüren auf den dämm-rigen Parkwegen, so dicht überwölbt sie der Dom der Buchen. Doch er sucht Zwiesprache zu halten mit ihnen. Aber sie stehen schweigend, wie sie standen seit manchem Jahrzehnt. Und so wird er traurig, der Regen, und sein Rinnen einsam im Dunkel der fallenden Stunden.

Ein Licht wandert durch die Nacht, eine scheue zuckende Flamme . . . Schritte gehen über ersten Laubfall. Sie kommen aus der Kirche, aus dieser kleinen armen Holzkirche, in der so viel Dämmerung ist und so viel Einsamkeit. So viel Stille und so viel einfache Andacht. Dort ward die Kerze entzündet bei der Ampel mit dem roten Licht. Eine Uhr tickt durch den dunkelnden Raum, leise und stetig zählt sie die Stunden, die kleinen Schwestern der Ewigkeit.

Und dann bin ich angelangt an der grünen Küchentür, denn ich bin es, der die Kerze trägt. „Guten Abend“, sagt eine gütig vertraute Stimme .und es ist mehr als ein All-•iagsgruß, es ist wie ein wärmender Mantel, der sich zärtlich umlegt um die frierend nassen Schultern. Und als ich längst oben bin in meinem blauen Zimmer, habe ich den Klang noch im Ohr, diesen freundlichen, friedlich herbergenden Gruß: „Guten Abend“.

Du und ich, wir zwei spüren das Geborgensein. Denn das Haus, in dem du schläfst, ist ja nicht irgendein Haus, es ist das alte, das ehrwürdige Haus deiner Vorfahren. Sie schauen auf dich herab, kleine Sylvia, aus ihren schweren, breiten Goldrahmen im Herrenzimmer, ein wenig streng vielleicht, aber ich glaube, sie haben dich gern und manchmal scheint mir, als lächelten sie, wenn dein staunender Kinderblick sie trifft.

Glaubst du vielleicht, mein Kleines, daß die alten Schränke totes Holz sind? Oh nein, nur reden sie eine andere Sprache, die wir Erwachsene nicht mehr verstehen wollen, so wie wir das Rinnen des Regens nicht mehr begreifen, das Flüstern der Blumen und das Rauschen des Windes. Denn von uns fiel er ja ab, jener lichte Mantel der reinen Kindheit. Tief verschüttet ist uns der Quell der Erkenntnis. Dir aber sind noch Träume geschenkt und der Blick in die andere Welt. Darum kannst du auch be-•greifen, was Wind und Wolken dir raunen und du weißt die Laute der Tiere. Wenn die alte Treppe knarrt, oder der alte Barockschrank ächzend sich öffnet, wenn die kleine Vitrine zu klirren beginnt oder das Zinngeschirr summt auf Großmutters alter Truhe, dann erschrickst du nicht, denn du verstehst ihre Sprache.

Auch der Park sollte dein sein. Vieles wollte ich dir zeigen, und vieles auch hättest du selbst entdeckt. Da waren die beiden meterdicken Pappeln, die Wächter des „Urwaldes“. Dann kam der Grottenweg. Grotte gab es keine, nur einen etwas abfallenden, langsam verwildernden Steingarten, den wir Grotte getauft hatten. Und wieder stand da, gerade in der Wegbiegung ein riesiger uralter Baum. Nicht weit davon wuchs ein Haselnußstrauch, von dem man so herrliche

Reitgerten schneiden konnte. Links und auch rechts vom Grottenweg, ganz am Ende, eben unter diesem Strauch, blühten jedes Jahr die ersten Anemonen und Veilchen. Wenn Ostern sehr spät fiel, dann pflückten wir Ostersamstag dort kleine bunte Sträuße, liefen durch die schmale heimliche Gartenpforte ins Kirchlein, um das heilige Grab zu schmücken.

Vieles noch gehörte zu unserem Reich: der „Urwald“ mit dem „Rumpelstilzchen“, einem kleinen Aussichtsturm, das Waldplätzchen und die Birkenbrücke, der „Graben“ und der „Eisberg“, auf dem im Frühling der schönste Flieder blühte. Eine uralte Karnickeldynastie hauste dort. .Und der Teich mit den Schwänen und den tief ins Wasser hängenden Trauerweiden — wie soll ich ihn dir schildern? Soll ich von dem kleinen Kahn erzählen, den dein Großpapa uns schenkte, oder von dem hohen Baum am Ufer, der das Storchennest trug. Soll ich dir sagen, wie die großen weißen Märchenschwäne die frechen kleinen Wasserhühner verjagten, die immer wieder wie Spielzeng-enten in Reih und Glied erschienen, freßgierig und plebejisch den fremden Futtertrog aufsuchten.

Sieh, — der Garten meiner Kindheit war ja kein gepflegter Großstadtpark, ein Traumland war es, voller Geheimnisse und belebt von mancherlei Getier, von Käuzchen, Hasen und Rebhühnern, ja selbst Wildenten hatten sich eingefunden. Spielen konnte man dort, laut und froh, aber auch stille sein, horchen und Mär Jien lesen unter dem weiten Blätterdach der Kastanien und lauschen in die Stille. Denn nirgendwo auf der Welt gab es so viel Stille wie dort. In diesem Schweigen, kleine Sylvia, konnte man immer wieder zurückfinden in das Land der Kinderzeit und Träume. Und die Wolken zogen gelassen darüber hin, Wolken so formenreich und schön, so traumvoll, wie du sie nie gesehen hast.

Dies alles sollte dir gehören, um dich sein in deiner Kinderzeit. Wer schloß die Pforten zu unserem Paradies, welche dunkle Macht zerstörte das Glück? Ich weiß es nicht, mein Kleines. Sie sagen, es sei der Krieg gewesen.

Wie es geschah? /

Fremde kamen, dunkle Gestalten. Sie jagten deine Mutter und Großmama ins Elend. Sie plünderten das Haus. Die Schränke rissen sie auf. Großmamas alte Barockschränke. Manche widerstanden, sie traten die Türen ein, raubten die Wasche, die Großmama sorglich für dich gehütet, das alte Silber nahmen sie mit, stahlen die Teppiche, zerschnitten die Bilder — deine Ahnenbiider, mein Kleines. Porzellan zerklirrte, Glas zersprang, Vorhänge wurden herabgerissen. Nichts blieb verschont. Dann zogen sie weiter ...

Heute liegt das Haus öde, verlassen. Nachts kommt Gesindel, stiehlt, was an Werten noch übrigblieb, was zerstreut umherliegt in den geschändeten Zimmern Und dann wird es wieder still. Und der Park?

Die Schwäne sind gestorben, verhungert vielleicht; abgesägt ist der Baum mit dem Storchennest, umgebrochen die alte Pappel am Grottenweg. Auch die großen Kastanien sind nicht mehr. Und selbst der seltne „goldene Baum“ vor Großmamas Fenster ist umgelegt. Als Brennholz wahrscheinlich. Der wilde Wein rankt immer dichter um das Haus, bald sind die Fenster verwachsen. Die alte Parkmauer ist eingestürzt, niemand baut sie mehr auf. Efeu spinnt sich über die Wege. Immer noch hausen Kaninchen im „Eisberg“, auch die Wildenten sind noch da und die Hasen und Rebhühner. Und in den Sparren der grünen Fensterläden nisten noch immer die Spatzen.

Das Haus schläft, auch der Park. Nur manchmal in den hellen Mondnächten wird alles wach. Dann stöhnt das Haus auf und .der Park beginnt zornig zu rauschen. Aber dann fällt wieder Schatten über beide und tiefer Schlaf. Nicht Tod. Denn das Land deiner Kindheit, deine Traumheimat lebt — unsterblich eingesenkt in dich, auch wenn du lang schon ferne Wege gehst durch das Dunkel unserer Zeit.

Und nun will ich Abschied nehmen von dir. Du wirst erkennen, mein Kind, daß wir Vertriebenen nur eine Heimat haben, die Heimat des Herzens, die weit über den Sternen liegt, unerreichbar menschlichem Zugriff — unzerstörbar. Und diese Heimat, mein Liebling, kannst du nie mehr verlieren. den die Genovevastücke im Verlauf der 300 Jahre erfahren haben. Ich habe schon eingangs erwähnt, daß die derben Axamer nicht zuletzt ihre Freude an der komischen Figur behalten haben. Sah Eduard von Bauernfeld vor 120 Jahren noch eine solche Genovevaaufführung im Pustertad mit dem Bajazzo, der damals (und in bestimmten Bezirken noch heute) in keinem Volksschauspiel der Gegend fehlte, so halten sich die Axamer am treuen Diener Hans schadlos, der nicht bloß die Geschicke der Siegfriedsburg bejammert, sondern auch vier Bauernwildlinge als letztes Aufgebot des Schlosses befehligt und fleißig exerzieren läßt. Er hat immer wieder die Lacher auf seiner Seite, diff Heimkehrer und die Veteranen, die Mädel und Bauersfrauen. An Stelle der früheren Chöre und Arien ist das „Leise, leise“ aus dem „Freischütz“ getreten. Einen Höhepunkt bildet die Bezauberung des verwundeten Grafen Siegfried, um seine Unterschrift unter das Todesurteil über seine Gattin zu motivieren.

Das ist immerhin ein beachtlicher Wandel in Stil und Motiven des alten Volksbuches, der angesichts der an das Dorf herangerückten Kino und Berufstheater recht gering erscheint. Die kritische Zeit hat die naive Volkskunst noch lange nicht ganz zersetzt. Der Gesamthabitus des geistigen und sachlichen Volksgutes trägt hier noch einen steigen, von den Lebensformen der Hochkultur unbeeinflußten Charakter. Und das in einer Gegend, wo die Natur der “Landschaft und die Nähe einer größeren Stadt einen fast ungehinderten Verkehr zulassen und deshalb von sich aus weniger die Bewahrung eigenständiger Sitten und Brauchtumsformen begünstigen.

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