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Polen im Jahre 3

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Zygmund B. hat Kinokarten besorgt. Es war nicht leicht, denn auf dem Programm steht „POPIÖL I DIAMANT“ (Asche und Diamant) — ein Film, der gegenwärtig in Polen im Mittelpunkt zahlreicher Diskussionen steht. Ein technisch und künstlerisch sehr beachtlicher Film. Aber mehr als nur dies: der Versuch, ein Kapitel jüngster polnischer Vergangenheit zu bewältigen. Hintergrund ist die dunkle Kulisse jener im westlichen Europa wegen der zahlreichen eigenen Sorgen kaum beachteten blutigen Jahre, in denen nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges, der von keinem Volk in Europa einen so hohen Blutzoll gefordert hatte wie von dem polnischen, Polen gegen Polen die Waffen hoben. Die der polnischen Exilregierung treue A. K. (Armia Krajowa — Heimatarmee) streckt nach der Befreiung nicht die Waffen, sondern richtet sie nun, verbittert durch das Verbluten ihrer Kameraden im großen Warschauer Aufstand 1944 im Angesicht der tatenlos zusehenden Roten Armee und verzweifelt über die Verfolgung ihrer Mitglieder durch das neue kommunistische Regime gegen dessen Vertreter. Schrecklichster aller Kriege: Bürgerkrieg! Wie faßt man nun heute, im „Jahre 3“ der neuen polnischen Geschichte, so ein Thema an? Gibt es nach bekanntem Vorbild nur abgefeimte „Reaktionäre“ auf der einen und nach harten Kämpfen triumphierende, zukunftsgläubige, stahlharte Repräsentanten „Volkspolens“ auf der anderen Seite? Wer eine solche, die Wirklichkeit verzerrende Optik erwartet, wird überrascht. Es kommt ganz anders.

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Zygmund B. hat Kinokarten besorgt. Es war nicht leicht, denn auf dem Programm steht „POPIÖL I DIAMANT“ (Asche und Diamant) — ein Film, der gegenwärtig in Polen im Mittelpunkt zahlreicher Diskussionen steht. Ein technisch und künstlerisch sehr beachtlicher Film. Aber mehr als nur dies: der Versuch, ein Kapitel jüngster polnischer Vergangenheit zu bewältigen. Hintergrund ist die dunkle Kulisse jener im westlichen Europa wegen der zahlreichen eigenen Sorgen kaum beachteten blutigen Jahre, in denen nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges, der von keinem Volk in Europa einen so hohen Blutzoll gefordert hatte wie von dem polnischen, Polen gegen Polen die Waffen hoben. Die der polnischen Exilregierung treue A. K. (Armia Krajowa — Heimatarmee) streckt nach der Befreiung nicht die Waffen, sondern richtet sie nun, verbittert durch das Verbluten ihrer Kameraden im großen Warschauer Aufstand 1944 im Angesicht der tatenlos zusehenden Roten Armee und verzweifelt über die Verfolgung ihrer Mitglieder durch das neue kommunistische Regime gegen dessen Vertreter. Schrecklichster aller Kriege: Bürgerkrieg! Wie faßt man nun heute, im „Jahre 3“ der neuen polnischen Geschichte, so ein Thema an? Gibt es nach bekanntem Vorbild nur abgefeimte „Reaktionäre“ auf der einen und nach harten Kämpfen triumphierende, zukunftsgläubige, stahlharte Repräsentanten „Volkspolens“ auf der anderen Seite? Wer eine solche, die Wirklichkeit verzerrende Optik erwartet, wird überrascht. Es kommt ganz anders.

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Asche und Diamant: Man schreibt Polen im Mai 1945. Eine Handvoll versprengter junger Kämpfer der AK - Rest einer größeren Gruppe — bekommt von ihrem Major den Befehl, den Wagen des KP-Parteisekretärs einer Wojwodschaft aufzulauern und die Insassen zu erschießen. Durch einen Zufall gerät ein anderer Wagen in den Hinterhalt; der Parteisekretär “ passiert die Stelle wenige Zeit später unverletzt. Erstes Aufblitzen: vorbeiziehende Arbeiter, denen .die Leiden des Krieges und der Okkupation ins Gesicht geschrieben sind, stellen die Frage, wann das blinde Wüten Polen gegen Polen, der Terror und Gegenterror endlich sein Ende finden soll. Der Rest der Geschichte spielt in der kommenden Nacht — es ist die Nacht der deutschen Kapitulation. Der zum Minister aufgestiegene Bürgermeister des kleinen Landstädtchens veranstaltet eine Siegesfeier. Während die Vorbereitungen zu dem Fest getroffen werden, ist die AK — alles spielt nun in einem

Hotel — dem Parteisekretär auf den Fersen. Er soll um jeden Preis fallen.

Der Person des Parteisekretärs — Typ: alter, etwas resignierender Spanienkämpfer, guter Vater (es ist interessant, wie sich die polnischen Parteimänner gerne dargestellt sehen) — wird alle Achtung zuteil. Die Sympathien aber werden ohne Zweifel unaufdringlich auf „die Gestalt des jugendlichen Untergrundkämpfers und Attentäters Maciek hingeführt. Er ist ein Kind seiner Zeit, dem man früh, allzufrüh die Maschinenpistole in die Hände gedrückt hatte und das allein gelernt hatte, den Befehlen seiner Vorgesetzten zu folgen. Was gestern Patriotismus war, soll Heute Staatsfeindschaft sein? Der Film wird zum Plädoyer für eine ganze Generation junger polnischer Patrioten: Während das Fest seinen Anfang nimmt, bleiben Maciek und sein Kamerad allein an der Theke zurück. Im scheinbaren Uebermut zündet erster den Wodka in den bereitgestellten Gläsern an. Was Uebermut scheint, wird eine große Szene. Während durch die Tür des Festsaales die Melodie jenes Tangos, zu dem in Polen kein Mensch tanzt, vom „roten Mohn von Monte Cassino, der so rot ist, wie das Blut, das dort vergossen wurde“ (eine Art polnischer „Lili Marlen“) dringt, wird jedes Glas voll brennendem Wodka zu einer Totenleuchte für die gefallenen AK-Kameraden. Und immer wieder die bange Frage nach dem Sinn der Opfer, nach dem Ende des großen Tötens. Der Sprung an das andere Ufer, wo das Leben wartet, gelingt nicht. Auch nicht in jener kurzen Liebesgeschichte zwischen Maciek und der Kellnerin Krystyna, die in jener Szene gipfelt, die dem nach dem Buch von Jerzy Andrzejewski gedrehten Film den Namen gab: in den Trümmern einer zerstörten Kirche stoßen Maciek und Krystyna auf einen alten Grabstein, der die Frage stellt, ob Asche allein der Lebensflamme ' letzter Rest sei oder ob sich in ihr vielleicht — ein im Feuer gehärteter, das Feuer überdauernder Diamant finden kann...

Doch nicht das Leben bekommt in diesem Film das letzte Wort. Noch in derselben Nacht erschießt Maciek den KP-Sekretär, der gerade auf die Wache eilt, wo sein verschollener Sohn soeben als AK-Soldat gefangen wurde und von einem brutalen Milizoffizier mißhandelt wird. Drittes Aufblitzen: Der Parteisekretär umarmt sterbend seinen Mörder. Während im Morgengrauen das Fest seinen Ausklang nimmt, stirbt der von der Miliz verfolgte, angeschossene Maciek am Stadtrand einen schweren, einsamen Tod. Asche und Diamant? Während dieses Drama sich abspielt, treten im Morgengrauen die Festgäste zu einer symbolhaft überhöhten Polonaise, die anschaulich vor Augen führt, wie die große Zahl aller Menschen und Völker sich allezeit zum Tanz ihrer Alltagsgeschäfte und Vergnügungen dreht, während gar nicht weit entfernt die Tragödien der Einzelnen und der Geschichte ihren Schauplatz haben.

„Asche und Diamant“ ist also mehr als ejn mutiger Film. Es ist einer der zahlreichen Versuche, ein dunkles Kapitel jüngster polnischer Geschichte zu erhellen und in einer Weise zu deuten, die bei aller „Staatsraison“ doch nicht auf den Willen zu einer freimütigen Aussage Verzicht leistet.

„Asche und Diamant“ ist die große Frage, die sich heute in dieser und jener Form jeder denkende Pole vorlegt, wenn er drei Jahre nach dem „Oktoberfrühling“, im Monat der Gomulka-Reise nach Moskau. Bilanz zieht, was von den Hoffnungen jener Tage zurückgeblieben ist.

Zu Asche geworden sind wohl jene Hoffnungen „auf eine zweite Welle“ der polnischen Entwicklung. Ein Blick auf die Landkarte belehrt jeden, warum eine solche unterbleiben mußte, um nicht in einer neuen nationalen Katastrophe zu enden. „Als die Reste unserer Leute 1944 aus den Ruinen Warschaus in die deutsche Gefangenschaft marschierten, glaubten wir, zweihunderttausend Menschen seien umsonst gefallen.“ Der alte Offizier, Mitkämpfer im ebenso heroischen wie verzweifelten Warschauer Aufstand, sprach diesen Satz, als wir am Ufer der Weichsel standen und gleich tausenden Augen vor dreizehn Jahren nach dem nahen Praga hinüberblickten, wo seinerzeit die Spitzen der Roten Armee Gewehr bei Fuß standen. Und nach einer Pause setzt er hinzu: „Heute wissen wir, daß unsere Kameraden keinen sinnlosen Tod gestorben sind. Die Toten von Warschau 1944 haben der Jugend von 1956 das Leben erhalten. Die Erfahrungen dieser — hoffentlich letzten blutigen — Erhebung unserer Geschichte, und nur sie allein, haben uns 1956 vor Entschlüssen zurückgehalten, die Polen wahrscheinlich in ein zweites Ungarn verwandelt hätten. — In ein noch viel gewaltigeres Ungarn“, setzt er hinzu. Befürchtungen und Stolz sprechen in gleicher Weise aus diesem Bekenntnis eines alten Soldaten.

Zu Asche geworden ist zweifellos auch manche Erwartung auf eine weitere Entdogma-tisierung des starren Wirtschaftssystems. Wohl wagen sich da und dort die charakteristischen ebenerdigen Geschäftslokale des geduldeten privaten Handels — er bezieht sein ..Rohmaterial“ zu zwei Dritte] aus den Sendungen der Amerika-Polen — hervor, allein das Arrangement ist, gemessen an westeuropäischen Maßstaben, nach wie vor äußerst dürftig. Und wird es auch bleiben. Nicht zuletzt deswegen, weil jeder Geschäftsmann, dessen Laden einen florierenden Eindruck macht, die Faust einer drohenden Verstaatlichung im Nacken spürt. Und so bleibt man lieber bescheiden. Man könnte auch sagen ärmlich. Welch belebendes Element gerade der kleine Handel und das Gewerbe in der Wirtschaft aber auch im allgemeinen Leben eines Volkes spielt, sieht man erst dort, wo er auf Kümmerformen heruntergedrückt ist. „Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ sollte in der kommunistischen Wirtschaftsordnung ihr Ende finden. Welche Bocksprünge die Praxis macht, sieht man besonders dort, wo es dem ärgsten Ausbeuter, dem Wirt, an den Kragen ging. Ein bis zwei nach internationalen Mastäben geführte Hotels in den großen Städten, der Rest sind Karawansereien aus Karl Mays „Durch die Schluchten des Balkans“. Und doch legt Polen Wert auf eine Steigerung des Fremden-

Verkehrs. Hier könnte sich eine staatlich durchaus überschaubare private Initiative — so man ihr „Lebensraum“ gibt — nutzbringend entfalten. „Der Mann ist ein Schuft“, mit dem höchsten Abscheu spricht ein gar nicht mehr so junger, zorniger Mann ig Posen von einem zweiten, dessen Namen eben gefallen ist. „Der hat den X. Y. überhalten. So etwas tut man doch nur gegenüber dem Staat und seinen Wirtschaftsorganen.“ Kein Apercu, sondern die allgemeine Reaktion auf eine ungesunde Wirtschafts-dogmatik.

Zu Asche geworden ist auch seit der Einstellung von „Po Prostu“ manche Hoffnung auf eine unbeschränkte Presse- und Publikationsfreiheit. Der staatliche Zensor ist ein mächtiger Mann. Allein er gebietet ohne Ausnahme. Auch die Blätter der KP müssen ihm vorgelegt werden. Ein Artikel des bekannten Chefs der „fortschrittlichen“ Pax-Katholiken, Piasecki, konnte nur zur Hälfte erscheinen. Und außerdem: man soll mit den Zensoren diskutieren können. Sie seien Erklärungen und Argumenten zugänglich.

Zu Asche geworden ist — so scheint es nach den letzten außenpolitischen' Erklärungen Go-mulkas auch die Möglichkeit einer eigenständigen polnischen Außenpolitik zu sein. Vielleicht hat der Westen hier eine gewisse Mitschuld, da er von vornherein sich weigerte, in eine Diskussion über den Rapacki-Plan auch nur einzutreten.

Zu Asche geworden... zu Asche geworden ... zu Asche geworden ... Und doch.

Da und dort funkelt unverkennbar der eine oder andere Diamant. Einen solchen haben ohne Zweifel vor allem die Bauern in der „zweiten Bauernbefreiung“ vor dem Kolchoszwang nach Hause getragen. Sie werden ihn zu hüten und zu verteidigen wissen.

Ein Diamant — und was für ein kostbarer — ist wohl jener, der den „Geisterkönig“ Geheimpolizei heute noch genau so wie im Herbst 1956 vor den Türen der Bürger bannt.

Ein hohes, jedem Polen teures Gut ist auch die nicht nur in ihrem äußeren Auftreten bewußt eigenständige polnische Armee. Wer glaubt, daß Kokarden, Distinktionen und Kappenformen, kurz und gut: daß Tradition etwas höchst Bedeutungsloses ist - es soll in einem anderen Land solche Meinungen geben —, dem ist ein Besuch bei der polnischen Armee zu empfehlen.

Kein Diamant, gewiß, eher bunter Flitter, sind die Existenzialistenkeller der polnischen akademischen Jugend, einer sehr lebendigen akademischen Jugend. Sei es darum. Sie machen

Freude, sie bringen Farbe in einen nicht allzu bunten Alltag.

Und so könnten wir noch weiter in dem kleinen Aschenberg großer Hoffnungen und Erwartungen stöbern. Wir würden noch manchen wertvollen Stein entdecken. Nicht zuletzt auch Filme — wie eben „Asche und Diamant“. Und das ist gar nicht so wenig.

In der nächsten Folge: VON DER WEICHSEL AN DIE OLSA

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