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Aus meinem Lei en

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Ich weiß nicht, wo ich herkomme. Ich weiß nur, daß das Leben meiner Vorfahren in den östlichen Wäldern beschlossen war. Die Geschichte kündet nicht von ihnen, die Sage nicht. Sie haben im Schatten gelebt.

Ich weiß, daß mein Vater ein stiller Mann ist, mit mancher verschütteten Sehnsucht in seiner Brust. Daß meine Mutter eine schwermütige Frau war. Daß ich ein stilles Kind war. Ich erinnere mich meiner kleinen Oberstube im Forsthause, 'mit dem grünen Kachelofen, und des Rauschens der hohen Fichten im Garten. Ich erinnere mich, daß ich stundenlang lauschte, ob meine Mutter unten weine, bevor ich einschlief. Ich erinnere mich an das Spiel der ersten Flöte, und daß icii viel geweint habe. Wenn ich die Kühe hüten mußte und die Bremsen die Herde in alle Winde sprengten. Wenn das junge Geflügel sich verlaufen hatte und klagte. Als ich die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern zum ersten Male las.

Ich sehe mich auf einem Waldweg stehen, Tag für Tag, viele Sommer lang, um den Fischadler zu sehen, der nach dem Horste flog und seinen klagenden Schrei herniederwarf in meine Seele. Ich sehe mich Abend für Abend auf einen Berg in unseren Wäldern steigen, von dem man über unendliche Wipfel sehen konnte, wie der Abend versank. Ich höre die erste Drossel, das Jagdhorn und den Schrei der Wildgans. Und ich höre einen späten Wagen über die Waldstraße fahren, in der Sommernacht, und den Knecht ein trauriges Lied singen, vom Echo wiederholt und vom hohen Monde beglänzt.

Und so bin ich ganz und gar ein Kind der Wälder, bis zu dem jungen Kranich, der an meinem Herzen schlief. Wälder 6ind dunkel und schweigsam. Wälder fliegen nicht und singen nicht. Aber es gibt die großen Bögen der Jahreszeiten über ihnen und die großen Gewitter, die lange über ihnen stehen. Vieles mußte man wissen im Walde: den Flug der Vögel und die Fährten der Tiere. Die Sprache aller Dinge, die von Gefahr redeten, vom kommenden Regen, von der Strenge des Winters, von Dürre oder Fruchtbarkeit. Das heißt, die Sprache der Vögel, der Spinnen, der Gräser, der Fichtenzapfen, der Wolken, der Winde.

Aber dann mußte ich ein Kind der Städte werden, der Begriffe, der Wissenschaften, der Zivilisation. Ich trug das Kreuz wie jedermann. Es war mir nichts erspart. — Sie verschütteten mich, aber das Gras bebte über mir. Auch der Krieg begrub mich nicht. Das Gesetz ergriff mich, und ich tat, Wie das Gesetz es befahl. Manches Große sah ich in vier Jahren und viel Kleines, und ungezähltes Böses. Und immer war das Kind mit mir mit, das gelehrt worden war, nicht zu töten und seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst.

Und danach gingen wir zusammen heim. Aber verzweifelten nicht, sondern begannen ein neues Leben, ein Leben des Anfangs und der vergessenen Gelübde. Und bedachten beide, daß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen. Und waren verwandelt wie ein Acker und trugen still unsere neue Saat.

Und während langsam das Vergängliche vom Unvergänglichen sich scheidet, erscheint, bei sich senkender Lebensbahn, in der Ferne das Abendziel: Rückkehr zur „großen Ordnung“, zu wenigen Menschen, vielen Tieren, großen Wäldern. Ein Buch schreiben, das so ganz einfach wäre; einen Baum pflanzen, der

den Kindern Frucht trüge; eine Schwelle bauen, über die die Beladenen treten könnten. Denn die Spuren unserer Füße laufen wohl weithin über die Erde, aber in denen unserer Kindertage wächst schon das Gras, und die Vögel unter dem Himmel nähren sich von seinem Samen.

Und Größeres kann dem Menschen nicht beschieden werden, als daß er den Ring vollende, den Gott mit ihm gewollt. *

Maler stellen einen Spiegel vor sich und den Tod hinter sich, und damit ist es fertig. Aber bei unsereinem ist es damit nicht fertig. Unsere Spiegel sind verdächtig, und ein gedichteter Tod ist nebelhafter als ein gemalter. Dichter, nach Leben und Werk gefragt, drapieren sich gern mit Purpurmänteln. Aber ich bin mißtrauisch gegen Mäntel. Ich will alles ohne Mantel sagen oder es doch versuchen.

Ich begann mit dem Wald und der Bibel, und damit werde ich wohl aufhören. Ich komme aus der „ostischen“ Welt, und viele meinen, das sei eine dumpfe, gebeugte Welt. Aber diese wissen nichts von der „magischen“ Welt, die dort noch lebt. Aus ihr ging ich in die westliche, in die der ratio, und daraus erklären sich alle „Interferenzen“ des Lebens und des Werkes. Ich habe mit Vielen schlechten Büchern begonnen. Das Wort überwog, der Klang, das gehäufte Attribut. Wir wachsen sehr langsam im Osten.

Ich studierte Naturwissenschaften, Philosophie, Sprachen, aber es genügte mir nichts. Meine Wurzeln waren welk. 1914 zog ich in den Krieg. Melancholische Jahre, von der Pflicht gehalten. Der Begriff des Leidens verflocht sich für alle Zeit unlöslich mit dem Leben. Rückkehr in Verbitterung und Opposition gegen den Staat. Erst mit dem Buch „Knecht Gottes“ begann die Wende zur reinen Humanität. Amt und Ehe gehen dahin, Freunde der Heimat. Nur der alte Vater bleibt mit seinem stillen, niemals wankenden Glauben.

Vielleicht war ich ein schlechter Lehrer, aber wohl ein geborener Erzieher. Wir waren immer in der Revolution, im Kampf gegen die alte Welt, auf der Suche nach der neuen. Wir lernten, uns nicht zu fürchten. Wir legten den Grund gegen die bitteren Jahre der Zukunft. Wir erkannten die großen Götter des Abendlandes: Wahrheit, Freiheit und Recht. Und schließlich auch das letzte: die Liebe.

1933, in der neuen Heimat, begann ich zu schreiben, was ich für das Bleibende hielt. Nicht alles wird bleiben, aber wovon sollten wir leben, wenn nicht von unserem Mut? Stil und Leben werden immer einfacher. Die Nazizeitungen schrieben, daß mein „Ruhm“ nur bei den „Entarteten“ lebe. Manche Zeitungen sagen heute, er lebe in den Tränen der Ladenmädchen. Aber zu allen Zeiten haben Zeitungen vieles geschrieben, was nur eine Wahrheit der Stunde war. Unzählige haben mit neuen Büchern und Reden die grauenvollen Jahre bestanden, bei uns und in der Welt. Das meiste wird vergehen, aber einiges ist doch auf einem guten Acker gewachsen: die „Hirtennovelle“, der „Vater“, der „Weiße Büffel“, Teile aus dem „Einfachen Leben“, den „Jeronim-Kindern“, den „Märchen“. Man soll demütig, aber nicht bescheiden sein. Auch wenn man ein „ostischer“ Mensch ist.

Ich habe viel Liebe erfahren und erfahre nun viel Haß. Ich habe versucht,

das Meinige gegen das Böse zu tun. Nicht alles. Wenige von uns haben alles getan. Und nun habe ich versucht, die Wahrheit zu sagen. Viele drücken ihren Schmerz aus, daß ich nicht im Konzentrationslager umgekommen bin. Ich könnte auch in Kamtschatka leben statt in Deutschland. Aber ich will nicht vergessen, daß die Welt mich wieder an ihr Herz genommen hat, die ganze Welt, und mit einer rührenden Dankbarkeit.

Ich vergesse auch nicht, daß Liebe und Treue mir von Unvergänglichen erwiesen worden sind: von Ricarda Huch, Ernst Barlach, Käthe Kollwitz, Leo von König. Und am meisten von Max Picard, dem großen Weisen von Caslano. Als ich 1937 bei meiner letzten Auslandsreise vor seinem Kamin saß, hat er mich geehrt, wie mich noch nie jemand geehrt hat. .Wissen Sie“, sagte er, „daß Sie das

Gesicht des letzten Mohikaners in Europa haben?“ Ich habe es nie vergessen, weder Ehre noch Verpflichtung. Auch nicht in Buchenwald.

Ich werde weder Welt noch Abendland verändern. Sie brausen wie ein Stern ihrem Ziele zu. Aber ich werde ohne Pause arbeiten und mich verändern. Vielleicht ein paar Menschen dazu. Zur Güte, Stille, Weisheit. Ich werde meinen Garten umgraben, ein paar Bücher schreiben und an die Kinderzeit und die verlorenen Gräber denken. Vieles war falsch, ein Umweg oder Spreu. Aber die Sterne waren doch die richtigen Sterne. Und auf meinem Grabstein soll das Lieblingswort meines Vaters stehen: „Es ist viel Speise in den Furchen der Armen.“

Aus: „Vom bleibenden Gewinn“. Mit Bewilligung des Verlages „Die Arche“, Zürich.

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