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Peter Anich, der STERNSUCHER

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W. Fortsetzung

Gegen Mitternacht erwachte die Schwester von einem dumpfen Fall. Sie fand den Peter dann vor dem offenen Fenster liegen. Ohne Besinnung und im kalten Schweiß lag er da. Sie rief den Erhardt, und miteinander trugen sie den Bewußtlosen ins Bett zurück. Mit Essigtüchern und Wacholderschnaps brachten sie ihn dann so weit, daß er endlich ruhiger atmete und das Irr-Reden ein Ende hatte. In der Morgendämmerung schlug er endlich die Augen auf, aber er wußte auch jetzt noch nicht, was mit ihm geschehen war.

Erst in der zweiten Woche seiner Krankheit konnte Peter ein wenig in der „Trutz-nachtigall“ lesen, aber da kam auch das Fieber nur mehr stundenweis, und er selber ertrug es auch leichter, wenn vor dem weitoffenen Fenster die hochgeschichteten Kornwijen vorüberschwankten und die Leni öder der Erhardtnachbar abends noch im Schweiß des heißen Erntetages an sein Bett kamen. Sie hatten überhaupt keinen o lenkbaren und milden Kranken in ihrem Leben gesehn.

Die Anichmutter war jetzt den ganzen Tag auf den Beinen. Aber sobald es nur irgend anging, saß sie bei ihm in der Stube. Erst hatten sie noch über das Wetter oder das Fieber gesprochen, zuweilen auch vom Vater. Jetzt saßen sie stundenlang schweigend nebeneinander, und das war noch schöner. Wie in den frühen Tagen seines Lebens war das.

Am zweiten Sonntag kamen dann die Huebner Brüder. Auch der Polten Karl und der Spieglische stellten sich ein. Sie brachten Schnaps und steinhartes Geselchtes und erzählten lustige Geschichten aus dem Dorf. Nur von der Himmelskugel redeten sie nicht, denn sie wußten, daß der Peter nur ihrethalber darniederlag. Der Hörtnagl erzählte, daß er jetzt öfter in Innsbruck zu tun habe und leicht auch für ihn einen Weg an die Universität machen könne, wenn er etwas brauche. Aber Peter hatte keinen Wunsch. Auch nach den Büchern, die in der ebenerdigen Kammer wöhlver-staut lagen, fragte er nicht.

Den Kuraten hatten sie damals noch vor der Messe gerufen. Er verstand sich auf die Heilkunst und brachte dem noch Bewußtlosen die letzte Ölung. An eine ernstliche Gefahr hatte er nicht geglaubt. Das vornehmste Heilmittel in solchen Fällen sei die vollkommene Ruhe, soferne der Kranke noch der Ruhe fähig sei. Er selber hielt sich an seine Verordnung. Er kam n ir selten und blieb niemals länger als auf ein Gläschen Wein.

Diesen Sonntag nach der Messe nahm er die Leni mit sich. Hier könnten sie ja leichter ein ernsthaftes Wort sprecheen, sagte er, ohne daß der Peter gleich wieder eine Verschwörung wittere. Aber wenn der Bru er nun so weit sei, dann sei es nicht am wenigsten die Schuld der Seinen, und sie müßt n doch endlich einsehn, daß man ihn mit reiner Nachgiebigkeit und Gutheit und den feuchten Augen allein auf schnurgeradem Weg ins Grab bringe.

„Und wie stellt sich der Herr Kurat das vor? Er kann doch nicht einfach alles aufgeben.“

Aufgeben! Wer denke da an ein Aufgeben? Das sei doch so, als wollte man ein kostbares, ein edles Roß aus Angst, weil es zu rasch renne, in den Stall sperren. Aber die Hindernisse kann man diesem Roß forträumen, auf daß es nicht bei jedem neuen Schritt springen muß und dabei doch ein Bein bricht. Ja, die Hindernisse. Wenn einer nur wüßte, was da ein Hindernis sei.

„Es ist kines mehr da“, sagte Leni, „ich weiß schon, daß er das Fieber nicht von der Sternkugel her hat. Aber wenn ich heirat, dann steht er allein da und kann das alles nicht mehr tun, und der Herr Kurat sagt doch selber, daß er es nicht aufgeben kann. Und wenn ich nicht heirat, dann find er erst recht keine Ruh, er will ja, daß ich heirat.“

„Und wenn er selber eine Bäuerin heimbringt? Hätt mir dein Vater nur damals gefolgt!“

„Wo ich nicht einmal ein EHrndl für ihn auftreiben kann.“ ;

Der Kurat verspraoh, daß er selber einen tüchtigen Dienstboten suchen werde. Jetzt während der Erntezeit sei das freilich unmöglich. Mehr kam auch bei dieser Unterredung nicht heraus.

Als die Leni aber heimkam, saß der Schwager in der Krankenstube, und er hatte eine erfreulichere Botschaft. Den Tag zuvor war ein Weinfuhrmann in Zirl durchgekommen und hatte auch für ihn ein Faß abgeladen. Der Mann, ein gewisser Unteregger, habe dann beim ersten Glas Wein eine seltsame Neugierde nach Oberperfuß gezeigt. Wo dieser Ort liege, “ob man ihn von Zirl aus sehe, wo die Anich-leute hausten und wie es dem Peter mit seiner Himmelskugel ergehe, und schließlich habe er sich als der zweite Mann der Marie vorgestellt. Vor drei Monaten hatten sie geheiratet und lebten in Brixen. Die Marie habe er dann als eine durchaus fleißige Frau und tüchtige Mutter seiner beiden halbwüchsigen Buben geschildert.

„Wenn die Marie so gut angekommen ist und eine so gute Frau geworden“, sagte die Anichmutter, als sie dann in der Küche beisammen saßen, „wird es auch mit dem Peter ein gutes Ende nehmen.“

Am dritten Sonntag kam die Vroni. Nach der Messe kam sie, ein wenig später als die Anichleute und allein. Die Kinder hatte sie daheim gelassen. Sie hätte den Gang um die alte Uhr immer wieder aufschieben müssen, sagte sie, aber die Krankheit des Peter habe ihr keine Ruhe gelassen. Die Leute in Gries erzählten doch, der Anichbauer liege vor lauter Studieren auf den Tod.

„Das Studieren allein hätt er schon ertragen“, sagte Leni Sie konnte sich an dem frischen, rotbackigen Gesicht der jungen Witwe nicht satt sehn. Dann lief sie voran und richtete die Polster, daß der Br. der schön bequem und aufrecht sitze. Denn er war am Vortag zum erstenmal aus dem Bett gewesen und fühlte sich wieder schwach. Auch die Uhr brachte sie noch in die Stube, dann ließ sie die beiden allein. „Ihr habt ja genug miteinander zu reden“, sagte sie, „über die Uhr und noch mehr.“

Die Vroni war sonst niemals um ein Wort verlegen. Diesmal fiel ihr das Re.ei schwer. Erst als sie auf die Himmelskugel zu sprechen kamen und Peter ihr alles erzählte — zum erstenmal seit er krank lag redete er darüber —, tat sie sich leichter. Sie wollte dann aber auch alles haargenau wissen. Schließlich bekümmerte sie sich noch um die für die Kugel aufgewendete Zeit und wieviel der Professor für das ganze Werk bezahlt habe.

„Das muß ich mir erst zusammenrechnen“, sagte Peter.

„Noch ehe du mit der Erdkugel anhebst.“

„Ach Gott“, Peter blickte jetzt nachdenklich an ihr vorbei, „das Geld allein entscheidet da nicht. Ich tat es auch umsonst, wenn nur das andere alles so weit war, daß ich arbeiten kann.“

Die Bäuerin rückte den Stuhl näher heran. „Du liebe Ungeduld“, sagte sie, und ihre Stimme klang gedämpft, „die Leni wird heiraten und du wirst wieder gesund sein, alles wird sein, wie du willst. Auch wenn es ganz unveränderlich ausschaut, ändert sich das Leben über Nacht.“

„Das Kranksein tat mich auch weiter nicht mehr bekümmern“, seine Augen ruhten jetzt in den ihren, und er konnte noch leichter reden, „das Kranksein hat mir drei wohltätige Dinge gewiesen. Zum ersten, daß man den Peter auf dem Anich-hofe gar nicht braucht. Es geht auch ohne mich, mitten in der Erntezeit geht es und ganz gut. Das andere“, er schwieg eine Weile, „ja das andere. Der Vater ist damals im Bett gestorben, und kein Mensch weiß, ob er vorher noch wach war, ob er gewußt hat, daß er sterben müsse. Ich mein, er hat es schon gewußt, wie wir bei euch oben waren, an jenem Sonntag.“

Sie nickte, das habe auch ihr seliger Vater immer behauptet.

„Wenn er aber wach gelegen ist, vielleicht nur für einen schrecklichen Atemzug lang, dann muß es für ihn genau so gewesen sein wie für mich, als ich zum Fenster wollte. Die gleiche Angst muß er gelitten haben. Aber es war keine Angst vor dem Sterben, nur daß es jetzt schon sein soll, wo so wenig fertig dasteht und das mehrere nur in den Gedanken vorhanden ist. Ich werde dem Vater bald folgen, und deshalb muß ich da-zusehn, daß ich mehr zurücklassen kann als er.“

„Und die dritte von diesen seltsamen

Wohltaten?“

„Daß du zu mir gekommen bist.“

„Wenn die Leute reden, daß du ein spinnendes Mannsbild bist, dann haben sie schon recht“, in ihren Augen war nun nichts Schredthaftes mehr, „da ist einer ein paar Tage krank und denkt gleich ans Sterben, nur weil einmal sein Vater gestorben ist. Ohne dich aber ist es doch nur gegangen, weil eben die Leni noch dahe'm ist. Für so dumme Gedanken hättest nicht erst krank werden brauchen.“

„Und das dritte?“ Er wunderte sich, wie leicht er diese Frage jetzt herausbrachte.

„Wenn ich dir diese Flausen austreiben kann, bin ich schon zuredit gekommen“, sagte sie. Dann ruhten ihre Augen ernst und fest in den seinen. „Wenn du es anders meinst, dann muß man doch noch viel bereden und noch mehr bedenken.“ Man hörte nur die Uhr ticken. „Hast du dir schon welche Gedanken darüber gemacht?“

„Früher hab ich mir nie Zeit genommen“, seine Antwort klang hell und leicht, „jetzt hab ich viel an dich gedacht und wie das sein könnte. Wenn du deine Wirtschaft verkaufst, können wir uns eine größere ein-schaffen, oder auch nur mehr Äcker und Vieh, auch ein Pferd.“ Audi mit Innsbruck hätt ich es dann leichter, dachte er, er behielt es aber bei sich.

„Es ist nicht leicht, den eigenen Hof aufzugeben.“

„Vielleicht doch leichter, für dich mein ich, als wenn idi das andere aufgeben müßte. Und ich bin der Bauer.“

„Man müßt es eben erst einmal bereden.“

Peter sah jetzt wieder den sterbenden Eglauerbauern vor sich. Aber die Frage, ob sie denn gut miteinander gelebt hätten, behielt er bei sich.

„Wir hätten beide längst ein leichteres Leben haben können“, sate die Vroni jetzt.

Da erzählte er, wie oft und wie sehr er an sie gedacht hatte und wie er damals nach des Vaters Tod bereit gewesen war, alle absonderlichen Gedanken zu verscheuchen und nichts zu sein als ein Bauer, und wie diese Bereitschaft doch nicht ernsthaft genug gewesen war und wie er dann nach acht Jahren auf dem Wege zu ihr von ihrer Heirat erfahren habe. So dumm sei er damals gewesen, geglaubt habe er, sie werde auf ihn warten, noch nach des alten Bauern Tod immer nur warten, ohne ein Lebenszeichen von ihm und ohne daß doch irgend etwas abgesprochen war. Sein Schreibbüchlein zog er dann unter dem Polster hervor und die Bleifeder, und einen Punkt zeichnete er auf ein leeres Blatt und ließ den Punkt in schöner Krümmung wandern. „Glaubst du, daß das ein Kreis werden kann?“ fragte er, und als sie nickte, „es kann auch eine Ellipse werden, dann ist es schon gut, oder eine Parabel oder eine Hyperbel, wer kann das jetzt schon sagen?“

„Ich bin nur eine Bäuerin“, sagte sie, „das vergißt der Peter.“ Rasch aber setzte sie hinzu, denn es hatte wohl allzusehr und gegen ihren Willen als ein Vorwurf geklungen: „Ich glaub, daß ich dich recht versteh. Wenn wir damals geheiratet hätten, könnte jetzt dein Professor nicht mit der Kaiserin über dich reden. Ich aber hätte dich ja doch nicht völlig begriffen. Damals nicht.“

„Wie leicht wir jetzt darüber sprechen können“, sagte er. „Wir sind freilich beide älter geworden.“

Da lachte das Weib hell auf: „Wenn der Peter sich schon alt vorkommt, ich hätt noch etwas dagegen einzuwenden.“

„Freilich, freilich, auch so gescheit sind wir noch lange nicht, wie wir uns jetzt vorkommen. Und was werden deine Kinder sagen?“

Die täten sich nur freuen, wenn sie nach Oberperfuß herauskämen. Besonders der Bub, aber auch die Vroni, auch wenn sie den eigenen, den Eglauerischen Hof gern hätten. Der Bub frage ja schon jetzt jeden Tag nach der Uhr, am liebsten hätte er sie selber längst heimgeschafft, nur daß er etwas von der gerühmten Himmelskugel erspähe. Ja sie meine, daß der Peter dem älteren Peter kein unebener Helfer sein werde. Und wenn eine solche Veranlagung für einen Bauern nicht immer ein Glück sei, in diesem Fall sei es eines zu nennen. „Ein anderes ist, daß wir den Hof allein nicht mehr lang halten können, du verstehst mich. Den heurigen Sommer frett ich mich schon nodi durch. Aber ich mein, daß man bald alles bereden muß, ehe noch meine Trauer um ist. Auch wegen der Leni.“

Da müßt also auch die Leni noch bis zum Fasching warten. Nein, er richtete sich sogleich wieder auf, im Winter kämen sie auch ohne die Leni durch, das ginge schon.

„Und dir zuliebe tat die Leni auch bis zum Fasching warten.“ Auch für seine Erdkugel sei diese Wartezeit wichtig. Er hätte sie dann noch vor dem Fasching fertig oder doch aus dem gröbsten heraus. Eine dritte Kugel aber gebe es ja nicht. Gott sei Dank gibt es keine dritte, dachte sie.

In ihr heimliches Lachen hinein aber fiel seine Frage: „Hast du mit deinem seligen Mann eigentlich gut gelebt, Vroni?“

Da blickte sie eine Weile starr in den Winkel, dorthin, wo noch die Palmkätzdien hinter dem Kreuze steckten, und sagte: „Ja, wir haben gut miteinander gelebt.“ Dann suchten ihre Augen wieder die seinen, be-däditig kamen sie zu ihm. Ihm aber schoß eine Blutwelle wie ein Fieber ins Gesicht, ehe er ihnen standhielt. „Man kann einen Menschen lieb haben, Peter, aber einen anderen noch lieber.“

Er nickte: „So will auch ich jedem Frager künftig antworten. Ich bin ein Bauer und ich sdiätze meinen Stand und will immer ein Bauer bleiben, aber die Stern, die hab ich noch lieber.“

(Fortsetzung folgt)

Aus&tetiuH$& in Wien

I. BE.i'IKK

Albertin, Augustinerbastei 6, Gedächtnisausstellung für Anton Bruckner, Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag vrn 10 bis 14 Uhr Mittwoch, Samstag von 10 bis 13 Uhr und 15 bis 18 Uhr. Altes Rathaus. Wipplingerstraße 8, Schätze aus dem Schutt, vcn 9 bis 13 Uhr und 17 bis 19 Uhr, Sonn-13 von 9 bis 13 Uhr. afcualltlsches Haus, Mölkerbastei 8. Adalbert Stif-A als Maler, von 10 bis 17 Uhr, Sonntag von Abis V3 Uhr.

Erzlschöflichcs Palais, Rütenturmstraße 2. Dom- und Dzesanmuseun, Dienstag, Donnerstag, Sonntag von 9 bi; 12 Uhr.

Galerle Walz. Weinburggasse 9 Ferdinand Eckhardt: Radierungen und Monotypien. von 9 bis 17 Uhr, Samstag von 9 bis 13 Uhr.

Hofburg:. Michaelerplatz, Meisterwerke der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums, von 10 bis 16 Uhr Freitag geschlossen, Sonntag von 10 bis 13 Uhr

Künstlerhaus Karlsplatz 5, ..Niemals vergessen“, Antifaschistische Ausstellung, von 10 bis 20 Uhr.

Museum für Völkerkunde, Neue Hofburg. Österreicher als Sammler und Forscher in der Welt, von 9 bis 13 Uhr, Sonntag von 10 bis 13 Uhr, Montag geschlossen.

Schauräume, Schubertring 9 Russische Impressionen des Wiener Malers Alex Ohnoutek, von 10 bis 19 Uhr.

Slaatl. Kanstgew .rbcmuseum, Weißkirchnerstraße 3, österreichische Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart, von 9 bis 16 Uhr, Montag geschlossen.

Stadtpark, Parkring, Die Sowjetunion im Aulbau, ganztägig

Wirtschaftsgenossenschaft der bildenden Künstler,

Opernring 17 Junge Kunst — Gemälde, Graphik, Kunstgewerbe, von 8 bis 13 Uhr und 14 bis 16 Uhr, Samstag von 8 bis 13 Uhr.

VIII. RITZIRK

Laudongasse 19, österreichische Trachten in der Volkskunst und im Bilde, Dienstag bis Freitag von 9 bis 14 Uhr, Samstag und Sonntag von 9 bis 12 Uhr.

Wiener Volksbildung, Neudeggergasse 8, Kleine Galerie lür Schule und Haus, von 9 bis 16 Uhr. AUSSTELIUNGEN IN VORBEREITUNG

Galerle Welz, Hans Fronius ab 2. November 1946. Neue Galerie, Gerhaid Frankl, ab November 1946. Kulturreferat Mariahilf, Weihnachts-Verkaufsausstellung, ab 2. November 1946.

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