6554919-1948_16_09.jpg
Digital In Arbeit

Das „Mutterhaus“

Werbung
Werbung
Werbung

Eines Tages hatte ich kein Heim mehr — der Fleiß von vielen Jahren war innerhalb weniger Sekunden vernichtet worden. „Bombenschaden C“, sagte der amtliche Bescheid über mein Unglück. „Komm mit den Kindern zu uns“, schrieben meine Eltern, „Du bist uns herzlichst willkommen." Und sie nahmen uns mit aller Liebe und Selbstlosigkeit, deren nur Eltern fähig sind, auf.

Nicht lange darauf kam der Tag, an dem zum ersten- und einzigenmal in meinem Leben eine barmherzige Ohnmacht meine Sinne ausschaltete — idi hatte meinen Mann, den Vater meiner Kinder, verloren. Ein winziges Sprengstück einer Granate hatte genügt, mir meines Lebens Glück und Inhalt zu nehmen, den Kindern — noch ehe sich ihr Bewußtsein entfaltet hatte — den Vater zu rauben, einer alten Mutter lebenslange Liebe und Opferbereitschaft in Nidits aufzulösen. „Gefallen im Osten.“ Ich hielt die schriftliche Bestätigung für mein zerstörtes Leben ln Händen.

Und wieder eine Weile später klebte eines Morgens ein Plakat an der Türe unseres noch vom Großvater ererbten Hauses. „Was heißt das?" begehrte meine Mutter zu wissen. „Eigentum des Tschechoslowakischen Staates", übersetzte ich. Über den Verlust -des Familienbesitzes erhielten wir weiter keine Urkunde, wozu auch? Es war allgemein bekannt, rechts und links von uns waren dieselben Plakate, an sämtlichen Häusern der Straße, des,Ortes, aller Städte des Randgebietes. „Sie haben als Ausländer die Republik ehestens zu verlassen", erhielt ich eine Aufforderung. Fehlt nur noch „binnen“, es hätte doch so gut gepaßt: „binnen

24 Stunden" etwa, das würde der Sache amtliches Rückgrat geben. Aber keine Angst, ich lege wenig Wert auf längeres Bleiben und die Handkoffer sind schnell gepackt. In Sorge über das weitere Geschick meiner Eltern gehe ich mit den Kindern in eine ungewisse Zukunft.

Welches soll mein Reiseziel sein? Zuständig bin ich nach der Heimat meines Mannes, die glücklicherweise auch das Geburtsland meiner Mutter war. So kenne ich von den Ferien her wenigstens einen Teil des Landes und ich liebe es auch, es ist berückend schön, hat einen südlich heiteren Charakter und freundliche Bewohner. Doch blutet es aus tausend Wunden und ist arm wie ich selbst.

Die rot-weiß-blauen Schranken senkęyi sich, die rot-weiß-roten tun sich auf. Idi bin mit meinen Kindern „daheim“. „Hier können Sie nicht bleiben! Zuzugssperre!“ schreit es mir überall entgegen. „Höchstens drei Tage im Lager", ja, überall nur drei Tage. Über Sommer ist das ganz schön, wir leben „auf Reisen" und nähern uns langsam dem Salzkammergut. Wir schlafen in Scheunen, Baracken und Wirtsstuben, allein oder mit Schicksalsgenossen. Tagsüber liegen wir in der Sonne, stehen Schlange oder warten auf Autos, je nachdem, ob Rast, oder Reisetag ist. Die Kinder gedeihen trotz alledem,

sie haben unberufen eine robuste Natur — die Zeit schafft ihre Menschen.

Endlich sehe ich die vertrauten Berge — wir sind am Ziel. Werde ich Glück haben und jemanden finden, der sich an die Familie meiner Mutter erinnert? Ich schäme mich etwas, vom Ruhm meines Großvaters leben zu wollen, aber ich sehe, daß dies in unserer Generation vielfach so üblich ist, Und wirklich — man erlaubt mir drei Monate Aufenthalt. Ich fasse Fuß, erringe eine Wohn- höhle und gewinnt Freunde. Die Frist wird verlängert, einmal und wiederum — dann hat man sich an mich gewöhnt und gönnt mir Ruhe. Meine Mittel gehen zur Neige, doch bald kommen die Kinder in die Schule und dann gewinne ich Zeit, nm zu verdienen.

Gottlob, es ist so weit: ich arbeite als Dolmetsch, Schneiderin, Waschfrau und Reporter. Der Lebensunterhalt ist gesichert und ich erhalte auch eine kleine Rente. Ich finde zwej sonnige leere Räume und leihe mir Möbel. Bald kann ich die Einriditung kaufen — wir haben wieder jeder unser Bett, wir bekommen einen Schrank, einen Tisch und buntes Geschirr. „Unsere Schnurzi- Mammi sorgt immer dafür, daß wir auch etwas zu essen haben“, höre ich mein kleines Mädchen altklug zu ihrem Bruder sagen. Ich lerne, wie man einen Garten betreut, wie man umsticht, Pflanzen setzt und mit Todesverachtung begebe ich midh ans Düngen.

Endlich kommt auch nach langem Warten Nachricht von den Eltern, sie sind in Bayern und ihr Mut, ein neues Leben zu beginnen, ward durch Erfolg belohnt. Ich atme auf, nun können wir uns das Dasein schon leichter machen und bald geben wir unsere erste Einladupg. „Nett habžn Sie es hier“, loben die Gäste. „Ja, es fehlt zwar noch viel, aber das wenige das Sie sehen, ist alles selbst erarbeitet", sage ich stolz. — Ich spare für eine Nähmaschine — die Konversion vereitelt meine Wünsche, doch gelingt es mir, die Wohnung zu komplettieren und zu verschönern. So bekomme ich Vorhänge, einen Lampenschirm und ein Madonnenbild. Aber ich brauche noch viel mehr Geld, was soll ich tun?

Wie immer in Sorgen des Tages oder der Kindererziehung halte ich stumme Zwiesprache mit meinem geliebten Toten. Noch stets ist mir — wenn auch oft nicht sofort — Antwort darauf geworden. Ich versenke midi in Erinnerungen und sehe meinen Mann vor mir, wie er oft scherzhaft sagte: „Erzähl mir etwas aus deinem Leben!“ Erzähl mir etwas? Ich könnte es ja auch schreiben? Ich opfere den Schlaf einer Nacht und warte dann ängstlich auf Antwort. Mein Herz klopft, wenn Post im Kasten liegt — wahrscheinlich wird mir das Manuskript zurückgeschickt. Doch nein man nimmt es an. Eine neue Erwerbsquelle hat sich erschlossen. Soll ich den Mut haben und eine größere Arbeit beginnen? Ja, und es m u ß gelingen.

Ich spare und arbeite wie noch nie in meinem Leben, denn ich habe die Anwartschaft auf ein kleines Gemeindegrundstück erworben, in einigen Monaten will ich es bar bezahlen. Inzwischen muß ich meine große Arbeit fertigstellen, die Einnahme daraus soll die Grundlage für ein Häuschen sein; ich will und werde meinen Kindern ein Heim schaffen, einen ruhigen Punkt im Lebr- , ein „Mutterhaus“, geplant und erarbeitet allein von ihrer Mutter, die es sich zum Ziel gesteckt hat, ihnen den Vater zu ersetzen, so gut es in ihren Kräften steht.

Ist es nicht trostreich zu wissen: auch nach Schicksalsschlägen schwerster Art kann durch Tatkraft und Fleiß Aufbau erfolgen, im Kleinen wird daraus für Waisenkinder ein „Mutterhaus", im Großen könnte für uns alle wieder ein glückliches Vaterland erstehen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung